Sarrazin: „Ich dachte, die Wahrheit sei überparteilich.“

Thilo Sarrazin hat in den Räumen der Bundespressekonferenz sein neues Buch vorgestellt: „Der Staat an seinen Grenzen. Über Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart".

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Dafür, dass der allein an der Auflagenhöhe gemessen vielleicht bedeutendste Sachbuchautor des gegenwärtigen Deutschlands sein neues, sicherlich kontroverses Buch vorstellt, ist der Medienauflauf sehr überschaubar. Es ist nur einer der kleineren Räume im Gebäude geworden, trotz Mindestabstand zwischen den Stühlen bleiben etliche Plätze frei. Vorne stehen einige einsame Kameras. Für die Journalisten, die da sind, scheint ein Urteil schon festzustehen. Bevor Sarrazin den Raum überhaupt betreten hat, werden Infos per Telefon durchgegeben, „islamfeindlich“ und „der gleiche Mist wie immer“ heißt es da.

Auf Sarrazin trifft die Einschätzung eines wüsten Übertreibers, eines Agitators, eines Hetzers wohl am wenigsten von allen Menschen im Raum zu. Er spricht immer ruhig, immer äußerst bedacht. Sein Buch hat er akribisch mit Quellen und Verweisen versehen, die allein 37 Seiten ausmachen.

Nach einleitenden Worten des Verlegers Michael Fleissner, folgt die brillante Einführung von Henryk M. Broder. Er beginnt mit den Worten: „Ich hatte ja den Vorschlag gemacht, die Veranstaltung ins Olympiastadion zu verlegen. Zum Glück hat keiner auf mich gehört“, anspielend auf die geringe Zahl an anwesenden Journalisten. Und: „Ich bin eine Notlösung, gewiss, aber dennoch die einzig richtige.“ Nach einigen Worten zum „gespenstischen“ Corona-Geschehen und der „Lust am Verbieten“ der Politik wendet er sich Sarrazins großer Abhandlung über die Geschichte und Probleme der Migration zu. Broder zeigte sich beeindruckt von Sarrazins „unglaublichem Fleiß“ und er beneidet ihn um dessen „luzide Klarheit“ –  „So viel Kreativität hätte einem Spitzenbeamten niemand zugetraut …“

Anschließend stellt Sarrazin seine Thesen zur Migration vor. Was er sagt ist politisch unkorrekt und dennoch ohne jeden Anflug von Polemik. Er weist auf Probleme hin, darauf, dass Migration nichts Selbstverständliches sei und auch nicht zwingend positive Folgen für die Bevölkerung habe. Im Weiteren sagt er:

„Der Begriff Bevölkerungsaustausch (…) gehört zur historischen Realität, es hilft nicht weiter, wenn man ihn heute auf den Index setzt“. „In der Menschheitsgeschichte sind durch Einwanderung immer wieder Stämme und Völker untergegangen und es sind neue entstanden.“ „Die Rettung und Heilung Afrikas kann nur aus der inneren Entwicklung seiner Länder kommen“. „Wir müssen den Zustand ändern, dass jemand der an die Grenze kommt und ‚Asyl‘ sagt zu einem deutschen Rechtssubjekt wird.“

„Wird die Schengen-Problematik nicht gelöst, wird Europa in dieser Form nicht überleben“ und: „Viele sehen heute den Klimawandel als das zentrale Problem der Menschheit an. Das zentrale Problem dieser Erde ist jedoch das ungezügelte Bevölkerungswachstum.“

Publizistische Punktlandung zum Jahrestag
Sarrazin über die Grenzen des Staates in Zeiten der Migration
Aber wenn Sie wirklich wissen wollen, welche Thesen Sarrazins vertritt, sollten Sie sein Buch lesen und der Presse damit eine Nasenlänge voraus sein.

Es folgt die Fragerunde. Zunächst beklemmende Stille und keine Wortmeldungen. Keine weiteren Fragen offen? Es scheint, als sei das Urteil bereits gefällt. Ich habe dann doch eine:

Ein viel zitierter Spruch lautet ja „Aus Worten werden Taten“ und das wurde auch Ihnen, Herr Sarrazin, immer wieder vorgeworfen. Auch Ihnen, Herr Broder. Und nun muss man ja feststellen, dass Sie, Herr Sarrazin, in der Vergangenheit immer wieder, ja eigentlich auf brutale Weise, von der Presse angegriffen wurden. Erst in den letzten Wochen wurden Sie als „eugenischer Rassist“ oder „demagogischer Agitator“ bezeichnet. Meine Frage also: Würden Sie sagen, dass aus diesen (in den Medien gefallenen) Worten auch Taten folgen? Sie stehen auch immer wieder unter Personenschutz. Sehen Sie eine gewisse Mitschuld der Presse an Ihrer persönlichen Gefährdungslage?

Anwesende Journalisten raunen und werfen böse Blicke in meine Richtung.

Auch davon lässt sich Sarrazin nicht aus der Ruhe bringen. Zu seiner persönlichen Gefährdungslage will er nichts sagen, er wolle sich nicht auf das Diskursniveau dieser Angreifer begeben, ihm gehe es um sachlichen Diskurs – und wenn nur eines stimmen sollte, von dem was er heute gesagt hat, dann das.

Ein paar Kollegen stellen dann doch noch Detailfragen. Am spannendsten sind die, die Einsichten zu seiner Zeit in der SPD gewähren, unter anderem die Geschichte, wie er mit 28 Jahren in die SPD eingetreten ist:

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Es ging damals um die Frage, ob Sarrazin einen Parteiposten bekommen kann, ohne Mitglied zu sein. Auf die Frage von Horst Ehmke, wie er es denn bewerkstelligen wolle, ohne Mitgliedschaft vor der Partei zu sprechen, antwortete er: „Ich dachte, Herr Minister, die Wahrheit sei überparteilich“. Die hohen Tiere der Partei mussten laut lachen. Und Sarrazin hatte den Posten – als einziger ohne Parteibuch. Die Reaktion gefiel ihm wiederum so gut, dass er ein halbes Jahr später in die SPD eintrat. Retrospektiv nennt Sarrazin das einen Fehler. Sein Ausschluss sei dennoch willkürlich, da sich in seinen Büchern kein Widerspruch zum SPD-Grundsatzprogramm erkennen ließe.

Auf die Frage, woher er die Kraft für seine Arbeit schöpfe, antwortete er:

„Das ist eine schöne Frage, das fragt mich auch oft meine Frau. Letztlich ist es meine unrettbare Neugier, ich sehe etwas, ich interessiere mich dafür.“  Als Finanzsenator sei er nicht deshalb gefürchtet gewesen, weil er gesagt hätte: „Du kriegst kein Geld“, sondern: „Du kriegst kein Geld und ich werde dir beweisen, dass du gar keins brauchst, weil du unrecht hast.“

Das Urteil über ihn und sein neues Buch wird aber wohl erneut ohne nähere Betrachtung gefällt – sechs Bücher in zehn Jahren und noch keiner ist auf die Idee gekommen, dass eine inhaltliche Nicht-Beschäftigung und Verdrängung von Sarrazins Thesen vielleicht auch „nicht hilfreich“ sein könnte.

Die Medien haben nur insofern dazu gelernt, als dass sie ihre Strategie der Beschimpfung in eine Strategie des Totschweigens verändert haben, auch das ohne das gewünschte Ergebnis: Trotz Boykotts aus dem Buchhandel liegen, wie Verleger Michael Fleissner in seiner Einleitung anmerkte, Vorbestellungen im sechsstelligen Bereich vor. Henryk M. Broder geht noch einen Schritt weiter: „Das wird ein Bestseller. Egal ob Sie es verreißen oder loben.“

Die Neugier und Freude am richtigen Argument spürt man bei Sarrazin in beeindruckender Art und Weise. Seine Arbeit verdient es, dass darüber sachlich diskutiert wird. Ich kann daher nur jeden auffordern: Lesen Sie dieses Buch, bevor Sie darüber urteilen.


Thilo Sarrazin, Der Staat an seinen Grenzen. Über Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart. LangenMüller Verlag, 480 Seiten, 26,00 €.


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Kommentare ( 25 )

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Sonny
3 Jahre her

Meinen allergrößten Respekt an Herrn Sarrazin für seinen unermüdlichen Kampf gegen die Dummheit und Ignoranz in unserem Lande.
Die politisch und medial verursachten Hetzjagden gegen ihn empören mich vom ersten Tag an und lassen nur einen Schluss zu:
Deutschland ist wieder in einer Zeit angekommen, worüber sich nachfolgende Generationen zu Tode schämen werden.

Kastellauner
3 Jahre her

Ich habe noch keine Zeile gelesen und bin jetzt schon happy das Buch bestellt zu haben. Ich hoffe die Zeit zu finden und bin jetzt schon dankbar.

A_Hussain
3 Jahre her

Meine Güte, „Deutschland schafft sich ab“ hat wie eine Bombe eingeschlagen und jetzt, zehn Jahre danach, dieses resignative Schweigen der Presse. Herr Sarrazin hat den Grund selber benannt: in zehn Jahren konnte ihm nicht ein inhaltlicher Fehler nachgewiesen werden. Schön, dass man wenigstens bei Tichy über das Buch und die Umstände seiner Veröffentlichung informiert wird. Beeindruckend, wie Herr Sarrazin mit Kritik umgeht: nie verliert er die Fassung, nie wird er ausfällig.

Ursula Schneider
3 Jahre her

Wie ein Fels in der Brandung stellt Sarrazin der Herrschaft der Lüge die Wahrheit entgegen und bohrt damit in der tiefsten Wunde der gegenwärtigen politischen Debattenkultur!
Dass der Medienauflauf bei einem solch bedeutsamen und erfolgreichen Sachbuchautor „überschaubar“ blieb und der kleinen Journalistenschar kaum eine sinnvolle Frage zu den brisanten Problemen einfiel, spricht Bände über den Zustand unserer Republik.
Danke, Herr Türkis, für Ihren überaus interessanten, eindrücklichen Bericht!

Felix-Schmidt
3 Jahre her

Das wird ein Spaß, das Buch auf der SPIEGEL Bestseller Liste zu sehen!

Micci
3 Jahre her

Was befähigt wohl Frau Merkel, Bücher beurteilen zu können, ohne sie gelesen zu haben? Na, ganz einfach: ihre SED-Ausbildung. Manche nennen das „Vom Ende her gedacht“. Und ja, genauso beurteilt sie alles: welche Wirkung hat es am Ende? Welche Wirkung haben Sarrazins Bücher, ‚unschöne Bilder‘ im Herbst 2015, ein von der AfD mitgewählter Ministerpräsident oder nach Fukushima weiterlaufende Atomkraftwerke? Immer die gleiche: all das könnte ihre Machtausübung schmälern. Und das zu verhindern, ist das Einzige, was sie interessiert – und ihr jeden Preis wert. JEDEN! Und solange das die 8-Mrd-Gehirnwaschanlage als gute Politik verkauft (Judaslohn der Haupttäter: doppeltes Kanzlergehalt; der… Mehr

Karl Krumhardt
3 Jahre her

Eines meiner Lieblingszitate lautet: „ Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Nach diesem Motto schreibt auch Thilo Sarrazin unermüdlich gegen die Verleugnungen und Verschleierungen der Zeit an. Der Bericht von der Pressekonferenz fängt die allgemeine Stimmung und die Persönlichkeit des Autors wunderbar ein, vielen Dank dafür. Das Buch liegt natürlich schon auf dem Lesetisch!

szenaria
3 Jahre her

Herr Sarrazin personifiziert das bereits Verlorene: Erfolg durch Intelligenz, Stringenz, Fleiß und Mut. Schwer erträglich für Politiker und Journalisten, die derartige Qualitäten weder gesehen, noch erworben haben. Minderbegabung und Bildungsdefizite vervollständigen das Bild. Was sie sagen und schreiben ist Dichtung, Vermutung, Diffamierung. Richtig, es ist jenes Niveau, auf welches sich Herr Sarrazin nicht hinab begeben möchte. Es kommt nicht darauf an, welche Arbeit einen Menschen ernährt. Sobald eine Aufgabe sauber, anständig und sorgfältig ausgeführt wurde, erfährt der Mensch in der Regel ehrlichen, tiefen Respekt. Das Streben nach diesen Qualitäten ist der Motor und auch der Kitt, den eine Gesellschaft zusammenhält,… Mehr

BOESMENSCH
3 Jahre her

Irenäus Eibl-Eibesfeldt 1991:

Die Bevölkerungsexplosion in Afrika lässt sich nicht durch Zuwanderung nach Europa lösen.
Selbst wenn wir hier 500 Millionen Menschen aufnehmen würden, dann würde das in den Herkunftsländern nicht das Geringste verbessern.
Wenn die Bevölkerungsexplosion nicht gelöst wird bleibt Europa nur die Möglichkeit sich komplett abzuschotten.

Hoffnungslos
3 Jahre her
Antworten an  BOESMENSCH

Es geht nicht um Hilfe für Afrika. Es geht um den bewußten Abbau von soziokulturellen Unterschieden menschlicher Populationen. Es geht um die Schaffung des globalen Einheitsmenschen, ohne Nationalität, ohne kulturelle Identiät und ohne kulturelles Gedächtnis. Der Mensch ohne Eigenschaften.

mediainfo
3 Jahre her
Antworten an  Hoffnungslos

Mit anderen Worten: Merkel. Wurzellos, beziehungslos, ohne kulturelle Identität.

obo
3 Jahre her
Antworten an  Hoffnungslos

:
Kurz — es geht um die Schaffung des sozialistischen Menschen.

Unterfranken-Pommer aus Bayern
3 Jahre her

Eine Leserunde der Herren Sarrazin und Broder durch’s ganze Land, moderiert von Air Türkis. Das hätte doch was, oder?

Karl Krumhardt
3 Jahre her

Was für eine tolle Idee!