Wasser-Marsch: Rohrbruch beim Kanzler

Da sage noch einer, die Bundesregierung tue zu wenig für Wirtschaftsförderung: Gleich zu Beginn des neuen Jahres wirft sich die Ampel gehörig für die Tourismusindustrie ins Zeug – und wirbt für Kurzreisen in die Flutgebiete. Nur die Einheimischen dort sind nicht ganz so dankbar wie erhofft ...

IMAGO

Mit festem Blick, gummibestiefelt und entschlossen den sichtbaren Einschränkungen durch den hautengen Regenmantel trotzend: So lässt sich Ricarda Lang im niedersächsischen Hochwassergebiet prominent fotografieren.

Dabei marschiert die Chef-Grüne im Bundestag geradezu gefahrenverachtend auf eine große Pfütze zu, während ihre Begleiter – erkennbar vor allem Medienvertreter – um das seichte Gewässer einen großen Bogen machen. Gut, Menschen meiden Pfützen normalerweise – außer Kinder, die gerne drin herumspritzen. Aber was ist schon normal in diesen Tagen, und außerdem ist Ricarda Lang auch erst 29.

Frau Langs Besuch soll zum einen ja ohnehin den Eindruck erwecken, sie habe das Hochwasser hier im bremischen Lilienthal quasi ganz alleine im Griff. Das wird, bei allem Optimismus, nicht gelingen. Zum anderen dient die Kurzreise natürlich der groß angelegten PR-Kampagne der Ampel für eine im Prinzip endlose Aussetzung der Schuldenbremse. Um die zu rechtfertigen, braucht die Regierung Notlagen. Und um eine solche handelt es sich sozusagen automatisch, wenn Ricarda Lang sich höchstpersönlich nach vor Ort begibt.

Bei den Betroffenen kommt die mediale Selbstinszenierung der Politiker im Wasser nur so mittelgut an. Im Internet erntet Frau Lang noch mehr Kritik als sonst ohnehin schon – und auch für das, was nicht wenige als absolut schamlose Instrumentalisierung verzweifelter Menschen in überschwemmten Landstrichen für ganz und gar parteiegoistische Zwecke betrachten.

Noch ärger trifft der Unmut freilich den Kanzler.

Olaf Scholz besucht, ebenfalls in den bei solchen Anlässen rituellen Gummistiefeln, Sangershausen in Sachsen-Anhalt. Bei früheren sozialdemokratischen Größen hatten solche Auftritte meist ganz gut geklappt:

Man erinnert sich an Helmut Schmidt, der als Innensenator von Hamburg während der großen Sturmflut 1962 erst bekannt und später Bundeskanzler wurde. Oder an den „Deichgrafen“ Matthias Platzeck, der als Umweltminister von Brandenburg während der „Jahrhundertflut“ 1997 erst bekannt und später Ministerpräsident sowie SPD-Bundesvorsitzender wurde. Oder an Gerhard Schröder, dessen Elbe-Hochwasser-Wahlkampf 2002 ihm die Kanzlerschaft rettete.

Für Olaf Scholz läuft es dagegen – sagen wir mal: suboptimal.

„Buh!“
„Verschwinde!“
„Fahr’ wieder nach Hause!“

Die Bürger, für die der Kanzler diese kurze Dienstreise ja vorgeblich angetreten hat, zeigen sich darüber alles andere als angetan. Das mag zum einen daran liegen, dass Olaf Scholz nicht unbedingt der spontanste und empathischste Politiker auf diesem Erdball ist. Er meidet das direkte Gespräch mit Betroffenen, die Sorgen haben, und sondert stattdessen lieber typisch Scholzomat-mäßige Betroffenheitsstanzen vor den zahlreich aufgestellten Mikrofonen ab.

Zum anderen hat sich beim niederen Volk auch in Windeseile herumgesprochen, dass der Kanzlerstab einen Inszenierungsaufwand betreibt, der selbst für Scholz’sche Verhältnisse neue Zynismus-Rekorde bricht:

Freiwillige Helfer – die oft seit zwei Wochen ehrenamtlich Tag und Nacht Sand für ihre Mitbürger schaufeln – werden für die Scholz-Stippvisite teilweise auch durch Feuerwehrleute ersetzt: weil deren Uniformen im TV halt besser aussehen als Arbeitshosen. Keine Satire.

Radlader und schweres Gerät – das Privatunternehmen bereitstellen, weil es kaum staatliche Hilfe gibt – werden für den Kanzlerbesuch außer Sichtweite gefahren. Keine Satire.

Und als Olaf Scholz dann sein Statement vor den Kameras abgibt, ertönen plötzlich publikumswirksam Martinshörner der Feuerwehr – ohne erkennbaren Grund. Keine Satire.

Da ist es vielleicht gar nicht mehr so verwunderlich, dass die wirklichen Helfer ein klitzekleines bisschen sauer sind. „Wir sind hier, um echten Menschen zu helfen“, sagt ein sichtlich angefasster Mann von der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr. „Dass der Kanzler das Hochwasser als Bühne nutzt, um seine Themen zu setzen, ist nicht in Ordnung.“

Dann schiebt er einen Satz hinterher, der einem sowieso die ganze Zeit schon auf der Zunge liegt: „Da braucht er sich über Gegenwind von den Bürgern nicht zu wundern.“

Nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei und Olaf Scholz wieder auf dem Heimweg. Die privaten Bergungsmaschinen werden wieder zum Einsatzort gebracht, und die freiwilligen Helfer dürfen wieder helfen. Aus dem Potemkin’schen Dorf wird wieder ein richtiges Katastrophengebiet.

In den jüngsten Umfragen zur bevorstehenden Landtagswahl ist die SPD von Olaf Scholz gerade auf acht (8) Prozent abgestürzt. Er selbst der unbeliebteste Kanzler seit 27 Jahren. Warum nur, warum …?

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