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Der wohl mächtigste Rentenpolitiker in Deutschland ist der früh verstorbene Vater von Andrea Nahles . Schon im vergangenen Bundestagswahlkampf musste er als Begründung herhalten, warum die Rente mit 63 eingeführt werden muss. Jetzt  ist der ehemalige Mauer wieder dran: “Mein Vater war Maurer und ist mit 73 Jahren gestorben. Wenn mir da einer mit Arbeiten bis 70 kommt, werde ich sauer,”, sagte sie Bild am Sonntag.  Was für Papi nicht passt, ist nimmermehr gut, will sie uns sagen. Offen bleibt aber die Frage: Wie gehen wir damit um, dass die Lebenszeit immer länger, aber die Lebensarbeitszeit sich immer weiter verkürzt? Die demographische Entwicklung dafür sorgt, dass wir nicht nur länger leben – aber auch immer mehr Rentner von immer weniger Erwerbstätigen finanziert werden müssen?

Irgendwann ist jeder Rentner

Rente ist eben eine komplizierte Sache und erfordert nicht nur einen Blick auf die eigene Lage oder die von Papi, sondern langfristiges Denken für viele Menschen. Irgendwann ist  jeder irgendwie Rentner, wenn man darunter versteht, dass man nicht mehr durch Arbeit, sondern altersbedingt durch andere Leistungen versorgt wird.
Weil im Jahr 2014 die durchschnittliche monatliche Rentenzahlung für Männer und Frauen bei mickrigen 797 Euro liegt, für Frauen in Westdeutschland im Schnitt bei nur 576 Euro, gelten eben sehr schnell alle Rentner als arm. Nun wächst ohne Zweifel zukünftig die Armut im Alter, einfach weil die früher so soliden Erwerbsverläufe aufgebrochen und Phasen der Arbeitslosigkeit länger werden.
Aber dabei geht in der Debatte unter:
Rentner ist nicht gleich Rentner. Der Beamten-Rentner ist vergleichsweise fein raus, Pension klingt ja auch vornehmer. Pensionen beginnen in etwa da, wo, die theoretisch denkbare Höchstrente schon aufhört: Denn wer 45 (!) Jahre lang den Höchstbeitrag zur Rentenversicherung einbezahlt und fast das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdient hat, kriegt doch nur eine rechnerische Höchstrente von 2.742 Euro im Monat. Über Beamten-Rentner wird aber nicht geredet bei der Renten-Reform, hat Andrea Nahles schon versprochen: “Zu kompliziert”. Wir ahnen, warum. Beamte wehren sich, sie sind organisiert. Rentner sind nicht so schlagkräftig. Sie sind die Verfügungsmasse der Politik, die vor der Wahl an die Tröge gelockt und später, nun ja: abgezockt werden.
Viel besser dran sind theoretisch noch die, die in berufsständische Versorgungswerke einzahlen wie Ärzte, Apotheker und andere Freiberufler; hier droht allerdings, dass mittels Null- und Negativ-Zinsen die Altersarmut auch noch großflächig kommt. Auch davon ist derzeit nur in Nebensätzen die Rede: Dass nicht die Rentenversicherung das Problem ist, sondern die Zerstörung dieser Vorsorgesysteme zusammen mit Lebensversicherung und anderen Sparformen durch die Null-Zinspolitik. Denn die neuerdings von der Politik gescholtenen Riester-Renten sind besser als ihr Ruf – der Null-Zinspolitik aber können sie nicht standhalten. Nicht die Riester-Rente per se ist schlecht, wie CSU-Chef Horst Seehofer behauptet: Der Wohn-Riester verschafft ziemlich viel Geld. Schlecht laufen zinsbasierte Verträge. Das ist die Folge der Euro-Rettungspolitik – mithin Menschenwerk, sogar das der Politik. Die Versorgungswerke, und das ist der glatte Hohn, werden aufsichtlich dazu gezwungen, riesige Beträge in Anleihen zu halten – mit negativer Rendite. Versorgungswerke finanzieren also direkt die Euro-Rettung mit Mitteln, aus denen eigentlich später Alterseinkommen bezahlt werden sollen.

Kleine Rente heißt nicht automatisch arm

Trotzdem: Kleine Rente bedeutet nicht automatisch arm. Erst jüngst fiel der WDR wieder auf diese Rechnung herein; nach massiven Beschwerden über die nun ja: infantile Arbeit sah er sich gezwungen, massenhaft drohende „Altersarmut“ in „Armutsrente“ zu korrigieren. Semantisch geschickt wird wenigstens für den flüchtigen Zuhörer das Problem aufrecht erhalten, es ist ja SPD-Wahlkampf – und da verrechnet man sich leicht um eine 10er-Stelle. Schließlich haben viele Beamte auch noch kleine Rente, ohne deswegen arm zu sein; Freiberufler verfügen über laufende Einkommen oder Vermögenserträge. Andere Rentner sind familiär gut versorgt, haben Immobilien oder anders Vermögen. Darüber gibt es übrigens einen Bericht einer Regierungskommission aus den 70ern, die die Einkommenslage der Älteren sorgfältig untersuchte. Klare Empfehlungen konnten nicht gegeben werden – die tatsächliche Lage der Rentner war höchst unterschiedlich, trotz einer großen Zahl niedrigster Renten. Seither hat sich die Vielfalt weiter erhöht. Und seither lösen trotz schwacher und unklarer Datenbasis Rentenreformen einander ab – wobei es mal aufwärts, dann wieder abwärts geht.
1972 im Wahlkampf überbieten sich SPD und CDU mit vielen Versprechungen – und nach der Wahl werden beider Forderungen Gesetz.  Damals kommt die Rente ab 63! Dummerweise explodieren danach die Beitragssätze. 20 Jahre Kürzungen folgen. 1992 gibt es wieder Rente erst mit 65, massive Kürzungen in vielen Teilbereichen folgen.

Jedes Jahr ein neues Rentengesetz

Allein seit 2000 gibt es jedes Jahr ein Rentengesetz. 2001 ein „Renteniveau-Absenkungsgesetz“; also niedrigere Renten. Dafür kommt die Riester-Rente – damit  es wieder aufwärts geht, irgendwann. 2004 kürzt ein Nachhaltigkeitsfaktor die Rente. 2007 wird das Rentenalter schrittweise auf 67 erhöht – wir zahlen länger ein und kriegen kürzer raus. 2009 ist mal kurz genug mit der Kürzerei – mit einer „Rentenschutzklausel“ wird die rasende Fahrt nach unten gebremst. 2014 zur Wahl verspricht die SPD die Rente mit 63 und die CDU die Mütterrente – beides kommt für den, der das Glück hat, zu den auserwählten Gruppen zu gehören. Dazwischen wird aus „Gerechtigkeitsgründen“ die Rentenbesteuerung eingeführt, werden Krankenkassenbeiträge erhoben.
Wer diese Veränderung verfolgt, hat den Glauben verloren an eine halbwegs nachvollziehbare Politik. Die vielen Eingriffe schwächen nur wichtige Säulen, auf denen letztlich die Rente basiert: Die nachvollziehbare Transparenz der Rentenformen, die Berechenbarkeit der eigenen Ansprüche und das Vertrauen in die Nachhaltigkeit. Statt das Auf und Ab der Konjunktur auszugleichen und der langfristigen Entwicklung der Bevölkerung entgegen zu wirken, werden diese Schwankungen durch immer neue Eingriffe sogar verstärkt. Wieviel Rente jemand erhält, ist heute wegen immer neuer Begünstigungen bei Einigen und Streichungen bei Anderen reine Willkür.
Wirklichen Armutsopfern unter den Rentnern, und die gibt es in zunehmenden Maße, wird nicht mit der Gießkanne geholfen, die gleichermaßen auf tatsächlich Wohlhabende und ein wenig auch auf Bedürftige herabregnet. Eine eigene Rentner-Beratungsstelle auf den Sozialämtern könnte die Hemmschwelle abbauen helfen, die viele Ältere noch haben. Ordentlicher Rat und konkrete Hilfe sollten im Sozialstaat selbstverständlich sein.
Aber das würde ja Hirn erfordern und klingt nicht sehr großartig; ist also für Wahlkämpfe ungeeignet.
Und so bleibt es dabei:  Die beste Reform für Papi Nahles wäre gewesen, wenn es  keine Reform-Achterbahn gegeben hätte.
Dazu heute auch die Phoenix-Runde  um 22.15
phoenix Runde – Mi. 27.04.2016 – 22:15 – 23.00h und Do., 28.04.2016 um 0:00 Uhr, phoenix TV

Roland Tichy bei “phoenix Runde”

phoenix_runde

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Johannes Brücklmeier
7 Jahre her

Das bedeutet: zum Schluss haben immer mehr Rentner gleich viel/wenig. Man kann das „Verarsche“ nennen
Na dann haben Sie es ja endlich kapiert! Sozialismus bedeutet nicht dass es allen gleich gut geht, sondern dass es allen gleich schlecht geht. Das ist mit Verlaub keine Verarsche sondern im sozialistischen Sinne so gewollt!
Freundschaft
J.B.