Realitätsverweigerung auf höchster Ebene

Schönfärberei der Lage durch die Institute, Unverschämtheiten des Bundeskanzlers – die Entscheidungsebene der deutschen Wirtschaft und Politik durchläuft in diesen Tagen die Phase des ersten Realitätsschocks. Bis zur Fehleranalyse ist es wohl noch ein weiter Weg.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Sie sind in Berlin ganz offenkundig nicht zufrieden mit dem Volk. Vor allem der Bundeskanzler wirkte während seiner Rede bei der Mittelstandsunion der CDU (MIT) sichtlich entgeistert vom Bürger.

Friedrich Merz appellierte an die Deutschen, weniger zu klagen und stattdessen mehr Eigeninitiative und Zuversicht zu zeigen. „Hören wir doch mal auf, so larmoyant und so wehleidig zu sein in diesem Land.“ Folgen wir den Worten des Kanzlers, jammern wir uns also in die Krise hinein.

Unverschämt und abgehoben

Merz betonte die internationale Attraktivität des Standortes Deutschland und forderte, mehr Optimismus und Tatkraft an den Tag zu legen und stellte klar: „Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll.“ Ob Merz hier möglicherweise noch in Gedanken beim Oktoberfest weilte, wissen wir nicht.

Doch ist der unappetitliche Beigeschmack, den der bizarre Auftritt des Krisenkanzlers bei der MIT hinterlassen hat, mehr als lediglich ein rhetorischer Fauxpas. Merz erlaubte uns einen unmittelbaren Einblick in die Gedankenwelt einer politischen Kaste, deren ideologiedurchtränkte, beinahe kultische Abhängigkeit von der öko-sozialistischen Doktrin die Existenz von Millionen Familien bedroht.

Man fasst es im Grunde nicht, aber ausgerechnet diejenigen, die für den sichtbar dramatischen Verfall der Bundesrepublik die Hauptverantwortung tragen, besitzen die Chuzpe, sich über die mehr als berechtigte Kritik der Menschen im Land, die täglich ihre Leistung abrufen, zu erheben.

Spahn sieht Bürger am Zug

Auch Merz’ Parteikollege und Vorsitzender der Unionsfraktion, Jens Spahn, lebt in derselben Welt politischer Illusionen. Deutschlands ökonomischer Kollaps stellt sich ihm als eindimensionales Verteilungsproblem dar. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) machte Spahn deutlich, die Politik habe das Ihrige getan, die Krise zu überwinden, die seit 2020 weit über eine Million Jobs gekostet hat.

Ausland registriert Verzwergung Deutschlands
Die „Financial Times“ zerlegt den deutschen Sozialstaat
Man habe schließlich das Sondervermögen zur Investition in die Infrastruktur und die Bauwirtschaft zur Verfügung gestellt, sorge nun für Entlastungen bei der Bürokratie. Spahn bezeichnete die nicht näher erwähnenswerten Maßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im vollständig kollabierten Bausektor (PMI von 39) als „Bauturbo“. Das ist politische Infantilensprache und flüchtiges Wegwischen struktureller Probleme, die bislang an der stabilen politmedialen Abwehrmauer abprallen.

Ab dem 1. Januar würden Unternehmen und Haushalte zudem um zehn Milliarden Euro jährlich bei den Energiekosten entlastet, so Spahn – mehr Subventionen, weitere Interventionen. Dass jede Subvention einer Umverteilung entspricht, hat Spahn nicht verstanden. Linke Tasche, rechte Tasche – so simpel lassen sich komplexe ökonomische Probleme aus der Welt schaffen, wenn man als deutscher Politiker aus dem Elfenbeinturm des ewigen Funktionärs auf die Welt blickt.

Die Lage der deutschen Wirtschaft hat dabei mehr als nur dramatische Züge angenommen. In den Kernsektoren der Industrie sind die Produktionszahlen seit 2018 um bis zu 25 Prozent eingebrochen – allein die Automobilindustrie liefert ein Warnsignal, das Politik und Konzernspitzen eigentlich zum radikalen Umdenken zwingen müsste. In der Industrie entsteht die eigentliche Wertschöpfung; alles andere sind Derivate dieser höchsten Stufe ökonomischer Leistungskraft.

Auch die Meldung, dass Bosch weitere 13.000 Jobs am Standort Deutschland streichen wird, muss sich im engmaschigen Aufmerksamkeitsfilter der Berliner Politikblase verfangen haben.

Der große Marsch

Statt einer dringenden Kurskorrektur setzt sich der Niedergang fort: Der Maschinenbau meldet für dieses Jahr ein weiteres Produktionsminus von fünf Prozent. Diesen Zug stoppt niemand, solange der groteske Feldzug gegen einen herbeifantasierten Klimawandel durch CO2, die sozialistischen Grabenkämpfe einer Umverteilungspolitik sowie das Angebot eines sperrangelweit geöffneten Sozialamts nicht endlich über Bord geworfen werden.

Reformverweigerung
Friedrich Merz und der Herbst der Retuschen
Knappe Ressourcen müssen wieder über einen freien Kapitalmarkt ohne die Dauerintervention staatlicher Akteure gesteuert werden. Ansonsten ist Wachstum schlichtweg nicht möglich. Genau diese Erkenntnis muss sich in den kommenden Jahren des wirtschaftlichen Abstiegs in die Köpfe der Deutschen verpflanzen, will man im Anschluss an den nun folgenden Niedergang wieder Hoffnung schöpfen und ein neues Wohlstandsmodell entwickeln.

Merz und Co. arbeiten mit Medienspielen, Scheinreformen und Ablenkungstaktik daran, den Status quo des Machtkomplexes, in dem sie sich geschmeidig bewegen, abzusichern und genau dieses Umdenken zu zerstreuen.

Niemand setzt die Axt an die Wurzel aller Probleme an und zersägt den Green Deal, die zentralistische Transformationsagenda der EU, die dieses Land in die schwerste Krise gestürzt hat. Und wenn Bundeskanzler Merz davon spricht, die „Maschine in Brüssel“ stoppen und ihr ein „Stöckchen in die Räder halten“ zu wollen, so ist dies auch wieder nur eines seiner Medienspiele, ein neuerlicher Ablenkungsversuch, Zeit zu gewinnen und mit immer größeren Schuldenprogrammen und Interventionen die Macht über die Ökonomie poltisch-administrativ zu zentralisieren.

Profiteure der Krise

Doch jede Krise kennt auch ihre Gewinner und Profiteure. Dort, wo der Staat in den kommenden Jahren Schuldenpakete von bis zu einer Billion Euro verfeuern wird, und wo der Brüsseler Zentralkörper allein über 750 Milliarden Euro in seinem sozialistischen Sieben-Jahres-Plan zur Rettung des Weltklimas an seine Günstlinge verteilt, wächst zwangsläufig die Zahl eben dieser Günstlinge. Das dröhnende Schweigen angesichts des Verfalls wird von dieser gigantischen Umverteilungsmaschine verfestigt – eine perfide Taktik, die Wohlstand umleitet und Macht zementiert.

Kollaps der Automobilwirtschaft
Gewerkschaften wollen den Status quo einfrieren
Neben den hinlänglich bekannten Profiteuren des Klimakomplexes scheinen nun auch die Banken die Sektkorken knallen zu lassen – in Vorfreude auf die gigantischen Kreditpakete. Die Deutsche Bank rechnet für das kommende Jahr in Deutschland mit einem Wachstum von zwei Prozent. In Frankfurt weiß man genau, wie viel künstlicher Kredit durch die Bilanzen strömen wird, fein säuberlich gelenkt in die von der Politik vorgegebenen Sektoren.

Selbstverständlich ist diese Zahl nichts anderes als ein Fantasieprodukt. Hier entstehen weder Güter noch Dienstleistungen, die Menschen tatsächlich nachfragen. Was entsteht, sind Wirtschaftsbrachen, die so schnell kollabieren wie zuletzt der Wasserstoffkomplex oder das Fantasieprodukt des grünen Stahls. Zurück bleiben einige ausgewählte gefüllte Taschen, enge verflochtene Kontakte zwischen der Günstlingswirtschaft und Berlin – und gesellschaftliche Fronten, die sich weiter verhärten.

Gefälligkeitsgutachten der Institute

In ihrer Analyse macht die Deutsche Bank keinen Hehl daraus, dass es die Staatsnachfrage ist, die die Wachstumsziffer nach oben treibt. Auch bei Rheinmetall und Co. geht es kurzfristig bergauf – die jahrelange Angstpropaganda über angeblich invasionsbereite Russen zeigt nun erste Früchte. Die Branche sucht händeringend nach Führungskräften – ein Tipp: bei ehemaligen Politikern anfangen. Dann fließen Subventionen reibungslos, schnell und ohne Umwege dorthin, wo das Geld ohnehin längst erwartet wird.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute liefern derweil flankierend Gefälligkeitsgutachten und bestätigen mit der Prognose eines Durchschnittswachstums von 1,3 Prozent im kommenden Jahr offen den Kurs der Politik. Kein Wunder: Sie hängen größtenteils selbst am Tropf der öffentlichen Versorgung. Doch so erklärbar dieses Verhalten ist, es bleibt unethisch – und für die Deutschen am Ende verhängnisvoll.

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Kommentare ( 83 )

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83 Comments
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Rob Roy
2 Monate her

Uns wurde doch nur noch Angst gemacht: Vor der Klimahölle, dem Todesvirus, dem Angriff des Russen und dass die Nazis wiederauferstehen. Gleichzeitig wurde uns unser Nationalbewusstsein abtrainiert, sogar jedes Fünkchen Selbstvertrauen genommen.
So etwas macht was in vielen Menschen. Sie geben die Hoffnung auf und ziehen sich zurück.
Von der Regierung seit Merkel gab nicht ein einziges Mal Aufmunterung, Unterstützung, Optimismus.
Aber jetzt macht ein Kanzler auf Kennedy: „Frage dich, was du für dein Land tun kannst“ und wundert sich über „Larmoyanz“.

U.M.
2 Monate her

Schaue ich mit die letzten Wahlen an, auch wenn es „nur“ Kommunalwahlen waren, zeigen diese, dass diese Politik von den meisten Bürgern so gewollt ist.

DDRforever
2 Monate her

Der BRD Bürger findet das doch super. Deindustriealisierung bedeutet Klimarettung, weniger Konsum verbraucht weniger CO2 und im Sozialismus bekommt auch jeder eine Wohnung für 30 Euro Miete, nach zwanzig Jahren. Statt der umsinnigen „Wiedervereinigung“ hätten wir die Lander tauschen sollen und alle wäre zufrieden gewesen.

Juergen Schmidt
2 Monate her
Antworten an  DDRforever

Ähm, nein … ich hätte hier auf jeden Fall gerne unsere Bonner Republik behalten. Stattdessen hat sich der linke Ungeist, inkl. STASI und SED übers ganze Land verteilt und überall eingenistet.

Werner Brunner
2 Monate her

Ich wundere mich immer wieder :
Was um Himmels Willen erwarten die Menschen denn
von solchen Figuren ?
Etwa Engagement für die Mitbürger ?
Etwa Mitgefühl mit den Mitbürgern ?
“ Ich lach mich tot ! „

Endlich Frei
2 Monate her

Was für ein Irrsinn: Wir schicken inzählige Milliarden nach Kiev für Raketen, damit diese am Besten alle Öl- Raffinerien und Gasleitungen in die Luft jagen und das Weltklima ernsthaft verpesten – und dann schicken wir 11,8 Milliarden Euro für Fahrradwege in Peru oder Kongo mit dem Argument, weniger CO2 in die Atmosphäre zu blasen.

Das Alles ist nur noch eine Farce zum maximalen Schaden Deutschlands.

DDRforever
2 Monate her
Antworten an  Endlich Frei

Aber für die Ukraine super. Die BRD bezahlt inzwischen den gesamten Staatsapperat und auch die Renten. Es gibt niemanden aus Sels Umfeld ohne Villa in Südfrankreich mehr. Noch zwei Jahre und jeder Büger diese Musterbeispiels von Demokratie wird eine haben.

Endlich Frei
2 Monate her

Heute höre ich, dass unter großem Applaus das „Entwicklungsministerium“ bekannt gegeben hat, dass Deutschland eine Rekordsumme für die internationale „Klimahilfe“ zur Verfügung stellt. Kurzum Fahrradwege für Peru ff…., Milliarden für Klimazertifikate an Geister-Raffinerien irgendwo in China (kurzum das Geld ist verschwunden). Dabei gäbe es doch so viel Klima-Potential in Deutschland: Als Anwohner nahe der niederländischen Grenze erlebe ich regelmäßig zwei Welten: In Deutschland alles verrottet und veraltet – in Holland dagegen eine ultramoderne Infrastruktur, keine Schlaglöcher, alles tip-top. Und vor allem gibt es die altmodischen Verkehrsampeln kaum noch. Sie wurden inzwischen meist mit Kreisverkehren ersetzt. Das Klim freut sich, während… Mehr

MWScherer
2 Monate her

Sehr guter Artikel! Der Niedergang Deutschlands ist beschlossene Sache. Jeder, der glaubte, nach der unsäglichen Ampel würde es besser, wurde eines besseren belehrt! Meine Prognose: der CDU wird es genau so ergehen, wie der FDP und Merz wird der Totengräber dieser Partei!

Franz Grossmann
2 Monate her

Zu Merz, dem 69-jährigen Kleinkind, fallen mir nur noch absolut bösartige Begriffe ein. Dieser Typ vollendet das Werk von der bösen, alten Frau und hat die CDU innerhalb seiner halbjährigen Kanzlerschaft endgültig zerstört.

Gerro Medicus
2 Monate her
Antworten an  Franz Grossmann

Leider drängt sich der Verdacht auf, dass viele deutsche Kanzler, vor allem in den letzten 40 Jahren, jede Menge Leichen im Keller hatten und daher mehr oder weniger erpressbar waren, von wem auch immer. Brandt war durch seine Sex-Affären seitens der DDR ( Guillaume-Affäre) erpressbar, Merkel hat sich aufgrund ihrer wahrscheinlichen Stasi-Vergangenheit möglicherweise einer amerikanischen Erpressung beugen müssen (Stichwort Rosenholz-Akten, nicht dass ich glauben würde, sie wäre nicht auch von ganz alleine so bösartig), Scholz war durch Russland erpressbar durch seine Cumex-und Wirecard-Verstrickungen (der ehemalige Wirecard-Chef Marsalek befindet sich in Moskau in Obhut des russischen Geheimdienstes, wie man liest), Merz… Mehr

Last edited 2 Monate her by Gerro Medicus
DDRforever
2 Monate her
Antworten an  Franz Grossmann

Er ist eben der böse alte Mann und so sieht er ja Gott sei Dank inzwischen auch aus.

Privat
2 Monate her

Die deutschen Wähler – 80 % der naiven wollten die Altparteien – CDU/CSU-SPD-Grüne-Linke.
Wünsche frohes Gelingen und bitte später nicht jammern und schimpfen, wenn es nicht so kommt, wie ihr es euch vorgestellt habt.
Dafür ist es ist jetzt zu spät

humerd
2 Monate her

Pariser Klimaabkommen:
Deutschland zahlt sechs Milliarden Euro für internationale KlimahilfenDeutschland hat 2024 seine Zusage zur internationalen Klimafinanzierung erfüllt. 
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-09/bundesregierung-klimaschutz-ausgaben-pariser-klimaabkommen
Rentenkürzungen, Leistungskürzungen bei gesetzlich Versicherten, Pflegegrad 1 abschaffen, kein Geld für Straßen, Schulen, KiTas …