Selbstzensur und Hocherregungskultur

Über "falsche" Bilder regt sich die Empörungsgemeinde auf, über verspätete und selbstzensierte Berichterstattung nicht.

So entschuldigt sich „SZ“-Chefredakteur Wolfgang Krach für eine Zeichnung im SZ Magazin. Nein, nicht in seiner aktuellen Ausgabe, sondern vorab via Facebook.

„Sie bedient stereotype Bilder vom ’schwarzen Mann‘, der einen ‚weißen Frauenkörper‘ bedrängt und kann so verstanden werden, als würden Frauen zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die Illustration die Gefühle von Leserinnen und Lesern verletzt haben, und entschuldigen uns dafür.“

Entschuldigung Herr Krach, haben Sie die Vorfälle in Köln, in Hamburg und in weiteren deutschen Großstädten wie Hamburg nicht mitbekommen? Sie distanzierten sich von einer schwarz-weißen Griff-zwischen-die-Beine-Illustration, die allerdings recht anschaulich abbildet, was passiert ist – was ja Aufgabe von Illustrationen ist – oder?

SZ – Satirefreie Zone?

Noch Justizminister Heiko Maas spricht davon, dass, was bereits 500 Strafanzeigen überwiegend wegen sexueller Belästigung nach sich gezogen hat, wahrscheinlich „abgesprochen“ war. Also tatsächlich mehrere Flashmob-Attacken widerlichsten Ausmaßes nach Vorbild nordafrikanischer Großstädte wie Kairo stattgefunden haben unter Beteiligung von Menschen, die an Bahnhöfen unter dem Applaus von Deutschen Willkommen geheißen wurden.

Herr Krach, es waren ganz überwiegend Nordafrikaner, die ganz überwiegend deutsche Frauen „zum Körper verdinglicht haben“ und sexuelle Gewalt explizit dort angewendet haben, wo die Hautfarbe heller wurde. Was also kann Sie bewegen, sich im Namen Ihrer Zeitung ausgerechnet auf Facebook auf diese Weise zum Affen zu machen?

Herr Krach, sie haben das dringende Verlangen, sich zu entschuldigen? Dann entschuldigen sie sich einfach für ein wesentlicheres Versäumnis: Entschuldigen Sie sich dafür, das sich eine große Zeitung wie Ihre, der wesentlich mehr investigative Möglichkeiten zur Verfügung stehen als den meisten Print-Medien, dass sie es tagelang versäumt haben, überhaupt über die unerhörten Vorfälle zu berichten. Hier haben sie auf ganzer Linie versagt, nicht etwa dadurch, das einer Ihrer Illustratoren vergessen hätte, in den Tuschkasten zu fassen und sich auf die Farben schwarz und weiß beschränkt hat. Was bei Illustrationen übrigens gar nicht so unüblich ist. Licht und Schatten. Hell und Dunkel. Sie verstehen schon.

Dem Focus erging es ähnlich. Sein Titelbild einer betatschten Frau (Nackte mit schmutzigen Handabdrücken überall am Körper) mag ganz sicher sexistisch sein, wenn man eine irgendwie Model-artig posierende nackte Frau sexistisch findet, aber mehr auch nicht. Es ist keineswegs geeignet, zu unterstellen, der Focus würde beispielsweise die massiven „verabredeten“ Übergriffe in Köln und weiteren Großstädten verharmlosen oder aufbauschen. Was sollte man daran auch aufbauschen können? Aber der Focus hat scheint’s mehr Mumm als die ebenfalls eher im konservativen Millieu angesiedelte Süddeutsche Zeitung. Focus kommentiert auf Facebook: „Wir sehen auch keinen Grund, uns für unser Cover zu rechtfertigen.“

Jagd frei auf Facebook

Na ja, und dann bricht sie los, die Facebook-Like-Jagd. Mit dabei an vorderster Please-like-me-Front – so weiß Spiegel Online zu berichten: Beate Wedekind. Beate wer? Ältere werden sich erinnern, die Viel-Facebookerin war in einer analogen Vor-Internet, Vor-Facebook Zeit einmal Chefredakteurin der Bunten und anderer Blätter, bevor Sie mit Burn-Out auschied. Wikipedia schreibt in der Kopfzeile: sie sei „deutsche Journalistin, Autorin, Eventmanagerin und TV-Produzentin.“ Ergänzt müsste werden, dass Wedekind auch Facebookerin wurdet. Aber den Beruf der Facebook-Journalistin gibt es noch nicht.

Also Beate Wedekind schaute nun auf das Focus-Cover, dann wahrscheinlich auch auf etliche dieser hastig hingetippten Hocherregungskommentare und rief ihre FB-Freunde an. Und weil das in seiner ganzen facebook-Erregungssprache, in seiner aufgeregten Versal-Sprache so grotesk erscheint, hier ihr Post in längeren Auszügen:

„Liebe Freundinnen und Freunde, ich rufe Euch hiermit dringend und herzlich zum BOYKOTT von FOCUS auf: NIEMAND sollte diese Ausgabe von FOCUS kaufen. Der Titel ist eine einzige VERHÖHNUNG! Zum Kotzen. (…) Ich werde das WIDERLICH SEXISTISCHE UND RASSISTISCHE Titelbild hier nicht posten, will mich nicht an der Verbreitung dieses Schmutzes beteiligen. Und ich wünsche mir und ihnen, dass die Redakteurinnen und die Redakteure des ganzen BURDA-Verlages, die Herz, Verstand und Mitgefühl haben, einen Aufstand machen. ICH BITTE EUCH DRUM. Wäre ich noch bei meinem früheren Verlag, ich würde das sofort auf die Beine stellen! DIESER POST DARF SEHR GERN GETEILT WERDEN.“

Durch Facebook wieder in kindlichen Denkmustern

Geteilt haben ihren Aufruf mittlerweile 1.032 Facebooker. Das ist viel, aber auch nicht so viel in diesem hirnerweichenden Medium. Die Neurowissenschaftlerin Susan Greenfield von der Universität Oxford warnt davor, dass soziale Netzwerke wie Facebook unser Gehirn verändern, davor, dass Menschen durch soziale Netzwerke ihre Individualität verlieren und in kindliche Denkmuster zurückfallen. Warnung angekommen.

Facebook selbst hat sich übrigens bisher für seine AutorInnen noch nicht entschuldigt. Aber ab und an löscht Facebook, was es nach einem undurchsichtigen Prinzip für unangebracht hält, für beleidigigend, frauenfeindlich oder rassistisch, oder sperrt Teilnehmer auf Zeit. Die Accounts von Focus und Süddeutsche sind noch nicht gesperrt, der von Beate Wedekind ebenfalls nicht. Und wohl auch nicht die arabischsprachigen Accounts der vielen hundert Nordafrikaner, die sich laut Justizminister Heiko Maas – via Facebook? – zu ihren hunderten von Straftaten verabredet hatten.

Ganz real und mitten in Deutschland. und nicht irgendwo auf einer Spielwiese auf Facebook zwischen Beate Wedekinds Pseudo-Erregungs-Postings und weiteren aufmerksamkeitsheischendem Schilddrüsenproblemen. Aber wäre eine Welt ohne Facebook friedlicher? Manchmal möchte man es annehmen.

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