Wird Deutschland zum kranken Mann der Welt?

Deutschlands Wirtschaft schrumpft, während die Bundesregierung Rekordbeschäftigung feiert. Gleichzeitig senkt die OECD, entgegen dem internationalen Trend, für die Bundesrepublik die Wachstumsprognose. Währenddessen wandern immer mehr Fachkräfte aus und werden durch unproduktive Hilfsarbeiter ersetzt. Von Samuel Faber

IMAGO / Chris Emil Janßen

Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. Zwar gehen 46 Millionen Menschen einer sozialpflichtigen Arbeit nach, andererseits befindet sich das Land in einer Rezession. Nach Messungen der europäischen Statistikbehörde Eurostat verzeichnet Deutschland zwei Quartale hintereinander ein negatives Wachstum. Doch nicht nur das: Nun senkt laut Business Insider die OECD ihre Prognose für die Bundesrepublik um 0,3 Prozentpunkte. Damit steht das Land dem internationalen Trend entgegen, denn die Organisation hat ihre Prognose für die Weltkonjunktur auf 2,7 Prozent angehoben. Damit gilt Deutschland für die Experten als Sorgenkind und steht nur knapp hinter Russland.

Zunächst ist es wichtig zu wissen, was Produktivität eigentlich bedeutet. Sie beschreibt das Verhältnis zwischen dem, was produziert wird, also dem Output und was für diesen Prozess für Mittel benötigt werden. Dies ist der Input. Je weniger Produktionsgüter für ein gewünschtes Produkt aufgewendet werden, desto produktiver ist das Endprodukt auch hergestellt worden. Produktiver bedeutet effektiver, kostengünstiger und ressourcenschonender.

Die durchschnittliche Arbeitszeit steigt bei schrumpfender Wirtschaft

Wie kommt es also, dass Deutschland Rekordbeschäftigung zu verzeichnen hat, gleichzeitig jedoch die Wirtschaft schrumpft, also weniger produktiv wirtschaftet? Denn offensichtlich steigt der Input, also die Arbeitskraft, währenddessen der Output, also Wirtschaftswachstum, sinkt – bei gleichbleibenden exogenen Faktoren. Ein Grund könnte darin liegen, dass die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst immer weiter zunimmt.

So nimmt die Zahl derer, die für den Staat arbeiten, seit vielen Jahren kontinuierlich zu. So waren im Jahr 2005 noch rund 4,9 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst beschäftigt. Heute sind es fast 5,1 Millionen Beschäftigte. 1,7 Millionen sind Beamte, Richter und Zeitsoldaten. Diese Zahl steigt kontinuierlich, kann aber nicht allein die Ursache für die abnehmende Produktivität in Deutschland sein.

Ein wesentlicher Faktor dieser Entwicklung muss also in der freien Wirtschaft liegen. Schaut man sich die Zahlen genauer an, so stellt man fest, dass nicht nur, wie erwähnt, die Zahl der Erwerbstätigen steigt, sondern auch die durchschnittliche Arbeitszeit. Diese erhöhte sich nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 1,1 Prozent auf mehr als 342 Stunden im Quartal. Ein Grund dafür ist der Rückgang der Kurzarbeit im Zuge der Corona-Maßnahmen.

Dass die Beschäftigung so hoch ist wie noch nie und gleichzeitig die Produktivität sinkt, kann auch an den Stellen selbst liegen. Tauscht man die Menge x von Fachkräften mit der menge 2x Paketfahrer für Amazon, so hat man zwar doppelt so viele neue Jobs, gleichzeitig sinkt aufgrund der Qualität der Arbeit die Produktivität. Der Verdacht liegt nahe, dass das gerade in Deutschland passiert.

Ein Indikator kann hierbei die Verlagerung von Unternehmen ins Ausland sein. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) verlassen seit 15 Jahren so viele deutsche Firmen das Land wie seit 15 Jahren nicht mehr. Ein wesentlicher Grund sind die hohen Kosten in Deutschland, oder anders: In anderen Ländern benötigt ein Unternehmen weniger Input, um ein gewünschtes Produktionsergebnis zu erreichen. Andere Länder sind also produktiver.

Jedes vierte Unternehmen denkt darüber nach, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern

Laut einem Geheimpapier der EU-Kommission, das der BILD-Zeitung vorliegt, könnte sich die Lage in den nächsten Monaten noch verschlimmern. Aufgrund der steigenden Energiepreise, die die deutsche Industrie ungleich härter trifft als die USA und China, sei die Zuversicht der Unternehmen sogar zu Beginn der Corona-Pandemie größer gewesen. Laut Ergebnissen des “European Roundtable for Industry” werde deutlich, dass mehr als jeder dritte Geschäftsführer gerade beabsichtigt, Investitionen vorübergehend auszusetzen oder zumindest zu verringern. Jeder vierte Unternehmer denke darüber nach, “Anteile, Produktion oder Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern”. Das bedeutet der Verlust von mehreren hunderttausend Arbeitskräften und konkreter Fachkräfte.

Arbeitsplätze, die fehlen und die teilweise durch un- oder schlecht angelernte Kräfte ersetzt werden. Aktuell betreibt der US-Konzern Amazon 20 Logistikzentren hierzulande – Tendenz steigend. Das eigene Versandsystem sorgt für eine reibungslose Zustellung, aber auch für Arbeitskräfte, die ungelernt sind. Währenddessen verlagern Unternehmen wie Bosch, BASF oder Lanxess ihre Produktion ins Ausland. Wertvolle Produktivität verschwindet aus Deutschland. Andere Unternehmen wie VW bauen neue Werke erst gar nicht mehr in Deutschland.

Versteckte Arbeitslosigkeit kaschiert Unproduktivität

Auch die Arbeitslosenstatistik tut ihr Bestes, die sinkende Produktivität zu verschleiern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Zahl, die jeden Monat aus der Regensburger Straße in Nürnberg verkündet wird, Fake ist. Weder werden ältere Arbeitslose, noch Kurzarbeiter berücksichtigt. Aber auch die Arbeitslosen, die in mehr oder weniger sinnlosen Maßnahmen ihre Zeit absitzen, werden herausgerechnet. So bestritten im Mai 2023 rund 715.000 Menschen diese Maßnahmen, mehr noch als in den Vormonaten.

Da private Bildungsträger ein Interesse an möglichst vielen Teilnehmern haben, die die internen Prüfungen erfolgreich bestehen und mit einem Weiterbildungszertifikat auf Stellensuche gehen, wird auch dafür gesorgt. dass möglichst viele Teilnehmer die Prüfungen bestehen. Inwiefern ihre erworbene neue Qualifikation hilfreich für den Arbeitsmarkt ist, oder nicht, ist zweitrangig. Schult sich Deutschland gerade von einem Industriestaat in einen Hilfsarbeiterstaat um?

Deutschland ist zwingend auf eine hohe Produktivität angewiesen

Sinkt die Produktivität eines Landes, so evoziert das eine Vielzahl von Problemen, da eine steigende Produktivität einen wichtigen Faktor für den Wohlstand in einem Land darstellt. Sinken die Aufwendungen für ein hergestelltes Produkt oder eine Dienstleistung, so erzeugt dies Spielräume, zum Beispiel für Gehaltserhöhungen, aber auch für Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung. Gerade die, die auf Nachhaltigkeit setzen, um das Klima zu schützen, müssen denknotwendig auch auf eine Steigerung von Produktivität setzen. Mit Degrowth-Fantasien ist dies illusorisch. Hier wird die Realität zu Gunsten einer gefährlichen Ideologie geleugnet.

Gerade Länder wie Deutschland, die mit einer alternden Bevölkerung zu tun haben, benötigen zwingend eine wachsende Produktivität. Denn nur so können langfristig steigende Kosten für Pflege und Gesundheit kompensiert werden. Auch helfen höhere Löhne, um die Herausforderungen aus dem Umlageverfahren zu lindern, obwohl bezweifelt werden darf, ob dies das System überhaupt noch retten kann.
Irland als Vorbild

Umso erstaunlicher ist die Forderung Politiker von SPD und Grünen, die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn zu kürzen. Dies bedeutet eine staatlich aufgetragene Senkung der Produktivität auf Kosten der nächsten Generationen. Auch hier gilt das Prinzip der ökonomischen Nachhaltigkeit: Es ist immer von Vorteil, wenn Unternehmen ihren Input in Form von Rohstoffen, Geldaufwendungen und Personaleinsatz kleiner halten, weil dadurch die Chance auf wirtschaftliche Prosperität gesteigert wird. Aufgrund einer fehlenden Wirtschaftlichkeitsrechnung in Ländern wie der DDR oder der Sowjetunion sind diese Systeme heute nicht mehr existent. Allen sozialistischen Fantasien zum Trotz beharren die linken Parteien auf ihre Utopie.

Im internationalen Vergleich steht Deutschland, was die Produktivität angeht, zwar oberhalb des EU-Durchschnitts, dennoch kommen Länder wie Norwegen, Frankreich oder Dänemark noch vor der Bundesrepublik. An der Spitze steht Irland. Das kleine Land hat eine beeindruckende ökonomische Geschichte hinter sich. Einst war der Inselstaat als das Armenhaus Europas verschrien, wuchs in den Neunzigern rasant und erwarb sich daher den Spitznamen: “keltischer Tiger”. Grund für das Wachstum waren vor allem massive Auslandsinvestitionen, angelockt von niedrigen Steuern auf Unternehmensgewinne. Mit 12,5 Prozent Körperschaftsteuer besteuert Irland damit Firmen in der EU am geringsten.

Deutschland fehlt es an Reformen

Ob Deutschland auf das steuerliche Niveau kommen wird, ist fraglich. Dennoch wird die sinkende Produktivität im Land zu einem immer größer werdenden Problem. So ist es kein Zufall, dass Finanzminister Christian Linder allen Ressorts Sparmaßnahmen auferlegt hat. Denn eines ist klar: Langfristig kann sich die Bundesrepublik diesen propperen Sozialstaat bei sinkender Leistungsfähigkeit und Inflation nicht mehr leisten. Sozialkürzungen sind hierbei ein logischer Schritt.

2003 veröffentlichte der Ökonom Hans-Werner Sinn das Buch “Ist Deutschland noch zu retten?” Dort beschrieb der damalige Ifo-Chef Deutschland als “kranken Mann Europas”. Zwanzig Jahre später entwickelt sich das Land zum kranken Mann der Welt. Die Maßnahmen, die Sinn damals forderte, gelten auch heute noch. Die Lohnkosten so wie die Steuerlast müssten gesenkt werden, damit Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird. Doch ob die Ampelregierung dieses Problem angeht, darf stark bezweifelt werden.

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