»Rechts« war, im Gegensatz zu heute, historisch überwiegend positiv, »links« überwiegend negativ besetzt. Peter Hoeres belegt eindrucksvoll, dass die Renaissance des binären politischen Ordnungsschemas auf Konstanten beruht, die sich durch die gesamte menschliche Geschichte ziehen.
Die Frage nach rechts und links kommt heute fast nur noch unter politischen Vorzeichen zur Sprache – oder bleibt im propagandagetränkten Kampf der Gegenwart ein bloßes Reiz-Reaktions-Schema. Denn kaum jemand wolle heute und insbesondere in Deutschland »rechts« sein. So jedenfalls die These des Würzburger Historikers Peter Hoeres in seinem neuesten Buch, das selbst nicht im ideologischen Sumpf der Gegenwart steckenbleibt. Bevor er allerdings zu aktuellen Fragen kommt, unternimmt er eine Exkursion in Völkerkunde und Mythologie, um den Spuren der Rechts-Links-Unterscheidung auf der symbolischen Ebene nachzugehen.
Links und rechts, oben und unten sind elementare Orientierungsoptionen im Raum und verbinden sich rasch mit Wertungen: So wie das Obere mit den Göttern und dem Himmel verbunden und positiv gewertet werde, finde man auch in einer großen Zahl von Kulturen eine Privilegierung der rechten Seite als der besseren oder richtigen. Die rechte Seite – unterstützt durch die überwiegende Rechtshändigkeit des Menschen – sei von den meisten Religionen gleichsam als die Sonnenseite verstanden worden, während die linke Seite tendenziell mit dem Schlechten, dem Sinistren verbunden sei. Doch hat all dies noch keine politische Bedeutung.
Diese setzt erst mit dem Gründungsakt moderner Politik durch die Französische Revolution ein, als sich die verschiedenen Gruppen in Parlamenten zu sortieren begannen, so daß Abgeordnete mit ähnlichen Überzeugungen sich auf die rechte oder linke Seite setzten. Hoeres verfolgt die teils komplizierten Entwicklungen des Rechts-Links-Schemas und seiner Spiegelungen in Heraldik und politischer Farbenlehre über alle Zeiten und Kontinente, von 1848 in Deutschland über das revolutionäre Rußland des frühen 20. Jahrhunderts bis zu den lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten und selbst Japan.
Aber entscheidendes Moment für die Geschichte der letzten mehr als 200 Jahre war eine Umkehrung: Während zuvor eine stabile vorpolitische Rechts-Links-Ordnung bestand, wurde nun die linke Seite des Aufruhrs und des Widerstands gegen die Königsmacht zum dominanten Prinzip. Dabei war eine doppelte Stoßrichtung gegeben, denn die radikalen Jakobiner richteten sich nicht nur gegen die alte politische Ordnung, sondern wollten die christliche Religion ersetzen durch das, was sie für Vernunft und Tugend hielten. Ein russischer Theologe, Sergej Bulgakow, stellte am Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich heraus, in Rußland sei die Teilung von rechts und links keineswegs bloß politischer Natur, sondern betreffe die ganze Weltanschauung.
An der fortdauernden Gültigkeit des Rechts-Links-Schemas in politischen Dingen hat es immer wieder Zweifel gegeben. Zwar sprach ein Geschichtstheoretiker wie Ernst Nolte sogar von einer »ewigen Linken« und einer »ewigen Rechten« als fundamentalen Optionen menschlicher Einstellungen in der Geschichte. Auf der anderen Seite vermochte ein nicht weniger scharfsinniger Denker wie Robert Spaemann 1979 in seinem Beitrag zur Festschrift für Golo Mann am »ontologischen« Charakter der Rechts-Links-Unterscheidung deshalb nicht festzuhalten, weil sich durch die ökologische Frage alles verändert habe, was seit dem 18. Jahrhundert gegolten hatte. »Vor den Problemen der Ökologie«, so Spaemann, »werden die Kategorien der Rechten und Linken obsolet.« Denn sowohl die Linke als auch die Rechte verstünden das ökologische Problem rein technologisch, als ein Problem von Organisation und Polizei.
Ein Ende der Rechts-Links-Unterscheidung im Politischen ist indes nicht in Sicht, wie Hoeres betont. Im Gegenteil, sie wird weiterhin die Politik bestimmen, weil sich der Konflikt zwischen gegensätzlichen Positionen nicht aufheben läßt. Daraus ergibt sich auch ihre relative Berechtigung; keine Richtung kann beanspruchen, ein für allemal richtig zu sein. Aber es wäre auch an Spaemanns Einsicht zu erinnern, der politische Nihilismus beginne dort, »wo Rechts und Links sich als Weltanschauungen, als Totaltheorien der Welt und des Staates verstehen«. Zu solchen Totaltheorien muß man wohl die heutigen Konzeptionen von »unserer« Demokratie rechnen, die sich dem »Kampf gegen rechts« verschrieben haben. Hoeres, der die Entstehung dieses Kampfes gegen rechts als Folge des von Gerhard Schröder ausgerufenen »Aufstands der Anständigen« beschreibt, spricht hier denn auch von »Totalausgrenzung«. Diese zielt letztlich auf die Eliminierung einer grundlegenden politischen Haltung, die zur Stabilisierung der Gesellschaft, zur Schaffung von Standorten im Zeitstrom unabdingbar ist.
Tatsächlich aber können weder die Linke noch die Rechte aus einer modernen Demokratie ausgeschlossen werden, wenn diese nicht zu einer gelenkten Postdemokratie werden soll. Die derzeitigen Rechtsparteien werden diffamiert, ihnen zustehende Teilhaberechte werden systematisch vorenthalten; »Neutralisierungsinstanzen« wie Bundespräsident und Kirchen sind ein glatter Ausfall. Hoeres’ Fazit ist denkbar klar und ein eminent wichtiger Beitrag zur Konsensstörung in »unserer Demokratie«: Wer sich am »Kampf gegen rechts« beteilige, arbeite, »womöglich ungewollt«, mit an der Zerstörung bürgerlicher Freiheit und ziviler Umgangsformen.
Till Kinzel, geb. 1968 in Berlin, ist Historiker und Literaturwissenschaftler. Jüngste Buchveröffentlichung: Johann Georg Hamann. Zu Leben und Werk, Wien und Leipzig (Karolinger, 2. erweiterte Auflage 2024). Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel »Eine Frage der Weltanschauung« in CATO. Magazin für neue Sachlichkeit. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.
Peter Hoeres, Rechts und links. Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart. Zu Klampen Verlag, Hardcover mit Überzug, 216 Seiten, 24,00 €.



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