Börsen-Akteure sind begeistert vom EU-Finanzpaket

Ob das ein gutes Zeichen ist, sei dahingestellt: Die Finanzgemeinde jedenfalls freut sich in Wort und Tat über das, was die EU-Granden in Brüssel beschlossen haben. Von Ökonomen kommt allenfalls milde Kritik.

Thomas Lohnes/Getty Images

Ob die deutschen Steuerzahler und Sparer nach der Einigung in Brüssel Grund zur Freude haben, kann man sehr bezweifeln. Sofern sie ihr Geld in Aktien oder Staatsanleihen (süd)europäischer Ländern angelegt haben, können sie sich immerhin ein bißchen mitfreuen mit den großen Akteuren an den Finanzmärkten. Die waren jedenfalls am Dienstag in Feierlaune.

Der Dax hat geschafft, was die Realwirtschaft (noch?) nicht geschafft hat: sein Corona-Verluste in der Chart-Form eines V wieder auszugleichen. Nach bekanntwerden der Einigung in Brüssel legte er im Handelsverlauf bis zu zwei Prozent auf 13.313 Punkte zu. Mit Überspringen der Marke von 13 000 Punkten zum Wochenanfang marschiert er also dem erst im Februar erreichten Allzeithoch wieder entgegen. Der EuroStoxx50 notierte 1,9 Prozent höher bei 3.451 Zählern.

Und die Dankbarkeit der Profiteure ist den Politikern gewiss. „Das ist ein historischer Moment, ohne den die Zukunft der Gemeinschaftswährung und die Union selbst in Gefahr gewesen wären“, sagte Ricardo Evangelista, Analyst beim Brokerhaus ActivTrades, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Sie wussten, sie mussten liefern, und sie haben geliefert“, sagte Commerzbank-Analystin Esther Reichelt gegenüber Reuters.

Eine bemerkenswerte Wortwahl übrigens. Hat die europäische Politik etwa eine Lieferpflicht gegenüber der Finanzindustrie. Offenbar wird das so gesehen.

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Ganz begeistert auch Michael Holstein, oberster Volkswirt der DZ-Bank: „Die EU wird mit den Beschlüssen erstmals zu einem eigenständigen Akteur in der Fiskalpolitik. Diese Veränderung war überfällig. Die EZB wird erleichtert sein, dass sie in der Krisenbekämpfung mehr Unterstützung aus Brüssel erhält. Natürlich ist das ein Schritt in Richtung Transferunion, allerdings wohl ein unvermeidbarer. Die EU muss wettbewerbsfähiger, moderner und innovativer werden. Das Aufbauprogramm kann ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein.“ Das wird man ein paar Hundert Meter von der DZ-Bank bei der EZB vermutlich ähnlich sehen.

Nicht viel anders die Reaktionen der nicht im Sold der Finanzindustrie (zumindest nicht direkt) stehenden Ökonomen. Geradezu euphorisch, wie nicht anders zu erwarten, DIW-Chef Marcel Fratzscher. Er jubilierte im Spiegel über einen „Glücksfall“ für Deutschland.

Verhaltener ist die Reaktion beim ifo-Institut: Die EU habe „ein wichtiges Zeichen der Solidarität, der Handlungsfähigkeit und des weit reichenden Wandels gesetzt“, so Ifo-Chef Clemens Fuest. „Die EU zeigt damit, dass sie sich tiefgreifend verändert. Sie gibt gleichzeitig einen Vertrauensvorschuss an die Empfängerländer.“ Weiter sagt er: „Die wirtschaftliche Erholung wird jedoch nur funktionieren, wenn die betroffenen Länder selbst erhebliche Reformanstrengungen unternehmen.“ Dass die Anreize dazu dank des Hilfsprogramms eher weniger werden, muss man sich selbst dazu denken. Eine implizite Kritik an der gigantesken EU-Wirtschaftpolitik ist immerhin aus Fuests Anmerkung herauszulesen: „Die EU sollte sich stärker in der Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter wie etwa der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Migrationspolitik und der Entwicklungshilfe engagieren und Haushaltsmittel entsprechend verlagern.“

Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) machte immerhin deutlich, was dieser „historische Paradigmenwechsel“ auch bedeutet: „Über Jahrzehnte wird die Tilgung der Schulden das EU-Budget belasten. Der Druck wird steigen, der EU neue Finanzierungsquellen zu erschließen.“ Und damit werde für die Nettozahler, besonders für Deutschland, die EU-Mitgliedschaft teurer. „Für die Nettozahler, besonders für Deutschland, das im Unterschied zu den sparsamen Vier keine Erhöhung seines Rabatts durchgesetzt hat, wird die EU-Mitgliedschaft teurer“, sagte er.

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Kommentare ( 8 )

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Alexis de Tocqueville
3 Jahre her

Naja, die Börse darf grad nicht einknicken, dann hätten wir nämlich richtig Krise. Anders als 2008, wo das Geschäft der größten börsennotierten Unternehmen, der Banken, zusammenbrach, war diesmal das Geschäft der dicksten Fische auf dem Kurszettel, vor allem der US-Tech-Aktien, nicht bedroht. Im Gegenteil, der Shutdown gab ihnen noch Rückenwind. Und das rettet uns allen den Hintern. Denn Konjunktur hängt am Konsum, und wer konsumiert? Die Mittelschicht. Wer besitzt Aktien? Die Mittelschicht. Nicht die Armen, die Reis, Nudeln, Klopapier und Kleidung bei Kik kaufen, sondern die Mittelklasse, die sich teuren nice-to-have Krempel leisten kann, treibt die Wirtschaft an. Wenn aber… Mehr

Fulbert
3 Jahre her

Die Reaktion der Finanzmärkte ist angesichts der Flut billigen Geldes nachvollziebar. Die Börse ist nun einmal keine moralische Veranstaltung. Allerdings sei zur Ehrenrettung der „Börsen- Akteure“ angemerkt: die wahrscheinlichen Folgen des faulen Zaubers sind ihnen durchaus bewusst und hinter vorgehaltener Hand reden nicht wenige von ihnen ganz anders als in offiziellen Stellungnahmen. „Eine Idee französischer Sozialisten zum Brechen der Macht der Bundesbank“ nannte etwa ein Volkswirt einer groesseren Bank einst im persoenlichen Gespräch den Euro.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Fulbert

Börsianer sind durchaus politisch und meinungsstark, das bleibt nicht aus, wenn man sich tagtäglich mit Wirtschaft und Politik beschäftigt. Sie sind aber auch Pragmaten und Opportunisten, sonst sind sie nämlich pleite. Der Markt kann eben länger irren, als man Geld hat, gegen ihn zu wetten.

drnikon
3 Jahre her

Wie viele Jahre hat man gewonnen, bis die mit Geld zugeschütteten Gräben wieder offen liegen? Zwei, Drei oder fünf Jahre? Und dann? Ist nachhaltig? Ja? Für wen? Was nötigt oder erpresst Politiker jahrelang so viel bullshit hinzulegen?

GrafZahl04
3 Jahre her

Was passiert , wenn Deutschland der kranke Mann Europas wird und nicht mehr alles brav zahlen kann ? Haut dann der Nachfolger von der Madame auch auf den Tisch ? Fordern andere Länder noch mehr Anstrengungen von Deutschland ? Dürfen wir andere Länder auch weniger mögen ? Ist es zu viel verlangt – ein EU weites einheitliches Renten Niveau einzuführen?

StefanB
3 Jahre her

Ältere Anleger, die das Börsengeschehen schon ein wenig länger verfolgen, erinnert die aktuelle Rallye an den Börsen stark an die vom lockeren Geld befeuerten Börsenjahre Ende der 1990er. Möglicherweise spielt aber auch der Crack up-Boom schon in die heißlaufenden Börsenkurse hinein.
Und bitte den Blick auf Gold (= das Gegengewicht zu den weltweiten, gigantischen Schuldenbergen) und Silber (= Inflationsbarometer) nicht vergessen.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  StefanB

Die lockere Geldpolitik treibt die Kurse nicht erst seit gestern. Aber die aktuelle Rallye ist eigentlich gar keine. Ja, die Indizes steigen. Aber welche Aktien treiben die Indizes? Zur Zeit läuft Internet und Med/Biotech.
Diese vorher schon extrem starke Tech-Branche stellt die dicksten Fische auf dem Kurszettel und ihr Geschäft ist durch Corona nicht bedroht, im Gegenteil.

Ansonsten aber gibt es schlicht keine Rallye. Hohe Kurse angesichts der Krise, geschenkt, die Kurse waren vorher auch schon (zu) hoch. Und jetzt stehen sie niedriger, nicht so viel, wie sie müssten, aber immerhin.

Der nachdenkliche Paul
3 Jahre her

Zitat: „Das ist ein historischer Moment, ohne den die Zukunft der Gemeinschaftswährung und die Union selbst in Gefahr gewesen wären“.

Machen wir uns doch nichts vor und lassen uns von diesen Finanz Jongleuren doch nicht Sand in die Augen streuen. Die Zukunft der EU und des Euro bleiben weiter in akuter „Lebensgefahr“. Das Leben auf der Intensivstation EU wurde dadurch meiner Einschätzung nach nur weiter hinaus geschoben. Dabei spielen die Menschen, auch bei den DAX Fetischisten, schon lange keine Rolle mehr.