Was das Reisechaos mit falscher Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik zu tun hat

An den deutschen Flughäfen herrscht zu Ferienbeginn Chaos. Zur reibungslosen Abfertigung der Passagiere fehlt es vor allem an Personal. Befristet angeworbene Gastarbeiter sollen jetzt nach dem Plan der Bundesregierung für Entlastung sorgen. Warum greift man nicht auf arbeitslose Flüchtlinge zurück? Von Thilo Boss

IMAGO / Herbert Bucco
Flughafen Köln Bonn, Fluggäste in der Warteschlange, die bis vor das Flughafengebäude reicht, 01.07.2022

Überfüllte Abfertigungshallen, lange Warteschlangen, verärgerte und verzweifelte Reisende: Das Chaos zum Ferienstart in Nordrhein-Westfalen auf dem Düsseldorfer Flughafen ist kaum mit Worten zu beschreiben. Viele Urlauber verpassten ihre Flüge, obwohl sie zum Check-in sogar bis zu fünf Stunden vorher am Airport waren. Die Gründe: Sicherheitsmitarbeiter sind hoffnungslos überfordert, weil unterbesetzt. Airlines streichen Verbindungen, weil das Personal für den Neustart nach der Corona-Epidemie fehlt. Und Koffer sind nicht schnell genug transportiert worden, weil Mitarbeiter in der Abfertigung fehlen. Was vielfach zur schönsten Zeit des Jahres bleibt, ist Frust statt Urlaubsfreuden.

Und das wird sich wohl auch nicht so schnell ändern. Egal ob in Düsseldorf, Berlin oder Hamburg. Denn nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) fehlen bundesweit an den deutschen Flughäfen mehr als 7000 Fachkräfte. Zudem sagte die Lufthansa für die Haupturlaubszeit 3000 Flüge ab, die Low-Cost-Airline Easyjet allein in Berlin 1000 Flüge. Um schnell Entlastung zu schaffen, hat die Luftfahrtbranche deshalb Bund und Länder um Hilfe gebeten. Über Arbeitsvermittler sollen wie in den 60er Jahren zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders nun im Eilverfahren 2000 Aushilfen im Ausland angeworben werden.

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Damit dies noch gelingt, will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in Abstimmung mit Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) sowie Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) den befristeten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern, damit vor den weiteren Starts der Bundesländer in die Sommerferien die dringend benötigten Fachkräfte an den Airports für eine reibungslosere Gepäckabfertigung sowie zusätzliche Fastlines für einen schnelleren Sicherheitscheck sorgen. Ob das in der Sommereisessaison 2022 aber überhaupt in der Kürze der Zeit allein schon mit Blick auf die Sprachprobleme der Gastarbeiter umgesetzt werden kann und was das Ganze kostet, dazu haben sich die Minister bislang noch nicht geäußert. 

Eine realistische Einschätzung dazu gibt Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „In den nächsten Wochen mit weiter steigenden Passagierzahlen, ob Urlaub oder Geschäftsreisen, wird sich die Situation kurzfristig kaum verbessern. Zu viele Mitarbeitende und Ressourcen fehlen noch, nicht nur bei unseren Partnern, sondern auch in einigen Bereichen bei uns“, schreibt der CEO in einem Brief an seine Kunden. Trotz Neueinstellungen, so Spohr weiter, werde sich der Kapazitätsaufbau „erst im kommenden Winter stabilisierend auswirken können“. Mit anderen Worten: Trotz der versprochenen Ankündigungen der Minister ist weiteres Chaos zu den anstehenden Schulferienstarts programmiert.

Dabei war die Krise zum Urlaubsstart nach Einschätzung von Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg vorherzusehen und ist größtenteils hausgemacht. Die Arbeitskräfte, sagt Forscher Weber, seien in den kontaktintensiven Dienstleistungsbranchen wie der Gastronomie, dem Veranstaltungswesen oder bei den Airlines in der Pandemie nicht weggelaufen. „Aber es gab eine lange Flaute bei Neueinstellungen und deshalb jetzt einen Nachholbedarf.“ Zudem sieht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor allem bei den Sicherheitskontrollen ein strukturelles Problem: Mit Ausnahme Bayerns, wo das große Tohuwabohu bislang ausgeblieben ist, werden die Kontrollen nämlich von privaten Unternehmen durchgeführt, die wiederum laut der Arbeitnehmervertretung beim Personal sparen und schlechter bezahlten, was wiederum zu einem hohen Krankenstand führen würde.

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Überhaupt ist es unwahrscheinlich, dass sich das Problem über befristete Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte lösen lässt. Zum einen gehen in Deutschland laut Weber jetzt die sogenannten Babyboomer aus den geburtenstarken Jahrgängen der 60er Jahre sukzessive in die Rente, das den Kampf um die Arbeitskräfte generell verschärfe. Zum anderen müsse das Tourismus- und Freizeitgewerbe auch noch mit der Industrie, dem Handel oder dem Bau um das immer knapper werdende Arbeitskräftereservoir konkurrieren. Und zwar in einer Zeit, in der die Republik mit einer bundesweiten Arbeitslosenquote um die fünf Prozent schon jetzt trotz aller Corona-Effekte Vollbeschäftigung verzeichnet.

Wie angespannt die Lage ist, zeigen die regelmäßigen Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Selbst nach Ausbruch des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Sorge um die Energiesicherheit sowie der Preissprünge wegen der Lieferkettenstörungen bleibt der Fachkräftemangel die größte Sorge der Unternehmen. So spüren etwa auch bei den Maschinen- und Anlagenbauern, einer der deutschen Vorzeigebranchen, nach der aktuellen Mitgliederbefragung des Branchenverbandes VDMA fast alle Unternehmen Personalengpässe. 90 Prozent der Firmen geben an, dass Fachkräfte knapp sind, und 81 Prozent der Betriebe haben auch mehr oder weniger große Schwierigkeiten Stellen im akademischen Bereich zu besetzen. Diese Lage, so der VDMA in seiner Einschätzung, werde sich kurzfristig sogar noch verschärfen, da 61 Prozent der Betriebe in den nächsten sechs Monaten ihr Personal aufstocken wollen.

Wie also könnte die Lösung des Problems aussehen? Der VDMA und auch Arbeitsmarktforscher Enzo Weber sehen sie angesichts der negativen demographischen Entwicklung in Deutschland in einer nachhaltigen Zuwanderungspolitik. Doch die müsse, sagt Enzo Weber, einhergehen mit einer besseren Integration und einem längeren Bleiberecht der ausländischen Fachkräfte, die ihr Potenzial dann besser in die deutsche Wirtschaft einbringen könnten.

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Aus diesen Überlegungen leitet sich die Frage ab: Wo blieben die rund 2 Millionen junger, männlicher Einwanderer der letzten Jahre? Zwei von drei Flüchtlingen sind arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen; rund 900.000 Personen. Dem stehen nur 460.326 Menschen gegenüber, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und aus den Top-8-Asylherkunftsländern stammen. Ist es unmöglich, sie für die Flughäfen statt neuer Gastarbeiter anzuwerben?

In der Debatte um die Krisenbewältigung an den deutschen Airports spielt das allerdings für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil unverständlicher Weise bislang offenbar keine Rolle, zumal es hier nicht nur um Arbeitskräfte geht. Denn der Arbeitsmarkt ist und war der größte Integrationsmotor. Hubertus Heil und Innenministerin Nancy Faeser müssen daher eine Antwort darauf geben, warum sie diese Chance der Integration jetzt nicht ergreifen.

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Kommentare ( 86 )

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LRH
1 Jahr her

In Schweden hat man mehrere Schwerbehinderte Migranten ertappt als sie in den Heimaturlaub flogen ! Plötzlich brauchte man keinen Rollstuhl mehr !In Schweden bekommen Angehörige Geld um sich um den Patienten zu kümmern !Also eine win- win Situation ! Aber Überwachung am Flughafen ist für unsere Poliker ein Fremdwort !

Waehler 21
1 Jahr her

Es gilt. Lieber eine schlechte Lösung als gar keine. Da ist Heil keine Ausnahme. Sollte nämlich an die oben Angesprochenen eine Leitungsanforderung ergehen, fällt man doppelt auf die Nase. Zum einen brechen die meisten dann ab und dass viel beschwörende Narrativ, dass wir diese Leute bräuchten, fliegt denen dann auch um die Ohren. Meine das wörtlich. Der Bereich am Flughafen ist ein Sicherheitsensibler. 
Und so ist man mit ein wenig Aktionismus aus dem Schneider. Fürs Erste!

Last edited 1 Jahr her by Waehler 21
andreashofer
1 Jahr her

Klingt doch auch irgendwie gewollt, oder? Schauen wir mal, wie wir zurück in die 60er kommen. “Gastarbeiter” sollen es jetzt richten. Nachdem wir uns an die Wörter Einwanderer, Immigranten, Migranten gewöhnt haben, gibt es jetzt wieder Gastarbeiter, einen Wettlauf zum Mond und einen neuen Kalten Krieg. Na dann…

Andreas Koch
1 Jahr her

„Facharbeiter“ ist auch so ein gutmeinender Begriff. Vom „Fach“ zu sein, suggeriert doch, dass man genau das, was man machen soll, nach definierten Anforderungen gelernt hat. Also beim Kofferschleppen und verstauen und bei Sicherheitskontrollen erfordert das höchsten eine Einweisung und keine Ausbildung. Da ist der Begriff „Fachkraft“ doch eindeutig übertrieben, denn schließlich könnten das sogar unsere ungelernten Minister aus der Regierung, wenn die sich ein wenig Mühe geben würden. Und: „Besser integrieren“. Das ist auch so ein Mythos, dass es am Integrationswillen der deutschen Bevölkerung scheitern würde. Ich selber habe einen türkischen Bauarbeiter kennengelernt, der 15 Jahre in D lebt… Mehr

FerritKappe
1 Jahr her

Dort wo es in grüne Weltbild passt wird der Bürger zum plündern freigegeben.
Sei es Sprit, Flugreisen oder diverse Grundnahrungsmittel.
Dann leben wir plötzlich in einem Land ohne jeden Verbraucherschutz.
Natürlich ist es vorher absehbar wieviele Menschen an einem Tag abfliegen werden. Die Flüge wurden ja schon lange vorher gebucht.
Wenn ein Flughafenbetreiber dann nicht genug Personal bereitstellt sollte das direkt mit einer dicken Strafzahlung zu Gunsten der Reisenden geahndet werden.
Dann braucht es auch keinen Aktionismus von politischer Seite.

Waldorf
1 Jahr her

Sorry, kein Mitleid, weder mit den Flughäfen noch irgendeinem Touristen, der stundenlang in Schlangen vor dem Securitycheck verrottet. Dieses Nadelöhr ist seit 9.11 (2001) bar jeder Sinnhaftigkeit wegen angeblicher „Terrorgefahr“ eingeführt und nie wieder abgeschafft worden, also gut 20 Jahre alt. Wer heute noch jede Oma zum Ausziehen der Schuhe nötigt, jeden Geschäftsmann zum Ablegen des Gürtels zwingt, hat offensichtlich alle Zeit der Welt und einen klaren Dachschaden, weil jeder Blinde mit Krückstock sehen kann, dass von 99,99% aller Fluggäste nicht einmal theoretisch irgendein Terror-Risiko ausgeht. Dass unsere Flughäfen diesen Sicherheitscheck aus reinen Kostengründen an private Sicherheitsfirmen ausgelagert haben, statt… Mehr

lauterbachleugner
1 Jahr her
Antworten an  Waldorf

Gute Zusammenfassung. Allerdings wird auf den Flughäfen in den Golf-Staaten das Screening ja auch von ‚Gastarbeitern‘ durchgeführt. Von der Einschleusung von Bomben, Waffen habe ich dort noch nichts gehört. Vielleicht kann man da was lernen.

Waldorf
1 Jahr her
Antworten an  lauterbachleugner

Danke Einige Golfstaaten mögen ein Sonderfall sein, da dort viel/fast alles, was nach Arbeit klingen könnte, von Ausländern erledigt wird, insb denke ich dabei an die VAE/Dubai Ich sehe jedenfalls generell keinen Sinn darin, Rentner, Teenys u.a. nach Schema F zu kontrollieren, als ob diese Gruppen ernsthaft irgendein Risiko darstellen würden. Wen juckt es, ob Omi eine angebrochene Wasserflasche mitnimmt oder eine Nagelfeile in der Handtasche hat? Gerade unter Sicherheitsaspekten ist das reinste Zeitverschwendung. Schema F Denke führt idR zu keiner höheren Sicherheit, aber garantiert zu mühsamen und zeitraubenden Abläufen für offensichtlich Harmlose, also die weit, weit überwiegende Masse aller… Mehr

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Warum sollten unsere Neubürger arbeiten, wenn man auch ohne Arbeit gut und gerne in Deutschland leben kann? Es gibt doch noch genug Deutsche, die für die Alimentation der zu uns Hereingeschneiten aufkommen. Qualifizierte verlassen zu Hunderttausenden das Land und werden durch eingewanderte Sekundäranalphabeten ersetzt. So geht es weiter und weiter abwärts auf der gut geseiften Rutschbahn Richtung ökonomischer Bedeutungslosigkeit einer einstmals florierenden Volkswirtschaft.

chez Fonfon
1 Jahr her

Dies ist einer der wenigen Berichte, die sich mit den Ursachen des Chaos‘ beschäftigen. In den „Qualitätsmedien“, allen voran Spiegel, werden in erster Linie die Urlauber beschimpft, die es wagen, angesichts von Ukraine-Krieg und Energieknappheit überhaupt noch in Urlaub fliegen zu wollen. Vorzugsweise werden diese Beschimpfungen von elitären Journalisten vorgenommen, die in ihrem Lebenslauf mit längeren Aufenthalten in Rio, Singapur, Rom und Lissabon protzen und nach schicken Pressereisen nach Dubai oder Muskat schnappen wir der Hund nach der Wurschd.

elly
1 Jahr her

„Doch die müsse, sagt Enzo Weber, einhergehen mit einer besseren Integration und einem längeren Bleiberecht der ausländischen Fachkräfte, die ihr Potenzial dann besser in die deutsche Wirtschaft einbringen könnten.“ aus meinem Arbeitsleben, nicht repräsentativ: im großen IT / Technikbereich gibt es nur multinationale Teams, geprägt von hoher Fluktuation. Nicht nur die Abgaben auf Einkommen sorgen für einen ersten Schock. Spätestens wenn die Kinder eingeschult werden, packen viele ihre Koffer. Vor 3 Jahren hatte eine Kollegin aus Puerto Rico Besuch von ihrer Mutter. Die bekam einen Asthmaanfall und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Meine Kollegin war schockiert über den Zustand der Klinik,… Mehr

nomsm
1 Jahr her
Antworten an  elly

Richtig erkannt. Im IT-Bereich hatte ich eine zeitlang inder interviewt, sie schon hier waren (Bluecard) die aber von ihrem Arbeitgeber (indischer IT-Dienstleister) weg wollten, da die sich das anders vorgestellt hatten. Insgesamt ist für eine akademische Fachkraft das Leben im Herkunftsland häufig weitaus angenehmer, da es eben genügend Leute gibt die einfache Tätigkeiten durchführen. Da gibt es dann Personal in der Wohnung oder im Haus. Das alltägliche Leben ist billiger und man schickt dann seine Kinder auf eine Privatschule und später auf eine privatuniversität.

Martin Bayer
1 Jahr her

Ich habe nunmehr einen Neubürger aus dem Morgenland als Nachbar , der Drogen verkaufte. Es hat mich doch sehr gewundert , dass der neue Nachbar 30 mal am Abend bis in die Nacht die Wohnung für 5 Minuten verließ und wieder in seine Wohnung ging. Bis ich gesehen habe , dass er Drogen vor unserem Haus verkaufte. Kunden riefen an und er ging runter, um seine Drogen zu verkaufen. Ich habe meinen Cousin, der bei der Kriminal Polizei Dortmund arbeitet informiert , dass ich einen Drogendealer als Nachbarn bekommen habe , der jetzt keine Drogen mehr verkauft , weil die… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Martin Bayer