Franz Werfel legte das Gelübde ab, „Das Lied von Bernadette“ zu schreiben, der mädchenhaft-naiven Heiligen von Lourdes. Es ist ein berührendes, wahrhaftiges Buch geworden – und eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts.
Lourdes ist ein Ort, an dem sich die Geister scheiden. Für die einen ist es ein Ort pseudoreligiöser Geschäftemacherei. In eigenen Kaminhäusern werden fette, meterhohe Kerzen abgefackelt, lange Wasserleitungen leiten das Wasser der Quelle zum Abzapfen weiter. Kitsch und Schund verstopfen die Geschäfte, Kitsch ist die Statue der heiligen Bernadette, geschäftstüchtig der Ort, der jeden Pflasterstein verkauft, den Bernadette betreten haben könnte.
Und doch ist es ein berührender Ort. Es ziehen zum Gebet die Mühseligen und Beladenen, die Parade der Rollstühle, die Kolonne der Karren mit den Bahren der Gebrechlichen die sich Erlösung von ihrem Leiden erhoffen. Sie ziehen vorbei an den Büros der medizinischen Prüfkommissionen, die jede Heilung daraufhin untersuchen, ob sie naturwissenschaftlich zu erklären oder doch Gottes unerschöpflicher Gnade zu verdanken sei. In Lourdes werden Wunder nicht nur vermarktet, sondern auch TÜV-zertifiziert.
Niemand hätte auch nur einen Sou darauf verwettet, dass dieser winzige Ort am Fuße der Pyrenäen, ein absolutes Nichts, zur Weltstadt wird, mit Abermillionen von Menschen aus allen Kontinenten, die hier Heilung und Stärkung suchen. Zu verdanken hat Lourdes seinen kometenhaften Aufstieg einem kleinen Mädchen – und im Eigentlichen dem wundersamen Wirken der Mutter Gottes. Für den, der daran glauben will.
Es ist ein Ereignis am 11. Februar 1858, welches das Leben der Bernadette Soubirous, älteste Tochter verelendeter Müllersleute, mit einem Schlag verändert. Die 14-Jährige ist auf der Suche nach Reisigholz, als ihr in den Grotten unweit des Dorfes eine wundervolle Dame erscheint, die sich später als „Unbefleckte Empfängnis“ zu erkennen gibt. Bei der zweiten Erscheinung am 14. Februar begleiten sie alle ihre Mitschüler, bei der fünfzehnten von insgesamt achtzehn ist die Zahl der Zeugen bereits auf 20.000 angestiegen.
Bernadette wird verdächtigt und verfolgt, aber 1862 erkennt der zuständige Bischof die Erscheinungen als echt an. Am 8. Dezember 1933 wird sie heiliggesprochen. Ihr Leichnam ruht unversehrt in ihrem Kloster im französischen Nevers. Jährlich werden in Lourdes bis zu sechs Millionen Pilger gezählt. Von den tausenden Heilungen wurden rund 70 durch die katholische Kirche als Wunder anerkannt.
„Lourdes ist einer der Orte“, so Papst Benedikt XVI., „die Gott erwählt hat, um dort einen besonderen Strahl seiner Schönheit leuchten zu lassen“.
Geboren am 10. September 1890 in Prag als Sohn eines Lederwarenfabrikanten startete Franz Viktor Werfel seine Karriere als Verlagslektor in Leipzig. Früh wurden seine Bücher Bestseller, darunter Verdi. Roman der Oper von 1924. Mit Die vierzig Tage des Musa Dagh klagte er 1933 den Völkermord an den Armeniern an.
Geprägt durch den jüdischen Glauben seiner Familie, eine katholische Gouvernante und die Ausbildung an einer Ordensschule blieb Werfel stets offen für das Heilige. Er verteidigte den „göttlichen Sinn des Universums“ und sah im Glaubensverlust des modernen Menschen „die Ursache unseres ganzen Elends“.
Und wirklich, „mir wurde geholfen“. Somit ist Franz Werfels Roman über die heilige Bernadette die Erfüllung eines Gelübdes. Der Roman wurde ein Welterfolg und gilt als eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts. Werfel, der sich als christusgläubiger Jude verstand, verfasste das Buch 1941 in Los Angeles – gegliedert in 50 Kapiteln – gemäß den Gesätzen des Rosenkranzgebetes. Zwei Jahre später wurde das Buch verfilmt und 1944 mit vier Oskars ausgezeichnet.
Der große Schriftsteller starb am 26. August 1945 in Beverly Hills an einem Herzinfarkt. „Werfel ist tatsächlich ein Wunder“, notierte Franz Kafka über seinen Freund, „der Mensch kann Ungeheures.“
„Ich bin ein Katholik mit jüdischem Gehirn“, meinte Werfel einmal. Bereits zu Beginn seines Schaffens habe er sich geschworen, „immer und überall durch meine Schriften zu verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit – des Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm und Gleichgültigkeit abkehrt von diesen letzten Werten unseres Lebens.“
Man erfährt viel über die Zeit des 19. Jahrhunderts, über das gefährliche Leben einer Heiligen, die verlacht, verspottet und geschunden wurde und sich selbst keinen Tropfen von dem Wasser gönnt, das anderen Heilung bringt. „Es ist doch nicht für mich“, soll sie gesagt haben. Das 19. Jahrhundert war nicht wundergläubig, und alles wurde getan von der damaligen Wissenschaft um eine ungebildete, wohl des Lesens nicht wirklich befähigte Frau des Betrugs und der Habgier und der großangelegten Täuschung zu überführen.
Am Ende ist es auch ein Wunder, dass einer der großen Autoren der deutschen Sprache ihr dieses Buch geschenkt hat.
Franz Werfel, Das Lied von Bernadette. Roman. Edition Credo, Hardcover mit Schutzumschlag, fadengeheftet, Lesebändchen, 604 Seiten, 19,80 €.




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