Zukunftstechnologien im Bereich Digitalisierung und KI werden in Brüssel zu Tode reguliert. Doch nun soll es plötzlich schnell gehen: Im Eilverfahren soll der Datenschutz aufgeweicht werden. Das würde kurzfristig vor allem US-amerikanischen Firmen erleichtern, in Europa Fuß zu fassen.
picture alliance / Anadolu | Atila Altuntas
Die Europäische Kommission plant noch im November ein Schnellverfahren zur Aufweichung der geltenden Datenschutzregeln im Internet. Brüssel versucht nach jahrelangem Widerstand die Technologielücke zu den USA und zu China zu schließen. Die Reaktion der EU-Mitglieder ist gespalten.
Lange Jahre hat Brüssel die wachsende Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für die moderne Wirtschaft unterschätzt. Die amerikanische Dominanz in der Plattformökonomie, bei Rechenzentren und KI-Modellen wollte die EU-Kommission – und darin herrschte Einigkeit unter den Mitgliedstaaten – mit harter Regulierung, neuen Steuern und gezielter Eindämmung bremsen.
Regulierungswahn und Datenschutzprinzipien
Stets schwang die Hoffnung mit, dass sich im dadurch entstehenden Vakuum eine eigene, europäische Datenökonomie unter dem eigenen Regulierungsdach entwickeln würde. Doch man hat in Brüssel nie verstanden, dass eine Pflanze erst wachsen muss, bevor man sie beschneidet. Die Brüsseler Regulierungspolitik hat Beton gegossen, wo eigentlich das Wurzelwerk einer neuen digitalen Ökonomie hätte entstehen können.
Nun muss es plötzlich schnell gehen. In einem sogenannten „Digital Omnibus“-Verfahren – einem gesetzgeberischen Eilpaket, mit dem gleich mehrere EU-Richtlinien in einem Zug geändert werden können – plant die Kommission zentrale Passagen der seit 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung (General Data Protection Regulation, GDPR) noch im November aufzuweichen.
Das Tabu soll fallen: Daten, die bisher unter strengstem Schutz standen, dürften dann künftig in Teilen für das Training und den Betrieb von KI-Systemen genutzt werden.
Die besonders strengen Datenschutzvorgaben der Europäischen Union hatten bislang zur Folge, dass Anbieter von Künstlicher Intelligenz selbst anonymisierte Modelle nicht auf umfangreichen demografischen, medizinischen oder anderen personenbezogenen Datensätzen in der Cloud trainieren dürfen.
Draghi und das späte Erwachen der Bürokratie
Das Omnibus-Verfahren wurde maßgeblich vom ehemaligen EZB-Chef und italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi angestoßen. Dieser hatte in zwei umfassenden Studien in den vergangenen Jahren auf die Wettbewerbsschwächen der europäischen Wirtschaft hingewiesen – und liegt, das muss man dem Italiener lassen, völlig richtig: Nicht zuletzt durch Überregulierung und die systematische Drangsalierung der innovativen Bereiche hat sich zwischen der EU und ihren ökonomischen Rivalen USA und China eine massive Kluft aufgetan.
Allerdings erwartet die Gesetzgeber in Brüssel nun heftiger Gegenwind. Vor allem aus Slowenien, Österreich, Frankreich und Estland kommen warnende Stimmen, die eine Aufweichung der Datenschutzregeln strikt ablehnen.
Paradox dabei: Ausgerechnet Deutschland, bisher als Hort der Hardliner in Datenschutzfragen bekannt, macht plötzlich Druck zur Aufweichung der Standards – wohl aus wirtschaftlicher Verzweiflung.
In Berlin hat man erkannt, dass angesichts des eigenen ökonomischen Desasters in der Industrie, das sich inzwischen krebsartig durch sämtliche Zweige der Wirtschaft metastasiert, etwas Neues wachsen muss. Man hat offenbar verstanden, dass man marktwirtschaftliche Prinzipien zumindest in Teilen wieder anwenden sollte, um die Wirtschaft nicht vollkommen an die Wand zu fahren.
Massive Innovationslücke
Wie weit die europäische Wirtschaft in diesem entscheidenden Zukunftsfeld bereits abgehängt ist, zeigen die nüchternen Zahlen: Etwa 75 Prozent der weltweit bekannten Investitionen in große AI-Compute-Kapazitäten wurden im vergangenen Jahr in den USA getätigt. In der gesamten Europäischen Union lag der Anteil bei weniger als fünf Prozent.
Angesichts der wirtschaftlichen Größe Europas ist das eine ökonomische Katastrophe. Jahr für Jahr klafft eine Investitionslücke von über 300 Milliarden US-Dollar zwischen den beiden großen Wirtschaftsräumen – allein im Bereich der Datenökonomie. Sie wächst mit jeder neuen Finanzierungsrunde, mit jedem neuen Rechenzentrum, mit jedem weiteren Modell, das jenseits des Atlantiks trainiert wird.
So wurden in der EU im vergangenen Jahr AI-Start-ups im Wert von gerade einmal 12,8 Milliarden Dollar gegründet oder finanziert – rund zehn Prozent des weltweiten Venture-Capital-Volumens.
Das ist der Ausweis des regulatorischen Scheiterns der Europäischen Union, deren bürokratische Struktur seit Jahren die Vitalfunktionen ihrer eigenen Wirtschaft drosselt.
Teil des Handelsdeals?
Sollte sich die EU-Kommission mit ihrem Schnellverfahren durchsetzen und die Datenschutzregeln substanziell aufweichen, wandert ein großer Teil der Datensouveränität zurück in die Verantwortung jedes Einzelnen. Doch der eigentliche Hintergrund dieses überfälligen Eingriffs dürfte tiefer liegen: Es ist nicht davon auszugehen, dass die europäische Wirtschaft die bestehende Technologielücke kurzfristig schließen wird.
Eher ist anzunehmen, dass die dominanten amerikanischen Konzerne nun auf dem europäischen Markt leichter Fuß fassen und ihre Modelle wirtschaftlich erfolgreicher vermarkten können.
Die Initiative könnte Teil eines hinter den Kulissen ausgehandelten Deals zwischen den Vereinigten Staaten und der EU-Kommission sein – ein Versuch, den Druck aus dem Kessel zu nehmen, der zuletzt zu eskalieren drohte, nachdem immer wieder Streit um die Rolle digitaler Plattformen wie X, Google oder Meta entbrannt war.
Wissenstransfer effizient wie nie
Im Bereich der künstlichen Intelligenz blicken wir auf eines der zentralen Innovationsfelder, das in den kommenden Jahrzehnten ökonomische Prozesse, Konsumverhalten und Logistik neu ausrichten und definieren wird. Technologieführerschaft bedeutet hier gleichzeitig geopolitische Einflussnahme und wirtschaftliche Dominanz.
Die Europäer haben an dieser Stelle den Anschluss zunächst verpasst. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht eines Tages durch die Rückkehr zu freien, marktwirtschaftlichen Grundprinzipien eigene Technologie-Cluster im KI-Bereich aufgebaut werden könnten.
Denn eines ist sicher: Nie war technologisches Wissen so entscheidend wie heute – und zugleich nie so flexibel einsetzbar und transferierbar auf neue Geschäftsmodelle, wie es aktuell der Fall ist.
Die Fehler der Energiepolitik dürfen sich in diesem zentralen Bereich der Wirtschaft keinesfalls wiederholen. Die Politik muss sich aus dem wirtschaftlichen Geschehen zurückziehen und darauf vertrauen, dass die nach wie vor starke europäische Kapitalbasis, fiskalisch entlastet und dereguliert, in der Lage ist, die zahlreichen kreativen Ideen zu finanzieren, die im intensiven europäischen Wettbewerb gedeihen würden.
Brüssel muss sich auf das konzentrieren, wozu es einst geschaffen wurde: auf die Durchsetzung eines wettbewerbsintensiven Binnenmarktes und die Unterbindung von staatlichem Interventionismus. Derzeit befinden wir uns genau in der Situation, die dieses Prinzip über zwanzig Jahre hinweg erodieren ließ – eine Entwicklung, die die wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft Europas massiv bremst.

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Was die EU auch nicht kapiert: KI bedeutet enormen Energieverbrauch. Die Schätzungen gehen so weit, dass die Rechenzentren bald für 10% des globalen Stromverbrauchs verantwortlich sein werden.
Nur die Länder, die kostengünstigen, zuverlässigen Strom haben, werden am Ende erfolgreich sein. Strom, den wir dank des Klimawahn und Energiewende, mit dem Sprengen von AKWs und KKWs und dem massenhaften AUfbau von Windrädern nicht mehr haben. Ganz abgesehen von Know How, Infrastruktur, einem wirtschaftsgünstigen Klima, wenig Bürokratie und der entspechenden Bildung. Außer Einbildung ist da nichts mehr.
> Daten, die bisher unter strengstem Schutz standen, dürften dann künftig in Teilen für das Training und den Betrieb von KI-Systemen genutzt werden.
Vermutlich wird trainiert, ob anhand der Daten einige Delegitimierende Subjekte vorsorglich in Arbeitslager verlegt werden können? Nordkorea-Kim muss dafür ohne KI auskommen.
Warum macht die EU eigentlich immer wieder die gleichen dümmlichen Fehler? Erst reguliert man die eigene Industrie zu Tode: Digitalwirtschaft mit Datenschutz- und KI-Verordnungen, Autoindustrie mit Verbrennerverbot und Abgasverordnungen. Folge ist, daß keine neuen Unternehmen entstehen oder Autofirmen ihr bestehenden Geschäftsmodell und damit Einnahmen verlieren. Dann lockert man die Regulierung, nachdem die eigenen Unternehmen konsequent kaputt gemacht wurden. Was läuft eigentlich für ein fehlerhaftes Programm in den Köpfen ab? Man glaubt wirklich alles Feinsteuern zu können.
> Man glaubt wirklich alles Feinsteuern zu können.
Den gleichen Planwirtschaft-Glauben gab es im Ostblock – bis es irgendwann keinen Ostblock mehr gab.
Wieso glauben Sie, dass das „dümmliche Fehler“ sind? Es gibt doch einen ganz klaren Gewinner bei all den Aktionen, vom 35 Milliarden-Deal mit dem US-Unternehmen Pfizer und dem Verbrennerverbot über das Lieferkettengesetze oder den CO2-Ablasshandel bis zur jetzigen Aktion. Steht sogar im Text: „Das würde kurzfristig vor allem US-amerikanischen Firmen erleichtern, in Europa Fuß zu fassen.“ Hastings Ismay, der erste Generalsekretär der NATO, hat diese Strategie öffentlich zugegeben: „to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down“ Und man glaube doch bitte nicht, dass die einzige Weltmacht sich auf das Militärische begrenzt hat, natürlich hat sie… Mehr
Die künstliche Intelligenz findet schon deshalb ihr Ende, weil sie nicht in der Lage ist der menschlichen Gefühlswelt adequat zu begegnen, bzw. sich selbst zu eigen zu machen und somit ein stumpfes Produkt menschlichen Geistes bleibt und selbst wenn sie über sich hinauswachsen oder gar entarten, so fehlt doch das Element des vorausschauenden Denken und emphatischen Handelns. Wenn das nicht einmal die Politik zustande bringt, kann man von der Maschine nicht mehr erwarten, denn bei allem Glanz in den Augen der Entwickler wird es irgendwann mal in der Ecke stehen und genaus verrotten wie jedes ander Vehikel, unabhängig vom Schaden… Mehr
Ich bin der Meinung, dass die ganze EU-Regulierung der großen amerikanischen Techkonzerne deren Marktmacht in der EU quasi zementiert. Die notwendigen Ressourcen zur juristischen Bewältigung können nämlich nur jene aufbringen. Auf potentielle kleine Konkurrenten wirkt die ganze Regulierung eher prohibitiv. Das größte Problem ist aber die sozialistische Mentalität in vielen Ländern Europas. Wenn man mal in die großen deutschen Techforen und Kommentarspalten bekannter Techseiten schaut, trieft es dort nur so von stramm sozialistischen Ansichten und Ablehnung der Marktwirtschaft, sobald ein Thema auch nur im entferntesten mit Politik oder Wirtschaft zu tun hat. Alleine die Tatsache, dass ein Unternehmen doch tatsächlich… Mehr
Abgesehen davon, dass man für „künstliche“ Intelligenz erst mal natürliche Intelligenz braucht, um diese zu programmieren – >garbage in, garbage out/gibt man Müll ein, kommt Müll raus<, was wurde in den letzten 40 Jahren mit der Digitalisierung eigentlich wirklich besser, günstiger oder schneller? Ja, an diversen Ämtern anstellen war lästig, doch man hatte einen Ansprechpartner, meist kompetente Beratung und ggf. Telefonnummer mit Durchwahl um Fragen zu klären. Auch der Briefverkehr funktionierte. Dito mit Versicherungen, Banken und anderen Dienstleistern. Heute?-ewige Warteschleife, KI Antworten aus dem Baukasten, dann ggf. Weiterleitung zum anonymen Call Center Mitarbeiter, wobei man das Anliegen jedes Mal neu… Mehr
Kommission. Dann kann nichts schiefgehen. Unterbelichtete, national aussortierte Berufspolitiker bilden eine Kommission und gebären noch nicht mal eine Maus. Das stattdessen produzierte Defäkationsprodukt kostet den wenigen Nettosteuerzahlern auch noch viel Geld.
> Brüssel versucht nach jahrelangem Widerstand die Technologielücke zu den USA und zu China zu schließen.
Westeuropa sollte sich besser auf Altstädte und die Herstellung der Souvenirs für auswärtige Touristen konzentrieren. Kürzlich sah in im Urlaub viele Asiaten in Würzburg und Bamberg.
Der Haken – mit Flughass kommt man da nicht weiter. Niemand wird aus Ostasien mit dem Fahrrad kommen.
Nachdem ich jetzt schon einige Zeit (Jahrzehnte) aus dem Thema AI raus bin, VM/Prolog, ESE/MVS, und mich nur noch börsenseitig damit beschäftige, amüsiert mich die AI á la Uschi schon etwas, aber ich bin ja nur klein und doof. Aber die EU und AI in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf – ausser vielleicht fehlende Rechnerkapazität (Strom) und Quantenrechner – aber (auch) woanders.
Enjoy the party.