Was ist aus der Tischkultur geworden? Unpassende Kleidung, Rauchen zwischen Vorspeise und Hauptgang, Kinder als Tischdeko und das Restaurant als Büro. Einem Wirt platzt der Kragen und er fragt sich, ob Gäste heute noch wissen, was es heißt „zu Gast“ zu sein. Von Georg Etscheit und aufgegessen.info
picture alliance/ANN / The Nation | -
Szene aus einem traditionsreichen Gourmetlokal im Badischen. Die meisten Tische sind besetzt, uns gegenüber hat sich eine Gruppe von Männern mittleren Alters niedergelassen. Einer von ihnen tut sich als Weinkenner hervor, ordert die Flaschen, die der Sommelier herbeischafft. Man verkostet, fachsimpelt, wendet sich dann dem Amuse bouche zu. Der Patron, ein bekannter Mann nicht nur in der Gastroszene, geht von Tisch zu Tisch, macht die Honneurs. Etwas länger verweilt er an dem Tisch gegenüber, offenbar kennt man sich. Jetzt wendet sich das Gespräch dem Fußball zu.
Irgendwann zwischen Vorspeise und Hauptgang meint ein Teil der Gruppe, sich einen Zug aus der E-Zigarette oder einem echten Glimmstängel gönnen zu müssen. Man erhebt sich, wirft sich, es ist Spätherbst, etwas Warmes über, begibt sich vor die Tür. Zwischenzeitlich wird der nächste Gang aufgetragen, das Serviceteam ist verunsichert, ob man die Teller vor den leeren Stühlen platzieren soll, weil niemand weiß, wann genau mit der Rückkehr der rauchenden Gäste zu rechnen ist.
Der Patron beobachtet die Szene eine Zeitlang und beginnt dann, für alle hörbar, seine Gäste abzukanzeln. „Das ist doch keine Tischkultur“, brüllt er. Sein Team maloche seit neun Uhr morgens, um allen einen großartigen Abend zu bieten und dann ein solches Verhalten! Die Philippika hat es in sich; die Gäste wirken betreten, kleinlaut, niemand wagt zu widersprechen. Auf der Reservierungsbestätigung des Restaurants findet sich folgender Satz: „Für einen ungestörten Weingenuss aller Gäste bitten wir, auf das Auftragen von Parfüm zu verzichten.“
Darf ein Gastwirt seine Gäste belehren? Darf er ihnen Vorschriften machen, wie sie zu erscheinen, wie sie sich zu verhalten haben? Rechtlich gesehen lautet die Antwort: Ja, denn er besitzt das uneingeschränkte Hausrecht. Doch in der Praxis sieht das ganz anders aus, dürfen die Gäste meist machen, was sie wollen. Die Konkurrenz ist groß, niemand will seine zahlende Klientel bevormunden und mit Vorschriften belästigen. Selbst wenn man sich als Gast hilfesuchend an den Wirt wendet oder den Oberkellner mit der Bitte, wegen einer Belästigung einzuschreiten, erntet man oft nur ein Achselzucken.
Der Gast ist König, heißt es. Ja, auch das stimmt. Aber der Gast ist eben auch „zu Gast“ in einem Gasthof, in dem es einen „Gastgeber“ gibt. Ein Gasthaus ist kein erweitertes Wohnzimmer, wo man all das machen kann, was man sich im privaten Kokon einfallen lassen könnte. Das beginnt bei der Kleidung, der persönlichen Sauberkeit, Ton und Lautstärke der Konversation und endet damit, wie man mit Kindern und Haustieren umgeht.
Einen Dresscode haben nur noch sehr wenige Restaurants. Meist ist „Casual Dining“ angesagt und selbst wer in Shorts erscheint mit Badelatschen an den Füßen wird in der Regel anstandslos bedient. Dass Eltern ganze Spielesammlungen auf den Tisch schütten, um die Kinder bei Laune zu halten, ist genauso Usus geworden, wie jene Gäste, die sofort ihr Laptop aufklappen und die Gasträume zum Büro umfunktionieren. Ganz abgesehen von Müttern und Vätern, die ihre Kinder auf den Esstischen wickeln, im Angesicht speisender Gäste ihre Babys stillen oder ohne Rücksicht auf Dritte persönliche Konflikte austragen. Nicht zu vergessen, die lästige Manie, dauernd alles bei Tisch zu fotografieren und umgehend in den sozialen Medien zu verbreiten.
Leider geraten auch die Regeln, wie man sich beim Essen selbst benimmt, zunehmend in Vergessenheit. Immer mehr Menschen hantieren mit Messer und Gabel auf eine Weise, als würden sie diese Instrumente einer kultivierten Nahrungsaufnahme zum ersten Mal in Händen halten. Kein Wunder, wenn man nur noch unterwegs aus der Pappschachtel ernährt – aber eben oft kein schöner Anblick.
Darf ein Patron also einschreiten, wenn ihn etwas in massiver Weise stört oder er andere Gäste gestört sieht? Klares Ja! Er muss sogar. Er sollte er es auf eine ebenso freundliche wie nachdrückliche Weise machen, die Situation und seine Entscheidungsgründe offenlegen, wobei es Grenzen gibt. Einen Gast zu einem anderen Umgang mit dem Besteck aufzufordern, wäre unangebracht, weil dies einen empfindlichen Eingriff in die Privatsphäre darstellt.
Am elegantesten ist es, gleich bei der Reservierung auf die eine oder andere Spielregel hinzuweisen. Warum nicht, wie in einem Restaurant im südhessischen Rheingau, den Gästen höflich nahezubringen, dass die Küche sich weigern wird, ein Steak durchzubraten, selbst wenn der Gast darauf besteht. „Nur Ahnungslose können solch ein Stück Fleisch durchgebraten bestellen. (…) Gerne akzeptiere ich es, wenn Gäste kein rohes oder halbgares Fleisch essen möchten, dafür gibt es aber andere Stücke zum Kochen oder Schmoren…“
Einschränkend ist zu sagen, dass nicht alle Gastwirte über ein Renommee und ein Standing verfügen wie der eingangs erwähnte Patron im Badischen. Wer sich mit seinen Gästen anlegt, muss damit rechnen, sie das letzte Mal gesehen zu haben. Andererseits können es andere Gäste honorieren, wenn gelegentlich im Interesse aller oder der Esskultur als solcher ein deutliches Wort nicht gescheut wird.



Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
„Dürfen Wirte ihre Gäste belehren?“ Unbedingt!
Und wer mit Hunden speisen will, soll sich in die Hundehütte hocken.
Ich war vor einiger Zeit in ein 2-Sterne-Restaurant eingeladen. Meine Güte. Reine Show-Veranstaltung. Riesen-Tralala um den Wein. Der Gastgeber ließ sich beraten, Ok. Nehmen wir den. Teuer, schmeckte aber nicht mal besonders. Die Gänge, vom Ober beschrieben, dies und jenes mit dem an dem. Miniportiönchen. Sehr übersichtlich, nach Loriot. Hauptgang: Exotischer Fisch. Geschmacklos. Wie Fisch halt von Natur aus ist. Und voller Gräten. Auch nicht besser als der gefrorene Alaska-Seelachs vom Aldi. Außer, dass der kaum Gräten hat.
Ich kann den Gastwirt verstehen. Viele unserer Zeitgenossen sind ignorante Idioten, die Stil, Anstand und Knigge nicht mal ansatzweise kennen. Ich, JG ’79, wurde noch so erzogen, dass man Kinder z. B. sehen aber nicht hören durfte. Rumrennen, schreien, spielen – da dachtevman nicht mal drüber nach. Im Restaurant wurde still und brav gesessen, bis das Essen kam. Man ass dann, was vorher von den Eltern bestellt wurde. Angefangen immer mit dem Fleisch, denn Beilagen konnte man im Zweifel zurück gehen lassen. Etwas später lernte man dann die Kommunikation mit dem Service über die richtige Lage des Besteck. Heute versteht… Mehr
Ich bitte doch darum, dass Regeln eingehalten werden und darauf aufmerksam gemacht werden.
Aus dem Nordbadischen. Hier beobachte ich, dass vor allem griechische Restaurants auf Etikette Wert legen. Dort sind die Kellner auch am besten angezogen.
Wir haben hier in Karlsruhe in den Schrebergärten ein griechisches Restaurant. Kellner immer piko-bello angezogen. Da habe ich dann schon Bauchschmerzen, wenn ich nach dem Fahrradfahren in den Biergarten einkehre.
In die Räumlichkeiten aber nur gut angezogen, nie mit kurzen Hosen.
In Biergärten frage ich bei mir unbekannten Wirten, ob mein Aufzug durchgeht.
Ein sehr schöner Artikel über ein Thema, das eigentlich völlig zu unrecht links liegen gelassen wird.
Wenn Prölle sich den Bauch vollschlagen will, kann er das ja gerne unter seinesgleichen tun.
Ich bin diesem Wirt sehr dankbar für seine Courage.
Und genieße es unendlich, mich an einen gepflegten Tisch mit Tischdecke setzen zu können und mich dann von freundlichem Personal bedienen zu lassen.
Und rausrennen zum schmöken geht natürlich überhaupt nicht!
Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert… Egal, wo man hinschaut: die totale Überindividualisierung, Ego-Tripping, der Verlust des minimalsten Schamgefühls, ein hemmungsloses „ich bin so frei“. Im Grunde die Proletarisierung immer breiterer Bevölkerungsschichten. Und diese Menschen haben Kinder. Die wachsen auf ohne jegliche Begrenzung, ohne Benimm oder ein vages Gefühl dafür. Viel wird ja über die Entsolidarisierung, den Kulturverlust durch die Masseneinwanderung aus Arabistan geklagt, aber zu dem allgemeinen Verfall jeder Norm tragen wir selbst genügend bei. Es gibt Tage, an denen man gar nicht mehr auf die Straße gehen möchte…
Also ich verkehre nicht in solchen oben beschriebenen Gaststätten. Bei unserem Kroaten geht es häuslich gemütlich zu. Der Hund eines Gastes ist ebenso gern gesehen, wie jemand einfach nur in seiner schlapprigen Alltagskleidung. Die Gäste werden meist mit Handschlag begrüßt und der „Patron“ geht zwar von Tisch zu Tisch und dann wird einfach nur ein bisschen getratscht. Zum Abschied winkt man sich bis zum nächsten Mal zu. Es ist einfach nur gemütlich, wie im Wohnzimmer zu Hause. Wenn mir jemand Vorschriften machen würde, wie ich zu sein oder auszusehen habe, dann würde ich nie wieder in so eine Gaststätte gehen
Ein Gastronom der nicht weiß das seit COVID andere Zeiten angebrochen sind wäscht wahrscheinlich nur Geld aus anderen Quellen und betreibt das aus Hobby.
Was ich aus der Gastronomie höre ist nur Not und Elend.
Leider.
Meine Kunden sind so lange König, bis sie sich wie ein Bauer benehmen!