Merz plant Wirtschaftsgipfel – doch die helfen der Industrie kaum

Deutschlands Stahlhersteller und Autobauer stecken in einer tiefen Krise – überwiegend politisch verursacht. Statt das Grundproblem anzugehen, behandelt die Regierung Symptome. Und auch das nur halbherzig.

picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer
Friedrich Merz bei der Eröffnung der IAA in München, 09.09.2025

Der „Stimmungsumschwung“, den Kanzler Friedrich Merz noch einige Monate nach seinem Regierungsantritt beschworen hatte, bleibt aus: Im zweiten Quartal 2025 sank die gesamtwirtschaftliche Leistung im Vergleich zu den ersten drei Monaten um 0,3 Prozent. Deutschland steckt mittlerweile seit drei Jahren in einer hartnäckigen Rezession fest. Im September musste die Bundesregierung feststellen, dass es in zwei Schlüsselbranchen noch schlechter steht als befürchtet: der Stahl- und der Autoindustrie. Merz kündigte deshalb an, „kurzfristig“ zu einem Stahl- und einem Autogipfel ins Kanzleramt zu laden.

Schon jetzt zeichnet sich allerdings ab, dass es dabei nicht um eine Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen gehen dürfte, also eine Senkung der Unternehmenssteuern, ein Stopp der energieverteuernden CO2-Abgabe, eine Aufhebung des ab 2035 geplanten EU-Verbrennerverbots und ein Verzicht auf eine weitere Belastung von Arbeitnehmern. Denn genau diese Punkte betreffen nicht nur die beiden Krisenbranchen, sondern die gesamte Wirtschaft. Stattdessen laufen die Beratungen wohl auf punktuelle Eingriffe hinaus: beispielsweise eine Senkung der Netzentgelte für die energieintensive Industrie. Diese Maßnahme würde allerdings aus dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds bezahlt, der sich wiederum durch die CO2-Abgabe füllt.

Verstaubte Medienroutine
Klingbeil fordert Stahlgipfel
 Neben Italien ist Deutschland das einzige verbliebene EU-Land mit einer größeren Stahlproduktion. Zusammen mit ihren Zulieferern und dem Kundennetzwerk steht die Stahlbranche laut einer Untersuchung von iw Consult für 23 Prozent des Produktionswerts, 17 Prozent der Wertschöpfung und 12 Prozent der Arbeitsplätze der deutschen Gesamtwirtschaft. Dieser Zweig steht unter einem doppelten Druck: erstens durch die hohen Energiepreise im eigenen Land, zweitens durch günstigeren Stahl vor allem aus China, der auf dem Weltmarkt eine immer größere Rolle spielt.

Am deutlichsten schlägt die Krise bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKME) durch – das Unternehmen schreibt rote Zahlen, und plant den derzeit noch bestehenden Mitarbeiterstamm von 27.000 bis 2030 2030 auf 16.000 zu schrumpfen. Das soll durch eine Verkleinerung von Kapazitäten geschehen, aber auch Auslagerung oder Verkauf von Unternehmensteilen.

Schon jetzt greifen die deutschen Stahlfirmen zum naheliegenden Mittel: Sie reduzieren ihr defizitäres Geschäft, da sich auch die Nachfrage bei den größten Abnehmern verringert – dem Bau und der Automobilherstellung. Im ersten halben Jahr 2025 sank die inländische Stahlproduktion um 12 Prozent. „Der Produktionseinbruch in unserer Branche zeigt, wie dramatisch es um den Industriestandort Deutschland steht“, kommentiert die Hauptgeschäftsführerin der Vereinigung, Kerstin Maria Rippel. Die Rohstahlproduktion liege auf dem Niveau der Banken-und Finanzmarktkrise im Jahr 2009. In ihrer Not diskutieren Stahl-Manager auch schon darüber, die sogenannte Flüssigphase ganz aus Deutschland zu verlagern, also die Eisen- und Rohstahlverarbeitung. Das würde Kosten senken, aber auch einen erheblichen Teil der Wertschöpfung.

Vor allem Nordrhein-Westfalen mit seinen Stahlstandorten trifft die Schieflager der Branche hart, denn hier befinden sich mehrere Werke des Branchenprimus Thyssen. „Duisburg muss Stahl-Standort bleiben“, erklärt die Vorsitzende der NRW-SPD Sarah Philipp. Nur wie – das verrät sie nicht. Von der SPD ist jedenfalls keine Forderung nach einem Stopp der CO2-Abgabe zu hören, weder im Revier noch im Bund. Zu dem von Schwarz-Grün auf 2030 vorgezogenen Kohleaussteig in NRW, der neben den Stromkosten auch noch ein Versorgungsproblem mit sich bringt, schweigt sich die SPD ebenfalls aus. Auch deshalb müssen die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen für die Kommunalwahl am 14. September vor allem in den alten Arbeiterstädten herbe Verluste befürchten. Denn hier macht sich der Job-Abbau längst bemerkbar.

Ehemaliger Stahlriese
Thyssenkrupp vor Zerschlagung: Gigantischer Konzernumbau steht bevor
Auch die IG Metall denkt nicht an die Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen, sondern fordert den Einstieg des Staates bei Thyssen, zumindest erst einmal bei der Rüstungstochter TKMS, die das Konzernmanagement abspalten möchte. „Die Frage eines Staatseinstiegs muss in den nächsten Wochen geklärt werden“, meinte der Chef der IG Metall Küste Daniel Friedrich schon im Sommer.

In der Autobranche sieht es nicht weniger trübe aus: Laut Managermagazin will der Zulieferer Bosch 15.000 Jobs streichen, der Reifenproduzent Continental 10.000, der Getriebehersteller ZF 5000, Schaeffler 4700. Insgesamt könnten in der Branche 2025 bis zu 50.000 Stellen wegfallen. Vor allem deutsche Elektroautos leiden unter einer Absatzschwäche, zumal auch hier chinesische Hersteller mit Macht auf den Markt drängen.

Die Bundesregierung entschied bereits, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft dauerhaft auf das EU-Mindestniveau zu senken. Das bringt allerdings bundesweit gerade eine Entlastung von insgesamt drei Milliarden Euro pro Jahr. Die Netzentgelte sollen durch staatliche Zuschüsse sinken – allerdings wie erwähnt, finanziert durch die CO2-Abgabe, die wiederum fossile Energieträger verteuert. Weder das eine noch das andere hilft den Stahl- und Autoherstellern aus ihrer tiefen Misere.

Zwei SPD-geführte Ressorts arbeiten außerdem daran, die rezessionsgebeutelte Wirtschaft noch weiter zu belasten. Erstens Umweltminister Carsten Schneider, der ein Gasbohr-Verbot in Nord- und Ostsee überall dort verkündete, wo der Bund über die Areale entscheiden kann.

Statt eigenes Gas zu fördern, bleibt Deutschland darauf auch in Zukunft auf den Import von sehr teurerem Flüssiggas angewiesen. Arbeitsministerin Bärbel Bas kündigte an, für 2026 die Beitragsbemessungsgrenzen für Sozialversicherungen drastisch anzuheben: Für die Renten- und Arbeitslosenversicherung steigt die Schwelle des abgabenpflichtigen Bruttoeinkommens um monatlich 400 Euro auf 8450 Euro, in der Kranken- und Pflegeversicherung um 300 Euro auf 5812,50 Euro. Beide Sprünge liegen deutlich über der Bemessungsgrenzen-Erhöhung der vergangenen Jahre – und vor allem über der Gehaltsentwicklung.

Ingenieure, Facharbeiter und Meister erhalten also ab dem kommenden Jahr deutlich weniger Netto. Beziehungsweise: Falls der Arbeitgeber das Gehalt erhöht, fressen die höheren Sozialabgaben das Plus gleich wieder auf. Das verschlechtert nicht nur die Binnennachfrage noch weiter – bisher die einzige Stütze der dauerschwächelnden Wirtschaft –, sondern setzt auch einen Anreiz für ältere Arbeitnehmer, sich möglichst früh aus dem Berufsleben zu verabschieden.

Statt die Rahmenbedingungen für die Gesamtwirtschaft zu verbessern, stellt die Bundesregierung kleinen punktuellen Verbesserungen gleich wieder Verschlechterungen gegenüber.

Um das zu beenden, bräuchte Merz keinen Gipfel in Berlin – sondern einen Koalitionspartner mit Problembewusstsein.

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Kommentare ( 31 )

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31 Comments
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Alf
2 Monate her

Um das zu beenden, bräuchte Merz keinen Gipfel in Berlin – sondern einen Koalitionspartner mit Problembewusstsein?
Die Regierung hat keinen Rückhalt im Volk.
Dieses Land braucht eine Regierung für das Volk und das Land.
Und keinen Koalitionspartner.
Es gibt nur eine Lösung.
Sofortiger Rücktritt und Neuwahlen .

Paul Brusselmans
2 Monate her

Ach was, das sind so kleine Problemchen bei der Transformation. Kommissionspraesidentin von der Leyen startete gestern ein Feuerwerk an Initiativen. Zu jedem Problem wird es einen European Act geben und alles wird gut. Alles. Wer die Meinungsfreiheit nutzt, um mit Fakenews Stahl- und Autoarbeitnehmer zu erschrecken, den moege der Bannstrahl des Digital Services Acts treffen.
PS: Der Green Deal wird von SPD und CDU als alternativlos unterstuetzt. Die Zerstoerung der deutschen Industrie ist die logische Konsequenz. Das ist wie Heftpflaster verteilen bei einem Flugzeugabsturz.

Nibelung
2 Monate her

Handeln statt Gipfel, denn die Schwächen und Fehler der vorausgegangenen Koalitionen sind doch längst bekannt und da man keine Pfeile mehr im Köcher hat stellt man sich oben auf den Gipfel um laut zu tönen, aber ohne jeglichen Mehrwert und deshalb sind sie alle zusammen überflüssig und die Karre kann man nur noch aus dem Dreck ziehen, wenn es andere machen und wenn das auch nicht gelingt, dann sind wir ehedem erledigt und man kann sich nur wundern über die Seilschaften der letzten Jahrzehnte, die nur von der Substanz leben, weil keinem von diesen hohen Herrschaften was besseres eingefallen ist.… Mehr

Schwabenwilli
2 Monate her

„Umweltminister Carsten Schneider, der ein Gasbohr-Verbot in Nord- und Ostsee überall dort verkündete, wo der Bund über die Areale entscheiden kann“

Dafür überall Windräder mit ihren schon heute bekannten schädlichen Einflüssen ins Meer pflanzen.

Hieronymus Bosch
2 Monate her

Ja, Gipfel und Kommissionen! Mehr hat Merz nicht zu bieten!

Shipoffools
2 Monate her

Solange sich Fritze weigert, den Kopf aus dem Sand zu ziehen kann er sich die Stuhlkreisrunden schenken. Haben wir ein Erkennnisproblem? Doch nicht wirklich. Sollte es aber dennoch so sein , dann ist das Land noch verlorener als gedacht. Totalversager vor der Quengeltheke, vereint in der Weigerung die Realität zu akzeptieren. Ob das Land sich seiner Sepsis ergeht und untergeht interessiert die Welt mittlerweile einen feuchten Dreck. Wir werden nur noch mit Mitleid und Genugtuung betrachtet. Wie lange warten wir mittlerweile vergebens auf einen Erkenntnisruck? Ich sehe ihn nicht und vermag mir mittlerweile auch kein Szenario vorzustellen, um die Verkrustungen… Mehr

Waehler 21
2 Monate her

Ich habe gelernt, dass Deutschland vom Export lebt und nicht vom Import. Exportieren kann man aber nur weltmarkttaugliche Produkte. Dazu braucht es Forschung, Unternehmergeist und Fachkräfte, die diese Produkte herstellen.

Staatliche Investitionen sind aber in Subventionen geflossen, die, wenn sie nicht mehr fließen, zum Zusammenbruch der so künstlich geschaffenen Konsumblase führen.
Welche „Anschubfinanzierung“ hat zum Erfolg geführt? Sehe ich mir den Strompreis an, eher zur Dauerbelastung für den Bürger.

Politiker haben es geschafft, eine Wirtschaftsleiche nach der anderen zu erschaffen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Last edited 2 Monate her by Waehler 21
Endlich Frei
2 Monate her

Fritz Merz ist sehr laut, aber auf der ISS bekommt er die Klappe nicht auf.

Angesichts des russsischen Drohnenüberfalls auf Polen ist Merz erneut sehr laut: Deutschland sei verteidigungsbereit, dabei pfeifen die Spatzen von den Bäumen, dass das Gegenteil wahr ist.

Das Schlimme ist: Konkurrenten und Feinde müssen sich nur das Gegenteil von Merzens Ankündigungen denken, dann wissen sie bestens bescheid !

Axel Fachtan
2 Monate her

Deine „Wirtschaftsgipfel“ kannst Du Dir sonstwohin schieben. Handeln statt schwafeln. 1) Schluss mit der Energiewende ins Nichts. 2) Schluss mit dem Verbrennerverbot. 3) Nordstream reparieren und wieder in Betrieb nehmen (so Russland überhaupt noch dazu bereit ist) 4) Weg mit dem Lieferkettengesetz 5) Weg mit dem Entwaldungsgesetz 6) Her mit der bezahlbaren und sicheren Energie 7) Keine Kraftwerke mehr stillegen und wegsprengen 8) Mindestens 6 Kernkraftwerke schnellstmöglich in Betrieb nehmen 9) Keine Subventionen mehr für Wind und Photovoltaik. Die Sonne schickt keine Rechnung. Also braucht sie auch keine Subventionen. 10) Schluss mit der unqualifizierten Massenmigration. 11) Weg die Regeln zum… Mehr

hansgunther
2 Monate her

„Es gilt jetzt, endlich zweifelsfrei zu ergründen und zu belegen, woher der ideologische Antrieb kommt, dieses Land und das Leben der Deutschen und ihre Gemeinschaft auf diese brutale Weise zu verändern und zu zerstören.“ Quelle: Alexander Wallasch, heute. Diese Frage sollte auch bei TE und allen anderen Medien und kritischen Geistern Ansporn sein, für eine umfassende Recherche und Offenlegung der gesetzten Themen, der Wirkung in alle gesellschaftlichen Gruppen und der Personen, die dafür hauptverantwortlich sind und die Fäden ziehen. Dieses Land wurde gleichgeschaltet auf der Ebene der Legislative und der Exekutive und auch der Justiz. Altmedien, selbstredend. Politik und Parteien… Mehr

Last edited 2 Monate her by hansgunther