In Deutschland gehen die Lichter aus

Die Stadt Köln verdunkelt wegen der Energiekrise den Dom. Es ist nur ein Beispiel von vielen. Es ist eine Metapher für den Niedergang des Abendlands: Der Mangel wird nicht als solcher begriffen, sondern als Chance, die „Lichtverschmutzung“ zurückzudrängen.

IMAGO / Reichwein

Köln verdunkelt seinen Dom. Was sonst nur als politische Geste Anwendung fand, entspringt diesmal der Energiekrise. Die Sparmaßnahmen zwingen nicht nur die Domstadt zu Einschnitten. Auch in Berlin soll die Straßenbeleuchtung verändert und „gedimmt“ werden, Baudenkmäler in nächtlicher Finsternis verharren. Auch in anderen europäischen Ländern bestehen ähnliche Überlegungen. Selbst der durch Scheinwerferfarben sonst so häufig zelebrierte Moralismus, etwa auf der Fassade des Brandenburger Tors, muss ausfallen. Selbst dafür fehlen dem alten Kontinent die Kräfte.

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Es könnte eine Notiz sein, die man in einen Zettelkasten der Sammlung von politischer Unfähigkeit und ideologischer Verbohrtheit einordnet – wohl wissend, dass weitere folgen. Doch zugleich steht der Sparzwang für eine historische Metapher. Die De-Industrialisierung der Alten Welt ist keine Phrase mehr. Insbesondere das Energiewendeland Deutschland, dass so viel „smarter“ sein wollte als seine Nachbarländer, steht in der ersten Reihe. Ausgerechnet der deutsche Nationalstaat, der während der Hochphase der Industrialisierung mit seinen Tüftlern und Erfindern berühmt für seine Innovationskraft gewesen war.

Von Edison stammt das (leicht veränderte) Zitat: „Sobald der Strom allgemein verfügbar ist, wird niemand außer den Verschwenderischen Kerzen anzünden.“ Elektrizität sollte also so billig werden, dass Kerzen zum Luxus würden – das war das Versprechen einer neuen Epoche, in der nicht nur die Bahnhöfe als neue Kathedralen aus Stahl in den Himmel wuchsen, der drahtlose Funk die Kommunikationsmöglichkeiten revolutionierte und mit dem Flugzeug die letzten Grenzen der Menschheit überwunden werden sollten. Der Diesel-Motor galt damals als revolutionäre Erfindung, die eine möglichst große Leistung mit wenig Aufwand bedeutete.

In diesem letzten Kapitel des Westens aus Fortschrittsglauben und faustischem Geist war die pausenlose Nutzung von Licht das, was in Renaissance und Barock Marmor, Blattgold und Elfenbein waren. Städte inszenierten sich als Orte des Lichts, Licht bedeutete Wohlstand, bedeutete Aufbruch, bedeutete die Bezähmung der Natur durch den Menschen: Er trotzte nun nicht nur dem Tag, sondern auch der Nacht.

Die Erinnerung an diesen historischen Hintergrund macht umso deutlicher, wie wenig von dieser Mentalität im heutigen Abendland übrig ist. Selbstbeschneidung, ökologischer Gedanke und Einsparungen prägen den Diskurs. Vor hundert Jahren hätten die Europäer rücksichtlos nach neuen Ressourcenfeldern oder neuen Energiequellen gesucht; auch auf Kosten anderer Länder und inklusive möglicher Kolonialkriege. Es war derselbe Menschenschlag, der später die Atombombe erfand – und dann friedlich nutzte.

Zugleich wird deutlich, dass wir zwar nicht mehr dieselben Menschen sind – aber grosso modo immer noch die Infrastruktur des beginnenden 20. Jahrhunderts nutzen. Selbst die Platzhirsche der deutschen Konzernwelt sind Relikte aus Kaisers Zeiten: Die bekanntesten Beispiele sind RWE, Daimler oder auch die Allianz. Das bis heute genutzte Eisenbahnnetz ist größtenteils ein Erbe der Reichsbahn – ebenso wie die Post oder die Telekom. BASF und Siemens sind sogar noch älter. Die heutige Bundesrepublik fußt immer noch auf dem Erbe aus einer Zeit, als das Deutsche Reich als Kolonial-, Militär- und Wirtschaftsmacht die Welt in Atem hielt.

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Umso stärker sprechen die Aussichten auf den verdunkelten Kölner Dom. Die gotische Kathedrale feierte ihre Vollendung nicht im Mittelalter, sondern im Industriezeitalter, mit einem nach damals modernsten Gesichtspunkten gebauten Eisendachstuhl. Für einen nicht geringen Teil der veröffentlichten Meinungen gilt die Industrialisierung mittlerweile als dunkle Zeit von Überfluss, Verschwendung und Raub an der Natur. Den westlichen Ländern wird gar das damals produzierte CO2 als Erblast auf die Schultern gelegt. Edison spielt keine Rolle mehr – außer im Museum.

Viel ist von der Abwicklung der Industrialisierung die Rede. Doch das weckt nur den optimistischen Gedanken an eine Rückkehr der Frühen Neuzeit. Doch die Frühe Neuzeit hatte eine prosperierende Bevölkerung, einen Willen zur Selbstbehauptung, ein gefestigtes christliches Fundament und war überdies das Anfangszeitalter europäischer Dominanz, beginnend mit dem spanischen Imperium und schließend mit der angelsächsischen Vorherrschaft.

Wie sehr das Problem nicht (allein) in der Materie, sondern im Geist zu verorten ist, zeigt sich am Umgang mit der Krise. Wo die Europäer früher in Nussschalen nach Indien und Amerika aufbrachen, fällt ihnen heute nur noch die Mangelverwaltung wie in einer postsowjetischen Dystopie ein. Kälte, so vermelden die Medien, sei gut gegen Krebs, und mit der Rückkehr in die Nacht leisten wir einen wichtigen Teil zur Bekämpfung von „Lichtverschmutzung“. Europa hat mehr als nur ein Wärme- oder Gasproblem.

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Kommentare ( 80 )

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Nachdenkerin X
1 Jahr her

Kürzlich las ich ein Hohelied des Verzichts, nämlich wie geschickt doch die Leute in der Nachkriegszeit waren. Sie kamen auf die angeblich so wunderbare Idee, aus Baumrinde Brot zu backen. Na prima, ohne Strom im 10. Stockwerk gelingt das zweifelsohne.
Auch Mehlwürmer wurden uns ja zur „Klimaschonung“ schon schmackhaft gemacht.
Wenn solche Pläne dem Volk präsentiert werden, scheint man selbst in der sogenannten Regierung der Zukunft nicht mehr so recht zu trauen …

Th. Radl
1 Jahr her

Der Kölner Dom ist zwar ein schönes Beispiel, und im Tenor bin ich beim Autor. Aber in Köln vermischen sich damit auch noch mehrere andere Probleme: Die „Kölner“ sind seit einigen Jahren viel stolzer auf die Zentralmoschee in Ehrenfeld. Die ist zwar Außenstelle des Sultanats am Bosporus, die Hüteren werden, egal wie weit sie sich dafür aus dem Fenster gelehnt haben, nicht mal zur Einweihung eingeladen. Aber das ficht den Gutmenschen im Allgemeinen ja sowieso nicht an. Man liest auch gar nicht, ob die sich an der (kriegsbedingten? man kommt auf komische Gedanken bei den aktuellen Umständen) Verdunkelung überhaupt beteiligen.… Mehr

Johann Thiel
1 Jahr her

Die Menschen haben sich von Gott abgewandt und damit von allem Guten und Schönen. Seitdem sind sie haltlos, fallen auf falsche Propheten herein, nehmen inhaltsleere Ersatzreligionen an. Es ist ihnen zu lange zu gut gegangen, als dass sie glauben Gott noch zu brauchen, die meisten können nicht einmal zwischen Gott und Kirche unterscheiden. So lebt sich völlig ungeniert – ohne Gott, ohne dessen Zorn, der früher oder später auf sie wartet, bis hin zur völligen Schamlosigkeit. Gut und Böse können sie nicht mehr auseinanderhalten weil sie die christlichen Werte weggeworfen haben, lieber lassen sie Zeitgeist und Medien darüber entscheiden. Aber… Mehr

Esteban
1 Jahr her

Natürlich möchte ich nicht in einem Ort leben, wo abends um 20 Uhr alle LIchter gelöscht werden. Aber Lichtsmog ist tatsächlich ein Problem für Insekten und andere nachtaktive Tiere, sowie für Menschen, die zum Schlafen nicht die Rollos herunterlassen möchten. Vielleicht reicht es, von 24 bis 5 Uhr auf die Fassadenbeleuchtung oder die Beleuchtung zu dieser Zeit nicht genutzter Bus- und Bahnhaltestellen zu verzichten, und die Strassenbeleuchtung auf tatsächlich frequentierte Bereiche zu beschränken. Die Vorstellung, jederzeit überall alles verfügbar zu haben, ist meines Erachtens Ausdruck einer Wohlstandsgesellschaft, während die Menschheit über Jahrhunderte hinweg ganz gut mit der Dunkelheit in der… Mehr

Franjo
1 Jahr her
Antworten an  Esteban

Es geht nicht um intelligente Beleuchtungssysteme oder Fortschritt, es geht um Rückabwicklung. Niemand hätte etwas gegen Bewegungsmelder z. B. an Bushaltestellen oder ähnliches einzuwenden! Deutschland soll einfach ohne Industrie und daher Klimaneutral werden .. Da passt es dazu, dass die derzeitigen Flüchtlinge alle aus Ländern kommen wo solche Bedingungen normal sind und Klimaneutralität gegeben ist weil keine Industrie…die muß man nicht mehr an die neuen Bedingungen gewöhnen. Es ist ein Glaubenskrieg ohne göttliche Beteiligung. Ideologie pur.

Elki
1 Jahr her

In diesem Land müssen unzählige, insbesondere grüne und rote „Berater“ damit beschäftigt sein, jedes (auch selbst verschuldete Übel) im Sinne von rotgrünem Machterhalt umzudeuten und für die eigene Ideologie zu nutzen. Eine Mitkommentatorin nannte ein treffendes Beispiel – eine Demontage des christlichen Kreuz auf zwei Kirchen in ihrer Nähe (mit demnach fadenscheinigen Gründen). In diesem Land ist offenbar Vieles Nichts (mehr), nach dem es scheint.

Klaus Kabel
1 Jahr her

Das Geburtsdatum des demokratische Deutschland war der 23. Mai 1949. Am 22. November 2005, als Merkel an die Macht kam, wurde es krank, und am 11. März 2011 trat ein Ereignis ein, daß letztendlich den Untergang Deutschlands einleitet. Fukushima spülte die Grünen nach oben und der Energieirrsinn begann. 2015 Dann der endgültige Todesstoß mit der Überflutung Deutschland durch kulturfremde Migranten. Nach Merkel dann die massive Ideologisierung durch eine verkommen, dekadent politische Kraft, die schon zu Merkels unseligen Zeiten politischer Taktgeber war. Der Untergang Deutschlands weist starke Parallelen zum Untergang des Römischen Reiches auf. Es sind mehrere Gründe für den Fall… Mehr

Franz Guenter
1 Jahr her

Meine Mutter sagte immer: „Wenn du ein Volk vernichten willst, gib ihm Wohlstand.“ Ich ergänze: Und zerstöre seine Bildung, indem das Abitur so leicht gemacht wird, daß jeder es erreichen kann. Dann ist es nichts mehr wert. Das Ergebnis sehen wir heute in den Parlamenten, dem ÖRR und so weiter. Versuchen sie einmal heute, einen fähigen Handwerker zu bekommen. Oder eine Autowerkstatt, in der die Techniker ihr Metier tatsächlich beherrschen, Oder oder oder… Wir sehen den Niedergang einer Nation, und ich habe die Hoffnung verloren, daß sich dieses noch ändert. Auch beten im schönen kölschen Dom wird da nicht mehr… Mehr

bfwied
1 Jahr her
Antworten an  Franz Guenter

Stimmt leider! An meiner Heizung waren nur zwei Teile defekt, die mit Einbau etwa 400 E kosteten, aber die Monteure probierten dies und jenes, und die Rechnung betrug knapp 3000! Eine neue wäre billiger gewesen.
Zu den Parlementariern v. a. der Grünen, aber auch SPD/Linke: Wer hat eine solide höhere Ausbildung und Berufserfahrung? Sehr wenige haben eine Berufsausbildung, viele sind gescheiterte Existenzen, zu denen auch Bärbock gehört, denn auch die hat nur erlogene Ausbildungen, sie hat nichts!

Klaus Weber
1 Jahr her

Was ist das denn für eine Schnapsidee!? Hat jemand schon mal gehört, daß es nachts Stromspitzen und damit Probleme mit der Stromversorgung gibt? Wieder mal Symbolpolitik ohne Hirn, wie immer…..

Eberhard
1 Jahr her

Die eigenen Erfahrungen eines Alten. Erst gehen die Lichter aus und danach kommen trotzdem die Bomben.

fatherted
1 Jahr her

Ich denke mal das ist die Dekadenz einer Wohlstands-Generation. Arbeiten kennt man nur noch aus alten Filmen….es steht die „work-live-balance“ im Vordergrund. Gerade laufen auf ARD und ZDF entsprechende Dokus über „digitale Nomaden“….arbeiten am Strand oder wann und wie es mir gerade gefällt. Ab in den Camper und quer durch Asien…mit den Kids…damit die „neue Freunde finden (lach)“. Insofern…alles nicht erstaunlich. Man findet beim Nachwuchs nur noch wenige, die eine 5 Tage Woche durchhalten. Bei Überstunden geht bei fast allen nichts mehr. Am nächsten Tag krank….mindestens eine Woche….total „ausgebrannt“. Ach und zum Thema burn out….jeder Grund ist da gerade recht….Frau… Mehr

bfwied
1 Jahr her
Antworten an  fatherted

Wir haben ca. 2,5 Mio. Arbeitslose (inkl. ein paar Ukrainern) und 3,25 Mio. Unterbeschäftigte plus die Paar-Hundert-Euro-Jobber. Aber auf den Feldern fehlen den Bauern die Erntehelfer, den Gaststätten die Mitarbeiter, dem gesamten Medizinsektor fehlen sie ebenfalls – zu wenige Ärzte, zu wenige Pfleger etc., und das nicht nur wegen des Corona-Wahnsinns -, es fehlen Lastwagenfahrer, gute Mechaniker etc. Wenn nun das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wird – von welchem Geld eigentlich? -, wer arbeitet dann überhaupt noch? Gewiss nicht diejenigen, die nur ungern lernen, diszipliniert schon gar nicht! Deutschl. geht bankrott, auf allen Feldern in jeglicher Hinsicht. Asiatische Universitäten haben schon… Mehr

Alexis de Tocqueville
1 Jahr her
Antworten an  fatherted

Da ist sicher einiges dran. Ein paar Gedanken dazu, wenn es genehm ist. Natürlich muss man dieser Gesellschaft Dekadenz diagnostizieren. Ohne Frage. Aber ganz so simpel und Schwarz-Weiß, wie Sie es hier darstellen, ist es dann doch nicht. Dieses ganze Gaga, welches Sie beschreiben, „digitale Nomaden“….arbeiten am Strand oder wann und wie es mir gerade gefällt. Ab in den Camper und quer durch Asien…mit den Kids…“, das gibts nur im ZDF und auf Youtube, Instagram & Co. Ein paar wenige Leute leben sogar wirklich so. Ein paar wenige gewinnen auch im Lotto, heiraten ein Supermodel oder bekommen eine Krankheit, die… Mehr