„Mein Einsatz für die Meinungsfreiheit ist kein Zeichen von Eigensinn, sondern von Gemeinsinn“

Das LinkedIn-Konto von Jörg Kuttig wurde gesperrt, weil seine Ansichten zu Coronamaßnahmen nicht kompatibel mit Ansichten der WHO seien. Der Unternehmer legt Verfassungsbeschwerde ein – im Namen der Meinungsfreiheit. Vertreten wird er von dem renommierten Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek.

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Im Oktober hat der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek als Prozessbevollmächtigter im Namen von Jörg Kuttig Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Kuttig ist Unternehmer, seit über dreißig Jahren in der Immobilienbranche tätig. Er klagt gegen die Internetplattform LinkedIn, die einige seiner Beiträge und sein Konto löschen ließ, weil von ihm zitierte Texte zu Corona-Maßnahmen Ansichten der WHO widersprächen – das will LinkedIn nicht zulassen. Im Gespräch mit Christian Zeller wirbt Kuttig für differenzierte Auseinandersetzung und erläutert, dass Meinungsfreiheit zentral ist – und warum gerade im Krisenfall nicht weniger, sondern mehr Meinungsfreiheit notwendig ist.

Christian J. Zeller: Herr Kuttig, warum erheben Sie Klage gegen LinkedIn?

Jörg Kuttig: Zum einen geht es darum, dass LinkedIn Beiträge von mir gelöscht hat. Insgesamt hat LinkedIn fünfzehn meiner Beiträge entfernt. Sieben davon hat LinkedIn der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung gestellt, nachdem ich Einspruch eingelegt hatte. Einen weiteren hat LinkedIn der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung gestellt, ohne dass ich Einspruch eingelegt hatte. Die restlichen sieben wurden dauerhaft entfernt.

Zudem hat LinkedIn dreimal mein Konto gesperrt. Die beiden ersten Male jeweils nur für wenige Tage, beim dritten Mal endgültig. Zur Begründung hat LinkedIn allerdings nur die letzten drei der dauerhaft entfernten Beiträge angeführt.

Worum geht es in diesen drei Beiträgen?

Es handelt sich um Zitate von Wissenschaftlern, die sich kritisch zum Umgang der Politik mit der Corona-Problematik geäußert haben. Mit dem ersten Beitrag habe ich einen Soziologen und Historiker zitiert, nämlich Dr. Alexander Zinn, der insbesondere zu sozialhistorischen Fragen von Diskriminierung und Verfolgung forscht. Er hat mit einem am 8. Januar 2022 in der Berliner Zeitung veröffentlichten Artikel gegen die Ausgrenzung Ungeimpfter argumentiert.

Mit dem zweiten Beitrag habe ich eine sich selbst „7Argumente“ nennende Gruppe von einundachtzig Wissenschaftlern zitiert, zu der unter anderem Prof. Dr. Gerd Morgenthaler, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Siegen, und Prof. Dr. Katrin Gierhake, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg gehören. Die Gruppe hat am 9. März 2022 einen offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten veröffentlicht, in dem sie gegen eine allgemeine gesetzliche Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 argumentiert hat.

Und der dritte Beitrag?

In dem habe ich „KRiStA“ zitiert. Das steht für „Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte“. Es handelt sich um eine Gruppe von Volljuristen, die sich ebenfalls mit rechtswissenschaftlichen Argumenten gegen eine Impfpflicht gewendet hat, ebenfalls mit einem offenen Brief an alle Mitglieder des Bundestages. Das war am 4. April 2022.

Aus welchem Grund sind die Beiträge gelöscht und das Konto gesperrt worden?

Die Beiträge sind gelöscht worden, weil die von mir zitierten Aussagen der Wissenschaftler im Widerspruch zu Leitlinien der WHO stehen. So etwas darf nach den Community-Richtlinien von LinkedIn nicht gepostet werden. Das Konto wurde dann am 15. April 2022 dauerhaft gesperrt, weil ich wiederholt solche Beiträge gepostet habe.

Dagegen gehen Sie gerichtlich vor. Mit Erfolg?

Bislang noch nicht. Zwar gab es in der ersten Instanz am 2. Juli 2024 durch das Landgericht Berlin II ein geteiltes Urteil, wonach LinkedIn die Löschung der Beiträge aufrechterhalten darf, aber mein Konto entsperren muss. Allerdings hat in der zweiten Instanz am 18. September 2025 das Kammergericht Berlin vollständig zugunsten LinkedIns entschieden. Nun habe ich eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Worauf ist diese Beschwerde gestützt?

Stellungnahmen der WHO werden von LinkedIn zu Dogmen erhoben, sie dürfen in LinkedIn-Beiträgen nicht hinterfragt werden. Das verstößt meines Erachtens gegen unsere Verfassung, insbesondere gegen das in Artikel 5 Grundgesetz festgeschriebene Recht auf freie Meinungsäußerung. Und die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Element unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

Setzen Sie die Meinungsfreiheit absolut? Soll man alles öffentlich äußern dürfen?

Nein. Es gibt sinnvolle Beschränkungen. Es fragt sich nur, wo die Grenzen verlaufen. In meinem Fall halte ich die Sachlage für klar. Aber viele andere Fälle halte ich für unklar. Einfache Schwarz-Weiß-Betrachtungen helfen nicht weiter, man muss stark differenzieren. Das ist schwierig, zumal in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Atmosphäre, wie sie sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland aufgebaut hat. Die eingetretene Spaltung müssen wir überwinden und dabei sollten wir uns persönlich sogar fragen, ob wir uns nicht freiwillig an engere Grenzen als die durch Gesetz festgelegten halten sollten. Vor dem Hintergrund ist es mir oft sehr unangenehm, wenn mein Fall mit anderen Fällen in einen Topf geworfen wird.

Was meinen Sie damit?

In den deutschen Medien sind in der letzten Zeit zwei Vorgänge intensiv behandelt worden, bei denen es sich meines Erachtens lohnt, genauer hinzusehen. In einem Fall hat ein pensionierter Soldat namens Stefan Niehoff in einem Beitrag den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Habeck als „Schwachkopf“ bezeichnet. Daraufhin gab es bei dem Rentner eine Hausdurchsuchung. Zwar halte ich das für ungerecht – aber ich bin davon überzeugt, dass man einen politischen Gegner nicht in einer solch unsachlichen Weise angehen sollte, ob das nun gesetzlich erlaubt ist oder nicht. Deshalb ärgert es mich, wenn zwischen meinem Fall und dem von Herrn Niehoff Ähnlichkeiten gesehen werden, obwohl auch ich Herrn Habecks Wirken sehr kritisch sehe.

Sie sprachen von zwei Beispielen. Welches ist das andere?

In dem anderen Fall geht es um Dr. Norbert Bolz, der bis zu seiner Emeritierung Professor für Medienwissenschaften an einer Berliner Universität war. Er hat einen Tweet der „taz“ auf X kommentiert mit: „Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache!“. Auch bei ihm gab es daraufhin eine Hausdurchsuchung. Zwar halte ich auch das für völlig unangemessen – aber ich bin davon überzeugt, dass man Nazivergleiche durchgängig unterlassen sollte. Deshalb möchte ich meinen Vorgang auch mit dem Herrn Professor Bolz betreffenden Vorgang nicht in Verbindung gebracht sehen, obwohl Herr Professor Bolz insgesamt bei mir in hohem Ansehen steht.

Gibt es weitere Kritik, die Sie an anderen Personen haben, welche Beschränkungen der Meinungsfreiheit beklagen?

Kritik an bestimmten Personen habe ich nicht, aber es gibt Vorgehensweisen, die ich ablehne. Spontan fallen mir zwei ein. Zunächst mal die öffentliche Ausübung von Kritik unter Pseudonym in den sozialen Medien. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses anonyme Auftreten kontraproduktiv ist. Die Andersmeinenden – die man doch eigentlich überzeugen möchte oder mit denen man doch zumindest zwecks Erreichung eines Kompromisses in eine Diskussion kommen möchte – weigern sich doch verständlicherweise, solcherart geäußerte Kritik überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Zudem neigen meiner Wahrnehmung nach anonym agierende Personen zu unsachlichen Ausfällen. Dies stößt nicht nur die Gegenseite ab, sondern auch die, welche sich in einer Angelegenheit noch nicht auf eine Position festgelegt haben. Vor dem Hintergrund habe ich meine Kritik an den Corona-Maßnahmen immer strikt sachlich formuliert und bewusst bei LinkedIn gepostet, wo nicht nur mein Name und ein Foto von mir zu finden sind, sondern auch mein gesamter Lebenslauf.

Sie sagten, dass Ihnen spontan zwei abzulehnende Vorgehensweisen einfallen? Welches ist die zweite?

Ja, die zweite ist sogar noch von viel größerer Bedeutsamkeit. Es geht dabei um die Anwendung doppelter Standards. In einer kleinen, privaten Chat-Gruppe haben wir uns zu den Corona-Maßnahmen ausgetauscht, wobei alle Gruppenmitglieder ähnliche Meinungen vertreten haben. Dann wurde auch Verteidigungspolitik zum Thema. Ein Mitglied der Chat-Gruppe forderte nach dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ die Abschaffung der Bundeswehr. Hingegen plädierte ich nach dem Motto „si vis pacem para bellum“ dafür, sich nicht nur rein diplomatisch um Frieden mit Russland zu bemühen, sondern auch die Bundeswehr in einen stärkeren Zustand zu versetzen. Daraufhin warf mir mein Konterpart „Kriegstreiberei“ vor und forderte, Beiträge zu Verteidigungspolitik in der Gruppe zu unterlassen. Das ist aber völlig inakzeptabel, denn Meinungsfreiheit darf man nicht nur fordern, man muss sie auch gewähren, und zwar themenübergreifend. Alles andere verstärkt die Lagerbildung und schwächt den inneren Frieden.

Von welcher Lagerbildung sprechen Sie?

Von ganz vielen. Anhand der bestimmten Meinung zu einem Thema wird einem eine bestimmte Meinung zu einem anderen Thema unterstellt und weitergehend wird man einem Lager zugeordnet, dessen Mitglieder zu vielen verschiedenen Themen die jeweils gleiche Meinung haben. Anhand dessen wiederum wird pauschal über die Meinung zu dem einen, eigentlich gerade ausschließlich zu Diskussion stehenden Thema geurteilt, und zwar ohne überhaupt auf die Argumente dazu einzugehen. Ich gebe Ihnen wieder zwei Beispiele.

Im ersten Fall habe ich einem Bekannten ein Interview zur Kenntnis geschickt, welches ich den „NachDenkSeiten“ zu meiner Klage gegen LinkedIn gegeben habe. Er hat mir daraufhin geschrieben, dass er ausschließlich den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und den „Spiegel“ nutzt, dass er sich auf dem Weg für gut informiert hält und dass im Übrigen die Hamas für ihn eine Terrororganisation ist und Putin ein Kriegstreiber. Nun hatte ich in meinem Interview weder den ÖRR, noch den „Spiegel“ noch die Hamas, noch Putin erwähnt. Mein zentrales Thema war Meinungsfreiheit.

Auf meine Position dazu ist er aber gar nicht eingegangen. So hat er versucht, sie dadurch pauschal abzuqualifizieren, dass sie in einem Medium veröffentlicht worden ist, welches nicht zum ÖRR und nicht zum „Spiegel“ gehört und in dem in anderen, nicht mich betreffenden Artikeln eine hamas- bzw. putinfreundliche Haltung vertreten wird. Dabei hat er nicht nur eine unzulässige Themenvermischung vorgenommen, sondern auch noch eine falsche Lagerzuschreibung, denn zwar stehe ich dem ÖRR und dem „Spiegel“ kritisch gegenüber, aber ich bin weder ein Hamas- noch ein Putinfreund.

Was ist Ihr zweites Beispiel?

Am 22. Oktober 2025 ist in der „Legal Tribune Online“ ein Artikel über meine Verfassungsbeschwerde erschienen. Zwar hat der Autor den Inhalt der Verfassungsbeschwerde an sich richtig wiedergegeben, aber gleichzeitig hat er die Beschwerde geframt. Es beginnt mit dem vorangestellten Bild von meinem Vertreter vor dem Bundesverfassungsgericht, welches untertitelt ist mit: „Staatsrechtler Murswiek sprach 2017 beim Extremismuskongress der AfD in Berlin.“ Weiter unten heißt es: „Die Verfassungsbeschwerde von K. wird vom konservativen Rechtsprofessor Dietrich Murswiek aus Freiburg vertreten. Murswiek wurde mit EU-kritischen Verfassungsklagen bekannt und beriet die AfD in der Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz.“ Meine Beschwerde hat aber an sich weder etwas mit EU-Kritik noch etwas mit der AfD zu tun. Und dann folgt in dem Artikel auch noch dieser Satz: „Hier übernimmt Murswiek Narrative der Impfkritiker:innen, die in anderen Kontexten aber auch schon von linken Organisationen wie Medico International geäußert wurden.“ Damit wird insinuiert: Impfkritik ist Verschwörungstheorie, außerdem ist sie rechts (und rechts ist schlecht). Damit ist nahegelegt, dass Impfkritik den grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit nicht wert ist. Und auch für dieses Beispiel gilt: es wurde kein einziges sachliches Gegenargument angeführt.

Da Sie Herrn Murswiek erwähnten: Warum haben Sie ihn als Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ausgewählt?

Auf Prof. Dr. Murswiek bin ich schon vor dem Streit mit LinkedIn aufmerksam geworden, und zwar durch einen von ihm im März 2021 in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Die Corona-Waage – Kriterien für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen.“ Im November 2021 habe ich ihn dann mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, ob eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht verfassungsgemäß ist.

Und bei meiner Klage gegen LinkedIn habe ich ihn von Anfang an und über die Instanzen hinweg in steigendem Umfang eingebunden. Ich halte ihn für juristisch brillant. Das ist auch daran zu erkennen, wie gefragt er ist. Professor Murswiek hat ja nicht nur für die AfD Gutachten erstattet, sondern auch für deren politische Gegner, zum Beispiel für Bodo Ramelow, als der noch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Wenn Gegner fachlich nicht gegen Professor Murswiek ankommen, versuchen sie, ihn persönlich zu diskreditieren.

Davon lasse ich mich nicht beeindrucken. Dafür kenne ich Professor Murswiek viel zu gut. Zum Beispiel habe ich erlebt, wie er zu Hochzeiten der Empörung über unverhältnismäßige Corona-Maßnahmen in einem mit mehreren hundert Personen besetzten Saal jemandem die Leviten gelesen hat, der meinte, man habe aus Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz ein Recht auf Widerstand. Professor Murswiek hat daraufhin unmissverständlich dargelegt, dass dieses Recht nicht gegeben ist, weil die Maßnahmen keinen Versuch darstellten, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Das sehe ich ganz genau so, trotz all meiner Kritik an diesen Maßnahmen. Sicher gibt es auch Themen, in denen Herr Professor Murswiek und ich unterschiedlicher Meinung sind, aber in Sachen Widerstandsrecht und in Sachen Meinungsfreiheit stimmen wir völlig überein und das ist ein sehr starkes Band. Ich habe nur ihn angefragt und bin sehr froh darüber, dass er sich meines Falls angenommen hat.

Warum ist es Ihnen so wichtig, dass Ihre Verfassungsbeschwerde und Sie sowie die anderen Beteiligten nicht als „rechts“ geframt werden?

Die Zuordnung als „rechts“ wird heutzutage sehr oft mit der Zuordnung „rechtsextrem“ gleichgesetzt. Und diese letztgenannte Zuordnung ist es, gegen die ich mich wehre. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen ist sie einfach falsch. Ich bin nicht rechtsextrem, ich bin nach wie vor geprägt durch das Aufwachsen in einem sozialdemokratischen Milieu, war selbst über ein Vierteljahrhundert lang Mitglied in der SPD. Erst im Dezember 2019 bin ich aus der SPD ausgetreten, und zwar weil sie in Folge der damaligen Vorstandswahl für meinen Geschmack zu weit aus der Mitte nach links außen geraten ist. Vor dem Eintritt in die SPD war ich parteilos. Seit dem Austritt aus der SPD bin ich auch wieder parteilos. Ich betrachte mich als Teil der politischen Mitte.

Und was ist der zweite Grund?

Eine falsche Zuordnung meiner Person zu einem Lager könnte geschäftsschädigend wirken und dadurch anderen Personen schaden, für die ich Verantwortung trage, das sind insbesondere meine Mitarbeiter und meine Kinder, die die von mir aufgebaute Unternehmensgruppe fortführen möchten.

Warum gehen Sie ein solch hohes Risiko ein? Ist die Meinungsfreiheit das wert?

Ja. Die Meinungsfreiheit ist ein unverzichtbares Element unserer westlichen Werte. Ohne die Gewährleistung der Meinungsfreiheit in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedern wird es diesen Staaten im Kriegsfall nicht möglich sein, ihre Bürger dazu zu motivieren, die staatliche Ordnung unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Deutsche Soldaten haben zu geloben, „das Recht und die Freiheit“ zu verteidigen. Welches Recht sollen die denn verteidigen, wenn dazu nicht auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gehört, welche Freiheit sollen die denn verteidigen, wenn dazu nicht auch die Meinungsfreiheit gehört?

Ist eine Verfassungsbeschwerde die einzige Möglichkeit, um für die Meinungsfreiheit zu kämpfen?

Speziell in meinem Fall sehe ich keine andere Möglichkeit mehr. Generell gibt es aber sicher sehr viele andere Möglichkeiten. Wobei ich persönlich es sehr wichtig finde, bei sich selbst anzufangen, also die Kostbarkeit der Meinungsfreiheit so zu schätzen, dass man sie mit entsprechendem Bedacht nutzt, zum Beispiel Kritik immer möglichst konstruktiv gestaltet.

Was verstehen Sie in dem Zusammenhang unter Konstruktivität?

Darunter verstehe ich, dass man Kritik mit konkreten Verbesserungsvorschlägen verbindet. Das setzt allerdings voraus, dass man überhaupt versteht, worum es der Gegenseite überhaupt geht. Da sehe ich bezogen auf meine Seite, also bezogen auf die Seite derjenigen, welche Kritik an der Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen, insbesondere an den langen Schließungen von Kitas, Schulen und Hochschulen sowie an Impfpflichten, geäußert haben, durchaus noch Defizite. Wir Maßnahmenkritiker haben uns meines Erachtens noch nicht ausreichend in die Rolle der Maßnahmenbefürworter versetzt, jedenfalls nicht in die derjenigen, die in der Corona-Krise Entscheidungen unter Ungewissheit zu treffen hatten und auf denen enorme Verantwortung lastete.

Zum Beispiel werden meiner Meinung nach auf unserer Seite sicherheits- und verteidigungspolitische sowie militärische Aspekte des Themas Corona nicht ausreichend durchdacht. Es wird zwar wahrgenommen, dass das Robert-Koch-Institut während der Corona-Krise unter die Fachaufsicht eines Generals gestellt wurde, aber es wird gar nicht in Erwägung gezogen, dass das sinnvoll gewesen sein könnte. Stattdessen wird es als Beleg dafür angeführt, dass das RKI in der Corona-Krise nicht rein als wissenschaftliches Beratungsinstitut gehandelt hat. Und zwar in einem stark anklagenden Ton, ohne dass jedoch dabei klar wird, worin die Verwerflichkeit des angeklagten Handelns eigentlich genau bestehen soll.

Warum könnte es sinnvoll gewesen sein, das RKI unter militärische Aufsicht zu stellen?

Um das darzulegen, muss ich etwas ausholen. Fakt ist zunächst einmal generell, dass daran geforscht werden kann und auch tatsächlich geforscht wird, zum Beispiel von China, wie aus einem Virus eine ethnische Biowaffe entwickelt werden kann. Das legt zum Beispiel das von Paul Schreyer mit Dirk Gerhardt geführte Interview dar, das im Juni 2025 im Magazin „Multipolar“ online veröffentlicht wurde.

Speziell betreffend die Verbreitung von SARS-CoV-2 wissen wir durch Prof. Dr. Roland Wiesendanger seit Februar 2021, dass es möglicherweise von einem chinesischen Labor ausgegangen ist. Nun lassen sich aber solche Forschungen und Entwicklungen leider nicht durch ein weltweites Moratorium wirksam unterbinden. Sie lassen sich nicht einmal leicht erkennen. Wenn jemand eine Atombombe baut, braucht er dafür Anlagen, die so groß sind, dass sie oder zumindest die Aktivitäten zu ihrer Errichtung aus dem Weltraum erkennbar sind, zudem braucht er Stoffe, die extrem schwer zu beschaffen sind.

Wenn jemand eine Biowaffe bauen will, kann er das in seiner privaten Garage tun, nachdem er die Zutaten anonym im kommerziellen Fachhandel erworben hat. Hinzu kommt: Wenn der Flughafen Frankfurt, München oder Berlin massiv bombardiert wird, ist das in der jeweiligen Innenstadt deutlich wahrnehmbar, wenn dort aber ein gefährliches Virus freigesetzt wird, bekommt das vielleicht gar niemand mit, bevor es sich unaufhaltbar verbreitet hat, und zwar über das gesamte Land.

Die Gefahr durch Viren ist also real und der Schutz der Bevölkerung vor dieser Gefahr ist sehr schwierig. Das ist den für den Schutz verantwortlichen Personen aufrichtig zugute zu halten, statt ihnen von vorneherein schlechte Absichten zu unterstellen. Das Problem, mit dem sie konfrontiert sind, ist völlig neuartig. Es gab früher Kriege, die sind fast ausschließlich auf Schlachtfeldern geführt worden, während das zivile Leben in den Dörfern und Städten vergleichsweise normal weiterlief.

Dann kam die Ausweitung von Kriegen auf große Teile der Zivilbevölkerung. Aber selbst die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki hatten begrenzte Wirkung. In einem mit biologischen Waffen geführten Krieg aber wird die Front gar nicht mehr klar erkennbar sein. Es wird unter Umständen keine räumlich und zeitlich begrenzte Front geben. Die Front wird möglicherweise überall zugleich sein. Und die Waffen werden auf Soldaten ebenso wirken wie auf Zivilisten.

Die Bundeswehr ist darauf noch kaum eingerichtet. Noch bis letztes Jahr verfügte sie nur über die drei althergebrachten Teilstreitkräfte Heer, Marine, Luftwaffe. Erst durch den „Osnabrücker Erlass“ vom 30. April 2024 hat sie mit einer Truppe für den Cyber- und den Informationsraum eine neue Teilstreitkraft erhalten. Das ist die Reaktion auf die Digitalisierung der Kampfführung, wie sie sich aktuell sehr eindrücklich anhand des Einsatzes von Drohnen im Ukraine-Krieg zeigt. Eine Teilstreitkraft als Reaktion auf die drohende Biologisierung der Kampfführung gibt es aber verständlicherweise noch nicht. Deshalb war es sinnvoll, der Bundeswehr während der Corona-Krise zumindest die bereits vorhandene Ressource RKI zur Verfügung zu stellen.

Das klingt nun wieder eher so, als wären Sie mit den staatlichen Corona-Maßnahmen einverstanden gewesen. Wo genau verläuft die Trennlinie zwischen dem, womit Sie einverstanden waren, und dem, was Sie kritisiert haben?

Es gibt mehrere solcher Trennlinien. Ich bin einverstanden mit Sensibilisierung der Bevölkerung für die Gefahr durch das Virus gewesen, aber Angstmacherei habe ich kritisiert, weil ich sie für kontraproduktiv halte. Meinen Mitarbeitern habe ich eindringlich geraten, Respekt vor dem Virus zu haben, aber nicht in Panik zu verfallen. Ich bin einverstanden mit allem gewesen, was man Menschen freiwillig hat machen lassen, aber Zwang habe ich kritisiert.

Ich habe niemanden davon abgehalten, sich neuartige Stoffe injizieren zu lassen, habe mich als gesetzlich Versicherter auch an den Kosten zur Beschaffung dieser Stoffe für Dritte beteiligt, aber ich habe die Initiative zur Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht kritisiert, weil ich sie weder für erforderlich noch für geeignet noch für verhältnismäßig halte. Ich bin einverstanden gewesen damit, dass Wissenschaftler dem Militär zugeordnet worden sind, aber ich habe kritisiert, dass verboten worden ist, Aussagen dieser Wissenschaftler zu hinterfragen. Das hat übrigens auch einen Grund, den kaum jemand registriert: die Meinungsfreiheit selbst stellt für biologische Bedrohungsfälle eine Verteidigungswaffe dar, und zwar eine unverzichtbare.

Wie ist das zu verstehen?

Es gibt zwei Weisen, in denen die Meinungsfreiheit in solchen Fällen wirken kann. Zunächst einmal geht es dabei darum, dass umfassende Meinungsfreiheit schnelle und gute wissenschaftliche Fortschritte ermöglicht. Denn wissenschaftlicher Fortschritt entsteht weniger in der Form plötzlicher Erleuchtung einzelner Forscher, sondern eher durch Diskussion unterschiedlicher Meinungen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Wenn also irgendwelche Gegner, die vermutlich nicht einmal identifizierbar sind, eine neue biologische Waffe, zum Beispiel ein bestimmtes Virus, konstruieren und damit angegriffen haben könnten, dann sollte man im Rahmen der Ergreifung von Verteidigungsmaßnahmen, zum Beispiel der Entwicklung von Impfstoffen, nicht die Meinung einer Wissenschaftlergruppe als nicht anzweifelbar definieren, sondern alle kompetenten Stimmen hören. In meinem Fall geht es ja nicht nur darum, dass ich meine Meinung nicht äußern darf, wenn sie der Ansicht der WHO widerspricht, sondern auch Fachleute wie Infektiologen, Epidemiologen und Toxikologen dürfen das nicht. Und dabei droht auch noch die Gefahr, dass bei der WHO hinter den Kulissen der angreifende staatliche Gegner das Sagen hat, ganz zu schweigen von den bei der WHO stark vertretenen kommerziellen Interessen.

Was ist die zweite Wirkungsweise?

Man muss bedenken, dass es zur Abwehr eines biologischen Angriffes nicht ausreicht, lediglich alle Soldaten einzusetzen. Es müssen auch alle Zivilisten eingesetzt werden oder zumindest große Teile der Zivilbevölkerung. Das funktioniert aber nicht, wenn viele Zivilisten misstrauisch sind. Es funktioniert nur auf der Basis von Vertrauen. Und das erforderliche Vertrauen kann nur geschaffen werden durch Transparenz.

Diese Transparenz ist auch dann unabdingbar, wenn es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, ob überhaupt bzw. in welchem Ausmaß ein Angriff erfolgt ist und welches angemessene Verteidigungsmaßnahmen sind. Also muss die Meinungsfreiheit auch und gerade in solchen Ausnahmesituationen aufrechterhalten werden. Mein Einseits für die Meinungsfreiheit ist dementsprechend kein Zeichen von Eigensinn, sondern von Gemeinsinn, er ist kein wehrkraftminderndes Unterfangen, sondern ein wehkrafterhöhendes. Die Verfassungsbeschwerde habe ich dementsprechend nicht erhoben, um unseren Staat zu belasten, sondern um ihn zu unterstützen.


Das Interview führte Christian J. Zeller. Er ist Mitglied des Komitees von „Bündnis Redefreiheit“. Das Bündnis verteidigt die Freiheit des Wortes als Grundpfeiler der Demokratie. Es steht Menschen bei, um deren Recht auf freie Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz oder im digitalen Raum zu verteidigen.
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Kommentare ( 1 )

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alter weisser Mann
1 Stunde her

Die Aufpasser von heute sind genauso gestört wie die Blockwarte und die Stasi früher. Ich hoffe, die werden auch deren Schicksal teilen, auch wenn ich befürchte, dass das noch etwas dauert.