Bei Lanz: Oberstaatsanwalt Ralph Knispel über die Kapitulation der Berliner Justiz

Markus Lanz' Schlussfrage: Ob das nicht alles die „totale Kapitulation des Rechtsstaats“ sei? „Es gibt einen Ort für diese Leute und der heißt „Gefängnis“, warum bringen wir die Leute da nicht hin?“ Großer Applaus im Publikum.

Screenprint: ZDF/Markus Lanz

Zu ausführlichen Interviews Online und im TE-Magazin war schon Ende 2017 und Mitte 2018, der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, der jetzt bei Markus Lanz geladen war. Dieser Lanz scheint sich tatsächlich zu mausern, nachdem er zuletzt schon die grüne Doppelspitze Habeck und Baerbock nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst hatte, darf nun Knispel nach TE auch öffentlich-rechtlich aus seinem Berliner Arbeitsalltag erzählen.

Bei TE berichtete der Chef der Vereinigung Berliner Staatsanwälte – in der Funktion äußert er sich öffentlich – über katastrophale Zustände in der Hauptstadt: Wir müssen feststellen, „dass die Aufklärung und Strafverfolgung in erschreckendem Umfang nicht mehr sichergestellt ist. Die über viele Jahre rückläufige und im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich abfallende Aufklärungsquote in Berlin spiegelt dies deutlich wider. Die über einen langen Zeitraum in Berlin vollzogenen Einsparungen haben dazu geführt, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte nicht mehr in der Lage sind, ihrem verfassungsmäßigen Auftrag zu entsprechen.“

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Bei Lanz wird Oberstaatsanwalt Ralph Knispel gemeinsam mit der Gerichtsreporterlegende Gisela Friedrichsen vorgestellt und befragt, die gerade über den Mammutprozess gegen Beate Zschäpe ihr Buch „Der Prozess“ veröffentlicht hat und die beklagt, dass, was der Prozess hätte vermitteln können, unter anderem auch hinter der „Flüchtlingskrise“ zurückstehen musste. Friedrichs hätte sich vor dem Prozess nicht vorstellen können, dass es in der Breite eine rechtsradikale, eine terroristische Szene gibt.

„Dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz noch groß sei, entspricht reinem Wunschdenken,“ mit diesem knalligen Zitat stellt Markus Lanz den Oberstaatsanwalt vor. Und der ist auf angenehme Weise Talkshow kompatibel, wenn der sympathische Jurist mit der Gelassenheit des Profis für sich einnimmt. Ja, das ist schon fast unverschämt lässig, wie der ganz in schwarz gekleidete Knispel da quasi von Zuständen aus seinem Arbeitsalltag berichtet, was für den einen oder anderen wie der Untergang des Abendlandes klingen muss. Aber wahrscheinlich braucht es diese Haltung, wenn man fast täglich mit Mord und Todschlag zu tun hat und auch schreckliche Dinge sieht, die schon geschauspielert mit einem FSK 18 belegt wären.

Nicht vollstreckte Haftbefehle aus Personalmangel, wären keine Seltenheit, startet Ralph Knispel. „Das Thema nicht vollstreckte Haftbefehle spielt bundesweit eine Rolle und insbesondere in Berlin, auch teilweise von der Senatsverwaltung für Justiz offensichtlich unzureichend aufgearbeitet. Selbst in Berlin hatten wir im letzten Jahr, Stichtag war März 2018, mehr als 8500 nicht vollstreckte Haftbefehle.(…) Auch wenn wir zurückdenken an den Prozess in Freiburg, wo elf Flüchtlinge angeklagt waren wegen Vergewaltigung – der Hauptangeklagte, auch gegen den lag ein Haftbefehl vor und auch der ist noch nicht vollstreckt worden.“

„Ein Rechtsstaat kostet Geld“, so Ralph Knispel weiter, „darüber müssen sich auch Politiker im Klaren sein, alles andere wäre eine Lüge, auch vor der Bevölkerung. Die Politik muss sich dazu bekennen, sie muss auch investieren und das ist jeden einzelnen Cent wert, auch wenn Prozesse lange dauern.“

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Lanz will wissen, wie man sich das konkret vorstellen muss, wenn Haftbefehle nicht mehr vollstreckt werden, ob dann Leute durch Berlin laufen, von denen man weiß, „dass ist ein mutmaßlicher Totschläger, Vergewaltiger, Einbrecher, was auch immer?“ Friedrich ergänzt gleich mal um die, die man wieder laufen lassen muss, weil Fristen verstrichen sind.

„Bundesweit waren es etwa 50 Untersuchungshäftlinge, die trotz schwerster Straftat und dringendem Tatverdachts entlassen werden mussten. Und das was sie hier ansprechen, die Frage der Vollstreckung von Haftbefehlen, ist sicherlich auch ein personelles Problem.“, sagt Knispel und erinnert daran, dass Tatverdächtige nicht verhaftet werden können, „weil die Polizei nicht die Kräfte hat, regelmäßig und flächendenkend zu kontrollieren, sodass ganz häufig tatsächlich bei Zufallskontrollen Haftbefehle entdeckt und abgerufen und dann vollstreckt werden.“

Friedrichs ergänzt wieder, dass sich die Leute wohl zu Recht aufregen, dass, wenn „ich einmal falsch parke oder beim Finanzamt nicht bezahle, da kommt der Staat sofort und macht mich haftbar und brummt mir Strafen auf und die Gewalttäter, die lässt man laufen. Und das regt die Leute fürchterlich auf. Ich kann das verstehen.“ Dafür gibt es schon Mal Sonderapplaus aus dem Publikum.

Ralph Knispel muss zunächst grinsen, als Lanz ihn fragt, wie das denn für ihn wäre, wenn er wieder einen Politiker im Fernsehen sieht, der erklärt, man müsse nun mit aller Härte durchgreifen. „Ist das eine Floskel für Sie?“, fragt Lanz

„Kann ich leider nur mit einem kurzen und knappen „Ja“ beantworten. Denn diese Wortungetüme der Betroffenheit und dessen was angestrengt wird – wir hatten auch einen in der großen Koalition verabredeten Justizgipfel, da sollen dann für ganz Deutschland zweittausend Staatsanwälte und Richter eingestellt werden – wissen Sie, da vermag uns niemand hinter dem Ofen vorzulocken, oder Freude zu entlocken, weil das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir verkennen nicht, dass tatsächlich Personal eingestellt wird, selbst in Berlin, nur wir dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir eine Pensionierungswelle haben. (…) Diese Personalabgänge und -wegfälle können wir nicht auffangen. Und schon gar nicht mit jungem Personal.“ Wir dürften uns nicht weiter in die Tasche lügen, so Knispel weiter, dass diese neu eingestellten Mitarbeiter in kürzester Zeit so erfahren geworden seien, dass sie die ausgeschiedenen Kräfte ersetzen.

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Lanz erinnert das an Schulen, wo man einfach jeden nimmt, um den Lehrer-Personalmangel zu begegnen, wenn dann sogar Quereinsteiger unterrichten würden, wenn, so Lanz weiter, „der Reiseleiter zum Geografielehrer“ würde.

Lanz will dann wissen, wie es so auf dem Schreibtisch bei Knispel aussieht. Der berichtet von täglich neuen Aktenbergen, die man sich auch noch selbsttätig aus der Geschäftsstelle abholen müsste, weil auch hier das Personal fehle. „Das frustriert viele Kollegen. Sie haben die Aufgebenden, diejenigen, die in die innere Kündigung gehen, wir haben Zyniker, aber das was wirklich wichtig ist um dann in der Bevölkerung auch das Vertrauen wiederherzustellen, das Kollegen und Kolleginnen hingehen und jeden Tag mit Spaß bei der Arbeit sind und mit Überzeugung, das werden sie einfach nicht erreichen, wenn die Arbeitsbedingungen nicht so sind.“

Auch Schreibkräfte gäbe es in Berlin keine, so Knispel weiter, die Kollegen sprechen alles selbst in Sprachprogramme ähnlich einer Funktion bei WhatsApp „mit lustigen Ergebnissen“ insbesondere auch, wenn es um die fremdklingenden Täternamen gehe.

Berlin-typisch sei es, wenn an jedem zweiten Mittwoch im Monat die Computer um 17 Uhr abgeschaltet werden („wegen Wartungsarbeiten“), dann „können sie sicherlich lesen oder handschriftlich noch etwas verfassen, aber mit Blick auf die elektronische Akte, die auch in der Strafjustiz zum ersten Januar 2026 spätestens kommen soll, wirft ganz große Schatten voraus.“

„Warum so früh?“ fragt Lanz und hat selbstredend die Lacher auf seiner Seite.

Knispel gibt noch ein Beispiel für den desolaten Zustand der Justiz: „Die Sicherung von DNA Spuren, auch bei Wohnungseinbrüchen, spielt eine große Rolle, sie können die Urheberschaft des Verursachers feststellen. Die Untersuchungen (die Auswertung der Spuren) dauern vielfach zwei bis drei Jahre. Das heißt, sie bekommen nach zwei oder drei Jahren die Mitteilung, dass ein bestimmter Täter als Spurenverursacher angesehen wird. Und da brauche ich sicherlich nicht viel Fantasie zu bemühen, dass ich insbesondere bei reisenden Tätern, die es nicht nur in Frankfurt am Main, sondern insbesondere in Berlin gibt, die Vorstellung, dass dieser beschuldigte Spurenverursacher (noch dingfest zu machen sei, sei illusorisch).“

Und Knispel weiter: „Selbst im Bereich der organisierten Kriminalität und bei Tötungsdelikten warten wir bisweilen Monate auf die Untersuchungsergebnisse.“ Warum? „Personalmangel“, so der Oberstaastanwalt.

Knsipel macht bei seiner Schilderung der realen Verhältnisse keine Gefangenen: Auch bei Einbruchswerkzeugen bekäme man „nach drei oder vier Jahren rechtzeitig vor der Verjährung dann die fast berührende und naive Anfrage, ob den unsere Untersuchung noch erforderlich sei, weil man einfach nicht dazu kommt, diese Spuren zu untersuchen. Das ist die Wirklichkeit des Rechtsstaates. Und nicht nur in Berlin.“

Die Aufklärungsquote bei Straftaten ist in Berlin auf fast 40 Prozent gesunken, damit ist die deutsche Hauptstadt Träger der roten Laterne. In Berlin versuche man „den Wasserfall mit einem Glas“ aufzufangen, ergänzt der Oberststaatsanwalt noch seine Beschreibung der Zustände der Berliner Justiz. Die Bevölkerung hätte aber „einen Anspruch darauf, dass auch ein Fahrraddiebstahl bestmöglich aufgeklärt wird.“

In Berlin würde schon überlegt, den Konsum und Verkauf von Kokain zu legalisieren, einfach, weil man mit der Strafverfolgung nicht mehr hinterherkäme. Lanz erinnert das an einen Auftritt von Annegret Kamp-Karrenbauer die in seiner Sendung in etwa gesagt hätte: „Es ist ein Problem, wenn der Staat sich immer öfter selbst nicht mehr an die Regeln hält, die er sich selber gibt.“

Knispel erinnert in dem Zusammenhang daran, dass es in Berlin schon Zonen gibt, wo die Polizei keine einzelnen Funkstreifen mehr entsenden kann, sondern nur noch in Gruppenstärke auflaufen muss. Frau Friedrich fügt noch „Anspucken“ und „Steine werfen“ gegen Polizisten hinzu und fragt: „Wundert man sich da noch, wenn diese Leute sagen: So nicht!?“ Die Frage dazu von Lanz war, ob Knispel Kollegen oder Polizisten kenne, die mittlerweile AfD wählen würden. „Bekennende nicht.“, hatte der Oberstaatsanwalt ihm schmunzelnd wie sibyllinisch geantwortet.

Markus Lanz dann mit seiner Schlussfrage: Ob das nicht alles die „totale Kapitulation des Rechtsstaats“ sei? „Es gibt einen Ort für diese Leute und der heißt „Gefängnis“, warum bringen wir die Leute da nicht hin?“ Großer Applaus im Publikum. Aber was jetzt? Was soll Ralph Knispel, was kann das Publikum tun, damit sich etwas ändert?

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Kommentare ( 147 )

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WandererX
4 Jahre her

Unklare Rechtsverhältnisse im Vollzug führen zu einer extremen Uneffektivität der Behörden, von Polizei bis Staatsanwälte. Wenn Jugendliche wegen Drogenvergehen 100 x erfolgreich durchsucht werden und es passiert letztlich nichts, was soll das? Entweder man gibt das Zeug frei oder man steckt solch einen 17 Jährigen vier Wochen ins Gefängnis oder eine geschlossene Jugendeinrichtung und schreibt den Eltern eine saftige Rechnung. Politiker der CDU bis SPD sind heute zu FEIGE, Verantwortung zu übernhmen. Nee, man läßt alles offen (will ja liberal sein) und schiebt das Problem auf Vollzugsbeamte und Gerichte. Natürlich kann so ein Beamte nicht öffentlich seinen Vorgesetzten, den (feigen)… Mehr

D.Kluth
4 Jahre her

Wahrscheinlich bekommt der deutsche Michel von den Öffentlich-Rechtlichen allabendlich einen Krimi serviert, damit er sich der Illusion hingeben kann, es fände tatsächlich noch schnelle Aufklärung von Straftaten statt. Und weil das so beruhigend ist, wählt der deutsche Michel, was er immer gewählt hat. Weswegen auch nichts besser, sondern alles immer nur noch schlimmer werden kann.

WandererX
4 Jahre her

Zu wenig Leute? Und wie hoch ist der Krankenstand da in Berlin? 20%? Es ist doch eher Metropolenlässigkeit, auf die man in Berlin vielleicht sehr stolz ist. Es wäre ja reaktionär, einen Krankenstand von 6 % zu haben, nicht?

manfred_h
4 Jahre her

Zitat: „Die Frage dazu von Lanz war, ob Knispel Kollegen oder Polizisten kenne, die mittlerweile AfD wählen würden“

> Mhh, auch hiermit zeigt sich doch wieder mal was die größte Sorge der -auch- beim Staatsfunk arbeitenden Moderatoren ist; „die AFD“ oder das irgendwer vom Wahlvolk nicht Grün u Links ist sondern „die AFD wählen könnte“.
Wäre Lanz beim eigentlichen Thema geblieben wäre er glaubhafter rübergekommen…..

Alf
4 Jahre her

Mehr Geld, mehr Polizisten, mehr Staatsanwälte, mehr Gefängnisse…..? Nein, nein – der Fisch stinkt vom Kopf Weniger Politiker, dann gibt es wieder Geld für Polizisten, Staatsanwälte u.a. – wir brauchen keine 709 Abgeordnete im Bundestag Beschränkung politischer Mandate auf 2 Legislaturperioden – keine Untoten in den Parlamenten. Polizisten haben nicht die Aufgabe, Politiker und Objekte zu schützen – an erster Stelle stehen die Bürger – no go areas sind ein no go Schulpflicht hat plötzlich Vorrang „Nach der Vergewaltigung einer jungen Frau am Freitagabend in Mülheim an der Ruhr gehen die dringend tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen am Montag voraussichtlich ganz… Mehr

Regenpfeifer
4 Jahre her

jedes Land bekommt die Regierung, die es verdient hat. die Mehrheit der Deutschen hat diesen Irrsinn immer und immer wieder gewählt!
Auswandern ist die einzig sinnvolle Reaktion. Ich sehe mir den Untergang Deutschlands auch lieber aus dem Exil an!

Medienfluechtling
4 Jahre her

warum war da kein Politiker von den Grünen eingeladen?!

Silverager
4 Jahre her

Um auf die letzte Frage von Herrn Wallasch („Was soll Ralph Knispel, was kann das Publikum tun, damit sich etwas ändert?“) gibt es eine ganz, ganz einfache Antwort:
nichts !!! Absolut gar nichts.
Merkels Plan, das Deutschland, das wir kannten, untergehen zu lassen, wird sich unaufhaltsam erfüllen.

ehill
4 Jahre her

Schauen wir uns unsere 16 Minister bzw. die Bundeskanzlerin an:https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskabinett. Sehen wir ein Mitglied der Regierung, welches sich durch besonders kompetentes Agieren und Einsatz für die Bevölkerung auszeichnet? Ich sehe Frauen und Männer, keine ernsthaften Problemanpacker und Problemlöser. Solange diese Damen (besonders die Physikerin) und Herren die Geschicke Deutschlands in Händen halten, brauchen wir uns über Missstände in allen Bereichen nicht zu wundern.