Helsinki baut ein kleines Kernkraftwerk – mitten in die Stadt

Helsinki wagt, woran Europa nicht einmal denken will: Kernenergie mitten in der Stadt. Die Finnen bauen einen urbanen Mini-Reaktor für die Wärmeversorgung. Ein radikal pragmatischer Weckruf für den Sonderweg-Kontinent Europa. Von Wolfgang Kempkens

screenshot/ Illustration. Steady Energy
Der LDR-50 kann allein oder im Verbund mit mehreren Anlagen Heizwärme erzeugen

Erstmals in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie wird ein kommerzieller Reaktor in einer Stadt gebaut, und zwar in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Er soll nur Wärme, keinen Strom erzeugen und kohlebefeuerte Anlagen für die Wärmeversorgung ablösen. Der finnische Energieversorger Helen, der in Kraft- und Heizwerken in verschiedenen Teilen Helsinkis Wärme, Strom und Kälte erzeugt, strebt für die 2030er Jahre eine CO2-neutrale Energieversorgung an. Derzeit hat er für seinen nuklearen Wärmeerzeuger drei Standorte in der Hauptstadt im Visier. Zwei davon beherbergen bereits Anlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung.

„Die potenziellen Standorte für das Kraftwerk von Helen befinden sich in der Nähe des Fernwärmenetzes”, verlautet aus dem Unternehmen. „Wir haben sie auf der Grundlage eines vielschichtigen Prozesses ausgewählt, bei dem unter anderem ökologische, wirtschaftliche und sicherheitstechnische Aspekte bewertet wurden.“ Jetzt steht eine Umweltverträglichkeitsprüfung an.

„Die neue Strategie der Stadt Helsinki sieht vor, dass wir uns auf die mögliche Errichtung eines kleinen Kernkraftwerks in Helsinki vorbereiten“, sagt Rikhard Manninen, Leiter der städtischen Abteilung Raumplanung. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass kleine nukleare Anlagen der beste Weg sind, eine CO2-freie, kostengünstige, umweltfreundliche, stabile und zuverlässige Energieerzeugung zu erreichen“, so Helen-CEO Olli Sirkka.

Derzeit prüft das Unternehmen SMR (small modular reactor, kleine modulare Reaktoren, die einzeln oder mit mehreren im Verbund betrieben werden können) verschiedener Hersteller auf ihre Eignung für den Einsatz in der Stadt. Zu den Favoriten gehört Steady Energy, in Unternehmen mit Sitz in Espoo und Uusimaa, das aus dem Technischen Forschungszentrum Finnland in Espoo hervorgegangen ist, der größten Institution dieser Art in Nordeuropa. Es hat einen Reaktor entwickelt, der bei einem Druck von etwa zehn bar betrieben wird. Das ist weit weniger als ein Zehntel des Drucks in Reaktoren von Kernkraftwerken und „nicht mehr als der Druck in einer Espressomaschine“, heißt es auf der Homepage des Unternehmens. Auch die Temperatur liegt mit 150 Grad Celsius weit unter der, die in Kernkraftwerken nötig ist. Zudem soll die Anlage in einer unterirdischen Kaverne erreichtet werden, die bei einem schweren Störfall geflutet wird, sodass keine radioaktive Strahlung in die Umwelt gelangen kann.

Helen hat einen letter of intent mit dem Reaktorersteller unterzeichnet, der eine Option auf zehn dieser Anlagen beinhaltet. Jede hat eine thermische Leistung von 50 Megawatt, zum Vergleich: Die größten Kernkraftwerke kommen auf nahezu das Hundertfache, von denen nur ein Drittel für die Stromerzeugung genutzt werden kann. Steady Energy will in einer Halle auf dem Gelände des stillgelegten Kohlekraftwerks Salmisaari in Helsinki den ersten LDR-50 bauen, so die Bezeichnung des Heizreaktors. Der Bau soll bereits im nächsten Jahr beginnen. Die Fertigstellung ist für 2028 geplant. Die Kosten sollen bei 15 bis 20 Millionen Euro liegen. Er wird zwar alle Komponenten eines „richtigen“ LDR aufweisen, aber noch nicht nuklear betrieben werden. Das Wasser wird vielmehr elektrisch aufgeheizt. Steady Energy will damit die Machbarkeit seines Konzepts und die Einpassung des Reaktors in das Fernwärmenetz der Stadt beweisen. „Unser Hauptziel ist es, mit der Pilotanlage zu zeigen, dass das passive Sicherheitssystem des LDR-50 in voller Größe effektiv funktioniert“, sagt Antti Teräsvirta, Projektleiter für die Pilotanlage bei Steady Energy.

Europaweit sind 80 Millionen Menschen an Fernwärmesysteme angeschlossen. In 75 Prozent der Fälle wird die Wärme fossil erzeugt, belastet also das Klima durch CO2-Emissionen.

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