Gottes Existenz: eine Sache der Vernunft?

Glaube und Vernunft sind für den Zeitgenossen, der sich vom Licht der Vernunft erleuchtet wähnt, ein unversöhnlicher Gegensatz. Spätestens seit Kants Kritiken gilt ihm: was Gott betrifft, könne man sich nicht auf die Vernunft, sondern höchstens auf den Glauben berufen. Sebastion Ostritsch zeigt mit „Serpentinen“ das Gegenteil.

Herr Ostritsch, Thomas von Aquin wollte diejenigen widerlegen, die gegen eine Existenz Gottes argumentieren.  Konnten Sie ihm nach 750 Jahren noch helfen? 

Es wäre vermessen zu sagen, ich helfe dem Thomas jetzt mal auf die Sprünge. Seine Gottesbeweise sind schlicht genial, aber eben in der Darstellung äußerst kompakt und kondensiert. Eine Hilfe habe ich also hoffentlich dadurch geleistet, dass ich seine Argumentation für ein heutiges Publikum entfaltet und dabei auch Dinge erläutert habe, die für uns nicht mehr selbstverständlich sind. Ein zweiter Punkt, in dem ich behilflich sein konnte: die späteren Angriffe Immanuel Kants auf die Gottesbeweise abwehren.

Die „Serpentinen“ in Ihrem gerade erschienenen Buch führen ins tiefe Mittelalter und in die hohe Gegenwart. Waren die Zeiten damals grundsätzlich schlechter als heute? 

Im Gegenteil. Im Buch gibt es ein eigenes Kapitel zu den falschen Vorurteilen über das „dunkle Mittelalter“. Das Mittelalter war äußerst hell, ja gleich doppelt erleuchtet: vom Licht der Vernunft und vom Licht des Glaubens. Man denke nur mal an die Gründung der Universitäten, die großartige gotische Architektur, aber auch wirtschaftlich-technische Innovationen wie die massive Nutzung von Wasserkraft oder die Einführung der Dreifelderwirtschaft. Wir, die nach der Aufklärung leben, wissen leider oft gar nicht, wie ungebildet wir sind.

Ihre „Serpentinen“ bewegen sich in Schlangenlinien, Ihre Abrechnungen sind geradeheraus: Gelehrte aus Studienzeiten, die Aufklärung, Kant. Sind Sie ein „Alleszertrümmerer“ mit gesundem Menschenverstand? 

Der gesunde Menschenverstand ist tatsächlich unter die Räder gekommen, in der öffentlichen Debatte, aber ganz besonders auch in der akademischen Philosophie. Wir sind bei einer intellektuell enorm aufwändigen Wirklichkeitsleugnung angelangt. Denken Sie nur mal an die Debatte, wie viele Geschlechter es gibt.

Versöhner von Vernunft und Glauben
Der stumme Ochse als wilder Stier: Thomas von Aquin
Die Philosophie des Thomas ist so attraktiv, weil sie vom Alltäglichen und Wohlbekannten ausgeht und sich dann in metaphysische Höhen schwingt, um diese Phänomene begreiflich zu machen, statt sie wegzuerklären oder umzudeuten. Ich sehe mich als kleiner Gärtner im philosophischen Garten des gesunden Menschenverstandes.

Mit Thomas von Aquin erheben Sie auch andere zu Pfadfindern auf den Serpentinen der Wahrheitssuche, von Aristoteles bis Maimonides. Glaube und Vernunft: Hat Papst Benedikt Ihnen von oben über die Schulter geschaut? 

Papst Benedikt war ganz entscheidend dafür, dass ich mein Denken für den katholischen Glauben und die christliche Philosophie geöffnet habe. In meinem früheren Leben war ich ja überzeugter Hegelianer. Dass Glaube und Vernunft zusammengehören, ist ja ein von Katholiken oft zitierter Gemeinplatz. Es ist aber gar nicht so leicht auszubuchstabieren, wie genau das Verhältnis ist.

Sogar mit der Quantenphysik nehmen Sie es auf. Hätten Sie nicht da den gläubigen Max Planck als Kronzeugen für die Gottesgegenwart in den Naturgesetzen anführen können? Oder Einstein, dessen Gottesbegriff sich in der Ordnung des Universums offenbart? 

Völlig richtig: Es ist ein Irrglaube, dass das Studium der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten zwangsläufig von Gott wegführe. Das Gegenteil ist eher der Fall, zumindest wenn man nicht von vornherein annimmt, dass es nur die Dinge geben kann, die sich auch zum Objekt der Naturwissenschaften machen lassen. Meine Auseinandersetzung mit der Quantenphysik ist ja sehr begrenzt: Es geht mir darum, dass die Existenz von Prozessen, die nicht streng deterministisch ablaufen, die also Zufall beinhalten, nicht heißt, dass das Prinzip von Ursache und Wirkung außer Kraft gesetzt wäre.

Ihre Serpentinen schlängeln sich auch, weil sie abenteuerlichen Metamorphosen der Welt und des Denkens folgen. Spüren Sie diese Metamorphosen auch in Bezug auf andere Gewissheiten unserer Zeit? 

Sebastian Ostritsch
Cancel Culture: Wenn Philosophen unerträglich werden
Wir sind, mit dem Philosophen Eric Voegelin gesprochen, im Zeitalter der sekundären Realitäten angekommen: Wir sehen eine Verkapselung des menschlichen Geistes gegen die Wirklichkeit, gegen die Vorgegebenheiten der menschlichen Natur und die Schöpfungsordnung. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Am Ende werden Sie beim Gottesbeweis fast politisch. Um sich überzeugen zu lassen, muss man sich auch überzeugen lassen wollen, stellen Sie mit Blick auf den Evolutionsbiologen und Atheisten Dawkins fest. Der fehlende Wille zu glauben: eines der Hauptprobleme deutscher Gegenwart? 

Nicht nur der deutschen Gegenwart! Das ist wohl ein weltweites, zumindest westliches Hauptproblem unserer Zeit. „Politisch“ war dieser abschließende Punkt meines Buches aber gar nicht gemeint, zumindest nicht primär. Eher ging es mir um etwas Existenzielles: Das beste Argument wird fruchtlos bleiben, wenn das Herz verhärtet ist. Glaube ist letztlich eben keine intellektuelle Leistung, die wir uns anrechnen lassen könnten, sondern ein Geschenk Gottes. Aber die Gottesbeweise können vielleicht dabei helfen, diese Gnade des Glaubenkönnens leichter anzunehmen, wenn sie uns gewährt wird.

Dieses Interview von Henry C. Brinker mit Sebastian Ostritsch erschien zuerst unter dem Titel „Wir sind im Zeitalter der sekundären Realitäten angekommen“ in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme. Jetzt drei Ausgaben kostenlos testen: Die Tagespost-Probeabo.

Sebastian Ostritsch, Serpentinen. Die Gottesbeweise das Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung. Matthes & Seitz, 220 Seiten, 20,00 €.


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