Ein Tatort voller Münchner Wunderkindl

Der Leitmayr Franz, meinte man bisher, des is’ a ganz a ruhiger. Das HB-Männchen mit dem Temperament vom Balkan ist eher der Ivo Batic. Nun stellt sich kurz vor der Pension heraus, dass Kriminalhauptkommissar Leitmayr ein dunkles Geheimnis, ein Trauma mit sich herumträgt: Sein Vater hat ihn regelmäßig geschlagen.

Screenprint ARD / Tatort

Ein Krimi, gedreht in einer veritablen Strafanstalt. Andreas Stoiber, Leiter der JVA in der Niederbayerischen Hauptstadt, konnte offenbar nicht widerstehen: Kolleginnen und Kollegen hätten das Vorhaben mit Begeisterung und Leidenschaft unterstützt, „ohne irgendwelche Abstriche bei der Sicherheit machen zu müssen …“. Er berichtet im Interview mit der ARD vom „Enthusiasmus und positivem Spirit bei den Planungen … der Hilfsbereitschaft und Kollegialität der Filmfirma Sappralot Productions … in freundschaftlich konstruktiver Atmosphäre.“ Wen wundert’s – für die war es wie ein Sechser im Lotto, gratis und franko eine komplette Kulisse zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Wenn Direktor Stoiber, dem der „Blick hinter die Kulissen der glitzernden Filmwelt“ gestattet wurde, allerdings erwartet hat, dass der „Einblick der Filmcrew in unser tägliches Tun“ dazu geführt hat, dass dadurch „ein realistisches Bild, frei von den oft klischeehaften Vorurteilen gegenüber dem Justizvollzug“ entsteht, hat er sich, wie der Film zeigt, herb getäuscht. Seinen Dank, „nicht nur persönlich, sondern auch namens aller Bediensteten der JVA Landshut für die gute Zusammenarbeit mit Sappralot Productions und dem Bayerischen Rundfunk“ haben die Tatort-Macher sich eigentlich verscherzt, denn seine Hintergrund-Informationen hat sich Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller, wie er zugibt, wo ganz anders geholt:

„Die Gefängnissituationen sind genauestens recherchiert in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Gefängnisdirektor von Oldenburg – diese Welt realistisch, glaubwürdig und in ihrer Härte zu zeigen, war mir wichtig.“

Zackige Münchner Kriminaler gegen schlaffe Vollzugsbeamte

Zwar ist die JVA „LA“ (geläufige Kurzform für Landshut) in einem guten baulichen Zustand, sicherlich besser als das im Jahr 1908 gebaute frühere Gefängnis gegenüber der städtischen Festwiese, das 2008 geschlossen wurde. Aber hinter der Fassade bröckelt es, wenn man den Tatort betrachtet, gewaltig. Das kriegen Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) schnell zu spüren. Ein Häftling (Roland Gumbert, gespielt von Ralph Herforth) ist in der Dusche hinterrücks erdolcht worden, dort verblutet. Der sich ständig die Lippen mit einem Stift anfeuchtende Gefängnisdirektor (Thomas Huber) empfängt sie schon mit der Bemerkung, dass „sie sich nicht allzuviel Hoffnung machen sollten, dass sie den Fall lösen werden“.

Die eher nachlässig uniformierten Vollzugsbeamten Anja Bremmer (Jule Ronstedt) und Stefan Claussen (Felix Hellmann) sind auch keine Hilfe: Bremmer macht sich „bei der beschissenen Bezahlung keinen Kopf“. Nur konsequent, dass sie mit Gefangenen Geschäfte macht und ihnen auch auf andere Weise zu Willen ist. Batic kriegt das zu spüren, als sie ihn mit der Bande kahlgeschorener Kumpels des Ermordeten kurz alleine lässt und die dem Polizisten handgreiflich zeigen können, was sie von den Ermittlungen halten. Die Wärter können weder den schwunghaften Drogenhandel in der JVA unterbinden (Unterhaltung: „Brauchst Du noch Hasch? Nö, ich hab noch“) noch haben sie die neueste Videoüberwachung im Griff: Die Filme aus dem Korridor vor der Dusche wurden auf unbekannte Weise gelöscht. Die Häftlinge beschweren sich über das immer gleiche Abendessen (eine Scheibe Mischbrot wird anklagend gezeigt). Einzig die Pflege der deutschen Sprache scheint zu klappen, die Gefängnisbücherei ist gut gefüllt und Umgangssprache ist Hochdeutsch (der ARD sei dank für diese Vereinfachung).

Wunderkinder

Offenbar herrscht in dem Knast ein handfester Bandenkrieg. Auf der einen Seite: weiße Häftlinge, angeführt von zwei mit Eisernem Kreuz und Reichsadler tätowierten, graumelierten Muskelmännern. Der früh als Mordopfer von der Bühne gegangene Gumbert betätigte sich als Pate und Drogenboss, ließ sich (er war schwul) nach Gusto von Beamtin Bremmer frische Häftlinge auf die Stube legen. Auf der anderen, der sogenannten „türkischen“ Seite: Friseur Metin Demir (Kailas Mahadevan), ebenfalls im Drogengeschäft, und seine Mithäftlinge mit Migrationshintergrund.

Aber allesamt kennen ihre Rechte, bestehen auch angesichts dreier Kriminalbeamter auf Aussageverweigerung und gegebenenfalls Anwesenheit ihrer Anwälte. Da macht man als Ermittler, wenn sowieso schon alle sitzen, keinen Stich. Dass sich die Münchner Kriminaler an einem Punkt vor Verzweiflung dazu versteigen, einen Häftling damit unter Druck zu setzen, dass sie ihn der Knast-Selbst-Lynchjustiz ausliefern würden, ist allerdings schon reichlich schräg, ja skandalös.

Ein Wunderkind namens Scholz

Dieter Scholz (Carlo Ljubek) aber ist ein Vorzeigehäftling, war „nur“ wegen Betrugs mit Fahrzeugpapieren in Haft und soll demnächst entlassen werden. Während sein Zimmernachbar Kevin Schneider (Alexander Martschewski) noch nackte Mädels an der Wand hängen hat, klebt über Scholz’ Bett ein Foto seines begabten Sohns Ferdinand (Phileas Heyblom) und seine Kinderzeichnungen. Der soll nach seiner Entlassung wieder bei ihm einziehen. Auch Scholz gibt an, in der Dusche nix gesehen zu haben, weil er nicht kurz vor der Entlassung noch Ärger bekommen möchte.

Aber er hatte ein handfestes Motiv für den Mord: Drogenbaron Gumbert wollte zwei komplett gefälschte Autopapiere pro Woche von ihm und vermittelt ihm deshalb über die korrupte Anja Bremmer einen Job bei einer Werkstatt, wo er kriminell da weitermachen soll, wo er aufgehört hat. Aber Scholz weigert sich, wird deshalb von Gumbert geschlagen und der bedroht sogar Ferdinand. Der Junge ist ein Talent am Klavier, seine liebevollen Pflegeeltern Viola (Sarah Bauerett) und Georg Seiffert (Lasse Myhr) fördern ihn und sind wenig begeistert, dass der leibliche Papa demnächst wieder den Sohn übernehmen soll.

Erst der Ehrbegriff der türkischen Familie bringt die Wende

Auch private Verbindungen wie Batics zu einem hier einsitzenden kroatischen Doppelmörder, der sich nun zwischen hohen Zäunen und Natodraht um Gänse und Katzen kümmert, bringen ihm keine neuen Erkenntnisse. Erst als er Familie Yilmaz (Vater Nabil Yilmaz, gespielt von Mohammed-Ali Behboudi) und deren jüngsten Sohn (Birol Yilmaz, gespielt von Samy Abdel Fattah), den er bei dessen Polizeibewerbung protegiert hat, um Einwirkung auf den ebenfalls in der JVA einsitzenden Ältesten (Ahmet Yilmaz, gespielt von Yasin Boynuince) bittet („Mama weint den ganzen Abend, du fügst der Familie Schande zu“), wird der weich und packt aus, wen er in der Dusche wann gesehen hat.

Leitmayr läuft emotional Amok

Der Franz, meinte man bisher, des is’ a ganz a ruhiger. Das HB-Männchen mit dem Temperament vom Balkan ist eher der Ivo Batic. Nun stellt sich kurz vor der Pension heraus, dass Kriminalhauptkommissar Leitmayr ein dunkles Geheimnis, ein Trauma mit sich herumträgt: Sein Vater hat ihn regelmäßig geschlagen. Deshalb reagiert nun der Franz auf den offenbar ebenfalls gegenüber Ferdinand handgreiflich gewordenen Scholz aggressiv, will ihm partout die tatsächliche Übernahme der Vaterherrschaft über seinen Sohn ausreden: „jemand wie Sie ändert sich nie“. Obwohl Scholz versichert, sich dank des Studiums fernöstlicher Philosophien während der Haft geläutert zu haben.

Und leider kommt es so, wie man es erwarten konnte: Der hochbegabte Junge wird nach dem Umzug zu seinem Vater nicht glücklich, vermisst seine Pflegeeltern. Statt eines richtigen Klaviers bekommt er eine Elektro-Orgel, das Essen schmeckt nicht wie früher. Er schreit Scholz an: Ich hasse Dich! Der reagiert offenbar mit Schlägen, ahmt Gumbert’sche Bestrafungsmethoden nach, die angeblich keine Spuren hinterlassen: Orangen im Einkaufsbeutel als Schlagwerkzeug.

Und es kommt schlimmer. Scholz wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, erstochen wie Gumbert. Ferdinand findet man still und blutverschmiert an einer Bushaltestelle sitzend, er wird zum Kinderschutz gebracht, wo er aber stumm bleibt. Erst Leitmayr bringt ihn mit einer zerknüllten Klaviertastatur aus Papier wieder zum Reden, zeigt ihm ein Foto von Gumberts ebenfalls in die Freiheit entlassenen Gefängnislover Martin Liebeck (Merlin Leonhardt), den der Junge als den Mann identifiziert, den er kurz vor dem Mord in der Wohnung seines Vaters gesehen hatte.

Liebeck hatte Scholz, den er für den Dusche-Mörder seines Geliebten gehalten hat, aus Rache umgebracht. Scholz wiederum aber war daran unschuldig, denn Gumbert hat Kevin Schneider auf dem Gewissen, weil der ihn vergewaltigt hatte. Vor der Rache der Glatzköpfe aus Gumberts Clique kann Schneider aber nichts retten. Obwohl man ihn zu seinem Schutz in eine andere Haftanstalt verlegt hat, wird er hinterrücks für eine Rolle Hunderter hingerichtet.

Die Vollwaise Ferdinand werde, wie Kommissar Leitmayr das den bestürzten Pflegeeltern beschwichtigend ankündigt, demnächst bestimmt zur Adoption freigegeben.

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Kommentare ( 2 )

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2 Comments
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BK
2 Monate her

Das klingt sehr nach Drama, kriegt einen Integrationsbambi und wird zum Schulungsfilm aller Gleichstellungsbeauftragten. Natürlich darf das Klischee nicht fehlen, die deutschen Nazis, die man eingesperrt hat und der türkische Friseur als Ehrenmann. Deutsch = Nazi, Türke = Ehrenmann. Das waren mir zu viele Vorurteile, sodass der Film durchgefallen ist.

Ceterum censeo Berolinem esse delendam
2 Monate her

„Familie Yilmaz (Vater Nabil Yilmaz, gespielt von Mohammed-Ali Behboudi) und deren jüngsten Sohn (Birol Yilmaz, gespielt von Samy Abdel Fattah)“

Zwei Türken, die von zwei Arabern gespielt werden. So ändern sich in Schland die Zeiten.