In Sachsen hängt der Staat in den Seilen – aber Merz macht nix

Ein toter Teenager, ein heruntergewirtschaftetes Gesundheitssystem und ein Arzt, der Pillen statt Pflege verordnet. Der neue Dresdner „Tatort“ will sozialkritisch sein, schafft es aber nur zu Sozialkitsch. Was als Krimi beginnt, endet als pädagogische Predigt, bebildert mit dem moralischen Zeigefinger in Nahaufnahme, über den Zustand der Republik.

screenshot/ ARD Tatort

Irgendwann muss jemand mit einem dicken roten Filzstift durch das Drehbuch von Silke Zertz und Frauke Hunfeld gegangen sein, um die besonderen – eigentlich – wichtigen Inhalte hervorzuheben. Heraus kam eine dünne Krimisuppe, in der ein paar Brocken Sozialkritik schwimmen. So wichtig sind die sozialpolitischen Inhalte, dass Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und ihr Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) die Moral von der Geschicht ab Minute 89 nach dramatischem Finale nochmal abschließend fürs Publikum zusammenfassen müssen.

Die Republik krankt am Fachpersonalmangel und einem “heruntergewirtschafteten Gesundheitssystem”. Selbst ein verzweifelter Anruf beim Bundeskanzler (Schnabel droht ihn an) kann da nichts ausrichten.

Pascal Schadt (Florian Geißelmann) und Lilly-Marie Reuter (Dilara Aylin Ziem) büchsen aus ihrem “Heim für Kinder und Jugendliche” aus (den bösen Begriff “für Schwererziehbare” vermeidet man). Dabei ist es doch in der riesigen Villa ganz nett: Nur 15 Kinder, ein gehbehinderter Hausmeister, der sich um alles kümmert (Erwin Miersch, gespielt von Elmar Gutmann, wartet schon ein halbes Jahr auf einen Termin für seine neuen Hüftgelenke), ein eigener Pferdestall und Reittherapiestunden, Trampolin, Tischtennis, und natürlich WLAN.

Trotzdem wollen die Beiden raus “in die Freiheit” – zum Marschgepäck gehört auch eine Flasche Wodka und das “therapeutische Journal” – Neudeutsch für Tagebuch. Erster Halt: ein idyllisch gelegener See in einem Steinbruch (der Westbruch in Waldsteinberg bei Leipzig). In der nächsten Einstellung wird Pascal am Morgen von den Aktivitäten der Spurensicherung aufgeweckt. Seine Lilly wurde tot aus dem See gefischt. Obwohl sie Schwimmen konnte ist sie – mit 2,4 Promille im Blut – ertrunken. Nix wie weg!

Ermittlerin dringend gesucht

Schnabel hat nach der Kündigung der Kollegin Gorniak (Karin Hanczewski) selbst im feinem Zwirn und Krawatte den Platz als Ermittler neben Winkler eingenommen (Kommentar einer Streifenpolizistin: na, ob das eine gute Idee ist…) Eine eigentlich avisierte neue Kollegin hatte abgesagt, weil sie in Dresden keine Kita finden konnte. Die Kitas wiederum fänden keine Erzieherinnen und so entstehe die Mangelversorgung. Schnabel qualifiziert diesen Zusammenhang als systemrelevant und kündigt an, deshalb den Bundeskanzler einschalten zu wollen. Aber zunächst müssen die beiden ins “Siebenschläfer”, wo der Kommissariatsleiter vom “Heim-Mief” (In Gefängnissen heißt sowas Knastgeruch) seltsam angerührt scheint…

Heimleiterin Saskia Rühe (Silvina Buchbauer) empfängt die Polizei mit den Worten “Was ist es denn diesmal: Ladendiebstahl, Sachbeschädigung?” und ist dann einigermaßen bestürzt vom Tode Lillys. Sie führt das Heim zusammen mit Tochter Olivia (Anna-Lena Schwing) und Fachkraft Jasmin Hoffmann (Aysha Joy Samuel), die es wegen der langen Dienstzeiten oft kaum nach Hause schafft. Zwar hat sie Stellen ausgeschrieben, aber auch Zeitarbeitsfirmen schicken ihr nur Bewerberinnen, die nach drei Tagen wegen der “Unterbezahlung” (Jasmin über das Gehalt) wieder Reißaus nehmen.

Pascals Heimplatz kostet 7000 Euro, Lillys 9500 Euro im Monat

Lilly war eigentlich ein Vorzeigekind, früher mal schlank und aktiv, hatte ihrer Mutter Martina Reuter (Milena Dreißig) mit den beiden kleinen Brüdern den Haushalt erledigt, dafür sogar die Schule geschwänzt. Das Jugendamt hatte sie der Mutter weggenommen, weil ihr Wohl zuerst unter einem gewalttätigen Vater und dann in der Patchworkfamilie (Mutter lebte nach Scheidung zeitweise mit aggressivem Freund) gefährdet schien. In Lucys Zimmer, die “mit 12 schon so viel erlebt hat wie eine 80jährige”, finden sich Kondome im Kuscheltier und ein Schraubenzieher unter der Matratze. In der letzten Zeit hatte sie nur noch in ihrem Zimmer gelegen und auf dem Handy gespielt, ihrem “Journal” Klagen über Esssucht und ein geistiges Taubheitsgefühl anvertraut.

Grünschnabel?

Der vom behandelnden Psychiater Lukas Brückner (Hanno Koffler) wegen seiner Aggressivität unter Medikation gesetzte Pascal ist auf der Flucht. Der Verdacht gegen ihn erhärtet sich, als er seine frühere Erzieherin (Birte Friesack, gespielt von Anna-Katharina Muck) in ihrer Datsche (Gartenlaubengrundstück) angreift. Zwar schnappt ihn schließlich eine Streife, aber als Schnabel sich ihm kumpelhaft nähert (gesteht: “Ich war in der DDR 3 Jahre im Heim”, später präzisiert er für Winkler: Mama habe ihn laut Behörden “nicht ausreichend sozialistisch erzogen”), kann Pascal aus dem Vernehmungsraum des Dresdner Präsidiums flüchten. Besser lässt sich der Personalmangel bei der Polizei nicht dokumentieren. Der Kommissariatsleiter schämt sich, weil ihn das Bürschchen wie einen Anfänger gelinkt hat, und Kollegin Winkler ihm nun ”seinen Job erklärt”.

Kinder-Medikamenten-Testreihe für “SOUND”: Studienzentrum Ost – und Norddeutschland

Brückner, den Pascals Vormund Adrian Hecht (gespielt von Eray von Egilmez, hat 98 Vormundschaften) noch als ausgezeichneten Psychiater gepriesen hatte, “dessen Kollegen sich normalerweise überhaupt nicht für pflichtversicherte schwierige Heimkinder und Jugendliche interessieren würden” hat den sprichwörtlichen “Dreck am Stecken”: Er hatte die überlastete Rühe davon überzeugt, dass sich mit seinem neuen Medikament Zifloparm die Kinder so “ruhig” stellen lassen, dass deren Beaufsichtigung nicht mehr so viel Kraft kosten würde, gleichzeitig aber eine Testreihe an den Kindern durchgeführt. Brav hat sie die blauen Pillen jeden Abend an die Kinder verabreicht. Schon Schnabel war aufgefallen, dass die Kinder nicht wie zu seinen Heimzeiten herum tollten sondern nur apathisch herum gesessen seien. Auf diese Behandlung waren auch Lillys und Pascals Gefühle von “Watte im Kopf” und ihr Drang zur Flucht zurückzuführen.

Der Racheengel aus Portugal

Während die Polizei sich auf den “schwer traumatisierten Pascal, der vermutlich ein Leben lang behandelt werden muss” (Brückner über ihn) konzentriert, nähert sich ein dunkler Schatten dem Umfeld, in dem Lilly ums Leben kam. Ein bedrohliches Wohnmobil taucht auf, verfolgt Jasmin auf dem Nachhauseweg, und das böse Wort “Mörder” wird anklagend auf das Torschild des Heims gesprüht. Jugendamtsleiter Torsten Hess (Peter Moltzen) strebt völlig überarbeitet und mit mehr als 100 Fällen belastet spät nachts am Neustädter Elbufer nach Hause, als er überfallen und mit vielen Messerstichen ermordet wird. Pascal kann es nicht gewesen sein, weil er zu dem Zeitpunkt noch im Kommissariat weilte. Er erinnert sich nun doch daran, am Abend, als er Lilly alleine am See zurückließ, ein Wohnmobil gesehen zu haben. Ihrer Mutter fällt ein, dass Lilly eine Halbschwester namens Lucy Wiegand (Sinje Irslinger) hat, der sie das Leben gerettet habe, als sie von ihrem brutalen Stiefvater schwer verletzt worden sei. Nun zählen die Kriminalisten eins und eins zusammen, starten die Großfahndung nach Lucy und ihrem mit portugiesischen Kennzeichen versehenen Campingbus.

Aber die dem Heimsystem so hasserfüllt gegenüberstehende 22-Jährige ist der Polizei schon einen Schritt voraus, will Psychiater Brückner ebenfalls ausschalten. In dessen Praxis kommt es zum Showdown, in dem Winkler den Arzt buchstäblich auf Messers Schneide rettet. Seiner Erklärung nach hat er mit den ruhigstellenden Psychopharmaka nur “dazu beitragen wollen, die Behandlungsprozesse eines bedenklich heruntergewirtschafteten Gesundheitssystems zu optimieren.” An dieser Stelle mag sich der Zuschauer die alternativen Pillenkoma oder Fachkräftemangel eindringlich vor Augen führen.

Lilly ist in Wirklichkeit unglücklich und sehr banal in die Scherben ihrer Wodkaflasche getreten, gestrauchelt, und, benebelt von Alkohol und Brückners Medikamenten, in den See gestürzt.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 8 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

8 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
verblichene Rose
1 Monat her

„Eine eigentlich avisierte neue Kollegin hatte abgesagt, weil sie in Dresden keine Kita finden konnte.“
Das kann schonmal überhaupt nicht sein! Denn wie man heute so erfährt, lernt gefühlt jedes zweite Mädchen heute den „Beruf“ der Erzieherin und die anderen Soziale Arbeit, bestenfalls noch irgendwas mit Soschelmädia.
Ja gibt es denn nun zu viele Kinder und zu wenig Kitas, oder in welcher Mangelwirtschaft leben wir nun? Und wie hängt das alles mit dem demografischen Dingsbums zusammen?
Ich glaube, die Deutschen müssen lernen, sich besser zu integrieren. Dann klappt das auch wieder mit dem Zusammenleben 😉

Jens Frisch
1 Monat her

„Seiner Erklärung nach hat er mit den ruhigstellenden Psychopharmaka nur “dazu beitragen wollen, die Behandlungsprozesse eines bedenklich heruntergewirtschafteten Gesundheitssystems zu optimieren.”“

En passant erklärt die ARD ihre Rolle beim Ruinieren unseres Landes.

Bernd Bueter
1 Monat her

Kommt der ÖRR dir ins Haus, ist es mit der Wahrheit aus. Und Unterhaltung geht auch nicht mehr.
Die DDR konnte noch „Ein Kessel Buntes“ – jetzt klappt nicht Mal mehr der Obersauerländer Lügeneintopf mit Klingbeileinlage.

Last edited 1 Monat her by Bernd Bueter
Haba Orwell
1 Monat her

> Lilly ist in Wirklichkeit unglücklich und sehr banal in die Scherben ihrer Wodkaflasche getreten, gestrauchelt, und, benebelt von Alkohol und Brückners Medikamenten, in den See gestürzt.

Wie schrecklich. In der Lagerhalle 13 des Hafens von Ding-Dang ist heute ein Sack Reis umgefallen. Immerhin ist heute der 13-te, nur schlechte Nachrichten.

Harry Charles
1 Monat her

WENN MUTTER THERESA das Telefonbuch von Wanne-Eickel vorlesen würde, wäre es wahrscheinlich interessanter und action-bepackter als dieser verquaste linksgrüne Krampf aus der verblödeten Nanny-Republik. Bevor jetzt wieder einer die Ironie nicht versteht: ich bin KEIN Fan von Mutter Theresa oder dem Telefonbuch von Wanne-Eickel, aber noch weniger von diesem abgedrehten Bergpredikt-Fake, das ich selbstverständlich nicht gesehen habe. Muss ich auch nicht, es sind eh‘ die immergleichen Versatzstücke. Drei Spalten doofer Klischees, die zusammen gemixt werden (ein undressierter Affe könnte das) und heraus kommt ein weiterer „moderner“ Tatort. Wer das Gähnen lernen möchte oder sich den Weg zur Apotheke zwecks Erwerb… Mehr

Last edited 1 Monat her by Harry Charles
Der Ingenieur
1 Monat her

Das TV-Spiel „Tatort“ ist doch schon seit 20 Jahren sowas von tot.

Ein bis zweimal im Jahr gab es dann noch einen „Tatort Münster“, der noch selbst-ironisch unterwegs war, von der Schauspielkunst der vier Protagonisten lebte und deshalb noch Niveau hatte, – aber der Rest …

Tobias Koch
1 Monat her

Wir haben kurz reingeschaut, aber der Mist war ja ungenießbar langweilig. Nach nicht mal 10 Minuten haben wir auf eine interessante Reportage im Streaming umgeschaltet.

beccon
1 Monat her

Im Ostfernsehen war der Täter beim Krimi meist ein Agent des Westens was den Zuschauer zum Umschalten brachte. Das sollen wir hier auch so machen. Zapp-wech. Wer braucht noch die Staatsglotze.