Bei Hart aber Fair: Man nannte es Soziale Marktwirtschaft

Bei Hart aber Fair geht es um Geringverdiener. Während die einen mit altbekannter Antikapitalismusrhetorik herum poltern, blamiert sich die wohl genau zu diesem Zweck eingeladene FDPlerin: Sollen sie doch Midlife-Bafög essen.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Der Einstieg in diese Ausgabe von „Hart aber Fair“ ist anders. Es soll an diesem Abend um Löhne und Lohnungleichheiten gehen. „Arm trotz Arbeit – wird sozialer Aufstieg zum leeren Versprechen?“ Es soll eine coronafreie Sendung werden. Anstelle knackiger Einführungsworte und einer Eröffnungsrunde beginnt Plasberg dieses mal ungewohnt persönlich.

Denn zu Beginn der Sendung widmet sich Plasberg ausführlich seinem Gast Djamila Kordus. Sie ist alleinerziehende Mutter aus Berlin und arbeitet als Lageristin. Sie berichtete in der Sendung vom alltäglichen, schwierigen Balanceakt zwischen Vollzeitjob, Rechnungen bei 10,64 Stundenlohn zu zahlen und ihrer kleinen Tochter ein Vorbild zu sein. Sozialhilfe will sie nicht in Anspruch nehmen – auch, wenn sie trotz Arbeit nur knapp mehr als das Arbeitslosengeld verdient. Ich möchte das überhaupt nicht“, meint sie entschieden. „Ich bin so großgeworden, dass Arbeit das wichtigste ist und ich bin ja auch ein Vorbild für mein Kind.“ Was kann man tun, damit Menschen wie Frau Kordus mehr von ihrer Arbeit haben – das ist die Frage, mit der sich die Runde beschäftigen soll.

Heft 05-2021
Tichys Einblick 05-2021: Voll vor die Wand
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), FDP-Bundesvorstandsmitglied und Bremer Fraktionsvorsitzende Lencke Wischhusen, Journalistin und Autorin Julia Friedrichs und der Unternehmer Arndt Kirchhoff sind sich auch zunächst alle einig – sie haben höchsten Respekt vor Frau Kordus. Doch dabei soll es bleiben – denn trotz des konkreten Beispiels vor Ort im Studio driftet die Debatte schnell und dauerhaft ins Abstrakte und Oberflächliche ab. Die außergewöhnlich balancierte Runde spaltet sich schnell auf.

Auf der einen Seite sehen Heil und Friedrichs. Letztere ist als Autorin von Büchern wie „Working Class“ bekannt, deren Ton simpel gehalten ist: Die „Eliten“ und die Reichen sind immer die Bösen und unverdient an ihr Vermögen gekommen, die Armen sind ausnahmslos unverschuldet arm. Eine Denkweise, auf die auch Heil sich streckenweise einzulassen scheint – immerhin ist er SPD-Minister, und mit genug Sozialpopulismus kann man vielleicht doch noch ein oder zwei Prozent gewinnen. Er fordert einen Mindestlohn von 12 Euro und ist auch bereit, die Regeln etwas zu biegen. Er will der Mindestlohnkommission nichts vorschreiben, beteuert er – sondern lediglich die vorgegebenen Entscheidungskriterien ändern. Im Land mit der höchsten Abgabenlast weltweit beklagt der Arbeitsminister ernsthaft zu geringe Einkommen. Sein Lösungskonzept: Noch mehr Regulierungen, noch mehr Staatsvolumen.

Sollen sie doch Midlife-Bafög essen 

Das will ihm Arndt Kirchhoff nicht durchgehen lassen. Der Arbeitgebervertreter aus NRW widerspricht Heils Phantasien direkt. „Wenn Herr Heil das, was er jetzt vorgeschlagen hat – zwölf Euro – durchsetzen will, dann setzt er 200 Tarifverträge obsolet, das heißt, die überrollt er einfach“. Diese grobe Missachtung der Tarifautonomie sei sogar verfassungswidrig, meint Kirchhoff. „es hat sich zu wenig getan in dem Bereich. Und deshalb ist das kein Bruch der Verfassung, sondern es ist ein Schritt, der notwendig ist“, entgegnet Heil. Anstelle von juristischen oder generell sachlichen Argumenten treten Gefühle und subjektive Notwendigkeitsvorstellungen des Ministers.

Ludwig Erhard war kein Sozialdemokrat
Nach Baerbock hat die SPD "die Soziale Marktwirtschaft auf den Weg gebracht"
Die andere Politikerin der Runde, Lencke Wischhusen, hält mit aller Kraft dagegen. Sie ist jung, energetisch und hat selbst unternehmerischen Hintergrund – da wirkt das, was sie in der Runde anbietet, deutlich zu dünn. Und sie bedient alle Klischees über realitätsfremde FDPler – vermutlich hat man sie deshalb eingeladen. In FDP-Manier modern verpackte Ideen wie ein „Midlife-Bafög“ zur beruflichen Weiterbildung mögen auf dem Papier hip und frisch klingen, doch Frau Kordus erklärt direkt das Offensichtliche – Weiterbildung ist bei einem harten Vollzeitjob eben oft nur Wunschdenken. Als Wischhusen dann von ihrer Grundrente beziehenden Mutter erzählt, wird es peinlich – Plasberg ordnet direkt ein, dass diese Grundrentnerin nach dem Verkauf des millionenschweren Familienunternehmens nicht mehr wirklich darauf angewiesen ist. Wischhusen bringt dann immerhin dankenswerter Weise das Thema Steuern in die Diskussion – dass viele Arbeitnehmer ihr Wohlstandswachstum in Wahrheit nämlich wegbesteuert bekommen, gehört auch zur Wahrheit dazu. Doch da kommt wieder der mangelnde inhaltliche Tiefgang der Runde zum Vorschein – denn tiefergehend wird sich mit den wahren Gründen für mangelnde sozialem Mobilität und stagnierende Löhne nicht auseinandergesetzt.

Dank eingespielten Videos schwebt die Runde zeitweise in den schönen 60er Jahren, in der soziale Marktwirtschaft, Aufstieg und „Wohlstand für alle“ galten, oder sie ergeht sich in Gerechtigkeitsdebatten. Es ist Djamila Kordus, die den Kern des Problems anspricht: „Alles wird teurer, nur der Lohn wird nicht angeglichen“. Die Inflation als Killer früherer Ideen von Aufstieg und den Kindern, die es einmal besser haben als man selbst, wird nicht deutlicher zur Sprache kommen als in diesem Satz. Mal wieder wird beim WDR die Chance auf eine echte Debatte versäumt – so gleicht die Runde einem Schlagabtausch im inhaltlichen Nichtschwimmerbecken über den Kopf von Djamila Kordus hinweg. Sie ist Geringverdienerin, nicht Politiker oder Journalistin und kann trotzdem – oder gerade deshalb – an diesem Abend die inhaltlich solidesten Punkte machen.



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Kommentare ( 49 )

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Deutscher
2 Jahre her

Ohne soziale Gerechtigkeit keine stabile Gesellschaft. Ohne stabile Gesellschaft keine stabile Nation. Ohne stabile Nation keine Freiheit, keine Demokratie, kein Rechtsstaat.

Aber ich sehe, dass Einigen hier doch das Aktionärshemd näher als der Kittel ist. Denen sei gesagt: Ihr werdet nicht Teil der Lösung sein.

Donald G
2 Jahre her

Ich kann den Foristen hier nur zustimmen. Das Problem ist nicht allein der Lohn, schon gar nicht der Nettolohn. Als wäre das, was da vom Brutto durch immer weiter steigende Lohnnebenkosten noch übrigbleibt nicht schon erbärmlich genug, so greift der Staat mittlerweile in allen anderen Bereichen für die es etwas zu bezahlen gilt immer schamloser zu. Hat man sich zu Zeiten von G. Schröders Steuererhöhungsorgien schon gefragt, was denn noch kommen könnte und sich über die noch mögliche Einführung einer Luftsteuer amüsiert, so haben wir sie mittlerweile in Form der Co2 Steuer für alle und niemand regt sich auf. Aufgeregt… Mehr

Bambu
2 Jahre her

Es ist nicht nur eine Frage wie viel man verdient, sondern auch wie viel man ausgibt. Wenn heute Menschen etwas vererben, dann ist das in sehr vielen Fällen darauf zurückzuführen, dass diese Menschen ein Leben lang hart gearbeitet haben, der Freizeitspaß hintendran stand und sie gut wirtschaften konnten. Umso verständlicher ist es, dass diese Menschen dieses Erbe an die eigenen Kinder weitergeben und nicht dem Staat überlassen möchten.
Wenn ich dann diese Heuschrecke Heil sehe, welcher mein bereits schon einmal versteuertes Geld ein zweites Mal hoch versteuern will, dann packt mich die kalte Wut.

Deutscher
2 Jahre her
Antworten an  Bambu

„Wenn heute Menschen etwas vererben, dann ist das in sehr vielen Fällen darauf zurückzuführen, dass diese Menschen ein Leben lang hart gearbeitet haben, der Freizeitspaß hintendran stand und sie gut wirtschaften konnten.“

Nun, viele Leute arbeiten ein Leben lang hart, verzichten auf Freizeitspaß und Urlaub und haben am Ende doch nichts übrig.

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Mausi
2 Jahre her

Also mal rechnen: 40 Std x 52 Wochen : 12 Monate = € 1.844,27 Bruttolohn. Bei Steuerklasse 2, Kirchenmitgliedschaft und 0,5 Kinderfreibetrag werden € 95 Steuern abgezogen und € 366 Sozialversicherungsbeiträge. € 145 ArbN Krankenversicherungsbeitrag und € 172 Beitrag zur Rentenversicherung. Der ArbG zahlt nochmal € 366 für Sozialversicherung obendrauf, zusätzlich noch Umlagen und Berufsgenossenschaftsbeiträge. Dann sind wir bei ArbG-Kosten von um die € 2.500 für einen „Lageristen“. Wenn die alleinerziehende Mutter Sozialhilfe nicht in Anspruch nehmen will, sagt das für mich aus, dass sie darauf Anspruch hätte. Was sagt das über unseren Staat mit seinem Steuer- und Sozialversicherungssystem? Und… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Mausi
Deutscher
2 Jahre her
Antworten an  Mausi

„Und über das Ausgabenverhalten des Staates? Über die Höhe der Unterstützung durch das Sozialsystem?“
> Nun, es sagt eher was über das Ausgabenverhalten der Unternehmer in Bezug auf die Löhne aus.

„Im Unternehmen gilt zudem, wie in jedem Haushalt, jeder € kann nur einmal ausgegeben werden. Entweder für Strom oder Benzin. Auf allen Bällen (hohe Löhne, hohe Abgaben, hohe Sicherheitsvorschriften, viel Verwaltung) tanzen geht nicht.“
> Der Arbeiter kann jede Arbeitsstunde nur einmal arbeiten. Daher sollte er, wenn die Unternehmen keine angemessenen Gegenwerte auszugeben bereit sind, die Arbeit auch ruhen lassen.

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Politkaetzchen
2 Jahre her

Der übertriebene Hass auf Reichen und allen, die tatsächlich durch Leistung was erreicht haben ist in doppelter Hinsicht komisch. Zu einem sind die Meisten, die dieses Mantra frönen, oft selbst gut am verdienen oder anderweitig wohlhabend und scheinen sich nicht darüber im klaren zu sein, dass all die geforderten Repressalien auch sie treffen könnte. Zu anderen beten sie im gleichen Atemzug genau die Leute an, die selbst zu verhassten „Reichen und Elite“ gehören: Böhmermann hat ein Vermögen von 3 Millionen Euro, Greta und Luisa sind Kinder von reichen Eltern, Rakete schwimmt in Geld, Bill Gates und Elon Musk sind auch… Mehr

Rachel
2 Jahre her

Kleine Korrektur: Frau Kordus arbeitet eben NICHT Vollzeit, wie mal am Rande angemerkt wurde. Dieser Umstand wird immer mal gerne übersehen, wenn über niedrige Frauenlöhne geredet wird.
Was nicht heißt, dass viele Tätigkeiten nicht zu schlecht entlohnt werden.

Johannes R. Brecher
2 Jahre her

Stefan Aust traf gestern eine Aussage mit extrem hohen Wahrheitsgehalt „Ich halte diese Regierung für die inkompetenteste der vergangenen Jahrzehnte“. Herr Heil ist zweifelsfrei inbegriffen und er sollte froh sein, dass es noch genug Kordus*innen gibt, sonst wäre schon lang zappenduster.

Sonny
2 Jahre her

Ich glaube, dass stimmt so nicht ganz. Der Lohn wird zwar nicht vollends angeglichen, aber er wird gemäß der Preissteigerungsrate angeglichen.
Der Mehrverdienst bei Lohnangleichungen wird doch gänzlich aufgefressen von unserer Politik. Was in Wirklichkeit immense Mehrkosten verursacht sind die zu leistenden Abgaben und „Allgemein“steuern.

  1. Stromsteuer
  2. Klimasteuer
  3. eklatant ansteigende Sozialbeiträge und Zuzahlungen
  4. überbordendes Parlament mit Höchstversorgungen und Rentenerwartungen
  5. Mineralölsteuer
  6. Gassteuer
  7. Null-Zins-Politik
  8. steuerliche Hochpreisunterstützung von Parteinahen Stiftungen
  9. Weitere Neuerfindungen von Ausgleichssteuern und anderweitigen Steuern
  10. Target II und die Schuldenübernahme von anderen Ländern
  11. desaströse Politik in fast allen Wirtschaftsbereichen mit Gängelungen und wirtschaftsfeindlichen neuen Gesetzen
  12. Massenimport von Armutsmigranten
Biskaborn
2 Jahre her

Zwei Feststellungen aus diesem Artikel, Heil hat offensichtlich erneut seine totale Unkenntnis von der Arbeitswelt zur Schau gestellt, peinlich der Mann. Die FDP und ihr Führungspersonal verlieren offensichtlich zunehmend ihre einstige Wirtschaftskompetenz, warum, weil man zu gerne zum Links- Grünen Milieu gehören möchte. Ebenfalls nur noch peinlich diese Partei! Augenscheinlich muss in jeder Sendung eine oder ein extrem links denkender Akteur anwesend sein. Muss man sich nun wirklich nicht antun, derartig niveaulose Sendungen!

Roland Mueller
2 Jahre her

Die Frau Kordus gehört zwar eindeutig zu den Benachteiligten der links-grünen Politik, aber weder der Herr Heil noch sonst jemand will das Fass aufmachen, da es wegen der Masse der durch die Politik Geschädigten erstens unbezahlbar ist und zweitens das Versagen der links-grünen Politik für jedermann sichtbar offen legen würde.