Früher war nicht alles besser, wahrscheinlich aber ehrlicher. Als das Schnitzel noch König war, der Kellner Kopfrechnen konnte und Musik noch von Hand gemacht wurde, glaubte man an Fortschritt, nicht an Verbote. Heute reden sie von Nachhaltigkeit und Vielfalt und schaffen dabei alles ab, was das Leben einst lebenswert machte. Ein Rückblick auf die „gute alte Zeit“ und warum sie es wirklich war. Von Ingo Swoboda und aufgegessen.info
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In Zeiten, in denen man mit düsterem Blick in eine noch düstere Zukunft blickt, bleibt den sogenannten Babyboomern (geboren zwischen 1955 und 1965) die Erinnerung an Tage, die heute völlig zu Recht als die „gute alte Zeit“ bezeichnet werden und jede Verklärung rechtfertigen. Denn in den 1950er und 1960er Jahren konnte die Mutter noch ordentlich kochen und backen, gab es ausreichend Bäcker und Metzger in jedem Ort, die heimische Gastronomie hieß noch Speisegaststätte und hatte noch keine Jakobsmuscheln, Lasagne oder ein asiatisches Wokgericht mit unaussprechlichem Namen auf der Speisenkarte.
Im rustikalen Wirtshausambiente regierte das deutsche Schnitzel in den Varianten Jäger, Zigeuner, Champignon, Paprika und Zwiebel. Halbe gegrillte Hähnchen gab es in der Thermotüte verpackt „über die Straße“, damals das beliebteste deutsche „to go Gericht“. Derjenige, der den Wein an den Tisch brachte, hieß Kellner oder Ober und konnte ohne technische Hilfsmittel die Rechnung für drei Halbe, eine Limo und zweimal Schnitzel mit Pommes und Salat fehlerfrei im Kopf zusammenrechnen. Fahrrad, und später frisierte Mofas, fuhr man in jeder Geschwindigkeit ohne Helm, Flitzebogen und ein scharfes Fahrtenmesser gehörten zur Grundausstattung eines jeden anständigen Jungen.
Kassettenrecorder dagegen waren noch Luxus, eine kleine Schallplatte kostete 5 DM. Dickmanns hießen Negerküsse oder Mohrenköpfe und den Sarotti-Mohr kannte jedes Kind. Auf der Kirmes aß man feine oder grobe Bratwurst mit Brötchen statt Pizza, Kebab oder belegte Baguettes. Es gab noch Übergangsmäntel und Sonntagsklamotten, Trainingsanzüge, meist in dunkelblau, waren dem Sport vorbehalten. Die langhaarigen Beatles, die in züchtigen grauen Anzügen auftraten, galten als Jugendschreck und als Beweis, wie weit Sitten und Moral bereits verlottert waren.
Die Mode der 1970er Jahren, von blinden Designern im LSD-Rausch kreiert, war schrill und bunt und brachte Farbe ins Spiel. Die Jeans waren unten weiter geschnitten als im Bund, die Schuhe hatten Absätze, die selbst High Heels in den Schatten stellten. Die Musik wurde lauter, die Discowelle schwappt übers Land und verschonte auch die Provinz nicht mit Spiegelkugeln und unmotiviert blinkenden Glühlampen in rot, blau, gelb und grün. In den Diskotheken trank man Asbach-Cola und Cuba Libre, rauchte (auch auf der Tanzfläche) Marlboro oder Camel, und konnte mit 10 DM einen ganzen Abend bestreiten. Bands wurden nicht gecastet, sondern in verruchten Clubs entdeckt. Ihre Musik setzte Akzente, Deep Purple, Supertramp, Uriah Heep, Manfred Mann, Earth, Wind and Fire, Pink Floyd, Police und viele andere schrieben Musikgeschichte.
Fakes waren noch unbekannt, wer eine Ray-Ban-Sonnenbrille (damals 180 DM) mit grünen Gläsern und ein Lacoste-Shirt sein Eigen nennen durfte, hatte die höchste Form der Coolness erreicht. Im Urlaub ging es mit dem Zelt nach Südfrankreich oder Spanien, im schlimmsten Fall mit dem Interrail-Ticket quer durch Europa. Die deutsche Fußballnationalmannschaft wurde Europa- und Weltmeister. Die Spieler hatten verständliche Namen wie Müller und Meier, und Franz Beckenbauer spielte genialen Fußball, statt dämliche Kommentare als Hilfsmoderator in der Glotze abzugeben. Das Wort Migrationshintergrund war unbekannt, auch wenn einige Spieler aus Bayern kamen.
Die 1980er bis zur Wiedervereinigung waren wieder etwas ruhiger. Helmut Kohl wurde auf Lebenszeit zum Kanzler gekrönt und Pfälzisch zur offiziellen Landessprache erhoben. Nach und nach verschwand das deutsche Gasthaus und machte Platz für Pizzerien, China-Restaurants, die ersten Kebab-Höllen und die Griechen, die ihre Restaurants immer Mykonos oder Olympia nannten. Die Weine wurden nach und nach trocken und man war erstaunt, dass offensichtlich auch in Übersee das Winzerhandwerk bekannt war.
Die Reiseziele änderten sich, Mallorca wurde deutsch und die Campingplätze am Gardasee überließ man kampflos den Holländern. Die Popper und Punker entdecken das Friseurhandwerk neu, gleichzeitig entstand eine Null-Bock-Generation und die Yuppies kauften sich den Porsche 924, der eigentlich für Hausfrauen konzipiert war. Das Privatfernsehen startete sein Programm und wer empfänglich war, schaute unter Anspannung „Tutti Frutti“ mit Hugo Egon Balder und viel Frischfleisch.
Und dann kam die Wende! Das Land wurde größer, die Wirtschaft im Osten brach zusammen, während sie im Westen, der glaubte, in den neuen Bundesländern in jeder Beziehung Entwicklungshilfe leisten zu müssen, boomte. Als Rache schickten die Ossis eine gewisse A. Merkel ins Rennen um die ewige Kanzlerschaft. Alles danach war (und ist) Konkursverwaltung. Wir sind geschafft.

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„We all know, what memories can bring, they bring diamonds and rust…“ – frei nach der Judas Priest-Version, denn ich erlebte die 80er in der Bundesrepublik als Metalfan. Selbst Metal ist heute nur noch überproduzierte Plastikkacke und infantiler Mummenschanz, und jeder kann das Gegröhle in 5 Minuten lernen, während damals Sangesakrobaten wie Halford und Dickinson nebst gestandenen Shoutern wie Brian Johnson und Lemmy Kilmister unverwechselbare Maßstäbe setzten. Die Szene ist heute völlig durchgrünt, „Rock Hard“ und „Deaf Forever“ folgen bravest dem linksgrünen Mainstream. Damals in den 80ern hat man als stolzer Metaller auf grüne Schießbudenfiguren keinen Pfifferling gesetzt, auf Kohl… Mehr
Im Dresden der 90iger gab es zwar schon Döner, aber dick gefüllt und richtig gut für DM 3,5. Heute ausgestorben, gab es damals auf dem schmalen Geldbeutel abgestimmte Kneipen mit Billigbier und -wein, Sülze mit Bratkartoffeln oder Erbsensuppe. Man kam mit wenig Geld übers Wochenende, auch als Schüler, trotzdem vollversorgt mit Alkohol, Zigaretten und Essen. Als Katerfrühstück lockten auch sehr günstige Hackepeterbrötchen frisch vom Fleischer oder ebenso billige Blechkuchen vom Bäcker um die Ecke. Alles Geschichte.
Zitat: „eine kleine Schallplatte kostete 5 DM“
> Jau, stimmt, für die von beiden Seiten bespielte „Single“ mußte man damals schlappe 5 Ocken blechen. – Was damals in den 60ern und 70ern als musikbegeistertes und Ilja-Richter-gestähltes „erwachsenes“ Kind oder als Jugendlicher verdammt viel Geld sein konnte/war.
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UND zu, „Früher war nicht alles besser“: stimmt, „nicht alles“. Doch aus heutiger Sicht war dann aber doch „vieles“ besser.