Das Rentenniveau ist sicher, die Rente nicht!

Für den Lebensstandard heutiger und zukünftiger Rentner spielt das Rentenniveau kaum eine Rolle. Entscheidend sind Produktivitäts- und Reallohnentwicklung, aber das kratzt die Rentenreformer nicht.

picture alliance/dpa | Harald Tittel

Mit der Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 hat die SPD in der vergangenen Woche ein Herzensanliegen durch den Bundestag gebracht, das sie seit vielen Jahren wie eine Monstranz vor sich herträgt. Bärbel Bas (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales, betonte im Bundestag, dass sich die Menschen trotz Wirtschafts- und Bankenkrisen oder etwa der Coronapandemie seit Jahrzehnten auf die sozialen Sicherungssysteme verlassen könnten, denn vor allem die gesetzliche Rente habe „für Sicherheit in unsicheren Zeiten gesorgt“.

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So gehe es nun weiter, denn „alle Generationen werden von der Haltelinie profitieren, die das Rentenniveau sichert“, was zu „mehr Gerechtigkeit“ führe, so Bas. Insbesondere die Jüngeren profitierten, da sie höhere Rentenanwartschaften erwerben. Mit der Stabilisierung des Rentenniveaus werde ein „Sozialstaatsversprechen“ erneuert, das über alle Altersgruppen hinweg gelte, befand die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt bei der abschließenden Lesung des Rentenpakets im Bundestag. Mehr als zwei Drittel der jungen Menschen seien dafür.

Anders als von der SPD wie auch den anderen Befürwortern eines Rentenniveaus von 48 Prozent – oder sogar mehr, wie es Linke und AfD fordern – stellt diese Haltelinie keineswegs die Erfüllung eines Sozialstaatsversprechens dar und insbesondere wird damit nicht etwa das reale Einkommensniveau heutiger oder zukünftiger Rentner gesichert. Mit dem Streit rund um das Rentenniveau wird der Eindruck erweckt, dass ein sinkendes Rentenniveau zwangsläufig mit realen Einkommenseinbußen der Rentner verbunden sei und umgekehrt ein gleichbleibendes oder sogar steigendes Rentenniveau den Lebensstandard der Rentner sichert. Ganz in diesem Duktus hat Bas zur Begründung ihres Gesetzesentwurfs ein Strohmann-Argument aufgebaut, indem sie behauptete, dass diejenigen, die gegen die Haltelinie seien, die „Rente kürzen“ wollten.

Ablenkungsmanöver Rentenniveau

Ein gleichbleibendes Rentenniveau bedeutet lediglich, dass sich die durchschnittlichen Nettoeinkommen der Erwerbstätigen im Gleichschritt mit den durchschnittlichen nominalen Renten bewegen. Da alle nominalen Einkommen dem gleichen Anstieg der Verbraucherpreise unterworfen sind, werden auch real steigende oder sinkende Erwerbstätigeneinkommen 1:1 an die Rentner durchgereicht. Rentenkürzungen sind demnach – nicht wie von Bas insinuiert – bei einem gleichbleibenden Rentenniveau zu verhindern. Vielmehr stellt ein gleichbleibendes Rentenniveau sicher, dass sich Reallohnzuwächse als realer Rentenanstieg auswirken, umgekehrt jedoch auch, dass Reallohnverluste 1:1 auf die realen Renten durchschlagen.

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Real sinkende Renten wirken sich jedoch nicht nur auf die heutige Rentnergeneration aus, vielmehr vermindert sich auch der Lebensstandard aller zukünftigen Rentnergenerationen im gleichen Umfang. Würden beispielsweise die realen Renten bis zum Jahr 2031 um 5 Prozent sinken, träfe dies – trotz des auf 48 Prozent fixierten Rentenniveaus und der Anwartschaften – auch die ab 2031 neu hinzukommenden Rentner. Im Vergleich zu den heutigen Renten müssten sie eine fünf Prozent niedrigere reale Rente hinnehmen.

Um den Lebensstandard der Rentenbezieher zu sichern, ist demnach die Entwicklung der Reallöhne entscheidend, denn der Effekt eines steigenden oder sinkenden Rentenniveaus ist im Vergleich zur Reallohnentwicklung relativ unbedeutend. So würde zwar eine angenommene Anhebung des Rentenniveaus von heute 48 auf 49 Prozent bis 2031 einen Rentenanstieg um etwa 2 Prozent bedeuten, wenn jedoch die Reallöhne bis dahin um 5 Prozent sänken, lägen die Renten dann real 3 Prozent niedriger als heute. Ein Rentner mit einer durchschnittlichen Rente von 1200 Euro pro Monat würde 2031 in heutigen Preisen 36 Euro weniger Rente erhalten – trotz gestiegenen Rentenniveaus.

Kollabierter Wohlstandsmotor

In der Rentendiskussion wird die Reallohnentwicklung jedoch völlig ignoriert. Dies ist umso problematischer, da die Reallöhne wegen der seit Jahrzenten in Deutschland rückläufigen Produktivitätszuwächse kaum noch steigen. Ganz im Gegenteil liegen die Reallöhne in Deutschland trotz eines Anstiegs um durchschnittlich sogar drei Prozent im vergangenen Jahr noch immer 2,5 Prozent niedriger als 2019. Seit 2015 ist die Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigenstunde in Deutschland nur noch um knapp ein Prozent jährlich gestiegen, seit 2022 sinkt die Arbeitsproduktivität sogar. Produktivitätssteigerungen sind jedoch die wirtschaftliche Grundlage für Reallohnsteigerungen, denn Unternehmen, die die Arbeitsproduktivität anheben, erreichen dadurch in aller Regel Kosteneinsparungen, wodurch sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Den Erwerbstätigen kommt dies ebenfalls zugute, da die Unternehmen in einem wettbewerblichen Umfeld gezwungen sind, die erreichten Kostenvorteile teilweise oder vollständig an die Kunden weiterzugeben, was über die Wertschöpfungsketten letztlich zu sinkenden Konsumentenpreisen führt beziehungsweise inflationsdämpfend wirkt.

Da der Produktivitätszuwachs ausbleibt und die insgesamt in Deutschland von allen Erwerbstätigen geleisteten Arbeitsstunden obendrein zurückgehen – im Zeitraum von 2019 bis 2024 sind sie von 62,1 auf 61,4 Milliarden Stunden gesunken –, stagniert der von allen Erwerbstätigen erarbeitete Wohlstand; seit 2022 nimmt er wegen der seitdem sinkenden Arbeitsproduktivität sogar ab. Aufgrund der demographischen Alterung, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren dazu führt, dass einer steigenden Anzahl Rentner immer weniger Erwerbstätige gegenüberstehen, muss bei Fortsetzung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung der nun sogar sinkende Wohlstand in Deutschland auf immer mehr Bürger aufgeteilt werden.

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Die seit vielen Jahren geführte Diskussion über das Rentenniveau ist ein willkommenes Ablenkungsmanöver, das allen Beteiligten erlaubt, die politisch weitgehend unabänderliche demographische Alterung in den Fokus zu nehmen, um nicht die politisch stark beeinflussbare wirtschaftliche Entwicklung adressieren zu müssen. Dies entspricht dem heutigen Politikstil, der auf das Management beziehungsweise die Verwaltung des Status quo ausgerichtet ist und Veränderung meidet. Politiker aller Couleur können sich durch die derart geführte Rentendiskussion als mehr oder weniger brillante Verwalter in Szene setzen, denen eine noch „gerechtere“ Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands am Herzen liegt. Obwohl es dabei nur um des Kaisers Bart geht, ist die Diskussion umso unversöhnlicher, weil nicht mehr – wie seit den 1950er Jahren in Deutschland üblich – Wohlstandsgewinne zu verteilen sind, sondern Wohlstandsverluste unter den Bürgern aufgeteilt werden müssen.

Um dies mittels Schuldenaufnahme vorläufig so weit wie möglich zu verschleiern, wurde das 500 Milliarden schwere Sondervermögen mitsamt des Verschiebebahnhofs zugunsten steigender konsumtiver Ausgaben geschaffen. Da die für die Rente freigeschaufelten finanziellen Mittel dennoch auf Dauer nicht reichen, um die Rentenlöcher zu stopfen, werden ständig neue Strohmänner aufgestellt, wie beispielsweise die Einbeziehung von Beamten und Selbständigen in die Rentenversicherung. Da diese jedoch aufgrund des Äquivalenzprinzips bei Einbeziehung in die Rentenversicherung eine Rentenhöhe erzielen, die ihren persönlichen Beitragszahlungen entspräche, würde dies die Rentenkassen langfristig nicht entlasten. Dies wäre nur möglich, wenn die Rentenkassen durch Aushebelung des Äquivalenzprinzips zu Lasten von Selbständigen und Beamten saniert würden – was inzwischen die Linke fordert und Bas beabsichtigt.

Die derart geführte Rentendiskussion droht im Kontext der demographischen Alterung bei gleichzeitiger Wohlstandserosion Verteilungskonflikte zu politisieren und gesellschaftliche Spaltungen unter den Erwerbstätigen zu schaffen, so etwa zwischen Jungen und Alten und zwischen verschiedenen Erwerbstätigengruppen wie Beamten, Selbständigen oder abhängig Beschäftigten sowie gegenüber den Empfängern von Transferleistungen. Mit der einseitigen Fokussierung auf das Rentenniveau und „gerechte“ Verteilung befeuert die Regierungskoalition die Entstehung dieser Konflikte. Dies gilt auch für die jungen CDU-Rentenrebellen, die zur akuten Lösung der Rentenprobleme ausschließlich darauf gedrungen haben, das Rentenniveau ab 2031 auf 47 Prozent abzusenken, anstatt es – wie nun vom Bundestag beschlossen – bei 48 Prozent zu belassen. Insbesondere CDU/CSU und SPD, aber auch die politische Opposition im Bundestag haben keine Antwort auf die Frage, wie sich die in den nächsten 10 bis 15 Jahren stark steigenden demographischen Lasten ohne wohlstandsmindernde Effekte für alle Bürger ausgleichen lassen.

Sichere Renten durch höhere Wettbewerbsfähigkeit

Da die Rentendiskussion ausschließlich auf Verteilungsgerechtigkeit reduziert wird, gibt es keinerlei Bestrebungen, die von der Produktivitätsschwäche ausgehende Wohlstandserosion zu stoppen. Daraus resultieren jedoch nicht nur schwerwiegende Wohlstandseffekte für Rentenbeitragsempfänger, -beitragszahler sowie für die Steuerzahler. Diese müssen jährlich weit über 100 Milliarden Euro in die Rentenkasse einzahlen, um versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren und um eine Senkung der ansonsten viel höheren Rentenbeitragssätze zu bewirken. Dass immer mehr Brutto vom Netto der Erwerbstätigen durch Beiträge und Steuern in die Rentenkasse fließt, führt aufgrund steigender Sozialversicherungsbeiträge auch zu kontinuierlich wachsenden Belastungen bei den Unternehmen.

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Durch die Produktivitätsstagnation geraten die Unternehmen unter einen immer größeren wirtschaftlichen Druck. Denn sie können latent steigende Kosten, etwa bei den Lohnnebenkosten, für Energie oder mehr regulatorischen Aufwand nicht wie in früheren Jahrzehnten durch kontinuierliche Produktivitätssteigerungen kompensieren, so dass ihre Wettbewerbsfähigkeit leidet. Infolge der Produktivitätsstagnation geraten sie sogar in eine Abwärtsspirale, weil nicht nur ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit schwindet. Denn die Produktivitätsstagnation führt auch zu stagnierenden Reallöhnen, so dass die demographische Alterung, wegen des nun bis 2031 fixierten Rentenniveaus zu einem Anstieg der Rentenbeitragssätze von heute 18,6 auf dann 20,3 Prozent bei zudem steigenden Steuerzuschüssen führt. Dies erhöht die Standortkosten der Unternehmen und schwächt ihre Wettbewerbsposition zusätzlich.

Würden die Unternehmen jedoch Arbeitsproduktivitätssteigerungen im unteren bis mittleren einstelligen Prozentbereich erzielen, was ähnlich hohe Reallohnsteigerungen mit sich brächte, könnten die prozentualen Rentenversicherungsbeiträge stabil gehalten werden. Dies gelänge, wenn die realen Renten im Vergleich zu den Reallöhnen etwas abgebremst wachsen würden, so dass der Lebensstandard generell steigt, der der Rentner jedoch etwas abgemindert. Genau dies sollte der 2004 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in die Rentenformel eingefügte Nachhaltigkeitsfaktor bewirken, der das Verhältnis von Rentenbeitragszahlern und Rentnern bei der Rentenberechnung berücksichtigte und zu Zeiten eingeführt wurde, als das jährliche Produktivitätswachstum noch bei knapp 1,5 Prozent lag.

Die seitdem verschärfte und zudem verfestigte Produktivitätsschwäche hat den Nachhaltigkeitsfaktor jedoch ad absurdum geführt. Anstatt nun jedoch die Ursachen der Produktivitätsschwäche zu adressieren, werden Reallohnstagnation, Wohlstandserosion und der inzwischen eklatante Verlust der Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen weitgehend achselzuckend hingenommen. Offenbar erscheint es den etablierten Parteien weitaus einfacher, über Verteilungsfragen oder soziale Gerechtigkeit zu streiten, obwohl immer mehr Wähler dies als inszenierte Showdebatten und Showreformen erkennen, die nichts zur Sicherung der Renten beitragen – sofern man darunter die Erhaltung oder gar Steigerung des Lebensstandards heutiger und zukünftiger Rentnergenerationen versteht.

Viel schwerer, aber umso notwendiger wäre es, die eklatanten wirtschaftlichen Probleme zu adressieren, in die sich Deutschland seit Jahrzehnten mit einer völlig verfehlten Wirtschafts- sowie Energie- und Klimapolitik selbst hineingeritten hat. Um dies zu erreichen, müsste die Wirtschaftspolitik so ausgerichtet werden, dass die Unternehmen durch verschärften Wettbewerb einerseits zu wettbewerbssteigernden Produktivitätsverbesserungen animiert und gedrängt werden, ihnen jedoch anderseits nicht durch ausufernde Regulierung und vor allem explodierende Strom- und Energiekosten die wirtschaftliche Basis entzogen wird.

Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

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Kommentare ( 1 )

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Mermaid
1 Stunde her

Will sich denn niemand mal die Mühe machen zu gucken, warum es möglich ist, daß in Österreich die Renten fast das Netto-Lohnniveau erreichen. Die Volkswirtschaften sind so unterschiedlich nicht, warum geht also dort, was angeblich bei uns nicht geht? Und warum ist das Nettolohnniveau in vielen EU-Staaten so viel höher als bei uns? Man nennt es innere Aufwertung der Währung. Wenn man, wegen des Euro, nicht aufwerten kann, erhöht man eben kräftig die Löhne, damit die Leute auch etwas von ihrer Leistung profitieren. Warum geschieht das nicht bei uns? Ich kann mir natürlich die Frage selbst beantworten, aber die Antwort… Mehr

Last edited 1 Stunde her by Mermaid