Bei Anne Will Talk der Offenbarung im Ukraine-Krieg

Der ukrainische Botschafter bittet um militärischen Beistand „in diesem Moment höchster Not“. FDP-Außenpolitiker Lambsdorff weist diese Bitte mit der Gefahr eines Atomkrieges zurück. Baerbock sagt es so: „Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera.“

Screenprint ARD / Anne Will

Der wichtigste Gast bei Anne Will zur derzeitigen Situation fehlte gestern Abend. Gern hätte man Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frage gestellt, wie sie heute zu einer ganzen Reihe von Entscheidungen während ihrer 16-jährigen Regentschaft steht, denen wir heute einen jämmerlichen Zustand der Schwäche verdanken.

Angela Merkel war die härteste Gegnerin einer von den USA geforderten Aufnahme der Ukraine in die Nato im Jahr 2008. Man dürfe Putin nicht verärgern und müsse auf seine Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, so damals ihr Argument. Jetzt hat der gleiche Putin ohne jeden nachvollziehbaren Grund – es sei denn, man hält einen Angriffskrieg zur Unterwerfung eines anderen souveränen Staates für gerechtfertigt – das nicht Nato-Mitglied Ukraine angegriffen und ist dabei, eine Katastrophe unter der Zivilbevölkerung des Landes anzurichten. Militärische Unterstützung wird der im Stich gelassenen Ukraine mit der Begründung, das Land sei ja kein Nato-Mitglied, verweigert. Eine perversere Logik gibt es nicht.

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Putin und sein Hofstaat müssen sich ja geradezu ermuntert fühlen, ihre Augen schon auf die nächsten Opfer, seien es nun Georgien, Moldawien oder das Baltikum, zu richten. Bis auf den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, waren fast alle der Meinung, im Falle von Nato-Mitgliedern wie im Baltikum, würde Putin die rote Linie nicht überschreiten. Bemerkenswert war dazu der Kommentar der Grünen Außenministerin Annalena Baerbock. Sie glaube langsam, dass Putin keine rote Linie mehr kenne. Man mag einwenden, dass das Gleichgewicht des Schreckens mit der Erkenntnis, dass wer zuerst schießt, als Zweiter stirbt und es keinen Sieger gäbe, über viele Jahrzehnte des Kalten Krieges den Frieden erhalten hat. Nur haben sich inzwischen die Verhältnisse verändert. Der Demokratien eigene Hang zur Harmonie und Dialog hat den Westen schläfrig und unaufmerksam werden lassen. Und hier wäre gleich die nächste Frage an Angela Merkel zu stellen. Warum hat sie die in den vergangenen Jahren mehrfach vorgetragenen Warnungen des Bundesnachrichtendienstes angesichts der starken Aufrüstung schlichtweg ignoriert und zu Verschlusssachen erklärt, als dürfe nicht sein, was nicht sein darf?

Auskunft gebührt der Öffentlichkeit auch darüber, warum die Regierungen sehenden Auges die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr verlottern ließen. Ebenso interessant wäre Merkels heutige Bewertung ihres völlig überstürzten und nicht zu Ende gedachten Ausstieges aus der Kernenergie 2011. Hier wurde der Grundstein zur heute so laut beklagten einseitigen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gelegt. Die notwendigen Voraussetzungen zur versprochenen Energiewende wurden zur gleichen Zeit sträflich vernachlässigt. Wo ist auch hier die Debatte darüber?

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In Bezug auf die Ukraine brachte Annalena Baerbock die schmerzhafte Erkenntnis auf den Punkt: „Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera.“ Mit der Pest meinte sie das hilflose Ertragen einer menschlichen und politischen Katastrophe vor der Haustür, mit der Cholera umschrieb sie die Gefahr eines Atomkrieges im Falle eines Eingreifens: „Ein weiteres Überschwappen dieses Krieges auf Polen, auf die baltischen Staaten, das können wir nicht verantworten.“

Vor diesem Hintergrund bekamen auch bei Anne Will wieder die verzweifelten Hilferufe des ukrainischen Vertreters in Berlin und die wortreichen Erläuterungen von FDP-Außenpolitiker Alexander Lambsdorff und des ehemaligen Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans dem makabren Geständnis der eigenen Schwäche zu.

Gnadenlos dokumentierte die Runde das ganze Desaster, in dem sich Europa und ganz besonders das alleingelassene ukrainische Volk befinden. Vielleicht gelingt es Anne Will, die mit ihr doch so eng befreundete Ex-Kanzlerin Merkel im Studio ausnahmsweise mal kritisch zu befragen. Das dürfte, gerade weil Merkel nicht mehr im Amt ist, ein spannender Abend werden.

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Kommentare ( 144 )

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Karl Schmidt
2 Jahre her

Nein, noch so eine peinliche Will-Merkel-Runde ist niemanden zuzumuten. Und eine Regierung, von der Baerbock meint, sie kenne (wohl) keine roten Linien mehr… Die Komik dieser Frau ist unbezahlbar. Sie lässt wirklich keine politische Dummheit aus. Da ist sie wie Merkel; aber wegen ihrer Unbedarftheit viel lustiger.

Wuehlmaus
2 Jahre her

Man muss ja nicht die Ukraine in die Nato aufnehmen. Aber Pufferstaaten kann man eine Bestands- oder Beistandsgarantie geben, sollte der andere Staat angreifen. Damit wäre die Ukraine geschützt gewesen ohne Russland zu verärgern. Und Russland hätte um das Gesicht zu wahren ebenfalls eine Beistandsgarantie abgeben können.
Aber man hat wohl damals schon feministische Außenpolitik gemacht.

johndoe19
2 Jahre her

Mittlerweile sollte doch jedem klar geworden sein, dass Frau Merkel keines der Probleme gelöst hat, die während ihrer Amtszeit aufgetreten sind. Alle diese Probleme wurden lediglich in die Zukunft verschoben.
Nun fallen einige davon der derzeitigen Regierung auf die Füsse. Und es werden weitere kommen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für Knatsch in Europa sorgen und nur mit deutschen Steuergeldern gedämpft werden können.
Aber: Die meisten dieser Entscheidungen wurden mit viel Wohlwollen und zu Teil mit Begeisterungsorgien der deutschen Medien begleitet!

Lotus
2 Jahre her

„Auskunft gebührt der Öffentlichkeit auch darüber, warum die Regierungen sehenden Auges die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr verlottern ließen.“

Taktik? Den Gegner in Sicherheit wiegen? Man ließ ja gleichzeitig auch die Autobahnbrücken „verlottern“. Seit kurzem wissen wir z. B. von der Sauerlandlinie A45, dass 60 (!) Brücken erneuert werden müssen. Eine ist so marode, dass nicht einmal Baufahrzeuge sie noch befahren dürfen. Nun stellen wir uns Putins Armee auf dem Vormarsch in Deutschland vor. Tonnenschwere Panzerfahrzeuge auf dt. Autobahnbrücken, womöglich in Kolonne… Perfide, aber es wird funktionieren.

Sorry, aber manchmal hilft nur die Flucht in den Sarkasmus.

Th. Radl
2 Jahre her

Ist ernsthaft irgendjemand davon überzeugt, dass eine Sendung mit der Rautenhexe irgendeinen Erkenntnisgewinn bringen würde? Die ist vom Richtigsein ihres Tuns sowas von überzeugt, da steht sie Herrn Putin in gar nichts nach! Nein, irgendeine Einsichtsfähigkeit würde ich für meinen Teil nicht im Geringsten erwarten! Aber der beste Witz ist, von Anne Will kritische Fragen zu den „16 guten Jahren für das Land“ zu erwarten! Wenn „Anne Will“ so schon Zeitverschwendung ist, dann so eine Sendung erst recht! Was mich allerdings überrascht, ist, wie sehr beeindruckt gerade das grüne ehemalige Führungspärchen und die jetztigen Minister sich von der Realität zeigen.… Mehr

Johann Thiel
2 Jahre her

Man fragt sich was sich Herr Gafron eigentlich vorstellt, wenn er wie in diesem Artikel gegen den gesunden Menschenverstand anschreibt.

Exilant99
2 Jahre her

NATO hat seit 1990 jedes gegebene Versprechen gebrochen und Russland bedrängt. Jetzt kommt die Quittung. Dem NATO Imperialismus muss Einhalt geboten werden. Russland zeigt jetzt endlich: Bis hier und nicht weiter. Die meisten Länder in Asien unterstützen Putin. Indien hat jüngst einen neuen Deal für russische Waffen unterzeichnet. Pakistan hat einen Vertrag für Gas und Öl unterzeichnet. Ägypten einen Vertrag für Weizen. China einen 30 Jahres Vertrag für Öl und Gas. ARD und ZDF senden rund um die Uhr: Die Welt isoliert Russland. Ich lach mich kaputt. Russland macht immer noch Deals mit anderen Staaten, nur nicht mit dem Westen.… Mehr

MaximilianMueller
2 Jahre her

Immer, wenn ich ‚rote Linie‘ höre, bekomme ich so einen bitter süßen Geschmack im Mund und ich weiß gar nicht warum. Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Irgendwas war da doch.

Dieter
2 Jahre her

ich finde es sehr erschreckend,wieviele Menschen in Deutschland sich anscheinend sehnlichst in einen Krieg hinein wünschen.
Das ist kein Spiel mit Reset Button.
Der Krieg in der Ukraine ist auch nicht plötzlich entstanden, und es sind auch mehr als zwei Parteien involviert, wobei die Ukraine wohl die leidtragende ist, aber nicht die Hauptrolle spielt. Und dieser Krieg hat eine mindestens 30jährige Geschichte…

Last edited 2 Jahre her by Dieter
fatherted
2 Jahre her

Warum muss ausgerechnet Deutschland (wieder mal) die Ukraine retten? Wir haben keine nennenswerte Armee, unser Material ist marode oder kaputt, wir haben keine wehrwilligen/fähigen Menschen mehr, uns ist ein gesunder Patriotismus aberzogen worden. Also warum wir? Warum nicht Frankreich, England oder Spanien? Die achten ihr Land und ihre Nationalität noch…bei uns können Minister mit dem Wort Deutschland gar nichts anfangen. Und wenn es ernst wird…soll ich alter weißer Mann, der sich über die Jahre kaputtmalocht hat für eine künftige micker-Rente, soll ich für die LGBTQwas auch immer Fraktion, die Neubürger, die Klimaten oder die Antifa in den Krieg ziehen, damit… Mehr

Willi4
2 Jahre her
Antworten an  fatherted

Me too. Und die von Ihnen genannten Minderheiten werden nicht einmal für sich selbst verteidigend tätig werden. Da langt es nur für Demoaktionen in durch die Staatsgewalt geschützter Umgebung; wobei man dann auch seinen Frust austoben kann.