Brexit-Wirren, Wachstumsängste, Handelsstreit – aber die Börsianer bleiben cool

Die Sorgen vor einer Rezession sind mit 38 Prozent auf dem höchsten Stand seit 2009. 59 Prozent der Fondsmanager allerdings sehen keine Anzeichen für eine anhaltende wirtschaftliche Schwächeperiode.

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Am Ende der Woche war dann doch nichts klar. Zwar hatte es am Donnerstagvormittag in Brüssel einen Durchbruch in Sachen Austrittsvertrag gegeben (den die Börsen mit einem kurzen Feuerwerk feierten), aber am Samstagnachmittag stimmte das Unterhaus in London dann gar nicht wie vorgesehen über den geregelten Brexit ab. Die Annahme eines Antrags, dass Premierminister Boris Johnson zunächst ein Durchführungsgesetz vorlegen müsste, hat den Prozess zumindest durcheinandergebracht. Für Johnson ist es nicht unbedingt eine Niederlage; nur ist der Zeitplan nun noch ambitionierter.

So oder so ist aber ein ungeregelter Brexit erst einmal vom Tisch. Wie es weitergeht, ob ein solches Durchführungsgesetz in der kommenden Woche vorgelegt werden kann, ob es zu einer Abstimmung oder doch zu einer Verschiebung kommt, wird die Gemüter in den kommenden Tagen erhitzen. An den Märkten geht man derzeit davon aus, dass der Deal in einer zweiten Lesung eine Zustimmung erlangt. Im Moment, in dem sich das ändert, sollte es auch an den Börsen wieder knirschen.

Der Internationale Währungsfonds hat seine Wachstumsprognosen gesenkt. Statt um 3,2 Prozent werde die Weltwirtschaft in diesem Jahr nur um 3,0 Prozent zulegen. Das wäre der schlechteste Wert seit der Finanzkrise im Zuge des Lehman Zusammenbruchs vor zehn Jahren. Für das kommende Jahr rechnen die Experten mit einer leichten Beschleunigung auf 3,4 Prozent. Solche Zahlen lösen an der Börse keine Begeisterung aus, sind aber auch kein Drama. Auf eine Abkühlung sollten sich Investoren inzwischen eingestellt haben. Wichtiger für die Aktienmärkte ist die jetzt anlaufende Berichtssaison. Die Erwartungen sind niedrig. Analysten rechnen für die Mitglieder des amerikanischen Aktienindex S & P 500 mit einem leichten Rückgang der Unternehmensgewinne. In der Logik der Börse liegt damit die Messlatte niedrig. Die ersten Ergebnisse sind durchaus ermutigend: Laut Datenbank des Finanzdienstes Bloomberg haben bislang rund 80 Prozent der Unternehmen,die bereits ihre Zahlen bekanntgaben, die Konsensschätzung der Wall Street übertroffen. Allerdings haben erst knapp 15 Prozent der Indexmitglieder Zahlen gemeldet. Und so gibt es natürlich auch immer wieder Rückschläge.

So war es keine große Überraschung, dass Kurseinbrüche bei Boeing und Johnson & Johnson im Zusammenwirken mit schwachen Konjunkturdaten aus China sowie der Unsicherheit über den Ausgang der Brexit-Deal-Abstimmung im britischen Unterhaus den US-Anlegern zum Wochenende die Stimmung vermiesten. Die wichtigsten Aktienindizes schlossen am Freitag teils recht deutlich im Minus. Der Dow Jones Industrial fiel um knapp ein Prozent auf 26.770 Punkte. Auf Wochensicht ist dies ein Minus von 0,2 Prozent. Seit dem Zwischentief Anfang Oktober hat der US-Leitindex im Kielwasser gestiegener Hoffnungen auf eine Einigung im US-chinesischen Handelskonflikt aber immer noch um rund vier Prozent zugelegt. Der marktbreite S&P 500 gab am Freitag um 0,4 Prozent auf 2.986 Punkte nach und der technologielastige NASDAQ 100 schloss 0,9 Prozent tiefer bei 7.868 Zählern.

Am Dow-Ende knickten die Aktien von Boeing um 6,8 Prozent ein. Es war der größte prozentuale Tagesverlust seit Februar 2016. Die US-Luftfahrtbehörde FAA hatte wegen angeblicher Versäumnisse im Zusammenhang mit Ermittlungen zur Zulassung des Jets 737 Max Vorwürfe gegen den Flugzeugbauer erhoben. FAA-Chef Steve Dickson forderte in einem Brief an Unternehmenschef Dennis Muilenburg eine „sofortige Erklärung“, warum ein „beunruhigendes Dokument“ Aufsehern erst mit Monaten Verspätung vorgelegt worden war.

Anteilscheine von Johnson & Johnson sackten ebenfalls um mehr als sechs Prozent ab. Der Pharmakonzern ruft einen geringen Teil seines Pflegemittels „Baby Powder“ wegen Asbestrisiken zurück. Das Unternehmen begründete den Schritt mit einem „Übermaß an Vorsicht“ und betonte, dass es sich lediglich um eine einzelne Produktions-Charge handele, bei der die Gefahr einer minimalen Asbest-Kontamination bestehe. Allerdings ist Johnson & Johnson mit seinem „Baby Powder“ wegen angeblicher Krebsrisiken ohnehin schon mit Sammelklagen konfrontiert, deshalb birgt der Rückruf hohe Brisanz.

Ansonsten richteten sich die Blicke weiter auf die Quartalsberichtssaison. Beim Getränkeriesen Coca-Cola ist es besser gelaufen als von Analysten erwartet, auch dank des Verkaufsschlagers „Zero Sugar“. Die Papiere stiegen an der Dow-Spitze um knapp zwei Prozent.

Der Kreditkartenanbieter American Express hat den Gewinn im dritten Jahresviertel deutlich gesteigert und ebenfalls überraschend gut abgeschnitten. Allerdings waren die Papiere zuletzt schon gut gelaufen, so dass die Anleger Gewinne mitnahmen und die Anteilscheine damit rund zwei Prozent einbüßten.

Zu den Favoriten im S&P 500 zählten die Aktien von Schlumberger, die um gut ein Prozent anzogen. Auch der Ölindustrie-Dienstleister hatte mit der Geschäftsentwicklung im abgelaufenen Quartal überzeugt.

Derweil ging die jüngste Talfahrt der Aktien von Beyond Meat weiter. Die Papiere der Fleischersatzfirma fielen um mehr als sechs Prozent und fanden sich damit auf dem Niveau von Anfang Juni wider. Börsianer fürchten, dass der Wettbewerb zunehmen wird. Zudem äußerten sich Analysten negativ zu den Papieren. Seit dem Börsengang Anfang Mai aber hat sich der Aktienkurs immer noch vervierfacht.

Das nennt man Schrumpfprozess. Die Libra-Assoziation, die die von Facebook entwickelte Digitalwährung verwalten soll, ist nur mit 21 statt wie ursprünglich geplant mit 28 Mitgliedern an den Start gegangen. Kurz vor dem offiziellen Startschuss stieg noch die Online-Reisefirma Booking aus dem Kreis der Partner aus. Zuvor hatten sich schon die globalen Finanzdienstleister Mastercard, Visa und Paypal sowie die Handelsplattform Ebay verabschiedet. Weiterhin an Bord sind aber noch bekannte Unternehmen wie der Musikstreaming-Marktführer Spotify und die Fahrdienst-Vermittler Uber und Lyft sowie der Telekommunikationsriese Vodafone. Gleichzeitig steigt der Druck seitens der Politik in den USA auf Unternehmen, das Projekt fallen zu lassen. So erklärten US-Senatoren in einem offenen Brief an die Chefs von Unternehmen, die Facebook bei der Umsetzung unterstützen wollen, dass diese mit massiver Kontrolle ihrer kompletten Zahlungsaktivitäten rechnen müssten. Starken Regulierungsdruck kündigte auch die Bank of England an und äußerte die Befürchtung, dass möglicherweise durch Libra die Stabilität des Finanzsystems gefährdet werden könnte. Auch in Deutschland mehren sich die skeptischen Stimmen. So sieht Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Souveränität der Staaten durch Libra in Gefahr. Politiker führen zudem das Argument ins Feld, dass die Kryptowährung verstärkt zur Geldwäsche und Terrorfinanzierung genutzt werden könnte. Facebook versucht die Kritik zu entkräften.

Der Markenwert Deutschlands bleibt hoch, ist aber zum Vorjahr etwas gefallen — das zeigt das diesjährige Nation Brands Ranking der Unternehmensbewertung Brand Finance. Für das Ranking wurden die Stärke und der Wert der nationalen Marken von 100 führenden Ländern weltweit ermittelt. Mit einem Wert von rund 27,8 Billionen US-Dollar landen die Vereinigten Staaten erneut auf dem ersten Platz. Deutschland hat einen Markenwert von rund 4,9 Billionen US-Dollar, sechs Prozent weniger als 2018, und steht damit hinter China auf Platz 3. „Deutschlands außerordentliche Reputation auf globaler Ebene beruht auf einer Kombination seiner Moderatorenrolle in vielen internationalen Krisen und der Herstellung zuverlässiger Weltklasseprodukte, die den Stempel ,Made in Germany‘ tragen“, erklärt Holger Mühlbauer von Brand Finance Germany.

Die Geldprofis weltweit kehren trotz Sorgen langsam an die Aktienmärkte zurück, wobei sie insbesondere US-Titel bevorzugen. Das ist das Ergebnis der neuen Umfrage der Bank of America Merrill Lynch unter 235 Fondsmanagern, die 608 Milliarden US-Dollar kontrollieren. So sind die Sorgen vor einer Rezession mit 38 Prozent der Befragten auf dem höchsten Stand seit 2009. 59 Prozent der Fondsmanager allerdings sehen keine Anzeichen für eine anhaltende wirtschaftliche Schwächeperiode. Die Fondsmanager haben zuletzt insbesondere defensive Titel wie Gesundheits- und Konsumaktien gekauft und zyklische Werte wie Rohstoffe und Banken verkauft, zeigt die Umfrage.


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Diogenes
4 Jahre her

Ein grundsätzliches Faktum wird bei all dem nicht berücksichtigt! Die Auslösung des Artikel 50 der EU Verträge bedarf überhaupt keiner detailierten Durchführungsverordnungen zum Austritt. Die zu regelnden zahlreichen Details sind unabhängig davon nach dem Austritt beliebig lange und beliebig ausführlich zu verhandeln. Daß das so ist, geht aus dem Faktum hervor, daß somit selbstverständlich zunächst ein „harter“, ungeregelter Austritt erfolgen kann. Weiterhin spricht die Tatsache, daß bisher sämtliche „Verträge“ mit der EU von einer Opposition abgelehnt wurden dafür, daß es interessierten Kreisen nur darum geht, das gültige Referendum durch aneinander gereihte Formalien zu boykottieren, es somit niemals zu einem (garnicht… Mehr

Sani58
4 Jahre her

Der Herr Altmaier und der Deutschlandfunk haben es ja heute schon explizit angedeutet.
Wenn Rezession, wenn wirtschaftlicher Niedergang und Steuerausfälle auch Hierzulande, dann sind die Briten Schuld….und die AfD, selbstverständlich.
Die AfD sowieso immer, die Briten, weil mit Brexit , oder ohne, oder mit Vertrag der so lange dauert, oder ohne Vertrag, und wenn der Brexit ausfällt erst recht, weil sie in der EU aufmüpfig sind, also auch immer. Und dann ist noch der Trump, der Böse, der nur an Amerika denkt und Strafzölle verhängt. Alle ….Anderen sind Schuld. Punkt.
Die Massen werden wieder einmal für blöd verkauft.

Prometheus
4 Jahre her

„59 Prozent der Fondsmanager allerdings sehen keine Anzeichen für eine anhaltende wirtschaftliche Schwächeperiode.“
Das sind die, die die Kundengelder verdummen werden, damit die anderen 41% gewinnen 😀

Lu Ziffer
4 Jahre her

Libra: Muss ich mir da jetzt einen Computer unter das Kopfkissen legen. Als ob die anderen Bitcoins nicht schon genug Negativschlagzeilen haben? Und warum soll ich Mark Zuckerberg mehr vertrauen als Fitschen oder Achleitner? Wenn erst der green Blackout kommt, sind ganz andere Zahlungsmittel gängig und ich möchte dann sehen, wie jemand Brot mit Libra kauft. Ja, amerikanische Aktien weil für Europa ist Industrie nicht mehr wichtig.

Paul Pimmel - der Herr des Kosmos
4 Jahre her

„Libra“, jaja… Es scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, immer ein wenig zu kokettieren mitdem, was man besser verbergen sollte (fugit ad salices et cupit ante videri). Die Nazis zeigten den Pferdefuß in Gestalt der verdrehten Swastika, die Firma Shell hat die heraldische Pilgermuschel auf den Kopf gestellt (die gerade Kante ist beim lebenden Tier in Bewegungsrichtung, das bekannte rotgelbe Logo bedeutet also „Abwärts“), etc. „Libra“, wörtlich Waage, war eine beliebte Währungsbezeichnung in den romanischen Ländern, etwa als „livres“ im Frankreich der Bourbonen, dessen wirtschaftliche Probleme 1789 zu der Mutter aller Revolutionen führte, oder als „Lira“ in Italien (und heute… Mehr

GNaB
4 Jahre her

Warum die weltweiten Verwerfungen nicht an der Börse ankommen? Einfache Antwort. Ich empfehle dazu Buch bzw. Film „The Big Short“. … und die werden, soviel ist sicher

Linda28
4 Jahre her

Aktuell kann man mit amerikanischen Aktien kaum was falsch machen. Solange alle Notenbanken soviel Geld auf den Markt schwemmen und es kaum Zinsen gibt, kann es mit Aktien nur in eine Richtung gehen. Allein durch die Geldentwertung können Aktien nur steigen. Dazu kommt, dass Trump baldmöglichst einen Deal mit den Chinesen braucht, damit das Wirtschafts- wachstum in den USA noch vor den Wahlen durch eine Einigung mit China in Schwung kommt. Denn in Amerika wird ein Präsident nur wiedergewählt, wenn die Wirtschaft läuft! Dadurch werden in den nächsten Wochen wohl öfter positive Nachrichten von den Verhandlungen mit China kommen! Also… Mehr