Sauerkrautkrise

Das deutsche „Nationalgericht“ wird mehr und mehr zum regionalen Exoten. Die wahren „Krauts“ sind – die Franzosen. Von Ingo Swoboda und aufgegessen.info

IMAGO / Pond5 Images

Auf ihre Art sind mir die Engländer durchaus sympathisch, und das nicht nur, weil sie die Beatles hervorgebracht haben, deren Songs mich von Kindheit an begleitet haben und mich noch heute in eine emotionale Hochstimmung versetzen können. Engländer haben vor allem meinen Respekt, weil sie zu ihrer schlechten Küche stehen, robusten Fußball spielen, den mutigen Schritt gegangen sind, die EU und ihre Geldversenkungsmaschinerie zu verlassen, und von ihrer politischen Elite zumindest Bildung, Stil und Patriotismus verlangen. Also genau das Gegenteil von dem, was wir Deutschen in dieser Liga präsentiert bekommen.

Weniger amüsant finde ich, dass uns die Engländer immer noch und immer wieder gerne als „Krauts“ bezeichnen. Das haben wir nun wirklich nicht verdient! Schließlich sind wir eine gestandene Bier-Nation, die dazu bemerkenswerte Weine produziert, das beste Brot der Welt backt, der Menschheit den Brühwürfel geschenkt hat, und nach deren Großstädten nicht nur international erfolgreiche Würstchen und Hackfleisch-Produkte, sondern auch gefüllte oder ungefüllte Backwaren benannt sind. Den Namen der britischen Hauptstadt tragen nur hauchdünne Markenpräservative.

Warum also „Krauts“, was hat es mit dem „kulinarischen Schimpfwort“ auf sich? Bis heute hält sich vor allem im anglophilen Sprachraum hartnäckig das Klischee, Sauerkraut sei das deutsche Nationalgericht schlechthin. Ist also Sauerkraut eine deutsche Erfindung, ein Gericht mit germanischen Wurzeln? Mitnichten. Allerdings sind die Deutschen an der Entstehung der Legende vom „Nationalgericht Sauerkraut“ nicht ganz unschuldig, wenn Ludwig Uhland in seinen Versen vom „edlen Sauerkraut als deutschem Essen“ spricht. Doch Sauerkraut kannten schon die alten Römer. Dennoch käme niemand auf die Idee, das Sauerkraut den Italienern in die Schuhe schieben zu wollen. Auch nicht den Griechen oder Chinesen, die das Säuern von Kraut als effektive Methode des Konservierens ebenfalls gekannt haben.

Auf dem deutschen Speisezettel taucht Sauerkraut erst im ausgehenden Mittelalter auf, als Mönche das aus Weißkohl gehobelte Kraut salzten, in großen Holzfässern für die Fastenzeit einstampften und abwarteten. Was nämlich jetzt in den Bottichen stattfand, war nicht nur eine natürliche und effektive Konservierung durch Milchsäurebakterien, die den Fruchtzucker im Weißkraut unter Freisetzung von Kohlensäure in Milchsäure umwandelten, sondern gab aufgrund des entstandenen Geschmacks durch die saure Gärung dem Kohl seinen Namen: Sauerkraut! Die einfache Methode, Weißkohl in Sauerkraut zu verwandeln und damit Gemüse-Vorräte für die langen Wintermonate anlegen zu können, fiel in einer von Landwirtschaft geprägten Epoche im wahrsten Sinne auf fruchtbaren Boden. Zudem erforderte der im Anbau relativ anspruchslose Weißkohl keine besonderen Kenntnisse und man konnte sich wichtigeren Dingen als der Verfeinerung einer Küchenkultur widmen.

Zum Beispiel der Seefahrt, die ansonsten in der deutschen Geschichte keine besonders rühmliche Rolle spielt und ihr maritimes Vermächtnis bis heute der Allgemeinheit in Form einer Sektsteuer aufbürdet, die einst zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte gedacht war. Da haben die Engländer ganz andere Erfolge vorzuweisen. Doch nachdem im frühen 18. Jahrhundert entdeckt worden war, dass der Verzehr von Sauerkraut Skorbut verhindern kann, kreuzte kaum mehr ein Schiff unter deutscher Flagge ohne Sauerkrautfass an Bord die Meere. Den Briten schien das Kraut zu profan, sie setzten in ihrer Marine vorwiegend auf Zitronensaft als Prophylaxe, eine prickelnde Ergänzung zum trockenen Schiffszwieback. Was weder Deutsche noch Engländer damals wussten: Sauerkraut enthält die Vitamine A, B, C – rund 400 Gramm Sauerkraut besitzen so viel Vitamin C wie eine Kiwi, sowie Kalium, Kalzium, Eisen und jede Menge Ballaststoffe. Zusätzlich finden sich im Sauerkraut sekundäre Pflanzenstoffe, die die Blutgerinnung beeinflussen, die Verdauung fördern und vor Krebs schützen sollen.

Im Elsass feiert das Sauerkraut bis heute Triumphe, hier schmückt es als kulinarisches Aushängeschild in vielen schmackhaften Variationen die bodenständige Küche, verfeinert mit Wein oder Champagner, garniert mit Würstchen, Bauchspeck, Rippchen und Kartoffeln. Typisch deutsch? Die Franzosen, inklusive und gerade wegen der Sauerkraut-Hochburg Elsass, essen – kein Scherz! – mehr Sauerkraut als die Deutschen, deren Verbrauch seit Jahren bei etwas mehr als einem Kilo pro Person stagniert. Das meiste hierzulande verzehrte Sauerkraut stammt aus Polen, echtes deutsches Sauerkraut kommt heute vorwiegend aus dem Gebiet der Fildern südlich von Stuttgart, wo 1883 auch die weltweit erste Sauerkrautfabrik entstand.

Doch aus dem vermeintlichen deutschen Nationalgericht ist längst ein regionaler Exot geworden, der nur noch dort auftaucht, wo es richtig deftig zugeht: Bei der hessischen Spezialität „Rippchen mit Kraut“ wird gepökeltes Schweinekotelett im Sauerkraut gekocht, auf der Schwäbischen Schlachtplatte darf es nicht fehlen und in der herzhaften bayerischen Landküche ist Sauerkraut, meist mit Kümmel gewürzt, ein wichtiger Bestandteil. In Franken wird das Sauerkraut mit Bratwürsten, Leberknödeln oder Fleisch serviert, eine Heilbronner Spezialität ist der mit grober Leberwurst und Kartoffelpüree geschichtete Sauerkrautauflauf. Eisbein mit Sauerkraut lieben die Berliner und das brandenburgische Umland, Klunz ist ein mitteldeutsches Gericht mit Sauerkraut und Schweineschmalz. Reicht das aus, um eine ganze Nation als „Krauts“ zu bezeichnen?

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Kommentare ( 61 )

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Tee Al
2 Monate her

Ich hatte mal ein T-Shirt: „Proud to be Kraut“, die Amis liebten es. Und speziell in den Bible-Belt Staaten stehen sie auch drauf. Sauerkraut ergänzt dort viele Gerichte Auflauf, Suppen, Rolls. Einer meiner Lieblingsgerichte ist Cranberry-Sauerkraut Meatballs.

Auch in Ungarn gibt es deftige Gerichte mit Sauerkraut, gefüllte Kohlrouladen (Töltött káposzta), Krautsuppe (Káposztaleves), Auflauf mit Kraut (Rántott káposzta)….natürlich alles mit Paprikás und Tejföl verfeinert…sonst wäre es ja nicht Ungarisch..:)

Vielleicht werden die Deutschen ja ‚Krauts‘ genannt, weil sie immer so wie sauer Eingelegtes aussehen? :))

Karsten Paulsen
2 Monate her

Herzlichen Dank für den appetitlichen Artikel. Ich habe das Sauerkraut (Kapusta) in Polen neu entdeckt. Seit dem bereiten wir es genau so zu.

Epouvantail du Neckar
2 Monate her

Ist womöglich die „Schwäbischen Schlachtplatte“ (mit Kartoffelpüree und Sauerkraut) der Grund dafür, dass innerhalb kurzer Zeit und im Abstand von max, 3 Wochen zwei Treffen der AfD-Prominenz in schwäbischen Besenwirtschaften im Raum Heilbronn (Erlenbach-Binswangen + Abstadt) stattgefunden hatten?
Bin daher gespannt, wann Sauerkraut, womöglich auch Kartoffelstampf, als „voll Nazi“ eingestuft wird und in guten Häusern mit Haltung von der Speisekarte genommen wird

doktorcharlyspechtgesicht
2 Monate her

Mir tropfte gleich der Zahn bei den guten Gerichten. Sauerkraut wurde übrigens in der DDR aggressiv beworben weil es ein günstiger regionaler Vitaminlieferant war, der Devisen einsparen half. Filderkraut ist auch als Saatgut erhältlich; man kann sich also die festen spitzen Köpfe selber ziehen und später gutes Filderkraut einsäuern. Sauerkraut selber machen ist sehr einfach und im Geschmack, wenn man es richtig macht, unvergleichlich. Da lässt man alles andere stehen. Auch als sehr gesunde Rohkost empfiehlt sich gleich am Morgen eine kleine rohe Portion mit etwas Öl und frischem Knoblauch drüber. Das danken vielleicht nicht die Bürokollegen aber sicher die… Mehr

Anglesachse
2 Monate her

Also ich find den Ausdruck „Krauts“ sehr lustig, denn unsere brit. Kumpels hiessen „Lemmons/Leimis“.
Und die Franzosen….?
Die Amerikaner nannten die deutschen Migranten ein „biersaufendes tumbes Volk“, na dann möchte ich doch nicht so mit dem Bier tituliert werden.
Oder möchten wir lieber „Kartoffeln“ genannt werden…obwohl (gender!) Dies ja eigentlich eine „kulturelle Aneignung“ ist.

Last edited 2 Monate her by Anglesachse
tobilinooo
2 Monate her
Antworten an  Anglesachse

Ich kenne für die Engländer nur den Begriff „Inselaffen“, oder vom Opa halt „Tommy“.
Laut meinem Opa nannten die deutschen Soldaten in der Wehrmacht die Österreicher „Kamerad Schnürschuh“, und die Italiener „Spaguzzis“.

Last edited 2 Monate her by tobilinooo
Epouvantail du Neckar
2 Monate her
Antworten an  Anglesachse

Ach, an „Krauts“ finde ich sogar etwas liebevolles, bissiger ist da schon das auch so gemeinte und gar nicht spaßige „boche“ unserer Erbfreunde.

Tomas Kuttich
2 Monate her

Selber machen, kann ich nur empfehlen!

Buddy
2 Monate her
Antworten an  Tomas Kuttich

Hab ich auch schon gemacht ist echt lecker

Buddy
2 Monate her

War letzte Woche noch im Elsass, herrliches Sauerkrautgericht gegessen, anschließend mit Sekt angestoßen auf die deutsche Flotte und unsere Sektsteuer.

Barbarossa
2 Monate her

Im Elsass feiert das Sauerkraut bis heute Triumphe, hier schmückt es als kulinarisches Aushängeschild in vielen schmackhaften Variationen die bodenständige Küche, verfeinert mit Wein oder Champagner, garniert mit Würstchen, Bauchspeck, Rippchen und Kartoffeln. Typisch deutsch?“
Wie lange war das Elsass deutsch und wie lange war es franzoesisch? Na also.

Timur Andre
2 Monate her
Antworten an  Barbarossa

Mein französischer Freund zum Elsass „das sind unsere Deutschen“
Namen der Bevölkerung anschauen, gerade außerhalb von Le Strasburg!

Barbarossa
2 Monate her
Antworten an  Timur Andre

Genau!

Epouvantail du Neckar
2 Monate her
Antworten an  Timur Andre

Werter @ Timur Andre-Als die grenznahen Bewohner des Elsaß nach der Kriegserklärung an das Deutsche Reich ins Innere Frankreichs, meistens in den Südwesten (Aquitanien) evakuiert wurden, hatten sie dort kein schönes Leben und wurde „sales boches“ genannt.
Warum schreiben Sie „Le Strasburg“ wenn Straßburg bzw. Strasbourg meinen?

Barbarossa
2 Monate her

„Den Briten schien das Kraut zu profan, sie setzten in ihrer Marine vorwiegend auf Zitronensaft.“ Und was ist mit James Cook, der als groesster Entdecker der Briten auf seinen Schiffen Sauerkraut so hoch als Skorbutverhinderer einstufte, dass er es seinen Besatzungen dadurch begehrlich erscheinen liess, indem er es zunaechst als „Offiziersessen“ deklarierte? Weiter: „…Seefahrt, die ansonsten in der deutschen Geschichte keine besonders rühmliche Rolle spielt und ihr maritimes Vermächtnis bis heute der Allgemeinheit in Form einer Sektsteuer aufbürdet, die einst zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte gedacht war.“ Nanana! Die Englaender bewundern heute noch die Hamburger „Flying-P-Liners“, zumal einer von ihnen,… Mehr

Kassandra
2 Monate her
Antworten an  Barbarossa

Wie der Alte Fritz, der die Kartoffeln auf dem Acker von Soldaten bewachen hat lassen sollen – gelistet unter Kartoffelbefehl.
Auch die verstanden beide schon ausreichen von der Psychologie der Massen – und wenigstens darin haben sie Meisterschaft erlangt, die Politiker mitsamt den Medien.

alter weisser Mann
2 Monate her
Antworten an  Barbarossa

Cooks Sauerkraut hin oder her, dass die Briten doch stärker auf Zitronensaft setzen, zeigt allerdings der Spitzname für deren Matrosen: Limey.
Die Admiralität befahl eben 1795 kein Sauerkraut, sondern den täglichen Löffel Zitronensaft. Später wurde ähnliches auch für die zivile Seefahrt verordnet.

Barbarossa
2 Monate her
Antworten an  alter weisser Mann

Nein, das ist nicht richtig. Cook verwendete Sauerkraut schon im Jahre 1769, waehrend die RN erst ab 1795 Zitronensaft bevorzugte. „From 1795 onward, three-quarters of an ounce of lemon juice per day was mandated to be given to every sailor serving throughout the Royal Navy.“

Barbarossa
2 Monate her
Antworten an  alter weisser Mann

Irrtum: Cook verwendete Sauerkraut schon 1769 waehrend die RN erst um 1790 den Zitronen- oder Limonensaft zur Skorbutabwehr befahl.

Franz O
2 Monate her

Das Sauerkraut feiert derzeit eine weltweite Beliebtheitswelle.

Im Zuge koreanischer Kulturgüterexporte wie des K-Pop kennen mittlerweile viele Amerikaner das koreanische Kimchi. Welches in vielerlei Hinsicht einfach nur die koreanische Variante des Sauerkrauts ist. Kimchi wird zwar meist stark gewürzt mit Chili und man verwendet Chinakohl statt Weißkohl. Insgesamt allerdings ist das schon mehr oder weniger das gleiche Produkt.