Kleine Anleitung für Unternehmen zur Inflationsbeschleunigung

Die deutsche Wirtschaft ist längst in einer Lage, in der die Inflation die Preissteigerungen nährt, und die Preissteigerungen wiederum die Inflation. Für Betriebswirte geht es nur noch darum: Wie kann man Preise erhöhen, ohne dabei Kunden zu verärgern und Wettbewerbs- und Absatzeinbußen zu erleiden?  

IMAGO / Sven Simon

Aktuell treiben vor allem die infolge des Ukraine-Kriegs gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise, globale Materialverknappung sowie durch die Corona-Pandemie weiterhin gestörte Lieferketten die Preise auf breiter Front in die Höhe. Ein Ende des Preisauftriebs ist nicht in Sicht. Im Gegenteil! 

Betroffen von dieser Entwicklung sind alle: Auf Ebene der volkswirtschaftlichen Stabilitäts- und EZB-Währungshüter läuten inzwischen die Alarmglocken in voller Klangstärke. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht steht inzwischen jedes Unternehmen – bei Industrie wie Handel und Dienstleister – vor der Frage, wie steigende Material- und Vorleistungskosten in steigenden Preise an die Abnehmer weitergegeben werden können.  

Dabei lassen Unternehmens-Befragungen keine Zweifel an dem für Stabilitätsökonomen erschreckenden Schluss, dass es aus Sicht der Betriebswirtschaft längst nicht mehr um das Ob von Preiserhöhungen geht, sondern ausschließlich um das Wie: Wie kann ich als Unternehmen xyz meine Preise erhöhen, ohne dabei meine Kunden zu verärgern und Wettbewerbs- und Absatzeinbußen zu erleiden? 

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Das Problem ist uralt. Schon Jean Baptiste Colbert wusste als Finanzminister Ludwigs XIV. zum Thema Einnahmen: „Die Kunst der Besteuerung liegt darin, die Gans so zu rupfen, dass sie unter möglichst wenig Geschrei so viele Federn wie möglich lässt.“ Unternehmen haben das gleiche Problem, heute in der globalen Wirtschaft und globalem Wettbewerb mehr denn je. Einigkeit herrscht darüber, dass es am leichtesten ist, wenn alle das Gleiche tun.

Zu den Erfolgsfaktoren des Systems der freien und sozialen Marktwirtschaft gehört es, dass auf Dauer keine Bedarfe unentdeckt bleiben. So auch in diesem Fall. Die Frage stand im Raum: Wie kann ich in Zeiten der Inflation Preiserhöhungen am Markt geräuschlos durchsetzen?

Die Antwort liefert Pricing-Experte Sebastian Voigt (Beratung Axel Springer hy) im DUP Magazin: „Selten war die Notwendigkeit, die Verkaufspreise den gestiegenen Kosten nachzuziehen, so offensichtlich wie heute.“ Es steht außer Zweifel, dass in Zeiten steigender Energie- und Rohstoffpreise und steigender Inflation Unternehmen im Prinzip keine Wahl haben, höhere Kosten früher oder später an Kunden weiterzugeben. Selbst wenn es andere Möglichkeiten gäbe, um gestiegene Kosten vielleicht erst einmal auszugleichen, zum Beispiel durch Produktivitätssteigerungen, hält Voigt es für unerlässlich, dass Unternehmen sich mit der Frage danach aktuell auseinandersetzen. 

Die Begründung ist einleuchtend: „Wenn ich normalerweise in einem Umfeld mit niedrigen zweistelligen Gewinnmargen operiere, dann können die aktuellen Kostensteigerungen diese ganz schnell komplett auffressen und mein komplettes Geschäft unprofitabel machen. Im März 2022 sind die Preise im Schnitt um gut sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, aber gerade produktionsintensive Branchen und Unternehmen sahen noch deutlich höhere Kostenanstiege. Der Ölpreis zum Beispiel hat sich binnen zwölf Monaten etwa verdoppelt, Containerfrachtraten ebenso, Metalle wie Nickel oder Aluminium haben sich im Preis vervielfacht, Lithium ist profitabel nicht mehr zu beschaffen. Wer mit solch einschneidenden Kostensteigerungen arbeiten muss, für den sind Preisanpassungen in der Tat aktuell unerlässlich.“

Daraus ist gerade aus Stabilitätssicht für Ökonomen die Schlussfolgerung ebenso unerlässlich wie brisant: Die deutsche Wirtschaft befindet sich aktuell in einer volkswirtschaftlichen Situation, in der die Inflation die Preissteigerungen nährt, und die Preissteigerungen wiederum die Inflation. 

Dieser inflationäre Prozess läuft umso „geschmeidiger“ ab, je weniger Widerstand die Nachfrage den Preisforderungen der Produzenten entgegensetzen. Wenn es also für den „Preistreiber“ kein größeres unternehmerisches Risiko ist, die Preise zu erhöhen und damit eventuell Abnehmer in die Arme der Konkurrenz zu treiben.  

Was aber umso risikoloser und unwahrscheinlicher ist, wenn alle Wettbewerber im gleichen „Kosten-/Preis-Boot“ sitzen. Das betriebswirtschaftliche Problem – Wie kommuniziert man Preissteigerungen richtig und bis zu welchem Grad sind Anpassungen akzeptabel? – verschwindet dann von selbst. Denn die Nachfrageseite hat in Zeiten inflationärer Selbstbeschleunigung kaum Alternativen bei der Wahl der Produzenten, siehe Preisentwicklung bei Energie und Rohstoffen.  

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Vor diesem Hintergrund kann die Einschätzung von Voigt nicht verwundern. „Meiner Erfahrung nach wird das Risiko von fundierten Preiserhöhungen überschätzt. In den meisten Fällen überwiegt die Chance, dadurch die eigene Rentabilität zu steigern oder diese – wie in der aktuellen Lage – zumindest zu halten. Selten war die Notwendigkeit, die Verkaufspreise den gestiegenen Kosten nachzuziehen, so offensichtlich wie heute.“  

Laut einer Umfrage von hy haben etwa zwei Drittel aller Teilnehmer bereits erfolgreich höhere Preise in 2022 umgesetzt. „Wer darauf wartet, seine Preisstrategie erst dann anzupassen, wenn sich die Lage wieder etwas beruhigt hat, der wird vermutlich deutlich mehr Gegenwehr bei seinen Kunden spüren“(Voigt). Mit anderen Worten: Wer zu spät kommt, den straft das Leben.

Zu Ende gedacht, kann das für die deutschen Unternehmen aktuell aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht nur heißen, die Gunst der Stunde zu nutzen, und möglichst bald und möglichst „erträgliche“ Preiserhöhungen durchzuführen. Sollten die Abnehmer aufbegehren, bestünde laut Voigt immer noch die Möglichkeit für den Anbieter, sich „zu fragen, ob der Vertrag profitabel bedient werden kann oder nicht gegebenenfalls gekündigt werden sollte, um sich stattdessen auf (lukrativere) andere Verträge und Kunden zu konzentrieren. Dieses Vorgehen ist aktuell häufiger, als man denkt.“ 

Daraus kann der erfahrene Makroökonom nur den einen Schluss ziehen: Setzt sich in den Unternehmen erst mal auf breiter Front Inflationsmentalität durch, ist eine Selbstbeschleunigung der Preiswelle kaum noch aufzuhalten. Wie stark, hängt natürlich von der Branche, der Kundenbeziehung und der Marktmacht von Anbieter und Kunde ab. Doch je länger der Inflationsprozess anhält und je stärker die Inflationsmentalität um sich greift, desto größer ist die Gefahr der Inflationsbeschleunigung durch sich selbst erfüllende Erwartungen.

Der Widerstand gegen fortgesetzte Preiserhöhungen nimmt auf Seiten der Nachfrage im Verlaufe des Beschleunigungsprozesses ab. Oder, wie Berater Voigt es formuliert: „Wichtig ist zu wissen, dass der Fakt, dass eine Preiserhöhung erfolgt, bereits zu Diskussionen führen wird. Die Höhe der Preiserhöhung ist hier oftmals nachrangig. Oder technisch gesprochen: Die Preiselastizität ist beim ersten Cent der Preisanpassung am höchsten und nimmt danach ab.“

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Und er empfiehlt den Unternehmen: „In der aktuellen Lage würde ich mich bezüglich der Höhe im ersten Schritt vor allem an den gestiegenen Kosten orientieren, da davon auszugehen ist, dass auch die Wettbewerber mit Problemen gleichen Ausmaßes zu kämpfen haben. Im zweiten Schritt gilt es, individuell die Beziehung zu meinen Kunden zu bewerten, um herauszufinden, wie weit man gehen kann beziehungsweise will.“ – Für Anhänger stabiler Preise keine schönen Aussichten.

Vor diesem Hintergrund ist für die EZB als Hüter der Stabilität also höchste Gefahr im Verzug. Es gilt so rasch als möglich zu handeln, um die sich aufschaukelnde Inflationsmentalität in der Wirtschaft zu brechen. Die Leitzinsen müssen noch weiter angehoben werden, ein klares Bekenntnis der EZB zur Priorisierung der Inflationsbekämpfung ist dringend erforderlich. Steckt erst einmal in den Köpfen des Managements die Erwartung drin, es sei besser mit Preisanhebungen heute auf erwartete Kostensteigerungen von morgen zu reagieren, treten diese Kostensteigerungen morgen mit Sicherheit ein. Das ist die Stunde der Preis-Trittbrettfahrer. Wehret den Anfängen!

So richtig es war, dass die EZB 2021 mit ihrer Antwort auf die externen Kostenfaktoren bei Energie- und Rohstoffen aus Wachstumsgründen abgewartet hat, wie sich die Corona geschwächte Wirtschaft verhält, so richtig ist es jetzt, ein kräftiges Zinszeichen zu setzen, analog zur Fed in den USA. 

Wie schon Feldmarschall Illo zum Kroaten General Isolani in Schillers Drama Wallenstein sagte: „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt“.

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Kommentare ( 21 )

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WandererX
1 Jahr her

wenn die Betriebswirte und Manager in den Firmen so gierig und dumm sind, vorab die Preise im breiten Umfanh massiv zu erhöhen, bekommen sie als Dank die kräftige Rezession und dürfen dann bald ihre Preise umso stärker absenken! In 2002 führten die teils irren Preiserhöhungen auch von konsumartikeln wie Autos oder Schuhen und Reparaturen bei der EURO- Umstellung zur Rezession 2003-2005. Das geht dann auch für die „schlauen“ Verursacher nach hinten los!

Dr. Heisenberg
1 Jahr her

Bei Netto funktioniert die Preiserhöhung oft so: Alter Preis: 4,99 €. Sonderangebotspreis: 4,49 € von durchgestrichenen neuen Preis: 5,49 €, der in der Folgewoche verlangt wird. Nicht bewusstseinsnah wird also das Sonderangebot, mit 10 % Preiserhöhung verbunden, die Verteuerung fällt somit kognitiv weniger auf. Das Werk von Verkaufspsychologen. Genial.

LiKoDe
1 Jahr her

Mittels eigener Wirtschafts-, Steuer-, Geld- und Währungspolitik [Staatsausgaben, Kredite, Zinsen …] kann man gegenläufig wirkende Politik anderer Länder sowie von Börsenspekulanten ausgleichen und/oder bekämpfen; der Wert der eigenen Währung aber wird durch den technischen Stand und das Ausmass der eigenen Produktion begründet. Die systematische Verteuerung jedoch wurde/wird selbst erzeugt! Sie entwertet Geld, vernichtet Wohlstand und erzeugt Armut. Preise sind Ergebnis technischen Fortschritts [Mechanisierung, Maschinisierung, Automation, kybernetischer Selbststeuerung (Industrie 4.0)], von Skaleneffekten bei Einkauf, Herstellung/Produktion und Verkauf sowie eines funktionierenden Wettbewerbs. Negative Veränderungen ein oder mehrerer dieser Faktoren als auch Abgaben-/Steuererhöhungen [bspw. EEG, CO2-Bepreisung] führen zu höheren Preisen. Preise steigen auch… Mehr

H. Priess
1 Jahr her

Aktuell treiben vor allem die Sanktionen des Westens infolge des Ukrainekrieges, die dadurch gestiegenen Energie und Rohstoffpreise, globale Materialverknappung durch die Restriktionen in der noch laufenden(künstlich erzeugten) Coronapandemie und weiterhin gestörte Lieferketten die Preise in breiter Front in die Höhe. Wäre das nicht der wirklich richtige Eröffnungssatz für diesen Kommentar gewesen? Alles was passiert ist von Politikern, der Finanzwirtschaft und den globalen Akteuren selbst verursacht. Da sind keine nebulösen Dinge die Ursache sondern kaltes Kalkül und Machtversessenheit gepaart mit einer wahnwitzigen Selbstüberschätzung des Westens Schuld. Die EU ist kein Hort der Stabilität und der Euro ist, durch ungebremste Gelddruckerei, dermaßen… Mehr

Sonny
1 Jahr her

Es gibt nicht umsonst den Spruch: “ Der Deutsche nimmt seine Herzpillen und geht zur Arbeit.“
Der Volksaufstand wird höchstens kommen, wenn wirklich die Konten und Ersparnisse leer bzw. weg sind. Und das könnte durchaus noch ein paar Monate dauern. Ich jedenfalls bin zu der Erkenntnis gelangt: Der Deutsche an sich ist nicht lernfähig. Er muss immer erst „richtig“ fühlen und dann ist es zu spät.

Sonny
1 Jahr her

Und jetzt sage mal einer, der Euro und die EU wären eine Erfolgsgeschichte. Ein Mißerfolg folgt dem anderen und Vorschriften über alle Bürger hinweg ohne jeglichen Rückhalt tun ein übriges. Und wenn dann noch ein Land wie Deutschland in die Hände von Blendern und Dillettanten fällt, ist sowieso alles im Eimer. Kann man ja gerade prima beobachten. Alle Regeln zur Einführung des Euro wurden gebogen und gebrochen, bis nichts mehr wirklich geht. Ich wage mal zu behaupten: Mit der D-Mark und der EG wäre das so nicht passiert, was gerade in Deutschland (und anderen Ländern) abgeht. Überheblichkeit, Sektierertum und Abzockerei.… Mehr

alter weisser Mann
1 Jahr her

Es besteht wenig Zweifel, dass im LEH derzeit auch getestet wird, was wie weit man nach oben gehen kann. 30-50% sind machbar. Puffer für künftige Preisschlachten und Kaufzurückhaltungen oder Erholung für gehabte? Etwas zu auffällig dabei die sehr einheitlichen, centgenaue übereinstimmenden Anhebungen bei verschiedenen Anbietern und auch die verschiedenen aktuellen Absenkungen bei Produkten, die zum neuen Hochpreis dann überhaupt nicht gelaufen sind. Aber in Summe dürfen sich die Volkserzieher erfreut zeigen, die jahrelang plärrten, die Deutschen gäben zu wenig fürs Essen aus. Jetzt sind es 30% mehr und die Deutschen essen kein Stück besser. Der Einzelhandel jedenfalls kann sich schon… Mehr

November Man
1 Jahr her

Die Grundlage aller aktuellen massiven Preissteigerungen ist erst mal der völlig unsinnige und unnötige Co2-Zwangszahl-Preis der sich auf alle Preis durchschlägt. Erst dann kommen die durch dumme Aussagen der deutschen grünen Regierung, wir wollen keine Energie und Rohstoffe mehr aus Russland, Spekulationen der Märkte, die Geldgier von Politikern und der Großkonzerne obendrauf. Zahlen muss die Abzocke am Ende wie immer der Verbraucher. Wenn der aber so verarmt ist, dass er nicht mehr konsumieren kann, kommt die Elendsspirale erst so richtig in Gang. Die Wirtschaft bricht zusammen, die Arbeitslosenzahlen steigen, die sicheren Einkommen brechen weg, die Menschen verarmen, sind gezwungen noch… Mehr

StefanB
1 Jahr her

Habe heute ein Stück Kuchen gekauft, dass vor ca. 10 Jahren 1,35 Euro gekostet hat. Dann vielleicht vor 6 bis 7 Jahren 1,75 Euro. Dann in regelmäßigen Abständen 1,99, 2,35, 2,60 und nun seit neuestem schlappe 2,90 Euro! Ich meinte zur Verkäuferin, dass das nun nach alter Rechnung fast 6 DM seien. Sie meinte, der Chef gäbe nur die gestiegenen Einkaufspreise weiter. Die Rohstoffpreise sind allerdings schon wieder ein ganzes Stück vom Hoch zurückgekommen*. Jetzt wird auch richtig Kasse gemacht.

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Rob Roy
1 Jahr her

Bei Lebensmitteln geht das so: Die Packung ist äußerlich gleich geblieben, es ist nur weniger drin, dafür teurer. Seit diesem Jahr gibt es auch zum ersten Mal Erdbeeren in 400gr-Schalen, statt einem Pfund. Dann fällt es nicht so auf, dass ein Kilo Erdbeeren jetzt 8 bis 10 Euro kostet.