Bei Illner ohne Illner: Mein Freund Virus spricht zu uns

Illner ist krank und daher steht alles Kopf: Die großen Anzugträger haben mit einer Philosophin und Boris Palmer die Rollen getauscht. Und so schlägt die Stunde der Metaphern.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Gleich zu Beginn blickt uns ein mir unbekanntes Gesicht an. Maybrit Illner ist krank, so klärt uns ihre Vertretung Matthias Fornoff, sie liegt mit einem Infekt im Bett. Aber es ist kein Corona, darauf wurde sie negativ getestet, erfahren wir schnell – so als müsste man befürchten, dass ein paar Zuschauer sich im heimischen Wohnzimmer sonst eine Maske aufsetzen würden (sicher ist ja schließlich sicher).

Das Thema der Sendung ist simpel gehalten, vielleicht wegen Illners Abwesenheit (gute Besserung übrigens): „Erst Lockdown, dann Impfung – kommen wir so durch den Winter?“ Angelehnt an Merkels Plädoyer zur Verschärfung: „Mit diesen Maßnahmen kommen wir nicht durch den Winter“. Darf man der Kanzlerin da überhaupt widersprechen, oder sie wenigstens kritisch hinterfragen? An dieser Stelle scheiden sich die Geister – in mehr und weniger unerwartete Lager.

Mit dabei ist Peter Altmaier. Bei den Positionen, die er an diesem Abend vertritt und nicht vertritt, muss man es trotz Bekanntheit doch dazu sagen: ja er ist tatsächlich noch unser Bundeswirtschaftsminister. Mit der Position scheint er sich aber nicht mehr so ganz identifizieren zu können. Altmaier wurde offensichtlich wegen seiner Expertise im wirtschaftlichen Bereich eingeladen, doch sobald er dazu angesprochen wird, würdigt er das mit nicht mehr als einem Satz, um dann sofort abzulenken. So ganz noch dem Motto: Ja, wenn ich mich jetzt für die Wirtschaft interessieren würde, fände ich das natürlich schlecht, aber als Mensch und Laie interessieren mich ausschließlich Omas in Seniorenheimen.

Heft 12-2020
Tichys Einblick 12-2020: Lockdown im Kopf
Mit Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, ist eine weitere Politikerin vertreten. Während Altmaier eher in einer persönlichen Selbstfindungsphase ist, hat sie ihr Selbst schon längst aufgegeben – sie befindet sich im Wahlkampf. Und da lautet die Devise: ich kann alles sein was ihr wollt, aber egal was, ich war‘s nicht. So beginnt sie ihren Auftritt mit der üblichen Leier: „Gerade zu Weihnachten sollten wir uns alle vornehmen, dass wir unsere Liebsten auch schützen“. Dass die halben Lockdowns und Maßnahmen nicht angeschlagen haben, war allerdings nicht ihre Schuld, denn sie hat ja nur gemacht, was die Wissenschaftler und ihre Berechnungen empfohlen haben. Als dann angesprochen wird, dass man die Kritik auch ernst nehmen muss, hält sie ihr Mäntelchen auch hier in den Wind und stimmt zu – hörte sich wohl nach Stimmensuche für die nächste Wahl an.

Kommen wir zum großen Fachmann des Abends, dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery: über ihn sagt die zunehmend rote Gesichtsfarbe im Verlauf der Diskussion eigentlich schon fast alles. Ihn halten keine lästigen Wahlen davon zurück zu sagen, was er denkt – nur ist er wohl sonst keinen Widerspruch gewohnt. Und das obwohl er schon lange über dieses Weihnachten hinaus ist, er ist schon dabei, das nächste zu canceln. Er spricht sich vorerst gegen eine Impfpflicht aus. Das tut er aber nicht etwa aus liberalen Gründen, sondern nur, weil der Impfstoff noch nicht ausgereift genug dafür ist. Und ohnehin: Das Virus kenne so etwas wie Verhältnismäßigkeit nicht. Dass das Virus Dinge nicht kennt, ist im Allgemeinen ein sehr konstanter Ausdruck bei ihm. Ganz nach dem Motto „ich und das Virus, das Virus und ich“ nutzt er das Unwissen über Corona, um seinen eigenen Wahn zu begründen.

Das Virus lebt!

Dem wütenden Mediziner stellt sich vor allem in Sachen Impfung, im Einspielfilmchen „unseren patriotischen Pieks“, Boris Palmer entgegen. Der Oberbürgermeister von Tübingen hält sich den größten Teil der Sendung zurück, doch dann geht es ihm zu weit. Montgomery sieht es als selbstverständlich an, dass wir bald einen Impfnachweis erbringen müssen, sobald der valide ist. Da schreitet Palmer entschieden ein: „Wenn wir für das Impfen werben wollen, dürfen wir die, die sich aus individuellen Gründen dagegen entscheiden, nicht als Verweigerer abstempeln.“ Montgomery zeigt sich empört. Wie kann man die Weigerer denn nicht bestrafen? Zuletzt fragt er Palmer, ob er denn wenigstens zustimme, dass die, die nicht geimpft sind, weiterhin Maske tragen müssen. „Wir werden jetzt nicht 20 Jahre Masken tragen“, entgegnet Palmer darauf nur.

Mit diesem Widerstand ist Palmer nicht alleine. Einen Gast habe ich nicht vorgestellt, den menschgewordenen Beweis dafür, dass der erste Eindruck auch täuschen kann. Svenja Flaßpöhler ist Philosophin und Publizistin und kommt mit ihren kurzen, wild gestylten Haaren doch sehr links rüber – und gibt uns einen kleinen Einblick, was wir zu erwarten haben, wenn die Friseure wieder schließen müssen. Das hindert sie allerdings nicht daran, die vielleicht besten Anmerkungen des Abends zu machen. Sie verteidigt vernünftige Standpunkte, erinnert daran, dass man „in einer liberalen Gesellschaft, in der wir uns ja nun mal befinden“, die Bevölkerung mitnehmen muss, „die ist auch sehr skeptisch“. Sie gibt zu bedenken, dass es auch „berechtigte Fragen an den Impfstoff“ gibt und dass das Vertrauen in der Bevölkerung „gerade bröckelt“.

Corona-Impfstoff
Probleme der Massenimpfung gegen SARS-CoV-2
Ohne Illner herrscht im Studio verkehrte Welt. Man hat auf der einen Seite die stocksteifen Anzugträger: einen Wirtschaftsminister, einen Arzt und Vorstandsvorsitzenden, eine Ministerpräsidentin mit rechtswissenschaftlichem Hintergrund. Auf der anderen Seite eine Philosophin und einen Vertreter der Sonnenblumenpartei. Doch sie scheinen die Rollen getauscht zu haben. Aus dem Lager derer, die eigentlich sachlich sein müssten, hört man die wildesten Metaphern. Allen voran Montgomery, der über das Innenleben des Virus philosophiert. Für ihn scheint es zu leben und zu denken. Ich bin keine Psychotherapeutin, aber für mich scheint es fast so, als hätte er in diesem Wesen einen Freund gefunden, der ihn auf tieferer Ebene versteht. So kommen Sätze wie „Wer zu spät kommt, den bestraft das Virus“ zustande und vor allem das Highlight des Abends „Das Virus kennt kein Weihnachten, Ramadan und kein Hannuka, das kennt nur Opfer“.

Während die, die eigentlich seriös und vom Fach sein sollten, sich mit ihrem unsichtbaren Freund beschäftigen, den sie so schnell nicht wieder her geben wollen, ist es nun an der Philosophin und am Sonnenblümler, Klartext zu sprechen, die Fragen zu stellen, die zu stellen sind. Einschätzungen anzufertigen, Entscheidungen zu treffen und nicht zu treffen. Sie sind diejenigen, die auf die Menschen schauen und erkennen: die wollen das gar nicht. Währenddessen fokussiert sich die „Elite” auf das Virus, bis es zu ihnen spricht.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 40 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

40 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
moorwald
3 Jahre her

Ich hatte schon mal zitiert: „Die Macht an sich ist böse“ (J. Burckhardt)
Hätte es je eines schlagenderen Beweises bedurft als in diesen Zeiten außer Rand und Band?

Hannibal ante portas
3 Jahre her

Abwarten. Auch hier wird sich ein Foto finden mit blondem Gesprächspartner.

moorwald
3 Jahre her

Sie wissen nicht, was sie tun – aber das tun sie mit äußerstem Einsatz.
Alle lockdowns werden die Ausbreitung des Virus nicht verhindern

moorwald
3 Jahre her

Nun steuern wir auf die Endphase des Dramas „Corona“ zu. Das bedeutet: die Bürger müssen total isoliert werden, also eingesperrt.
Kretschmer ist da schon sehr weit. „Autoritär“ müsse der Staat nun vorgehen – was war das also bisher?
Und so klären sich die Fronten.
Es wird aber auch das Ende des Regimes sein, das sich auf „Corona“ stützt. Der Kippunkt ist bald erreicht.

Sina Gaertner
3 Jahre her

„Ich bin keine Psychotherapeutin, aber für mich scheint es fast so, als hätte er in diesem Wesen einen Freund gefunden, der ihn auf tieferer Ebene versteht.“
You made my day! Danke für den launigen Bericht, der dennoch informativ ist, für Menschen wie mich, die das öffentlich rechtliche TV aus „nervlichen“ Gründen schon lange nicht mehr ertragen. Ich sage nur, Liebermann…Sie wissen schon.

ChristianeB
3 Jahre her

Mein unmittelbarer Nachbar ist der Chefarzt des hiesigen Krankenhauses. Seit Tagen ist der gute Mann damit beschäftigt, sein kürzlich erworbenes Wohnmobil zu komplettieren. Er hat Urlaub und beides, Urlaub und Wohnmobil, seien ihm gegönnt. Auf meine Nachfrage, wie denn die Situation im Krankenhaus sei, bekam ich als Antwort, er wäre ja schon 2 Wochen in Urlaub und gerade nicht so auf dem Laufenden. Wer’s glaubt, wird selig. Er will halt keine Auskunft geben. Also habe ich mich auf der Seite der Kreisverwaltung schlau gemacht. Der Kreis hat 340 000 Einwohner. Aktuell gibt es 702 Infizierte, womit wohl positiv Getestete gemeint… Mehr

Dr. Rehmstack
3 Jahre her

Sehr zutreffende und pointierte Darstellung, vielen Dank dafür. Ich möchte dazu aber unbedingt empfehlen, sich nochmal die Sendung mit dem Lanz anzuschauen. Aus zwei Gründen: da hat doch der selbsternannte Epidemiologen frechgrinsend behauptet, er habe schon immer von Schulschließungen abgeraten und wird von Lanz heftigst unterstützt. In der WELT vom 5.5 liest man:https://www.welt.de/politik/deutschland/article207745109/Schule-Corona-Lauterbach-Regulaerer-Unterricht-faellt-mind-1-Jahr-aus.html. Ich habe seine Aussagen bei Lanz noch gut in Erinnerung, sie gingen weit über das hinaus, was die WELT berichtet. (Er hat auch aus seiner Karriere wichtiges berichtet: eigentlich wollte er in Dallas TX Herzchirurg werden, habe sich dann aber der Epidemiologie zugewand, für die er bis… Mehr

MariaundJosef
3 Jahre her

Vielen, vielen Dank, liebe Frau David, dass Sie sich diesen „ Zirkus“ ansehen und uns, mit viel Humor und Sarkasmus, informieren.

November Man
3 Jahre her

Herr Altmaier hat zu Recht auf die frühere spanische Grippe hingewiesen. Die spanische Grippe kann man aufgrund der Todeszahlen als eine richtige Pandemie bezeichnen. Bei einer damaligen Weltbevölkerung 1918 von etwa 1,8 Milliarden Menschen starben an dieser Influenza-Grippe laut WHO zwischen 20 Millionen und 50 Millionen, Schätzungen reichen sogar bis 100 Millionen an dem Influenza- Grippevirus erkrankten und verstorbenen Menschen. Wenn man nun die heutige Weltbevölkerung von ca. 7,8 Milliarden Menschen, mit den vorgegebenen unglaubhaften Zahlen an und mit Corona Verstorbenen prozentual vergleicht, haben wir alles anders als eine Pandemie. Deshalb ist und bleibt Corona ein politisches, wirtschaftliches und finanzielles… Mehr

Jack
3 Jahre her

Danke für diese Zusammenfassung, den beschriebenen Inhalt kann ich mir unbesehen gut vorstellen. Es bestärkt mich in meiner Entscheidung diese Sendungen nicht mehr zu schauen. Ein Gedanke zu Herrn Montgomery dem Vorsitzenden des Marburger Bundes. Der Marburger Bund ist der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte. Dieser Verband hat im letzten Jahr, lange vor Corona zu Demonstrationen aufgerufen um die Zustände im Kranken- und Pflegesystem transparent zu machen und zu beklagen. Ich selbst habe eine Großdemo in Marburg erlebt. Auf den Transparenten konnte ich lesen, „ich kann nicht mehr, ich brauche geregelt Arbeitszeiten und Auszeiten“ usw. . Hat… Mehr