Brauchen wir die Gasfernleitung Nordstream 2? Ein paar Fakten

Nach einem Blick auf die Zahlen wird schnell klar: Wollen wir die Funktionsfähigkeit unserer Volkswirtschaft nicht gefährden, müssen wir uns mit den Rohstofflieferanten für Erdöl, Erdgas und Kohle gut vertragen, auch mit Russland. Mit Erneuerbaren allein ist es nämlich nicht zu schaffen. Von Klaus Hellmuth Richardt.

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Seit dem Beschluss der Bundesregierung, aus Kern- und Kohlekraftwerken auszusteigen, wird immer wieder diskutiert, wie der Wegfall dieser Kraftwerke kompensiert werden kann. Die einen setzen ausschließlich auf erneuerbare Energien (Windkraft, Photovoltaik), die anderen auf Wasserstoff aus Windkraft. Leider sind die erneuerbaren Energien nicht permanent verfügbar (Flaute, Nacht) und der aus der Elektrolyse oder chemischen Verfahren gewonnene Wasserstoff verliert durch die Umwandlung (Wind zu Wasserstoff, danach Wasserstoff zu Energie) so viel Energieinhalt, dass dies eine unnötige Verschwendung darstellen würde, weshalb man den Wind besser direkt nutzt, wenn er weht.

Auf der anderen Seite benötigen wir Ersatz für die abgeschalteten Kern- und Kohlekraftwerke sowie die Fernwärmeheizungen, die bisher Energieauskopplung aus Kohlekraftwerken nutzen.

Des Weiteren geht die Ausbeute der westeuropäischen Gasfelder (z.B. Niederlande) zurück und das aus Russland gelieferte Gas (Ausnahme: Nordstream 1 bereits in Betrieb, wie Nordstream 2 von Wyborg (RUS) über die Ostsee nach Lubmin bei Greifswald) kommt über Drittländer wie z.B. Weißrussland und Polen (Jamal-Pipeline) oder Ukraine und Tschechien (Transgas), was bei politischen Problemen zu Lieferausfällen führen kann.

Zusätzlich zu dem über Fernleitungen gelieferten Gas gibt es noch Flüssiggaslieferungen (LNG) per Schiff aus Katar, Nigeria, Algerien und bald auch aus den USA, was laut Wintershall in diesem Jahr bis zu 24 Prozent der europäischen Gasnachfrage abdecken kann.

Wegen der Zusatzkosten für Verflüssigung, Transport und Rückumwandlung in Gas ist Flüssiggas teurer als leitungsgebundenes Gas. Zudem ist der Schadstoffausstoß zum Beispiel beim Fracking in USA, erheblich höher als bei der normalen Gasförderung und dem Weitertransport per Pipeline, aber immer noch niedriger als bei der Verbrennung von Braun- und Steinkohle.

Nun zum bisherigen Gasverbrauch in Deutschland:

Laut AGEB-Statistik (Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V.) wurden im Jahr 2019 in Deutschland 985,2 TWh (oder 3546,7 PJ) an Erdgas verbraucht. Bezogen auf den Gesamtenergieverbrauch in Deutschland waren das 24,9 Prozent (s.unten).

Die geplante Nordstream 2 Pipeline soll pro Jahr zusätzlich 55 Milliarden m³ Gas direkt aus Russland liefern, dies entspricht einem Energieinhalt (bei einem Heizwert von 11,3 kWh/m³) von 2237,4 PJ.

Wollen wir die Kernenergie (6,4 Prozent), Braunkohle (9,1 Prozent) und Steinkohle (8,8 Prozent) ersetzen, benötigen wir 24,3 Prozent von 12832 PJ, also 3118 PJ, das heißt, wir müssten Nordstream 2 und noch zusätzliche Gaskapazitäten (zum Beispiel Flüssiggas) importieren, um das Ziel des vollständigen Ersatzes von Kern- und Kohlekraft zu erreichen, denn mit erneuerbarer Energie ist das nicht zu schaffen.

Wollen wir die Funktionsfähigkeit unserer Volkswirtschaft nicht gefährden, müssen wir uns mit den Rohstofflieferanten für Erdöl, Erdgas und Kohle gut vertragen, denn laut AGEB stammten 2018 aus Importen:

  • 88% der bei uns verbrannten Steinkohle (2019: 100%)
  • 99% des Mineralöles
  • 97% des Erdgases.

Laut Statista hat Deutschland 2019 aus Russland 55,6 Mrd m³ Gas importiert, in der gesamten EU waren es 188 Mrd m³.

Die Niederlande haben ihre Gasfelder bereits soweit ausgebeutet, dass sie spätestens 2030 (laut PST-Energie) den Gasexport ins Ausland einstellen, weil die entstandenen Hohlräume unter dem Festlandsockel zu Schäden und Erdbeben führen und geführt haben. 

Die Förderung aus norwegischen Gasfeldern über die drei Pipelines Norpipe sowie Europipe 1 und 2 beträgt laut Bundeswirtschaftsministerium 54 Mrd. m³ jährlich.

Würden wir also Nordstream 2 nicht weiterbauen oder wegen politischer Probleme die Gaslieferungen aus Russland reduzieren bzw. einstellen, wäre unsere Gasversorgung in hohem Maße gefährdet, denn die Kapazitäten der LNG-Terminals (Lieferung von Flüssiggas per Tanker) reichen nicht aus, um die russischen Lieferungen zu ersetzen. Zudem hat uns Russland, auch bei politischen Problemen, uns noch nie mit Gaslieferungen im Stich gelassen, was bei den USA (Stichwort: ‚America First‘) nicht sichergestellt ist.

Wollen wir unsere Energieziele einhalten, brauchen wir russisches Erdgas einschließlich Nordstream 2 und wir müssen jetzt schon Gaskombikraftwerke neu bauen, um die bald abgeschalteten Kern- und Kohlekraftwerke zu ersetzen, da Vorstudie, Genehmigung, Ausschreibung, Neubau und Inbetriebnahme dieses Kraftwerkstyps mindestens 7 Jahre dauern.


Dipl.-Ing. Klaus Hellmuth Richardt ist Autor des Buches:
Damit die Lichter weiter brennen. Für eine professionelle Energie- und Verkehrswende

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Kommentare ( 54 )

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Nuntio
3 Jahre her

Was immer wir an Gas brauchen oder eher nicht:
„Es gibt ausreichend Pipeline-Kapazitäten, die man nutzen kann, es gibt auch in vielen Ländern Flüssiggasterminals, die hinzugebaut wurden.“
Claudia Kemfert, Energieexpertin DIW
Hier handelt es sich um ein Prestigeobjekt von Gerhard Schröder und der SPD.
Und mit Okkupanten (Krim), Kriegsverbrechern (MH17) und Mördern(Skripal, Nawalny, Khangoshvili) macht man keine Geschäfte.

Karl Heinz Muttersohn
3 Jahre her

Inzwischen glaube ich, dass in Deutschland einen landesweiten Stromausfall von erheblicher Dauer geben muss, bevor der Michel aufwacht.

Norbi
3 Jahre her

Lieber Herr Richardt, im letzten Kapitel ihres Beitrages erwähnen sie die Kapazität der LNG Terminal, vergessen dabei aber zu erwähnen das es in D noch überhaupt kein solches Terminal gibt! In Brunsbüttel ist eins geplant, Baubeginn angeblich 2020. Die Grünen sind dagegen und die Deutsche Umwelthilfe hat schonmal eine Studie in Auftrag gegeben warum der Standort ungeeignet sein soll. Ich selber habe als junger Ingenieur in den 70ger Jahren an der Planung eines Terminals in Wilhelmshafen mitgearbeitet, das wurde damals dann auf Eis gelegt und liegt da meines Wissens nach immer noch.

Donostia
3 Jahre her

Die Abhängigkeit beim Gas ist überschaubar, da es genügend Länder gibt die gerne liefern. Außerdem, so hab ich gelesen, hat Deutschland die Möglichkeit der Gas-Bevorratung für 90 Tage. Bei einem Boykott eines Landes kann man sich in dieser Zeit nach anderen Lieferanten umschauen. Nordstream II hat auch den Vorteil, dass man das Gas direkt von den Russen bekommt. Vor ein paar Jahren hat die Ukraine einen Streit mit Russland gehabt bezüglich der Bezahlung von Gaslieferungen von Russland an die Ukraine. Die Ukraine hat daraufhin den Gashahn nach Westen blockiert. Soll heißen, obwohl Russland gegenüber Deutschland geliefert hätte, konnten sie nicht… Mehr

Albert Pflueger
3 Jahre her

Na Klar braucht man Nordstream 2! Aber nur unter der Voraussetzung, daß man die dümmliche Energiepolitik der Bundesregierung als gegeben hinnimmt! Ich bin nicht dafür, alle möglichen Kraftwerke abzuschalten, um dann Gas zur Stromerzeugung zu nutzen, das aus einem Land kommt, dem man meint, mit Sanktionen in die Suppe spucken zu müssen. Das ist doch geradezu grotesk!!

Amerikaner
3 Jahre her

So uncool und völlig unvisionär hier einfach so mit Fakten zu kommen. Wir müssen einfach alle fester daran glauben, mitmachen, in die Hände klatschen und frohen Mutes in die Zukunft blicken. Eine Zukunft, wo uns die Sonne keine Rechnung schickt! Da gibt es tolle Konzepte, die seit mindestens 30 Jahren nur wenige Monate von der Marktreife entfernt sind, wie etwa den Wunderakku, Power to X, Solarzellen mit 120% Wirkungsgrad und Windräder die an der Stratosphäre kratzen. Und durch die dezentrale, geschlechtergerechte und öko-soziale Energieversorgung, die auch MigratInnen nicht ausschließt, speisen wir dann alle unsere Elektroautos. Und damit haben wir dann… Mehr

Ede Kowalski
3 Jahre her
Antworten an  Amerikaner

Nicht zu vergessen die neuen Jobs die durch Energie-und Verkehrswende entstehen werden, vor allem bei Konkursberater und Insolvenzverwalter.

Deutscher
3 Jahre her

1. Wir brauchen Gas, also brauchen wir eine Leitung

2. Das Projekt ist fast fertiggestellt, also wird es auch durchgezogen

3. Wenn die Baerbock sagt, man müsse stattdessen eine Koboldleitung bauen und schulterzuckend hinzufügt, die Entschädigungen müssten dann halt wohl gezahlt werden, dann sollen die Grünen dies bitte aus ihrer Parteikasse finanzieren. Alternativ könnte Hofreiter auf vegane Kost umsteigen, dann kann er das übrige Fleischgeld dafür aufwenden und außerdem seine dann vermehrten rektalen Methanemissionen als biologisches Brenngas anbieten, vielleicht auch als Kraftstoff für Fegebanks Ferrari, dessen Antrieb man auf Gas umstellen könnte.

Dr. Mephisto von Rehmstack
3 Jahre her

Das kann aber nicht stimmen Herr Inschenjeur, Frau Professor Kemfert hat im Spartenkanal PHÖNIX gesagt, daß wir gar keine zusätzlichen Gaslieferungen bräuchten, weil der Gasverbrauch eh zurückgehen wird und mit der Gebäudesanierung und der Verkehrswende und den Erneubaren sowieso alles gut wird, und die ist Professorin, (allerdings nur für Wirtschaft an der Flachhochschule Oldenburg), aber sie berät die Kanzlerin.

Politkaetzchen
3 Jahre her

Ich gehe mal davon aus, dass Deutschland komplett am russischen Tropf hängen wird, während dem doofen Volk den „Erfolg der CO2 Neutralität dank erneuerbaren Energien“ vorgesungen wird. Und falls die Russen uns irgendwann mal den Stecker ziehen, sagt man schnell Trump oder böse Rechte sind schuld oder man hat zu viel CO2 gemacht. Der auf Linie gebrachte Michel wird dann um so überzeugter durch die Gegend hüpfen bis irgendwann der Knall kommt.

the NSA
3 Jahre her
Antworten an  Politkaetzchen

„Und falls die Russen uns irgendwann mal den Stecker ziehen“…..der Russe und seine juedisch-bolschwistischen Horden…!

Leben Sie noch im Jahre 1933 ??

Olaf W1
3 Jahre her

Ein Blödsinn! Wenn ich selbst keine auttarken Ressourcen habe, die ich als Staat zur Aufrechterhaltung meiner Grundversorgung und Infrastruktur brauche, habe, dann muss ich eine von politischen Ausgangslagen unabhängige Versorgung schaffen. Und das ist nunmal die Kernkraft (egal ob als konventioneller Reaktor oder in Form der modernen Fusionsreaktoren, wie Sie gerade in Frankreich von Elf gebaut werden) und mit eigenen, wenn auch nicht riesigen Uranvorkommen ist man da unabhängig und da die Freie Universität Berlin ja ein Verfahren zur sortenreinen und damit wiederwendbaren Zerlegung von „Atom-Müll“ in seine einzeln ungefährlichen Bestandteile am entwickeln ist/war und man sich auf dem Weltmarkt… Mehr