Journalistische Selbstentleibung

Die vermeintlich guten alten Zeiten sind vorbei. ARD und ZDF produzieren zwar noch Schlagzeilen, aber die haben nichts mit Journalismus zu tun. Ein Verbesserungsvorschlag.

picture alliance / dpa | Soeren Stache

In den guten alten Zeiten des deutschen Nachkriegsjournalismus war im Westen Bonn der Nabel der Welt, während im Osten die Berichterstattung um das Politbüro der SED kreiste. Genauer gesagt um deren Generalsekretär und den Vorsitzenden des Staatsrates. Im Westen durften sich damals noch manche Beobachter über den Status der Tagesschau lustig machen, das geriet im Gegensatz zur DDR noch nicht in Gefahr, die Legitimation des Staates zu untergraben. Laut dem im Mai verstorbenen Helmut Thoma hätte man diese Sendung auch in Latein mit zwei brennenden Kerzen verlesen können, „und sie hätte immer noch die gleichen Ratings“. Es ging dem ersten Chef des Privatsenders RTL damals allerdings nicht um die inhaltliche Qualität, sondern um die Aussichtslosigkeit, das Abendprogramm in Konkurrenz zur Tagesschau-Ausgabe um 20:00 Uhr beginnen zu lassen.

Das Konkurrenzangebot des ZDF namens „heute“ erreichte nie einen vergleichbaren Status. In den langen Nachkriegsjahren steckten Redakteuren und Zuschauern noch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in den Knochen, wo Medien als Propagandaapparat der Diktatur verstanden wurden. Dazu kam die Medienpolitik in der DDR mit einem identischen Medienverständnis. Man musste nicht viel tun, um sich davon abzuheben, und gleichzeitig tat man genug, um das deutlich werden zu lassen. So war das in den guten alten Zeiten, die aber viele Zeitgenossen keineswegs als zu gut empfanden, um es kritiklos hinzunehmen.

Eine Reliquie namens Tagesschau

Heutzutage interessiert sich niemand mehr ernsthaft für die Programmplanung im linearen Fernsehen, außer es gibt Liveübertragungen etwa von großen Sportereignissen. Das lineare Fernsehen ist ein Relikt, so wie Sendungen in Latein und mit zwei brennenden Kerzen. Die Tagesschau als Nachrichtenformat wird in der ARD gehütet wie eine Reliquie. Der Glanz aus den glorreichen Gründungszeiten soll auf die Gegenwart strahlen, um das öffentlich-rechtliche Fernsehen als Inbegriff eines seriösen Journalismus erscheinen zu lassen. Der damit verbundene Nimbus macht jede Kritik zur Häresie. Aus Kritikern werden Nestbeschmutzer, die vom rechten Weg abgekommen sind.

Schon wieder Desinformation
Mächtige Netzwerke? Linke Verschwörungstheorien im ÖRR
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird damit zu einer Sekte, die aber nur ein Problem hat: Sie wird nicht aus den Spenden und Beiträgen der Rechtgläubigen finanziert, sondern von allen deutschen Haushalten. Jeder Bürger muss die Rundfunkabgabe bezahlen, unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des damit verbundenen Angebots. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung, die diese Sendeanstalten von allen anderen Medienangeboten unterscheidet.

Das wird im § 26 des Medienstaatsvertrages formuliert, der sie „in besonderem Maße“ zur „Einhaltung journalistischer Standards, insbesondere zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung wie auch zur Achtung von Persönlichkeitsrechten“ verpflichtet. Ferner „sollen sie die einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechenden Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“.

Unbelegte Verschwörungserzählung, jetzt auch im SWR

Der Kollege Gábor Paál hat für den SWR seine Interpretation dieser Grundsätze formuliert: So sei es angemessen, „dass Positionen, die sich auf Fakten und auf Wissenschaft stützen, im Programm berücksichtigt werden und eine unbelegte Verschwörungserzählung gar nicht. Das mag, je nach Sichtweise, nicht „neutral“ sein“, aber es sei „wahrheitsgetreu, sachlich, objektiv, und es ist trotzdem ausgewogen und angemessen“. Um seinen Ausführungen besonderes Gewicht zu verleihen, hat er die zentralen Begriffe noch hervorgehoben. Im gleichen Sender ist in den vergangenen Tagen eine Dokumentation mit dem knalligen Titel „Plötzlich Hassobjekt – woher kommt die rechte Onlinehetze?“ erschienen. Den Hintergrund schildert Anna Diouf in diesem Artikel auf Tichys Einblick:

Katharina Schmieder, eine frühere Mitarbeiterin des SWR, hatte nur eines getan: Sie hatte auf ihrem X-Account Critical Cat die zahllosen Fälle dokumentiert, wo in Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer wieder aktive Politiker als vermeintlich neutrale Bürger präsentiert werden. Diese kaum journalistisch zu nennende Praxis erinnert zwar längst an Realsatire, aber es ist den SWR-Kollegen von Gábor Paál leider gelungen, eine unbelegte Verschwörungserzählung prominent im ARD-Programm zu platzieren. Als Hintergrund lohnt es, sich den Podcast von Alexander Teske mit Katharina Schmieder anzuhören.

Kaperung von Sendeanstalten

Solche Fälle sind mittlerweile keine Einzelfälle journalistischen Versagens, sondern entsprechen einem Muster. So erwies sich in jüngster Zeit der Fall Michael Ballweg als eine veritable Geschichte des politisch-medialen Komplexes, wie Daniel Graeber und Boris Cherny auf Apollo News berichteten. Im Mittelpunkt steht wieder einmal der ZDF-Unterhaltungskünstler Jan Böhmermann. Apollo News selbst musste sich rechtlich gegen eine Philippika der ZDF-Moderatorin Dunya Hayali zur Wehr setzen – und gewann. Ein ähnliches Verfahren von TE gegen das ZDF ist anhängig. Hayali wollte im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf Desinformation anklagen, der sie aber selbst wegen unzureichender Recherche zum Opfer fiel.

Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Denn es geht in diesen Fällen journalistischer Selbstentleibung keineswegs um links oder rechts. Das behaupten lediglich die Kollegen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gekapert haben, um ihn in eine Sekte zur Verbreitung ihrer vermeintlichen Werte und Meinungen zu transformieren. Das darf jeder machen, aber nicht im öffentlich-rechtlichen Auftrag. So macht etwa der schon besagte Alexander Teske zusammen mit Peter Welchering und Annekatrin Mücke den verdienstvollen Podcast „Sachlich richtig“. Alle drei waren langjährige Mitarbeiter in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und kritisieren ihn aus einer journalistischen Perspektive. Diese Kritik teilen sie mit vielen anderen Kollegen, die den journalistischen Absturz von ARD und ZDF miterleben müssen.

Mitmachen oder alles dichtmachen

Es geht nicht darum, welche politischen Positionen jemand einnimmt. Man kann und soll über jedes Thema streiten, dafür gibt es auch genügend journalistische Formate. Allerdings besteht der journalistische Auftrag nicht in den Leitartikelschlachten aus den guten alten Zeiten, sondern dem Leser, Hörer und Zuschauer die Meinungsbildung zu ermöglichen. Und schon in den verflossenen Zeiten interessierten sich die meisten Leser weniger für die Leitartikel, sondern mehr für Geburts- und Todesanzeigen oder Mietangebote. Für letztere stand man sogar mitten in der Nacht auf, um die aktuelle Tageszeitungsausgabe schon am Druckhaus zu bekommen. Für Leitartikler ist nie jemand aufgestanden. Ältere Leser werden das noch wissen.

Heute reicht ein Smartphone. Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beim Publikum beruht schon längst auf seiner Sportberichterstattung und seichter Unterhaltung. Ohne Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften findet er oft genug ohne Zuschauer und Zuhörer statt. Junge Leute erreichen ARD und ZDF auf ihrem Portal Funk bestenfalls noch mit der alten journalistischen Masche namens „sex sells“. Seine politische Legitimation beruht aber immer noch auf seiner journalistischen Kompetenz in Formaten wie der Tagesschau. Wenn er diese sichern will, muss er sich mit seinen Kritikern auseinandersetzen. Mehr guten Willen als bei den Kollegen von „Sachlich richtig“ wird er in Zukunft nicht finden. Ansonsten werden sich ARD und ZDF mit dem Motto „Alles dichtmachen“ beschäftigen müssen. Für eine Todesanzeige nach dem Ableben könnte es aber vielleicht noch reichen.

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Kommentare ( 52 )

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libelle
3 Monate her

Wo Wahrheit zum Kriterium für Veröffentlichungswürdigkeit erklärt wird regiert der welcher bestimmt was Wahrheit ist. Das hat Stalin gelehrt und praktiziert. Und seine Apologeten in ARD und ZDF und Mainstream Medien allgemein, haben es verinnerlicht und zu ihrer allgemeinen Herrschaftsstrategie gemacht. Was Wahrheit ist – wie es nicht nur ein Herr Gabor Paal versteht – wurde über Jahrtausende von der Philosophie untersucht und jede Behauptung eines Menschen der etwas zur Wahrheit erklärt ist seitdem als eitel entlarvt. Wenn Heute aber Linke, Aktivisten, Politiker und Propagandisten uns tatsächlich erzählen wollen, es gäbe Jemanden, einen Politiker eine Partei, eine Institution, die/der darüber… Mehr

Sonny
3 Monate her

Und wer sollte das Ende beschließen?
Ich bin da bei weitem nicht so optimistisch. Die Zwangszahlungen des Volkes sind doch ein Freibrief, sich zu bereichern. Wer wird da schon belangt, wenn Richter selbst zu den Sympathisanten dieser Volksverblödung gehören?
AfD über 51%, dann gehts.
Alles andere ist Wunschdenken.

Riffelblech
3 Monate her

Wirklich gute Journalistische Arbeit im Sinne von Scholl-Latour ,von Krone Schmalz von Kronzucker ua.und siehe hier bei TE kommt doch in den ÖR gar nicht mehr vor .
Nur die sog. Alternativen Medien ,gescholten vom Mainstream, bringen Journalismus an den Verbraucher .
Alles Andere was mit den Zwangseinteibungen an Geldern veranstaltet wird ist politische Propaganda,Lobhudelei ,Umsetzen grün- roter Gesinnung.
Es ist müßig sich über ein langsam aber sicher vor sich hingammelndes System zu unterhalten.
Lassen wir eine Alternative an die Macht kommen und der Spuk ist vorbei .

Jens Frisch
3 Monate her

„So sei es angemessen, „dass Positionen, die sich auf Fakten und auf Wissenschaft stützen, im Programm berücksichtigt werden und eine unbelegte Verschwörungserzählung gar nicht. Das mag, je nach Sichtweise, nicht „neutral“ sein“, aber es sei „wahrheitsgetreu, sachlich, objektiv, und es ist trotzdem ausgewogen und angemessen“.“

Ich kann mich noch erinnern, als ein Loriot erklärte, man solle einem Fernsehmann einfach nicht ansehen, welches seine eigene, völlig unmaßgebliche Meinung ist:
https://odysee.com/@TrueStoff:a/%E2%80%9EWas-mich-am-Fernsehen-sto%CC%88rt%E2%80%9C—Loriot-1979:b

siebenlauter
3 Monate her

Der Zug ist doch abgefahren. Den Laden dicht machen, die Bürger finanziell um gut 200 Euro entlasten — und darauf achten, daß eine Wiederbetätigung der schuldigen Journalisten unterbleibt.

Paul Brusselmans
3 Monate her

Was viele nicht wissen: die Demokratiegebür ist eine staatliche Beihilfe, und dazu gibt es eine Entscheidung der EU-Kommission, da sie den Wettbewerb mit den Privaten vefälscht. Sie ist nur dann erlaubt, wenn der öffentliche Aufrtag, s §26, eingehalten wird und keine Überfinanzierung herrscht.
Ansonsten ist sie automatisch durch die Budnesregierung zu stoppen. EU-Recht kann auch mal schön sein. Beschwerde an die Generaldirektion Wettbewerb per online Formular auf deutsch reicht.
https://competition-policy.ec.europa.eu/antitrust-and-cartels/procedures/complaints_en

Bedenkentante
3 Monate her

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Österreich Radiosender, die je nach Besatzungszone von den jeweiligen Siegermächten kontrolliert wurden. Unter anderem die „Sendergruppe Alpenland“. In einer Doku darüber habe ich von einem ehemaligen Mitarbeiter, der danach auch lange Jahre offenbar auch lange Jahre weiter im Öffentlichen Rundfunk tätig war, gehört, dass – ich zitiere sinngemäß – Radio in Österreich nie mehr so frei war als zur Zeit unter der britischen Besatzung. Das halte ich für bemerkenswert und deprimierend gleichzeitig. Die Situation in Österreich lässt sich was die Schlagseite des ORF als ÖRR angeht gut auf Deutschland übertragen. Und auch auf… Mehr

Evero
3 Monate her

Wie soll so ein Apparat sich selbst reformieren, der gänzlich von voreingenommenen altparteiischen Rundfunkräten und zu 90% links wählenden Redakteuren dominiert wird?
Keinen Cent mehr für diese selbstgerechten Antidemokraten.

Micha.hoff
3 Monate her

Wie der Name schon sagt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist keine Medienanstalt, sondern eine Behörde. Und folglich arbeiten da keine Journalisten, sondern Beamte. Und die verbreiten eben Regierungsnarrative. Dafür sind sie da, und dafür werden sie bezahlt. Naiv ist, wer anderes erwartet.

Dellson
3 Monate her

Sinnlose Debatte über eine nach innen verkapselte Struktur. Die notwendige Reform kann nur von aussen erfolgen über einschneidende Massnahmen. Geldentzug und Senderreduzierung sind das Gebot. Hinzu die Beseitigung der privaten Altersvorsorgebezüge auf ein normales Niveau durch die Sender, Abschaffung sämtlicher Privilegien, Doppelstrukturen, eigenständige Produktionsfirmenbegüstigung im Sender von Mitarbeitern, Abschaffung von der Gründung eigener Produktionsfirmen durch Mitarbeiter im Sender oder ihrem Umfeld. Also eine eigentlich unlösbare Aufgabe. Also eher ein Neustart, also neue Sender braucht das Land.