Der Wirecard-Skandal ist symptomatisch für die Schwäche des politischen Betriebes

Es mangelte im Fall Wirecard nicht an Regeln oder Behörden. Was fehlt, ist der politische Wille - nicht nur bei Olaf Scholz - zu unbequemem Handeln. Und das gilt nicht nur für die Finanzaufsicht, sondern alle Felder der Politik.

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Mag sein, dass dem Finanzminister kein unmittelbares, persönliches Versagen nachgewiesen werden kann. Olaf Scholz‘ Nimbus als emsiger Politik-Arbeiter und Aktenfresser, als letzter stiller und unbestechlicher Macher in der zur Schwätzer-Domäne gewordenen SPD ist jedenfalls dahin – mit Recht. Das ist jedenfalls für die politische Klasse Deutschlands die handgreiflichste Folge des Wirecard-Skandals – und vermutlich die einzige, die im Raumschiff Berlin für wirklich wichtig gehalten wird.

Natürlich ist der Fall Wirecard in erster Linie ein Wirtschaftsverbrechen, betrieben von skrupellosen Managern, die die neuen Möglichkeiten der virtuellen Wirtschaft mit krimineller Energie und unfassbarer Dreistigkeit ausnutzten. Für Anleger bleibt da nur die altmodische Lehre, auf die Corporate Governance zu achten, dem Management auf die Finger zu schauen – so gut das eben geht. Für Kleinanleger ohne tiefere Einblicksmöglichkeiten ist das kaum möglich. Für sie vor allem ist eine funktionierende staatliche Aufsicht unverzichtbar.

Doch der Wirecard-Skandal ist nicht nur ein Wirtschaftsverbrechen, eine Katastrophe für die betroffenen Anleger, für das Renommee des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Deutschland. Er ist ein symptomatischer Teil der tieferen Krise, in der dieses Land, diese Gesellschaft stecken.

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Scholz versucht nun umtriebig zu demonstrieren, dass er gelernt hat und Missstände anpackt. Sein Stab wird ihm geraten haben: Du musst jetzt einen Aktionsplan präsentieren! Das macht man in solchen Fällen. Und das tut auch Scholz. Er verspricht, die Finanzaufsicht Bafin zu stärken: mehr Geld, mehr Personal, mehr Rechte. Er will es jenen, die in oder mit betrügerischen Firmen arbeiten, leichter machen, ihre Informationen an die Aufsichtsbehörden zu geben.

Aber ist das wirklich die Lehre des Wirecard-Skandals? Wohl kaum. Denn die Informationen waren ja schon lange da, die Financial Times hatte ausführlich schon im vergangenen Jahr berichtet, andere Wirtschaftsjournalisten folgten. Nicht nur die Bafin und Scholz selbst, die gesamte Öffentlichkeit wusste von den Vorwürfen gegen das Wirecard-Management. Es fehlte also weder an sogenannten Whistleblowern, noch fehlte es an den Möglichkeiten, schon längst einzugreifen. Im Finanzministerium redet man sich heraus mit rechtlichen Beschränkungen, die ein energisches Eingreifen verhindert hätten. Doch das ist so unglaubwürdig, wie es immer unglaubwürdig ist, wenn sich Regierende darauf berufen, irgendwas sei „rechtlich nicht möglich“. Dann hätte man es schließlich im Bundestag mit Regierungsmehrheit möglich machen können – oder in Brüssel entsprechend initiativ werden können. Die Corona-Krise hat ja nun bewiesen, wie schnell sich neue Gesetze durchs Parlament peitschen lassen, wenn der Wille da ist.

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Der fehlte eben, der Wille, die Entschlossenheit zu handeln. Eine Alarmanlage ist wenig wert, wenn sie zwar klingelt, aber der Dieb weiß, dass niemand kommt, der ihn festnimmt. Das ist das Symptomatische an diesem Fall. Darum wird Wirecard in einem dereinst zu schreibenden Buch über das Versagen der politischen, aber auch wirtschaftlichen Eliten im frühen 21. Jahrhunderts vielleicht auch ein Kapitel verdienen. Es sind nicht fehlende Gesetze oder fehlendes Geld, die das Vertrauen von immer mehr Menschen in die politischen Eliten erodieren lassen. Es ist der fehlende Wille zum Handeln im Interesse dieses Staates und seiner Bürger.

Wirecard ist ein weiteres Beispiel für diese Lähmung der öffentlichen Hand oder vielmehr ihrer politisch Verantwortlichen. Für die Schwäche des deutschen Staates im Angesicht von Kriminalität und anderen Gesetzesbrüchen. Sie zeigt sich alltäglich in unseren Städten und kulminierte jüngst in den Gewaltnächten in Stuttgart und Frankfurt, die offenbarten, dass gewaltbereite Mobs längst wissen, dass krimineller Energie in der politischen Elite dieses Landes kein ausgeprägter Wille zum Handeln entgegensteht. Diese Lähmung fand in der Verweigerung vom Herbst 2015 ihren Höhepunkt, als sich kein Regierungsmitglied – Merkel schon gar nicht – traute, die Verantwortung für ein rechtmäßiges Handeln zu übernehmen. Vermutlich weil dies „hässliche Bilder”, öffentlichen Widerspruch, vielleicht auch gerichtliche Klagen von NGOs und Konsorten hervorgerufen hätte.

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Da lässt man lieber den Dingen ihren Lauf, hält solange an den schönen Illusionen fest, wie es eben irgendwie geht. Am Ende wird der Kelch der Verantwortung schon am einzelnen Minister vorübergehen. Und vor allem wollte man ja immer nur das Gute für die Menschen.

Das war auch im Falle Wirecard nicht anders. Es war so unbequem, den schönen Schein in Frage zu stellen. Schließlich gab es mit Wirecard endlich, was man jahrelang vermisst hatte: ein junges IT- und Finanz-Unternehmen, das scheinbar auf dem Weg in die Spitze der neuen Wirtschaftswelt der Virtualität war. Endlich ein junges Dax-Unternehmen – nach all den Klagen in der Finanzpresse, dass in Deutschland seit SAP kein Startup mehr nach ganz oben durchgestoßen sei. Wirecard war ein also Vorzeigeobjekt für Deutschlands Technologie, Finanzstandort und unternehmerische Vitalität. Eines, für das die Bundesregierung gerne auch bei China-Reisen die Türen aufzustoßen bemüht war.

Nein, es mangelt wahrlich nicht an Gesetzen, an Aufsichtsbehörden und Informationen über Missstände in Deutschland. Es mangelt auch nicht an Aktionsplänen. Es mangelt an Politikern, die bereit sind, persönliche Mühen und mitunter Risiken für ihren Machterhalt auf sich zu nehmen, um Missstände zu bekämpfen.

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Kommentare ( 25 )

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Ananda
3 Jahre her

„Diese Lähmung fand in der Verweigerung vom Herbst 2015 ihren Höhepunkt, als sich kein Regierungsmitglied – Merkel schon gar nicht – traute, die Verantwortung für ein rechtmäßiges Handeln zu übernehmen. “

Man verheizt kein Land nur weil man Angst vor „unschönen Bildern hat“. Migrationspakt, Förderung der illegalen Einwanderung, all dies arbeitet auf One World Despotismus hin. DDR sozialisiert.

daldner
3 Jahre her

Man geht halt den Weg des geringsten Widerstandes und greift sich Falschparker, GEZ-Säumige und Omas, die den Pudel nicht anleinen. Die anderen lässt man machen, weil die sich wehren können und werden. Das gilt für Wirecard ebenso wie für die Eventszene und die linken „Aktivisten“. Wer die Muskeln spielen lässt ist für den Staat kein leichtes „Opfer“ staatlicher Maßnahmen. So einfach und so schlecht ist es.

Silverager
3 Jahre her

Als alter Bilanzbuchhalter muss ich den Buchhaltern von Wirecard meinen Respekt aussprechen. 1,9 Milliarden Euro über die Jahre aus dem Nichts als Gewinn auszuweisen und in die Bilanz als Aktivposten einzustellen, erfordert ganz schön Mut. Und es dann noch so zu machen, dass die Wirtschaftsprüfer das mal eben abhaken, deutet auf sehr große Kreativität hin, und auf die Dummheit der Prüfer, natürlich. Nebenbei, ich hatte einige Aktien von Wirecard. Als die Financial Times ihre Vorwürfe erhoben, habe ich die Dinger sofort verkauft. Nicht selten, ist da, wo Rauch ist, auch Feuer. Nicht immer, natürlich nicht, aber eben öfter. Da war… Mehr

Karl Schmidt
3 Jahre her

Es ist ein Bonzen-Staat: Die Funktionseliten kreisen nur um sich selbst. Es geht darum Ämter zu ergattern und sich in diesen dann zu halten. Dafür hat oberste Priorität, sich nicht angreifbar zu machen und Netzwerke zu spinnen, die Karrieren – zum gegenseitigen Vorteil – ermöglichen und Kritik abwehren oder jedenfalls nicht weiter tragen. Mit einer Auswahl anhand von Kompetenz oder gar einem Rechtsstaat hat das nichts zu tun. Die Gesetze werden im Staat der Netzwerke nur noch selektiv angewandt: Macht hat nicht der (einheimische) Steuerzahler, sondern der, der eine lautstarke Lobby aufbieten kann. Die Bürger werden ausgenommen und erhalten keine… Mehr

daldner
3 Jahre her
Antworten an  Karl Schmidt

Sehr richtig. Das Amt als Beute, der Bürger als Steigbügelhalter, der alle 4 Jahre mal interessant ist und ansonsten gemolken und gemaßregelt wird. Die Glotze als Herrschaftsinstrument von Interessenverbänden… Grassierende Verblödung und Auflösung, wohin man blickt.

StefanB
3 Jahre her

Am Ende sind es die Wähler, die unfähige Politiker wählen. Selbstverständlich bleibt deren Unfähigkeit am Ende auch bei ihnen selbst hängen.

Alf
3 Jahre her

Wenn die Welt die Frage stellt: Was Deutschland tun muss, um an die EU-Milliarden zu kommen? https://www.welt.de/wirtschaft/plus212261655/Corona-Wiederaufbauplan-EU-koennte-Deutschland-zu-Reformpolitik-zwingen.html
dann ist alles gesagt. Allein der Begriff „EU-Milliarden“ spricht Bände. Wenn Deutschland an die Milliarden kommen will, die es selber einbezahlt, dann idealerweise durch Einbehalt. Man muß keine Milliarden an die EU überweisen/dafür Bürgen, wenn man diese Milliarden „kommen“ will. Die Krokodilstränen der Politiker, die wie immer nichts gewußt haben wollen, sind wenig beeindruckend, weil gespielt.

Und der politische Wille ist so ein Kunstwort, wie die politische Verantwortung. Das kann man knicken.

merkelinfarkt
3 Jahre her

Wenn dieser Staat nur „Einkommenssteuern“ kassieren kann, dann wird der diesen zugrundeliegende „Gewinn“ niemals hinterfragt! Im Gegenteil werden „Einkommenssteuern“ selbst gerne dann kassiert, wenn offensichtlich kein Gewinn vorliegt und das „Einkommen“ nur darauf beruht, dass der Staat die Ausgaben nicht anrechnen will. Scheingewinne als steuerlich „echte“ Gewinne zu betrachten ist für die Refinanzierung merkelscher Finanzuntaten unverzichtbar. Ein „Scholz“ will und kann da nicht raus.

Gernot Artus
3 Jahre her

TE ist der reguläre FAZ-Nachfolger. Beiträge dieser
Qualität wird man im ehemals konservativen Blatt, hinter dem angeblich immer ein „kluger Kopf“ stecken würde, heute nicht mehr finden. Die derzeitige Entwicklung zum regimeaffinen Propagandablatt jedenfalls hätte ein Joachim Fest niemals zugelassen…

handwerk
3 Jahre her

Heilige Worte. „Die Wirecard Schulden von Heute ist Steuer von Morgen“

Tizian
3 Jahre her

Das eigentlich Besorgniserregende ist doch, daß der neufeudale Hofstaat praktisch macht und machen kann, was er will. Ohne zur Verantwortung gezogen werden zu können, sich weiter dreist schmarotzend selbstbedienend und bereichernd, dabei das Land Tag für Tag weiter gegen die Wand fahrend und die Bürger mit unsinnigen Verboten und Regelungen aller Art drangsalierend und mundtot machend. Er macht immer weiter, einfach weil er es kann und der feige, dumme und obrigkeitshörige Michel ihn gewähren läßt. Das ist das wirklich Schlimme, alles andere ließe sich ändern und wieder verbessern. Aber das feige, widerstandslose Gewährenlassen ist die eigentliche Tragik und Dramatik dieses… Mehr