Der Kanzler im Ukraine-Gespräch bei Illner: Olaf Scholz wusste von nichts

Bei Maybrit Illner erläutert Olaf Scholz seine Wende in der Sicherheitspolitik. Die eigenen Fehler sieht er zwar bis in die 80er Jahre hinein nicht ein – doch der Putin-Schock führt zu einer Mobilisierung der Rest-Vernunft.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Das große Vorstellen von Politikern, die aus dem letzten Loch pfeifen, oder Experten, von denen man noch nie gehört hat, kann man sich diesmal sparen. Denn die gestrige Folge mit dem kreativen Titel „Krieg in der Ukraine“ war Chefsache. Nur ein einziger Gast wurde von Illner empfangen und zwar niemand geringeres als der deutsche Bundeskanzler – für diejenigen, die ihn zwischenzeitlich vergessen hatten: Sein Name ist Olaf Scholz.

Überraschend klar hat er zuletzt auf die Ukraine-Krise reagiert – mehrmals gebrauchte er selbst den Begriff „Zeitenwende“, verkündete nicht nur Waffenlieferungen an Kiew, sondern auch ein massives Aufrüstungsprogramm und eine damit einhergehende wieder stärkere Westorientierung Deutschlands. Seine Worte zu den entsetzlichen Verbrechen Putins in der Ukraine sind jedenfalls klar.

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Bei Illner verkündet Scholz nicht nur, dass man bereit sei, mehr Truppen in NATO-Staaten in Osteuropa zu stationieren, und: „Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Bundeswehr so stark ist, wie sie sein muss, damit uns niemand angreifen kann.“ Über die polnische Rolle bei der Hilfe für die Ukraine sagt Scholz: „Wir gehören zusammen“ und schlägt gegenüber dem osteuropäischen Nachbarn auf einmal einen freundlicheren Ton an.

Illner nagelt den Kanzler dann vor allem mit dem Blick zurück fest. Scholz begibt sich auf verlorenen Posten: Er wusste von nichts und kann sich auch ansonsten an nichts erinnern. Eine Methode, die ihm schon in der Warburg-Affäre gelang. Illner konfrontiert ihn mit früheren Aussagen, die er gemacht hat, etwa dieser eine Woche vor dem russischen Einmarsch: Es werde keine Waffenlieferungen in die Ukraine geben – „das war richtig und bleibt richtig […] Die Mehrheit der Deutschen sieht das so“.

Auch seine Aussage, Nord Stream 2 sei ein rein „privatwirtschaftliches Projekt“, wird gewürdigt und das gekonnte Ignorieren der zahlreichen Gesuche von NATO-Partnern, Deutschland solle mehr zur Sicherheit Europas beitragen. Scholz findet auch alle diese nun korrigierten Positionen rückwirkend weiterhin richtig – ein missglückter Spagat. Geändert habe sich nämlich: die – schon durch den Impfpflicht-Turnaround so berüchtigte – „Sachlage“. Angesichts des russischen Angriffskrieges hat er damit ja auch durchaus einen Punkt – ignoriert aber, dass solche Maßnahmen vor dem russischen Einmarsch deutlich wirksamer gewesen wären als hinterher.

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Doch Scholz’ rückwärtige Rechtfertigung aller Entscheidungen, die diese Katastrophe begünstigt haben, geht weiter. Sie fängt bei seiner eigenen Geschichte an: Denn er versucht sein heutiges Aufrüsten mit seiner alten Gesinnung als Anti-Pershing-Demonstrant in eine Linie zu bringen. Die von seinem Parteichef Lars Klingbeil angedeutete Abkehr von der Maxime „Wandel durch Annäherung“ weist Scholz zurück. Ein „Offenbarungseid“ der deutschen Sozialdemokratie sei das ganze Desaster nicht. Die SPD hat in der Russland-Politik eigentlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann – jetzt korrigiert sie Scholz, ohne eine Miene zu verziehen.

Scholz will alles haben, aber nichts dafür aufgeben

Doch Scholz rechtfertigt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Vorgängerin. Die habe all diese Probleme mit Putin gesehen, Kritik lässt er nicht auf sie kommen. Der Versuch, sich bei einer 180-Grad-Wende der Sicherheits- und Außenpolitik allerdings als Kontinuum darzustellen, macht sich aber dann doch auch in der Form seiner Ausführungen bemerkbar. Scholz’ Gesichtsausdruck wird noch schwerer, seine Sprache noch langsamer, seine Stimme noch dünner, seine Augen noch träger, und die Tatsache, dass er nichts von dem ernsthaft denken kann, was er da gerade behauptet, zeigt sich anhand von Versprechern, die er nicht geistesgegenwärtig, sondern stolpernd oder gar nicht korrigiert. Da sagt er etwa, er wolle den Krieg in der Ukraine „verhindern“, wenig später sagt er das Gleiche nochmal, immerhin hier korrigiert er sich dann – der Krieg laufe ja schon. Große Teile Europas würden von russischem Gas und russischer Kohle „a.. a…“ – Illner schlägt vor: „abhängig sein“ – aber Scholz vollendet den Satz schließlich bedingt geschickt mit: „aufbauen“.

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Und nicht einmal die „ökologische Transformation“ kann er irgendwie im Zusammenhang mit der Krise jetzt kritischer sehen. Die wolle man auch dadurch nicht stoppen, sondern weiter forcieren – auch mit den 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr wolle man nicht bei den grünen Plänen sparen. Die Bundeswehr soll aufgerüstet, die grünen Pläne trotzdem weiter bezahlt werden – da wissen wir ja schon, wessen Wahlkampfversprechen in dieser Koalition mal wieder hinten vom Lastwagen herunterfallen und im Gulli versinken. Dass es keine Steuererhöhungen geben wird, steht ja ohnehin schon prophylaktisch entgegen des FDP-Versprechens nicht im Koalitionsvertrag.

Scholz will alles haben, aber nichts dafür aufgeben. Er will Kohle- und Atomausstieg ohne die russische Energieabhängigkeit, will Bundeswehr-Aufrüstung, ohne zu sparen. Und er will eine Wende vollziehen, ohne seine alten Positionen zu revidieren, dabei kommt er nun nahezu allen Forderungen seines politischen Gegners (und im Übrigen auch denen der Trump-Administration) in der Frage nach, ohne das mit einer Silbe zu erwähnen.

Doch allzu pessimistisch muss man nicht sein. Dieser Krieg ist ein brutaler Realitätsschock für die Ampel, und die Rückkehr des äußeren Gegners führt schon zu einer gewissen Konsolidierung der Rest-Vernunft. Und es entspricht doch guter deutscher Tradition, dass es ein sozialdemokratischer Kanzler sein muss, der die in der eigenen Partei verhassten, umstrittenen, aber notwendigen Schritte ergreift. Oder um es mit einer mal nicht ganz schlechten Spiegel-Überschrift zu sagen: What a time to be Olaf.

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Kommentare ( 66 )

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Bad Sponzer
2 Jahre her

Wenn ich auch sonstt kein Freund von Olaf und der SPD bin, aber ich finde er macht das ganz gut, mit seiner angenehm zurückhaltenden kühlen norddeutschen Art. Genau das richtige in dieser hysterisch aufgeheizten zeit. Die, die jetzt am lautesten schreien und die ganze welt in den Krieg gegen Russland treiben wollen, vergessen, dass es auch eine zeit nach dem Krieg gibt. Die Russen werden,,früher oder später, die Ukraine einnehmen, ob uns das passt oder nicht. Und dann? Möchte irgendjemand von diesen wohlstandsverwöhnten Medien-Schreihälsen auf seine Urlaubsreisen verzichten, auf seinen Wohlstands-SUV, auf sein Häuschen, ja, noch nicht mal auf seinen… Mehr

ludwig67
2 Jahre her

Fragen dazu:
Wie glaubhaft sind offizielle russische Aussagen zum Verteidigungshaushalt?
Was genau ist darin enthalten?
Wieviel verdient ein russischer Wehrpflichtiger?
Was kostet eine Panzergranate für den T90?
Glauben Sie ernsthaft, Russland zahlt mit diesem lächerlichen Betrag eine global agierende Streitmacht, inkl. Strategischer Bomberflotte, 24/7 patrouillierender Atom U-Boote, strategischer Raketenkräfte, Satelliten und Weltraumwaffen, tausender Panzer und gepanzerter Fahrzeuge?

Wolfgang Richter
2 Jahre her

Wenn man andernorts liest, was für Waffen offenbar an die Ukraine geliefert werden, handelt es sich danach um übernommene Restbestände der NVA, die infolge „Lagerschäden“ zumindest zum Teil verrottet sind. Anstelle der Empfänger wurde ich den zur preiswerten Entsorgung übergebenen Schrott nicht annehmen, schon gar nicht einsetzen, um zu verhindern, daß er mir nicht um die Ohren fliegt. Was für eine Verar….., nach der Comedy mit en 5000 Helmen, nur noch getoppt von den 3 Lastern des Wiener Bürgermeisters mit FFP2-Masken. Als Ukrainer würde ich mir spätestens jetzt abseits der Öffi-Anti-Putin-Propaganda Gedanken um die „echte“ Wertschätzung der Westeuropäer machen, die… Mehr

Harald Kampffmeyer
2 Jahre her

Scholz: „Die (Merkel) habe all diese Probleme mit Putin gesehen“.
Ja sicher. Als sie mit Putin mehrmals am 9. Mai den ‚Djen Pobjedy‘ (Tag des Sieges) beging, die Besiegung Deutschlands feierte und der schillernden Wehr der vorbeirollenden russischen Panzerregimenter nebst den Bannern des Sieges – den stalinschen alten Truppenfahnen – huldvoll zuwinkte.
Ansonsten hat Scholz recht, wenn er die Politik des ‚Wandels durch Annäherung‘ verteidigt. Zwar wandelte sich der Breschnjewsche Hardcore-Kommunismus nicht, aber die BRD wurde doch immer sozialistischer.

November Man
2 Jahre her

„Der Kanzler im Ukraine-Gespräch bei Illner: Olaf Scholz wusste von nichts“
Herr Scholz weist schon in jungen Jahren sehr bedenkliche Erinnerungslücken auf. Er kann sich auch nicht so wirklich an die Vorkommnisse bei der Wartburg-Bank und die Milliardenschweren Betrugs-Geschäfte im Cum-Ex-Skandal oder den Wirecard-Skandal erinnern. Dagegen war der Flick-Skandal in Summe sogar Pinatz.
Scholz ist ein links/grüner SPD-Skandal-Kanzler, dessen Immunität in einem funktionierenden Rechtsstaat aufgehoben und entzogen werden muss, der unverzüglich zurücktreten muss, mehrere Strafverfahren eingeleitet werden müssen, um ihn anschließend vor ordentliche Strafgerichte zu stellen.
Mit einem ordentlichen Gericht meine ich ein wirklich unabhängiges ordentliches Gericht.

Stephan Grandke
2 Jahre her

Mein Gott – man kann nur hoffen, dass dieser Auftritt von Scholz nicht 
vom Kreml wahrgenommen wird! Serviler geht es ja gar nicht mehr, 
zumindest nicht im Sitzen! Selbst der Sprachregelung des Kreml – nicht 
das Wort Krieg zu verwenden – unterwirft man sich ab der 50. Minute. 
Angesprochen auf die Kriegsfähgikeit der Bundeswehr verwahrt sich 
Scholz gegen das „leichtfertige“ in den Mund nehmen des Wortes Krieg. 
Vorauseilender Gehorsam? Angst? Die Regierungschefs der beiden 
wirtschaftlich stärksten Staaten des Westens haben offensichtlich 
nicht verstanden, dass Schwäche Aggressoren nicht abschreckt, sondern 
geradezu zum Angriff einlädt. Nach Kiew – nächster Halt Karlshorst?

Stephan Grandke
2 Jahre her

Mein Gott – man kann nur hoffen, dass dieser Auftritt von Scholz nicht vom Kreml wahrgenommen wird! Serviler geht es ja gar nicht mehr, zumindest nicht im Sitzen! Selbst der Sprachregelung des Kreml – nicht das Wort Krieg zu verwenden – unterwirft man sich ab der 50. Minute. Angesprochen auf die Kriegsfähgikeit der Bundeswehr verwahrt sich Scholz gegen das „leichtfertige“ in den Mund nehmen des Wortes Krieg. Vorauseilender Gehorsam? Angst? Die Regierungschefs der beiden wirtschaftlich stärksten Staaten des Westens haben offensichtlich nicht verstanden, dass Schwäche Aggressoren nicht abschreckt, sondern geradezu zum Angriff einlädt. Nach Kiew – nächste Station Karlshorst?

Konservativer2
2 Jahre her

Herr Bundeskanzler Scholz hat schon als hamburger Innensenator von den 9/11-Attentätern vor seiner Nase nichts mitbekommen. It’s not a bug, it’s a feature.

Little John
2 Jahre her

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“

Eine Aussage, seit gestern mit Ewigkeitsanspruch

Henni Gedu
2 Jahre her

Keine Wende! Eine Halse, ‚auf die weder Schiff noch Mannschaft vorbereitet sind… das Großsegel [bewegt sich] plötzlich mit hoher Geschwindigkeit von einer Schiffseite auf die andere. 

Meistens geht einer Patenthalse ein Fahr- oder Steuerfehler voraus. Andere Gründe können Wechsel der Windrichtung oder plötzliche Strömungswechsel sein (Wiki).‘

Plumps, Hals über Kopf ins Wasser. Pech: Keine Chance bei Gazprom. Tönnies? AWO? Nimmt die Böll-Stiftung Sozis? Olaf, calm down! (Steuer)Geld ist da. Zur Not verkauft ihr der Oma ihr klein Häuschen.