André Thess seziert Vorwürfe von EEG-Vater Hans-Josef Fell

Wenn der Vater des EEG einen Professor unsachlich abqualifizieren will, ist das weniger Argument als Abwehrreflex. André Thess antwortet mit einem kühl protokollierten offenen Brief, der Fells Vorwürfe Stück für Stück zerlegt.

picture-alliance/ ZB | Hendrik Schmidt, André Thess - Collage: TE

Der Vater des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) Hans-Josef Fell verurteilt in einem 2.637 Worte langen öffentlichen Traktat ein Interview von Prof. Dr. Eduard Heindl mit dem Stuttgarter Energieforscher Prof. Dr. André Thess aus der Youtube-Reihe „Energiegespräche“. Der Adressat antwortet mit einem offenen Brief, den wir hier dokumentieren.


Lieber Herr Fell,

als bibelfester Atheist rufe ich Ihnen in Liebe und Sanftmut mit Lukas 6,29 zu: „Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“

Ich hätte mich gefreut, wenn Sie mir Ihre Kritik an meinem Interview auf direktem Weg geschickt hätten. So habe ich davon mit Verzögerung aus dem Internet über Ihre Webseite erfahren.

Unter der Überschrift „Ein erschreckendes Beispiel für die Flut an Fakenews und populistischen Polemiken in den sozialen Medien: ein Video-Interview mit Prof. Dr. André Thess“ schreiben Sie im Abschnitt „Der Gesprächsstil von Herrn Thess ist eines Akademikers nicht würdig“ unter anderem: „Es ist klar, dass er seine Klatscher in den Reihen der AfD (Demokratiefeinde und Nazis), in der FDP und Teilen der Union findet, die den menschengemachten Klimawandel leugnen oder als unwichtig darstellen und gleichzeitig die immensen Vorteile der Erneuerbaren Energien für die Ökonomie, den Gesundheitsschutz, für Innovationen in Industrie und Wirtschaft oder den Frieden in der Welt leugnen.“

Im Abschnitt „Die ungebührliche Benutzung meines Namens für seine eigenen Interessen“ klagen Sie an: „Prof. Dr. Thess benutzt meinen Namen als Kronzeugen, der seinen Thesen angeblich nichts entgegenzusetzen habe und sie damit scheinbar bestätige. Infamer geht es nicht. Tatsächlich hatte mich Prof. Dr. Thess, wie er selbst sagt, besucht – unter dem Vorwand, in meinen Unterlagen die Ursprünge des EEG zu erforschen. Ich gewährte ihm diese Gelegenheit und zeigte ihm umfangreiche Aktenordner aus der Entstehungszeit des EEG im Bundestag 1999 und 2000. Davon, dass wir uns „ausgiebig unterhalten“ hätten, wie er in seinem Video behauptet, kann keine Rede sein. Dafür ist der gesamte Themenkomplex viel zu umfangreich. Herr Thess hat mich auch nicht darüber informiert, dass er öffentlich auf seinen Besuch bei mir Bezug nehmen würde. Schon das allein ist ein erheblicher Vertrauensbruch – unhöflich und unter seriösen Wissenschaftlern, Journalisten oder Autoren völlig unüblich. Herr Thess hat – ich kann nichts anderes feststellen – mein Vertrauen missbraucht, um mich als Kronzeugen für seine abstrusen Thesen hinzustellen.“ Gegen Ende Ihres Textes resümieren Sie: „Ich distanziere mich ganz klar von den Aussagen des Herrn Prof. Dr. André Thess.“

Fangen wir am besten ganz vorn an.

Am Mittwoch dem 19. Juni 2024 schrieb ich Ihnen um 18:37 Uhr per Mail: „Sehr geehrter Herr Fell, ich arbeite gerade an einem Buchprojekt, in dem ich 70 Jahre deutscher Energie- und Klimapolitik analysiere und einen Plan für eine Überwindung der Spaltung der Gesellschaft ableite. Darf ich Sie als Urheber des EEG fragen, ob Sie mir Ihren ersten Entwurf des EEG als historisches Dokument zur Verfügung stellen können? Ich habe zwar den Gesetzestext. Mich würde jedoch interessieren, wie die ersten von Ihnen und Ihren damaligen Mitstreitern formulierten Entwürfe aussahen. Falls Sie andere interessante historische Dokumente aus der Frühphase des EEG haben, würde ich mich ebenfalls freuen, wenn Sie mir diese zur Verfügung stellen könnten. Mit freundlichen Grüßen, André Thess“

Ihre Antwort kam am gleichen Abend um 21:56 Uhr: „Sehr geehrter Herr Thess, Danke für Ihre Anfrage. Es freut mich, dass Sie hier tiefer einsteigen, denn es ist sehr spannend, was in den Anfangszeiten passierte und ist bisher kaum beforscht worden. Ja ich habe alte Aktenordner dazu noch aufbewahrt. Es sind einige dazu. Ich müsste mich länger hin setzen und diese mal durchforsten. Das schaffe ich wegen einigen Reisen in der nächsten Zeit aber nicht. Bis wann würden Sie das wünschen? Eine Alternative wäre, ich lade Sie zu mir nach Hause ein und Sie können die Ordner selbst durchstöbern. Dann finden Sie gezielter, was aus Ihrer Forschungssicht relevant ist. GGF ist für Sie auch interessant, was ich in meinen alten Dateien auf dem Computer noch gespeichert habe. (…) Was meinen Sie? Herzliche Grüße Hans-Josef Fell.“

Ich war überwältigt. Von einer Audienz beim Vater des EEG hatte nicht zu träumen gewagt. Ich war mir sicher, als medienerfahrener Ex-Politiker hätten Sie sich im Internet über mich informiert. Dort hätten Sie nach wenigen Mausklicks erfahren, dass ich im Jahr 2022 der Initiator der Stuttgarter Erklärung von 20 Professoren gegen den deutschen Atomausstieg war. Neben dutzenden Interviews hätten Sie ferner mein Buch „Sieben Energiewendemärchen?“ entdeckt. Spätestens am Ende des Wikipedia-Eintrags über meine Person müsste Ihnen klar geworden sein, dass ich von „Andol“ und Konsorten mit dem Ehrentitel „umstritten“ geadelt worden war.
Herr Fell muss ein weites Herz für Energiewendekritiker haben – so dachte ich beim Lesen Ihrer Einladung.

Am 15. August 2024 war es dann soweit. Sie holten mich freundlicherweise vom Bahnhof Gemünden ab. Noch im Auto sitzend, sagte ich Ihnen: „Ich erkenne neidlos Ihre politische Leistung an, das EEG begründet und durch die parlamentarischen Gremien gebracht zu haben. Gleichwohl mache ich keinen Hehl daraus, dass sich unsere Einschätzungen über das EEG diametral unterscheiden.“ Hätten Sie mich im Angesicht dieser Offenbarung postwendend zum Bahnhof zurückverfrachtet, hätte ich dafür volles Verständnis gehabt.

Es tut mir leid, dass mein Gastgeschenk – ein Kilo echte schwäbische Maultaschen vom Stuttgarter Metzgermeister – für Sie und Ihre gastfreundliche Frau wertlos waren. Ich wusste nicht, dass Sie Vegetarier sind. Immerhin beruhigte es mich, dass die Delikatesse laut Ihrer Aussage Ihren Familienmitgliedern beim anstehenden Besuch Freude bereiten würde.

Die Stunden in Ihrem Hause sind mir in angenehmer Erinnerung. Die Führung durch Ihr energieautarkes und geschmackvoll eingerichtetes Domizil war für mich interessant. Die genaue Dauer unseres Gesprächs ist mir nicht mehr gegenwärtig. Anhand meiner handschriftlichen Aufzeichnungen im Umfang von drei Seiten kann ich jedoch rekonstruieren, dass es sich um mindestens eine Stunde gehandelt haben muss. Das anschießende vegetarische Mittagessen aus der Hand Ihrer Frau genoss ich – das Tischgespräch ebenso. Sie stellten mir schätzungsweise fünf dicken Aktenordner und einige Computerdateien zur Verfügung. Daraus konnte ich etwa 40 MB an historischen Daten nach Hause nehmen. Die Verwendung meiner neu gewonnenen Informationen für Buchprojekt und Kommunikation hatte ich klar kommuniziert. Sie hatten weder eine Vertraulichkeitsvereinbarung gefordert, noch – wie gelegentlich bei Interviews üblich – die Forderung nach Freigabe von Zitaten erhoben.

Als Sie mich nach getaner Arbeit freundlicherweise zum Bahnhof fuhren, verabschiedete ich mich mit den hellseherischen Sätzen: „Vielen Dank für den freundlichen Empfang. Es hat mich gefreut, dass wir miteinander und nicht übereinander gesprochen haben. Ich werde das heute Gelernte gern in mein Buch und in meine künftige Kommunikation zum EEG einfließen lassen.“ Widerspruch? Keiner.

Leider konnte ich in meinem neuen Buch „Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf“ nur in stark gekürzter Form auf die interessanten Quellen aus dem Besuch bei Ihnen eingehen. Ich hoffe, dass ich Ihre Rolle bei der Entstehung des EEG trotzdem angemessen dargestellt habe.

Am 7. November haben Sie Ihre Kritik an meinem Interview im Internet veröffentlicht. In ihrem Text bringen Sie mich in einen Zusammenhang mit „Fake news“, ohne ihn näher zu erklären. Erst recht schreiben Sie nicht, wann und wo ich „Fake news“ verbreitet hätte. Die pauschale Beschuldigung, jemand verbreite Falschnachrichten und „Desinformation“, wenn es in Wirklichkeit um Meinungsstreit geht, beeinträchtigt schon seit einiger Zeit die öffentliche Debatte, gerade beim Thema Energieversorgung und Klima. Mein Besuch bei Ihnen diente dem Zweck, nicht nur Fakten zur Entstehung des EEG zu recherchieren, sondern auch Ihre Ansicht zu hören. Er folgte also dem guten Grundsatz: „Audite et altera pars.“

Einen ganz ähnlich schwerwiegenden Vorwurf erheben Sie, wenn Sie von „Vertrauensbruch“ sprechen, ohne näher zu erläutern, worin er bestehen soll. Dass ich als Wissenschaftler und Autor etlicher Bücher für eine Publikation recherchiere, stand von vorn herein außer Frage. Bei den zeitgeschichtlichen Unterlagen, die ich einsehen durfte, handelt es sich auch nicht um Geheimdokumente. Dass Sie betonen, Sie hätten sich mit mir gar nicht ausführlich unterhalten, macht Ihren Vorwurf noch unverständlicher. Er klingt für Dritte so, als hätten Sie mir etwas unter dem Siegel der Verschiedenheit anvertraut. Wir wissen beide, dass das nicht zutrifft.

Es lässt mich auch etwas ratlos zurück, dass Sie sich von mir und meinen Ansichten „distanzierten“. Eine Distanzierung ergibt nur Sinn, wenn man zu der gleichen Institution oder zum gleichen Verein gehört – aber nicht, wenn zwei Leute sowieso sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten. Mein Interesse liegt darin, eine offene Debatte zu führen und Argumente auszutauschen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass das gelingt. Es wäre ein guter Schritt im Austausch zwischen uns, wenn Sie präzise sagen, was Sie mir eigentlich vorwerfen, statt nur Schlagworte zu benutzen. Über unsere Sichtweise in der Sache können wird dann gern ernsthaft streiten.
Vor diesem Hintergrund lade ich Sie nunmehr herzlich ein, Ihre Kritik an meinen Aussagen zur Energiewende und zum EEG in einem persönlichen öffentlichen Streitgespräch direkt an mich zu richten. Gern lege ich ein gutes Wort bei meinem Kollegen Herrn Professor Eduard Heindl ein, dass er uns ein öffentliches Podium im Rahmen seiner „Enegiegespräche“ bietet. Falls Sie noch über gute Kontakte in die öffentlich-rechtliche Medienwelt verfügen, stehe ich auch für einen dortigen Dialog gern zur Verfügung.

In freudiger Erwartung unseres baldigen Wiedersehens verabschiede ich mich im Sinne von Matthäus 7,3 mit den Worten: “Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr André D. Thess


Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart, Leiter ein Energieforschungsinstituts und Autor der Sachbücher „Sieben Energiewendemärchen?“ und „Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf“.

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Kommentare ( 4 )

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Egge940
11 Tage her

Herr Thess geht exakt auf keinen einzigen der richtigen Punkte von Herr Fell an, sondern pickt nur einen (irrelevanten) Punkt heraus. Die genannten Punkte aus Herr Fells Gegendarstellung hat Herr Thess eindeutig im Interview genannt und ist darauf argumentativ eingegangen. Alles was ich hier von Hr. Thess höre ist über die Interaktion zwischen den beiden.. auf die inhaltlichen Argumente bzgl. der Energiewende/Energiepolitik wird nicht eingegangen. Schade, denn es gibt sicherlich einiges zu diskutieren.

LiKoDe
11 Tage her

Möglicherweise fühlte der Physiklehrer Fell sich durch den Besuch von Prof. Dr. Thess gebauchpinselt und geadelt.

Doch ob Hr. Fell ‚EEG-Vater‘ war, mag man bezweifeln. Offensichtlich hatte das EEG viele ‚Väter und Mütter‘ sowie wirtschaftlich daran interessierte Kreise.

Nun war und ist das EEG aber nicht aus dem Nichts entstanden. Es gab nämllich schon das von 1990 stammende Stromeinspeisungsgesetz [Regierung Kohl].

Das ganze zieht also weite Kreise.

non sequitur
11 Tage her

Spätestens ab den Worten, „in den Reihen der AfD (Demokratiefeinde und *Nazis*)“,
hätte ich mich an Prof. Thess‘ Stelle mit diesem Pamphlet nicht weiter auseinandergesetzt.

Egge940
11 Tage her
Antworten an  non sequitur

Naja, Herr Thess setzt sich auch nicht wirklich damit inhaltlich auseinander sondern berichtet nur über die Begegnung der beiden… ein Punkt aus der Gegendarstellung von Herrn Fell