Die 100: Du bist niemals woke genug

Das Erziehungsprogramm funktioniert – beim ausgewählten Wahlvolk. Man empört sich, belehrt und vergisst zu argumentieren. Die Doppelmoral der Woke-Propaganda entlarvt sich trotz des erhobenen Zeigefingers. Von Franka Haase.

Screenprint ARD
Mit feuchten Augen hissen die Teilnehmer von "Die 100" eine Regenbogenfahne im Studio

Ganz im Sinne der Show müssen wir Sie warnen: bitte lesen Sie nur weiter, wenn Sie geistig in guter Verfassung sind. Das Ziel von Wokeness ist schließlich, niemanden zu verletzen – und das Abendprogramm der ARD kann schmerzhaft sein. Die 100 -–Ist Deutschland zu woke? wird von Ingo Zamperoni und seinen beiden Kollegen Linda Zervakis und Ralph Caspers moderiert. Eine Show, für die das Publikum nach einem Fragenkatalog ausgewählt wird. Mit der richtigen Gesinnung ist man dabei. Ausgewogene Berichterstattung? Der ÖRR freut sich seiner Narrenfreiheit.

Ein buntes Zirkuszelt voller Sterne

„Wir sind hier ein großer Zirkus bei Die 100“, verkündet Moderator Ralph Caspers. Aha, ungewohnt ehrlich – könnte man meinen. Aber seine Aussage zielt auf etwas anderes ab: „Wenn Sie wollen, können Sie jetzt diese Regenbogenflagge mal hissen“ und gelenkten Widerstand leisten. Gegen den Bundestag, der dieses Jahr nicht die Regenbogenfahne hissen durfte, weil Bundestagspräsidentin Julia Klöckner es nicht erlaubte. Unter Applaus und Musik greifen die umstehenden Leute das Seil und ziehen die bunte Flagge am Fahnenmast hoch. Eine Fahne, zu der man sich bekennen kann, ohne Ärger zu bekommen. „Zur Regenbogenfahne stehen, heißt, gegen Diskriminierung zu sein“, teilt Zuschauerin Irene Latz mit. Nun weiß das Publikum, welche Fahne man bei Bedarf aufhängen kann; wer hingegen die deutsche Fahne hisst, muss mit Besuch durch den Staatsschutz rechnen.

Als nächstes verschenkt Caspers einen Genderstern „für den Weihnachtsbaum als Teil des zivilen Ungehorsams“. Er hält sich vermutlich für rebellisch. Gandhi dürfte sich im Grab umdrehen. Auf Prideparaden fahren Wagen von SPD, Linke und Grüne mit – letztes Jahr waren zwei davon noch Regierungspartei – aber ein Genderstern steht für zivilen Ungehorsam. Diesen „Widerstand“ hofiert der ÖRR. Im Sprachchor übt die Gruppe das diskriminierungsfreie Sprechen ein. Von Scho-ko-kuss bis Forscher-innen. So löst Sprache alle Probleme von Industrieabwanderung bis Migration.

Das berüchtigte Indianerkostüm und Friedensunfug

Auch die sogenannten „Kontraargumente“ bleiben linientreu: Kulturelle Aneignung bei Faschingskostümen. Sexy Krankenschwester, Serienmörder, Scheich oder Indianer, welches geht gar nicht? Was konkret so diskriminierend an einem Indianer- oder Scheichkostüm ist, ist gar nicht so leicht zu erklären, merkt Pamir Sadeqi. Dabei hat sich der Lehramtsstudent damit intensiv beschäftigt. Insgesamt sind erstaunlich viele junge Lehrkräfte anwesend. Gut argumentieren – wie in der Schule gelehrt – können sie nicht. Eine von ihnen verbittet sich bei den Kostümvorschriften DDR-Vergleiche. Warum? Sie hat Geschichte studiert, lehrt das jetzt und gestikuliert ungehalten. Keine Argumente, aber studiert – das überzeugt!

Jimmy Hartwig, ex-Fußballspieler, stellt seine Leidensgeschichte vor – ein Großvater, „ein saudummer Nazi“, der ihn ob seiner Hautfarbe nicht akzeptieren konnte; Prügel; rassistische Chöre im Stadium. Hartwig bricht die Stimme, dem gestandenen Mann kommen die Tränen. Das ist schlimm. Das geht nah – doch in der Welt der ARD ist es das gleiche, wenn im Fußballstadium 1982 die Hooligans grölten „Jimmy, du Negerschwein“, und wenn sich heute ein Kind einen Sombrero aufsetzt. Dieses Argument bedient Caspers.

Linda Zervakis bringt immerhin die Cancel Culture zur Sprache. Bevor die Gäste darüber aber abstimmen können, grätscht Ingo Zamperoni dazwischen: schnell auch das Gegenargument hören. Nicht, dass das gewünschte Stimmungsbild verzerrt, weil plötzlich Leute wie Nena, Alice Schwarzer oder Joshua Kimmich als Opfer dargestellt werden. Das Gegenargument: Kritiker der Cancel Culture canceln selbst, wie Markus Söder und Friedrich Merz. Sie verbreiten sogar, dass Lehrkräfte an Schulen und Universitäten gendergereechte Sprache verlangen können! Für Irene Latz ist die Sache klar: wenn Alice Schwarzer mit Sahra Wagenknecht über irgendwelchen Unfug redet, braucht sie sich über einen Shitstorm nicht zu wundern. Forderungen nach Frieden und Diplomatie sind also Unfug. Vielleicht wacht sie eines Tages auf und nimmt ihren eigenen Unfug wahr.

Wenn ein Schwarzer sich nicht als Opfer fühlt

Ein entlarvendes Schauspiel bietet sich am Ende. Ein ehemaliger Polizist, Arwed Weißschuh, redet unverblümt von Zigeunern und fragt in die Runde, wer schon einmal mit einem gesprochen habe? Keine Antwort. Er kenne einen, der ihm erzählt habe, stolz auf die Bezeichnung zu sein. Trotz eindringlichen Nachbohrens von Zamperoni will der Mann sich nicht korrigieren lassen. Und dann die Mohren: Ob den anderen die Herkunft des Begriffs bekannt sei? Der leite sich von den Mauretaniern ab. Da diese früher die besten Ärzte hätten, hießen bis heute viele Apotheken „Mohren-Apotheke“. Eine weitere junge Lehrerin, Ellen Achter, kann kaum an sich halten vor Empörung. Sie fordert die Männer von der Gegenseite auf, näher zu kommen, sodass sie ihr zuhören können. Ungeheuerlich, so über Menschen zu sprechen, die damals gar nicht gefragt wurden, belehrt sie.

Rahim Osei-Davies, Jurist aus Hamburg, widerspricht ihr: „Das wird jetzt manche überraschen, aber du sprichst nicht für mich, ehrlich gesagt“. Bei der „Mohren-Apotheke“ stimme er seinem Vorredner zu, er sehe das eher als Anerkennung der damaligen mauretanischen Gelehrten. Die Lehrerin schüttelt unwillig den Kopf und zieht sich hinter anderen Teilnehmern zurück. Das scheint so nicht in ihr Konzept zu passen, ein Schwarzer widerspricht seinem Opfernarrativ.

Trotzdem wird die Sendung zum Schluss noch rund. Die schwachen bis kaum wahrnehmbaren Argumente haben eine Frau dazu bewogen, aufgrund der Sendung doch noch die Seiten zu wechseln. Bisher dachte sie immer, es gäbe einen Zwang zum Gendern. Aber das stimme gar nicht. Jetzt ist sie und die Mehrheit der Teilnehmer überzeugt, wir brauchen mehr Wokeness. So findet die Show ein gutes Ende und die Realität bleibt außen vor.

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Kommentare ( 23 )

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23 Comments
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Jan Usko
30 Minuten her

Und die „Hass-gegen-Andersdenkende-Flagge“ als quasi-religiöses Bekenntnis gehorsamst immer mit dabei…

Juergen P. Schneider
47 Minuten her

Den Mächtigen in den Enddarm kriechen ist also jetzt eine Widerstandshandlung. Mehr muss man über das deutsche Deppen-TV eigentlich nicht wissen.

Buck Fiden
53 Minuten her

Ich halte richtiges Gendern für wichtig, es präzisiert Sprache.
Es ist ein Unterschied, ob ich von einer Leiter runtersteige, oder von einer Leiterin.

Hieronymus Bosch
54 Minuten her

Ja, da sieht man wieder einmal, wie leicht es ist, Menschen zu verdummen und auf Linie zu bringen! Aber der Blödheit sind in Deutschland ohnehin keine Grenzen gesetzt!

Laurenz
2 Stunden her

Woke is over, weil nicht zu finanzieren. Die Woken haben es nur noch nicht gemerkt, daß sie Geschichte sind.

Logiker
2 Stunden her

„….Jetzt ist sie und die Mehrheit der Teilnehmer überzeugt, wir brauchen mehr Wokeness. So findet die Show ein gutes Ende und die Realität bleibt außen vor…..“

So sieht’s aus – immer weiter auf dem alten, falschen, von der Mehrheit der Bürger nicht legitimierten Weg – kein Grund, auch nur irgendetwas zu verändern.

Das ist genau das Prinzip, was wir gerade von der Poltik des selbsternannten „Kerneuropa“ sehen.

Also nichts Neues – Politik und medien im unerschütterlichen Gleichschritt!

Monika Vogel
2 Stunden her

Dieser ÖRR-Zirkus ist deutsche Dekadenz in ihrer Endstufe der links woken Indoktrination. Allen Eltern mit Vernunft und Realitätssinn muss es himmelangst werden, ihre Kinder der neudeutschen linken woken Lehrerschaft auszusetzen.

Biskaborn
2 Stunden her

Solange sich Menschen diesen Schwachsinn anschauen machen die ungerührt weiter! Hier liegt das Problem!

Montesquieu
2 Stunden her

Eine objektive Untersuchung zwischen Wokeness- und Neurotisierungs-Grad wäre interessant, wenn auch das Ergebnis absehbar ist.

baval
2 Stunden her

Kein Wort über die Reichweite, Quote oder eine sonstige quantifizierbare Metrik. Das hier ist einfach nur Werbung, negativ, ja, aber Werbung bleibt Werbung, deskriptive Bewerbung von Sozialisten Propaganda. War bei der kontrollierten Ost Oppositions Propaganda nicht anders