Die Bundeswehr in der Krise: zwischen Elitetruppe und Reformruine

Deutschland tut sich schwer mit seiner Armee, aber auch die Bundeswehr hat es mit Deutschland nicht leicht: vor fast zehn Jahren, am 1. Juli 2011, wurde die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Inzwischen ist die Bundeswehr im Alltag kaum noch sichtbar und die Haltung ihr gegenüber oszilliert zwischen Gleichgültigkeit und Aversion.

Bundeswehr? Ist das die Truppe, die mit Schweineköpfen wirft und von mindestens sieben Anwälten Rechtsgutachten einholen muss, ehe sie ihre letzte Patrone verfeuert? Bundeswehr ist kein Thema mehr, seit die Wehrpflicht vor ziemlich genau zehn Jahren abgeschafft wurde. Jetzt zeigen sich die Folgen dieser Entscheidung: War man früher leidenschaftlich, egal ob dagegen oder dafür, so ist das Thema jetzt echt egal. Früher quälte man sich mit der Frage: Wehr- oder Ersatzdienst? Und wenn Soldat, welche Einheit? Heute ist Verteidigung das, was man nicht braucht oder wofür die USA zuständig sind.

Die Bundeswehr pfeift aus dem letzten Loch. Seit der Wiedervereinigung wurde sie kaputtgespart. „Friedensdividende“ war angesagt. Doch mit Sparvorhaben kann eine ganze Armee aus dem Tritt gebracht werden. Jede Armee besteht aus Einzelverbänden, die eine durchsetzungsfähige Streitmacht bilden können, wenn alle Teile von der Kompanie bis zur Division zusammenwirken. Spätestens aber seit den Strukturreformen aus der Zeit von Thomas de Maizière (CDU) in den Jahren 2011 bis 2013 ist kein größerer Kampfverband mehr einsatzbereit.

Wehrlose Truppe 
Die Bundeswehr ohne brauchbare Flugabwehr
Auch die Personalprobleme der Bundeswehr sind gewaltig. Vor allem ist der Übergang von der Wehrpflicht- zur Freiwilligenarmee nicht gelungen. Es gibt weit »mehr Häuptlinge als Indianer«, jeder vierte Soldat ist heutzutage Offizier. In der Truppe ist zugleich das Personal knapp, die Verwaltung wurde aufgebläht, jeder Vorgang bedarf mittlerweile der Dokumentation. Die Nachwuchsschwierigkeiten dürften bald überhandnehmen. Nicht nur schlägt der gravierende demographische Wandel durch, auch die zwiespältige Einstellung der Bevölkerung zur Bundeswehr und ihren Einsätzen zeigt Wirkung.

In der vollständig überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe dieses erstmals 2019 erschienen »Schwarzbuchs«, wurden nicht nur sämtliche Daten aktualisiert und thematische Ergänzungen vorgenommen – über weite Teile des Werkes „blieb kein Stein auf dem anderen“ – und es geht ans Eingemachte.

Doch ebenso wenig, wie es hilfreich wäre, über die bestehenden Schwierigkeiten hinwegzusehen, wäre es eine Lösung, die Bundeswehr aus Prinzip zu verteufeln. Die Autoren verbinden ihre Kritik mit zahlreichen, sehr konkreten Lösungsvorschlägen. Die Bundeswehr ist eine zutiefst wichtige Einrichtung für unser Land und für Europa. Und jede Reformanstrengung wert.

Rechtsextremismus in der Bundeswehr
Bericht der Wehrbeauftagten: Kein Generalverdacht, aber letztlich doch
Darüber hinaus verfügt sie auch heute noch über Tausende hoch motivierter Soldaten und ziviler Mitarbeiter, die ihre Treupflicht gewissenhaft erfüllen. Daher soll mit diesem Werk der Blick geschärft und verstärkt darauf gerichtet werden, wo es kneift: sowohl politisch und gesellschaftlich als auch im Innenverhältnis der Streitkräfte.

Zudem erörtern die Autoren brennende Fragen der Zukunft: Welche Rolle nimmt die Bundeswehr ein zwischen den europäischen Armeen und der NATO? Welchen Einfluss auf die sicherheitspolitische Lage haben neue Machtfaktoren wie der Expansionskurs Chinas, das aggressive Auftreten Russlands und die Orientierung der USA Richtung Asien? Und wie ist die Bundeswehr im Hinblick auf Cyber-Bedrohung, den globalisierten Terrorismus des 21. Jahrhunderts oder künftige Pandemiekrisen aufgestellt?

Das macht das Buch so wertvoll: es beschränkt sich nicht darauf, aufzulisten was die Bundeswehr dringend braucht aber nicht hat. Die Autoren verstehen es vor allem, das weiten Teilen unserer Gesellschaft abhanden gekommene Bewusstsein dafür zu schärfen, wofür wir die Bundeswehr brauchen: sie skizzieren die Bedrohungslage in einer Welt, die bedauerlicherweise nach wie vor alles andere ist, als ein Ponyhof. Die Mängel an Gerät, Material und Personal haben ihre Ursache in diesem grundsätzlichen Wahrnehmungsdefizit.

Die Lage ist zu ernst, als dass man die Bundeswehr einer komplett inkompetenten Verteidigungsministerin und einiger Generäle überantworten darf, die ihrer Pension entgegendämmern. Wir sind Bundeswehr. Ob wir wollen oder nicht.

Richard Drexl / Josef Kraus, Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr in der Krise. Komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Edition Tichys Einblick im FBV, München 2021, 288 Seiten, 22,99 €.


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Kommentare ( 21 )

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AJMazurek
3 Jahre her

1772 meinte J. J. Rousseau in „Überlegungen zur Regierung von Polen“: „Reguläre Truppen, die Plage und Entvölkerer Europas, sind nur für zwei Zwecke gut, um die Nachbarn anzugreifen und zu erobern oder um eigene Bürger zu fesseln und zu versklaven“. Er empfahl eine Milizarmee nach Schweizer Vorbild …

Last edited 3 Jahre her by AJMazurek
Meykel
3 Jahre her

Was ist der tiefere Sinn eines Militär für einen Staat? Das Militär soll den Staat vor ungerechtfertigter politischer Erpressung schützen.

Von uns kann man alles bekommen was man möchte. Sowas brauchen wir gar nicht.

Unser Geld wird an Europa, unser Land an die Migranten und unsere Zukunft an die Globalisten verschenkt.

Also bitte, was soll da noch verteidigt werden?

Hannibal ante portas
3 Jahre her

Wenn man ehrlich ist, hatte die Bundeswehr zu keiner Zeit die Akzeptanz in der Bevölkerung wie seinerzeit die kaiserliche Armee ( wenn auch nicht als deutsches Nationalheer organisiert, sondern „jeder“ Teilstaat hatte seine eigenes Militär unter kaiserlichem Oberbefehl) oder später die Wehrmacht. Die Bundeswehr hatte seit Gründung für ihre Existenzberechtigung werben müssen, mal mehr mal weniger. So wie sie heutzutage aufgestellt ( und für viele Jahre unter halbwegs normalen Umständen jedenfalls nicht mehr schlagkräftiger gemacht werden kann!) ist sie zur Landes- und Bündnisverteidigung nicht nur nicht fähig, sondern wäre im Ernstfall nur ein Anziehungspunkt für das Zerstörungspotenzial einer möglichen feindlichen… Mehr

Roland Mueller
3 Jahre her

Gegen die aggressiven Russen empfehle ich einen antirussischen Schutzwall. Am besten durch eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und den braunen Fans vom Stepan Bandera in der Ukraine. Danach wäre die Beschuldigung, das es in der Bundeswehr vor lauter Nazis wimmelt, zum ersten mal berechtigt.

mmn
3 Jahre her

Ich stimme überein mit den Kommentaren zum Artikel, in denen das Aussetzen der Wehrpflicht bzw. die generelle Sinnhaftigkeit einer Bundeswehr im heutigen Deutschland kritisiert wird, auch wenn das etwas widersprüchlich wirkt. Hätten wir die Wehrpflicht noch, dann wäre die Generationengerechtigkeit einigermaßen gewahrt, und durch den hohen Anteil von Zivildienstleistenden bestünden viel weniger Probleme in der Krankenpflege und in anderen sozialen Einrichtungen. Der Gleichstellung von Frauen und Männern würde heute sogar eher eine allgemeine Dienstpflicht entsprechen. Andererseits: Deutschland ist ja der staatgewordene Gutmensch bzw. das Weichei der Welt (die verbliebenen Teile der Rüstungsindustrie wird die links-grüne Bewegung über kurz oder lang… Mehr

fischer
3 Jahre her

Nur ein Beispiel: der Iran wird in Kürze , u.a. dank deutscher Dämlichkeit, im Besitz von Atomsprengköpfen sein. Seine zugehörigen Trägerraketen könnten bereits heute Deutschland erreichen. Deutschland hat dagegen keinerlei Abwehrmöglichkeiten, wozu denn auch. Gleichzeitig spielen wir in Afghanistan und Afrika Ordnungsmacht…
Das ist schon lange ein Fall für die Psychiatrie.

Cabanero
3 Jahre her

Die Bundeswehr, verehrter Herr Tichy, ist nur für Deutschland und nicht „für Europa“ da, oder wichtig. Und solange sie über keine Atombewaffnung verfügt, ist sie international unerheblich, entbehrlich und uninteressant. Das wußte schon Franz-Josef Strauß in den 1950er Jahren, als er noch Verteidigungsminister war und weswegen ihn die Gegner dieser Atombewaffnung der Bundeswehr (die mithin sui generis eine unanfechtbare westdeutsche Souveränität konstituiert hätte) mit Hilfe des „Spiegels“ auch abschossen. Das ging einher mit dem Skandal um Hakenkreuz-Schmierereien am Kölner Dom. Die internationalen und innerwestdeutschen Reaktionen darauf beendeten die Selbstlügen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, dekonstruierten die Westbindung (bzw. as Interesse der Westmächte… Mehr

Hoffnungslos
3 Jahre her

Die Frage lautet doch, will Deutschland sich noch verteidigen? Seit Frau Merkel und ihre globalen Freunde regieren, stehen die Grenzen für alle offen, die ins Land kommen wollen. Wenn morgen eine Armee in Zivil die Grenzen überschritte, würde das Jemand überhaupt bemerken, oder stören? Ich bin sicher, die Unterbringung der Leute wäre das Kernproblem. Aber sonst? Bei aggressivem Verhalten der Leute würde den Bürgern gesagt, das wäre eben kulturelle Identität, dafür müsse man Verständnis haben…

Schmidtrotluff
3 Jahre her

Die Aufhebung der Wehrpflicht war der Kardinalfehler oder gezielte Sabotage.
Erster Schritt zur Gesundung ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht und der Ersatzdienste.
Zweiter Schritt ist die Öffnung der Aufgabengebiete. Katastrophenhilfe und -schutz, Umweltschutz, Bäume-pflanzen. Es gibt so viel zu tun, bei dem militärische Struktur und Organisation grundlegend wichtig ist.
Dritter Schritt ist der Respekt vor der Männlichkeit. Männer können andere Dinge als Frauen. Und diese können sie logischerweise besser. Nur Frauen in der Spitze der Bundeswehr ist definitiv falsch.

Don Maniku
3 Jahre her
Antworten an  Schmidtrotluff

Männlichkeit respektiert man, wenn es keine Zwangsdienste und keine Zwangsarbeit nur für Männer gibt.

EinBuerger
3 Jahre her

Grundsätzlich: Ich finde das gar nicht so schlecht. Wenn so ein linksgrünes-wokes Land wie die BRD militärisch und auch polizeilich schwach ist, kann das nur gut sein. Ansonsten: Solange sich die USA nicht aus Europa zurückziehen, sind wir eine Hilfstruppe der USA. Das waren wir im kalten Krieg und das sind wir heute noch. Und ab und zu – im Rahmen der EU – noch für Frankreich. Ich sage das ohne Wertung, aber es ist einfach die Realität. Auch die Pseudo-liberal-konservativen haben – jedenfalls öffentlich – ihre Lebenslügen. Oder sie wissen es, wissen aber auch, dass sie es nicht sagen… Mehr

3 Finnen
3 Jahre her
Antworten an  EinBuerger

Nein, wir haben uns selbst, also die BRD, immer aus EIGENEM SELBSTERHALT verteidigt. Oder kennen Sie die ANGRIFFSPLÄNE des Warschauer Pakts nicht?
Dies wäre ohne die Unterstützung der USA nicht möglich gewesen.
Diese haben Milliarden Dollar ihrer eigenen Steuern dafür bezahlt und hätten natürlich ihre eigenen Staatsbürger als potentielle Opfer der aggressiven Kommunisten geopfert.
Ich bin den USA dafür dankbar, Sie sollten es auch sein.

EinBuerger
3 Jahre her
Antworten an  3 Finnen

Soweit ich weiß, war die Aufgabe der BRD bei einem Angriffskrieg vom Osten den Gegner durch Kämpfe und massivste Zerstörungen auf dem eigenen Gebiet möglichst lange aufzuhalten. Sozusagen verbrannte Erde bei uns um die anderen möglicherweise zu retten. Wenn wir uns ernsthaft selbst verteidigen hätten wollen, hätten wir uns im Kalten Krieg Atomwaffen samt Raketen, die bis Moskau reichen besorgen müssen. Das wäre eine wirksame eigene Verteidigung gewesen (Atomwaffenabschuss kurz vor der totalen Zerstörung der BRD). Und natürlich hätten wir über den Abschuss oder Nichtabschuss dieser Waffen selbst entschieden. Dann hätten wir den USA auch nicht „dankbar“ sein müssen. Natürlich… Mehr