Eine Frage, die sich im Grunde jeder stellt, der nicht vollumfänglich in Parallelwelten wie der Berliner Politbubble, dem Öffentlich-Rechtlichen Medienbetrieb oder der hochsubventionierten Kultursparte abgetaucht ist. In "Wot se Fack, Deutschland?" geht der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert diesem Phänomen launisch, witzig und satirisch nach, aber auch mit ernsten Tönen durchsetzt.
Ebert zeichnet den an sich erstaunlichen Prozess nach, wie die in der akademischen Welt entwickelte postmoderne Weltanschauung, die man etwas vereinfachend als „woke“ bezeichnen kann, innerhalb weniger Jahre voll auf den Alltag der Menschen durchgeschlagen hat: Galt die Auffassung, dass ein Mann eine Frau sein könne, bei Monthy Python noch als Witz, verliert man heute unter Umständen den Job, weil man nur Frauen als Frauen bezeichnen will.
Mehr noch: Man ist fortwährend mit den Folgen dieser ideologischen Neuinterpretation der Geschlechtlichkeit konfrontiert: Ob als Frau, die sich im Fitnessstudio plötzlich neben einem Mann umziehen muss, als Kindergartenkind, dem eine Dragqueen vorliest, oder als Passant, der auf absonderliche Werbeplakate mit Männern im Bikini starren muss. Existenzielle wie banale Erfahrungen sind geprägt von einer grundlegenden Umdeutung der Welt.
Ebert beschreibt die damit einhergehende Realitätsverweigerung en detail: Ob Umdeutung der Biologie, Verleugnung der negativen Folgen von Migration oder ein Wirtschafts- und Sozialsystem, das allen Gesetzen des Marktes und der Motivation zum Trotz Eigeninitiative obsolet macht, blockiert oder gar bestraft.
Selbstbetrug, wohin man blickt
Als geübter Kabarettist versteht es Ebert, den Irrsinn gelassen, pointenreich und ohne jede Larmoyanz Revue passieren zu lassen.
So gibt er freimütig zu, das Buch sei „aus der Perspektive eines Boomers geschrieben“ – und ist sich bewusst, dass seine verklärten Kindheits- und Jugenderinnerungen an eine sehr viel normalerer Zeit auch zum Teil der Sentimentalität geschuldet sind.
Gute Analyse, fragwürdige Deutung
Eberts Stärke ist die Darlegung des Ist-Zustands. Die Herleitung, wie es zu dieser Situation kommen konnte, sprüht zwar ebenfalls vor Witz, der Autor übernimmt sich allerdings, wenn er neben naturwissenschaftlichen auch philosophische, religiöse und historische Erkenntnisse zum Besten gibt .
Im Grunde macht Ebert ein Ungleichgewicht zwischen Ratio und Gefühl für die Lage verantwortlich: Wir, beziehungsweise unsere Gefühle – so der Untertitel von Wot se Fack, Deutschland – haben „den Verstand verloren“.
Das ist nachvollziehbar und gut beschrieben: Alles, was dem eigenen kurzfristigen Wohlbefinden widerspricht, hat keinen Platz, wird geleugnet.
Die Fortschrittsfalle
Ebert will zwar keine hermetische Abgrenzung von Verstand und Gefühl vornehmen. Dennoch scheint er streckenweise Emotionalität und Irrationalität als ein- und dasselbe zu betrachten. Zudem ist sein Verständnis von Rationalität eindeutig reduktionistisch.
Gern bezieht sich Ebert dabei auf seine berufliche Qualifikation. Als Naturwissenschaftler, Physiker, um genau zu sein, wertet er etwa Religiosität fast durchgängig als irrational ab.
Nun ist ein kritisches Verhältnis zu Religion vollkommen legitim, ebenso wie klare Ablehnung, auch Feindseligkeit. Es ist jedoch bemerkenswert, dass postmoderne Religionskritik kaum je ohne Fakenews auskommt – warum, fragt man sich, werden an dieser Stelle Fakten und Erfindungen immer so dicht verwoben? Müssten nicht, wenn Religion so abwegig ist, Tatsachen ausreichen, um zu demonstrieren, dass es sich um Humbug handelt?
Ebert tappt hier in die evolutive Falle: Er möchte die Entwicklung des Menschen unbedingt auf allen Ebenen als fortwährenden Fortschritt charakterisieren.
Dazu gehört die Annahme, die Menschen seien früher religiöser und dümmer gewesen, heute rationaler und klüger. Etwas plakativ ausgedrückt: Früher dachte man, Götter würden Blitze werfen, bis man die naturwissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen herausgefunden hat. Religion als Ersatz für Wissen, der mit der Zeit obsolet wird.
Diese Haltung ist verbreitet, sie lässt sich aber bereits historisch nicht aufrechterhalten. Denn schon in der europäischen Antike wirkten Glaube, Aberglaube und wissenschaftlicher Erkenntnisdrang nebeneinander.
Und anhand seines eigenen Erklärungsmusters kann Ebert nicht überzeugend darlegen, warum die einst so dummen Menschen, die Göttern opferten, anstatt das Weltgewebe zu ergründen, auch nach der glorreichen Entdeckung der Ratio noch heutzutage ihr Trinkwasser mit Steinen zu beleben versuchen.
Stolpern über eigene Prämissen
Ebert beschreibt korrekt, dass die Menschen von damals genau das getan haben, was die Menschen von heute tun, nämlich sowohl die Rückbindung an die Transzendenz zu suchen als auch die Beschaffenheit der Welt zu untersuchen.
Weil er aber von seiner Herleitung nicht lassen will, wählt er die historischen Begebenheiten, die er als Beleg heranzieht, einfach entsprechend aus: So wird die Entwicklung der Naturwissenschaften als Emanzipation von der Religion gezeichnet. Für diese Konstruktion muss er einige Fakten gezielt auswählen und andere auslassen.
Zum Beispiel darf dann nicht erwähnt werden, dass bedeutende wissenschaftliche und technologische Impulse von Klöstern ausgingen. Dass Universitäten auf die Kirche zurückgehen. Oder auch – so banal, dass es kaum jemanden auffällt – dass wir Tage und Jahre mit einem Kalender berechnen, der „gregorianisch“ heißt, weil er unter der Ägide eines Papstes entstand, dem daran lag, die Zeit so korrekt wie möglich zu berechnen.
Passt das zu einer per se irrationalen Haltung?
Religion gegen Wissenschaft – der ewige Mythos
Ebert müsste als Physiker auch wissen, dass wir die Urknalltheorie dem Priester und Physiker Georges Lemaître verdanken – und dass diese Theorie zu Beginn entschieden abgelehnt wurde. Nicht von der Kirche. Von Einstein.
Zu selektiven Fakten treten Verdrehungen. Wahrheitswidrig schreibt Ebert: „Galileo Galilei (…) bekam Probleme, weil er etwas herausfand, das er mit eindeutigen Fakten beweisen konnte.“
Gerade beim Fall Galilei wurde die Historie längst durch einen szientistischen Mythos ersetzt. Ebert und viele andere wiederholen ihn unablässig – obwohl auch das Lektorat mit einer oberflächlichen Google-Suche hätte herausfinden können, dass es sich hier um eine Falschdarstellung handelt.
Allerdings beruht Eberts Haltung offenbar auf konkreten Erfahrungen: „Was hat Gott eigentlich gemacht, bevor er die Welt erschaffen hat?“, habe er als Kind seinen Pfarrer gefragt. Die Antwort laut Ebert: „Er hat die Hölle vorbereitet für Menschen, die so komplizierte Fragen stellen!“ Eine dümmliche, gedankenlose und natürlich grotesk falsche Antwort. Die Ebert zu dem Fazit veranlasst: „Wissenschaft basiert auf der Suche nach dem Zweifel. Religionen dagegen basieren auf dem Zweifelsverzicht.“
Das ist einerseits verständlich. Andererseits ist Ebert hier inkonsequent. Würde er seinen eigenen Einlassungen folgen, könnte er sowohl die Aussage des Pfarrers als auch seine Schlussfolgerung bereits nach wenigen Stichproben theologischer Literatur als falsifiziert betrachten. Aber ironischerweise hört eben auch bei wissenschaftsgläubigen Menschen der Wille, die eigenen Prämissen zu hinterfragen, zumeist dann auf, wenn sie dadurch ins Wanken geraten könnten – vielleicht kein religiöser, sondern einfach ein menschlicher Impuls?
Zudem stellt Ebert selbst fest, dass die irrationale woke Weltanschauung aus der Wissenschaft erwuchs. Und er bemerkt, dass Wissenschaft in Gefahr steht, um sich selbst zu kreisen und den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren. Auch hier also passt die Beschreibung nicht zur Deutung.
Das ist nicht weiter verwunderlich: Ebert ist weder Religionswissenschaftler noch Philosoph noch Historiker. Er ist Naturwissenschaftler, und als Satiriker scharfer Beobachter der Gegenwart. Und in diesen Bereichen offenbart er seine eigentlichen Stärken, weiß spielerisch und beiläufig zu informieren und Faszination und Neugier zu wecken. Und: Nicht stehen zu bleiben bei Klagen über den Zustand der Welt, sondern Perspektiven zu eröffnen.
Vier Tugenden nennt Ebert am Ende seines Buches als Mittel, um zurückzukehren zu einer konstruktiven, produktiven, an der Realität orientierten Gesellschaft: Ehrlichkeit, Mut, Leistungsbereitschaft, Eigenverantwortung.
So vermag er die Ursache der Krankheit nicht zu beschreiben, ist aber überaus treffsicher in der Verschreibung der Kur.
Ein Buch also, das den Leser nicht nur unterhält, sondern auch weiterbringt. Das zum Nachdenken ebenso anregt wie zum Lachen.
Vince Ebert, Wot Se Fack, Deutschland? Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben. dtv, Paperback, 304 Seiten, 17,00 €.





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„Was ist eigentlich mit Deutschland los?“ – Ich finde diese Frage zu kurz gegriffen. Mein Eindruck ist, dass es die meisten Staaten des Westens betrifft.
Wenn man sieht, was in GB so abgeht. Oder auch in Irland, das ich nicht auf dem Schirm hatte. Aber auch Kanada oder Neuseeland.
Die Frage müsste lauten: Was ist im Westen los? Und die Antwort ist: Der Siegeszug der links-woken Bewegung, ausgehend von den USA.
Das Erstaunliche der derzeitigen konservativen Gegenbewegung in den USA: Im Gegensatz zu früher kämpfen sie nicht nur für das Zurückdrängen des Wokismus in den USA, sondern auch in Europa.
Bevölkerungsdummheit trifft Sozialismus.
Sozialismus gewinnt.
Der Rest ist Politisch Organisierte Altparteien-Kriminalität.