Die rasanteste Aufholjagd der DAX-Geschichte

Eine mehr als beeindruckende Rally ist das: Seit dem Tief des Corona-Crashs hat der deutsche Leit­index über die Hälfte hinzugewonnen.

imago

Es ist wegen der kurzen Zeitspanne die rasanteste Aufholjagd der DAX-Geschichte. Investoren setzten zuletzt auf Aktien, die noch vor rund drei Wochen kaum angefasst wurden. Rangieren etwa der Luftfahrttechniker MTU, die Lufthansa oder die Automobilwerte BMW und Daimler Lockdown-bedingt seit Jahresanfang noch im Keller des Index-Rankings, so waren sie in den zurückliegenden Handelstagen bei Börsianern heiß begehrt. Die Geschäfte dieser aktuellen Performance-Spitzenreiter sind hochzyklisch, sie hängen stark an der Konjunktur. Zykliker fanden lange nur sehr risikobereite Käufer, die breite Masse der Anleger riss sich dagegen um Papiere von Corona-Gewinnern — der Favoritenwechsel ist radikal. Die Frage ist: Welche Kaufwelle treibt den Leitindex nach der euphorischen Zykliker-Hausse weiter nach oben? Mittelfristig werden sich Anleger wohl auf weniger gewinnreiche (oder gar verlustträchtige) Handelstage einstellen müssen. Die krisen­bedingt schwachen Fundamentaldaten aus Konjunktur und Unternehmen dürften wieder mehr Beachtung finden. Einen Vorgeschmack gab die Kursentwicklung zum Wochenausklang.

Der DAX 30 mühte sich nach dem heftigen Rückschlag von Fronleichnam am Freitag vergeblich an der Rückeroberung der psychologisch wichtigen Marke von 12.000 Punkten ab. Der deutsche Leitindex schloss mit einem Minus von 0,2 Prozent bei 11.949 Punkten. Auf Wochensicht steht damit ein Verlust von knapp sieben Prozent zu Buche, der erste Rückschlag seit Mitte Mai. „Nach wie vor prägen Vorsicht und Zurückhaltung das Anlegerverhalten. Niemand möchte sich vor dem Wochenende zu weit aus dem Fenster lehnen und größere Risiken eingehen“, konstatierte Marktbeobachter Timo Emden.

Noch zu Wochenbeginn hatte die Erholungsrally den Dax bis auf Tuchfühlung mit der Marke von 13.000 Punkten gebracht, doch dann war der Markt auf Korrekturkurs eingeschwenkt. Am Donnerstag hatten pessimistische Aussagen der US-Notenbank Fed zur Konjunkturentwicklung sowie die Sorge vor einer zweiten Corona-Welle die Börsen weltweit deutlich nach unten gezogen. Am Freitag erholte sich die Wall Street allerdings bereits ein wenig von dem panikartigen Kursrutsch am Vortag. Die wichtigsten Aktienindizes schlossen nach einem nervösen Handelsverlauf teils deutlich im Plus. Letztlich sorgten erfreuliche Konjunkturdaten für Zuversicht: Das von der Universität Michigan erhobene Verbrauchervertrauen war im Juni stärker als erwartet gestiegen. Der US-Leitindex Dow Jones Industrial stieg in der Endabrechnung um 1,9 Prozent auf 25.606 Punkte, verzeichnete aber dennoch einen Wochenverlust von 5,6 Prozent. Denn am Donnerstag war das Börsenbarometer um knapp sieben Prozent eingebrochen. Eine düstere Konjunktureinschätzung durch die US-Notenbank Fed und die Furcht vor einer zweiten Corona-Welle hatten die Anleger in die Flucht getrieben. Für den marktbreiten S&P 500 ging es am Freitag um 1,3 Prozent auf 3.041 Zähler nach oben. Der technologielastige NASDAQ 100 gewann 0,8 Prozent auf 9.664 Punkte.

Die Aktien des Flugzeugbauers Boeing setzten sich mit einem Plus von gut elf Prozent klar an die Dow-Spitze, nachdem sie am Donnerstag noch um fast 17 Prozent abgesackt waren. Auch Aktien von Fluggesellschaften standen bei den Anleger hoch im Kurs. Die Papier von United Airlines etwa eroberten mit einem Plus von rund 19 Prozent den erste Platz im Nasdaq 100. Ferner zogen die Anteilscheine von Southwest Airlines um mehr als neun Prozent an. Die Papiere böten eine gute Möglichkeit, um von einer kurzfristigen Nachfrage-Erholung nach Urlaubsreisen zu profitieren, schrieb Analyst Jose Caiado von der Credit Suisse. Dank der branchenweit besten Bilanz dürfte Southwest ein aggressives Comeback bevorstehen.

Die Anteilscheine von Adobe stiegen um fast fünf Prozent, nachdem sie im Handelsverlauf ein Rekordhoch erreicht hatten. Der Softwarehersteller hatte im zweiten Geschäftsquartal überwiegend besser als von Experten prognostiziert abgeschnitten. Jefferies-Analyst Brent Thill lobte vor allem den Bereich Digital Media, der sich einmal mehr hervorragend entwickelt habe. Unter den Technologiewerten griffen die Anleger auch bei den Aktien von Snap zu. Die Foto-Plattform Snapchat öffnet sich für Dienste anderer Anbieter und folgt damit dem Vorbild chinesischer Super-Apps wie Wechat, in denen die Nutzer den Großteil ihres digitalen Alltags erledigen können. Die Snap-Papiere legten um gut zwei Prozent zu.

Tesla büßte hingegen fast vier Prozent ein. Die Papiere hatten allerdings am Mittwoch erstmals die Marke von 1000 Dollar geknackt. Nun folgten kritische Analystenkommentare. Vor allem Morgan-Stanley-Experte Adam Jonas ist skeptisch angesichts des seit Jahresbeginn verdoppelten hohen Marktwertes. Jonas verwies auf kurzfristige Nachfrage- und Preisrisiken, Kapitalbedarf sowie Tech-Wettbewerb.

Im Dax setzten sich am Freitag die jüngst hohen Schwankungen der Lufthansa-Aktien fort. Diesmal gewannen sie an der Index-Spitze mehr als drei Prozent, die Titel hatten seit Wochenmitte aber auch mehr als 20 Prozent eingebüßt. Die Anteile am Triebwerkhersteller MTU Aero Engines dämmten bis zum Abend ihre zunächst ähnlich hohen Gewinne bis auf rund ein Prozent ein. Sie stemmten sich damit aber gegen eine Verkaufsempfehlung von Warburg Research.

Die Papiere des im Wandel begriffenen Industriekonzerns ThyssenKrupp machten an der MDAX-Spitze mit einem Plus von fast knapp acht Prozent ihren hohen Vortagesverlust nahezu wett. Dagegen zollte Krisengewinner und Kochboxen-Versender HelloFresh mit minus fünf Prozent am Index-Ende dem jüngst guten Lauf Tribut.

Trotz aller Bemühungen der EU droht Italien im Herbst eine Herabstufung der Bonität auf Ramschstatus. Miese Wirtschaftsaussichten und steigende Verschuldung könnten es notwendig machen, dass die Ratingagenturen Moody’s, S & P sowie Fitch den Daumen senken. Das wäre ein gravierender Imageverlust für Rom, es drohen zudem massive Verwerfungen in wichtigen Anleihe­indizes, die sich auf europäische Staatsanleihen konzentrieren. Hier machen Italo-Bonds bis zu 25 Prozent des Gesamtindex aus. Fällt der Status unter Investment Grade, müssen die Papiere aus den Indizes weichen. Die Kurse italienischer Anleihen könnten deutlich sinken, spiegelbildlich wären starke Renditeausweitungen die Folge. Doch die Italiener haben mit der EZB einen wichtigen Partner, der die Papiere weiter massiv aufkaufen kann. Der Trick: Die Notenbanker nutzen nicht nur die drei Anbieter, sondern mit der kanadischen DBRS eine weitere Ratingagentur, die Italien deutlich besser einstuft. Nach Ansicht von Experten wie Uwe Pyde vom Assetmanager Bantleon wird die EZB deshalb auch bei einem Downgrade von Italien fortfahren, italienische Anleihen aufzukaufen.

Die Ölpreise sind mit kräftigen Gewinnen in die Woche gestartet. Am Wochenende hatten die Länder der OPEC+ beschlossen, die Drosselung der Ölproduktion auch im Juli beizubehalten. Zudem sollen die Länder, die im Mai und Juni mehr Öl gefördert haben als vereinbart, in den nächsten Monaten weniger produzieren. „Das Wiedererstarken der OPEC hat die Ölpreise deutlich steigen lassen“, sagt Eugen Weinberg, Rohstoffexperte der Commerzbank. In der Corona-­Krise ist der Ölverbrauch drastisch eingebrochen. Die Preise befinden sich seit Ende April aber auf Erholungskurs. Am Montag notierte die US-Sorte WTI erstmals seit März wieder über der Marke von 40 und die Nordseesorte Brent wieder über 43 Dollar je Barrel. „Wir halten diesen Preisanstieg ­weiterhin für nicht nachhaltig“, warnt allerdings Weinberg.

Um rund ein Fünftel ist der Aktienkurs des Kaffeekonzerns JDE Peet’s mit Marken wie Jacobs, Tassimo und Senseo seit dem Börsenstart Ende Mai gestiegen. Bei dem bis dato ­größten Börsengang in Europa im laufenden Jahr lag der Emissionspreis bei 31,50 Euro. An der Euronext in Amsterdam erreichte die Aktie ­Anfang Juni zeitweise Notierungen von 38,42 Euro, zuletzt stand der Kurs bei 37,25 Euro. Die Kaffeefirma hat damit eine Marktkapitalisierung von rund 18 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die beiden DAX-Konzerne RWE und Deutsche Bank erreichen ebenfalls eine Marktkapitalisierung von jeweils rund 18 Milliarden. Beim Börsengang wurden alte Aktien verkauft, aber auch neue Aktien ausge­geben. Das niederländische Kaffee­unternehmen wird weiterhin mehrheitlich kontrolliert von der Acorn Holding, hinter der die JAB Holding der deutschen Unternehmerfamilie Reimann steht, sowie dem US-Lebensmittelriesen Mondelez Interna­tional, zu dem Marken wie Milka, Toblerone, Oreo und Tuc gehören. Zu den neuen Investoren zählen unter anderem auch Fonds von George Soros.


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Kommentare ( 14 )

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Nibelung
4 Jahre her

Das Spiel ist eröffnet und wie nicht anderes zu erwarten setzt man nun auf alles oder nichts, denn von der Ratio her weiß man ganz genau, daß nur noch wenige Sparten eine Zukunft haben und deshalb will man selbst an der Konkursmasse noch ein paar EUR verdienen und hier wird nun exemplarisch aufgezeigt, daß Produkt und Arbeit nahezu keinen Stellenwert mehr haben. Hier geht es nur noch um die Resteverwertung mit bescheidenem Aufschlag, der sich dann aber mit entsprechendem Kapitaleinsatz durchaus rechnen lassen kann und die Masse in jeder Hinsicht dabei mitverhökert wird und die Politik schaut zu und freut… Mehr

Karli
4 Jahre her

Meine amerikanischen ETF´s laufen recht gut…

HGV
4 Jahre her

Normaler Weise wird an der Börse die Zukunft gehandelt. Wenn man sich mal nüchtern die Zukunft in Europa ansieht, entsteht folgendes Bild: – Staatsverschuldung auf höchstem Niveau (ohne Deckung durch Wirtschaft, z.B. Exporteinbruch in D um 30%) – Einstieg der EU in Schuldengemeinschaft – Kein Konzept zu Belebung der Wirtschaft EU-weit erkennbar (Staatsdirigismus erkennbar) – Wachstumsmotor Automobilindustrie besonders in D strauchelt weiter – Migrationsfrage weiterhin ungeklärt – Demonstrationen verunsichern Bevölkerung – Ende des Lockdown nicht erkennbar – Binnenkonjunktur lahmt – Probleme der Club Med Staaten werden nicht beseitigt, sondern mit Geld zugeschüttet. Aus meiner Sicht wird die Börse künstlich mit… Mehr

Horst
4 Jahre her
Antworten an  HGV

Alles richtig – ich sehe da auch keinen Widerspruch. Das „gedruckte“ Geld fließt in die Märkte und bläht die Preise auf. Somit nehmen die steigenden Börsen die Inflation vorweg und nicht die Gewinne. Und in ein paar Jahren sind wir das Problem der Rentenversicherung los, indem die Anpassung gering gehalten wird. Naja, und wer ist Inhaber von Sparbuch und Lebensversicherung? Alte, weiße Menschen, die nur aufgrund ihrer Privilegien ihr Leben lang arbeiten durften. Somit fügt sich alles im Sinne der Regierung. Ach so, natürlich muss noch sichergestellt werden, dass die Privatanleger von Sachwerten auch geschröpft werden, aber das läuft ja… Mehr

Konradin
4 Jahre her

Prima Marktbericht. Gerne mehr Wirtschafts- und Finanzartikel und Interviews zum Thema mit Krall, Otte, Friedrich, Sinn oder auch mal Müller oder Homm, etc. Die Finanz- und Wirtschaftsordnung wird in den nächsten 2, 3 Jahren sicher noch einige fundamentale und bisher ungesehene Kapriolen schlagen. Der Gründe gibt es ja genug, z.B. „Trotz aller Bemühungen der EU droht Italien im Herbst eine Herabstufung der Bonität auf Ramschstatus.“ Na, das wird ein Donnerwetter. Gut, dass die drei entscheidenden Ratingagenturen noch halbwegs unabhängig nicht komplett politisiert sind – oder bedienen sie etwa die Interessen der USA mit dem Ziel die Eurozone zu schwächen bzw.… Mehr

Linda28
4 Jahre her
Antworten an  Konradin

7500 ist schon rechnerisch nicht möglich

RMPetersen
4 Jahre her

Darf ich meine persönlichen Eindrücke loswerden? Danke. Ich bin blutiger Laie, begann meine Karriere als Aktienkäufer am 16.03.2020, und dachte „tiefer fallen die Titel nicht mehr“. Ein Verwandter klagte darüber, dass er beim Aktienabsturz hätte „wie blöd“ verdienen können; Deutschland hat ja – im Gegensatz zu Frankreich – Leerverkäufe nicht verboten. Aber er war auf seinen Aktien sitzen geblieben und jammerte. Also am Aufschwung verdienen, mit ganz langweiligen DAX-Werten, die in der Vergangenheit auch gute Dividenden gezahlt haben. Neben der Dividende ein optisches Entscheidungskriterium, auch in den dann folgenden Monaten: Die Kurven über die letzten drei Jahre anschauen. Wenn der… Mehr

Horst
4 Jahre her
Antworten an  RMPetersen

Sie sind also seit zwei Monaten an den Börsen aktiv, kennen also bisher nur Buchgewinne und geben dann schon Tipps zu Entscheidungskriterien? Sie sollten sich vor eine Bücherwand stellen, ein Video ins Netz laden und sich mit „Experte“ betiteln. Moderne Brille aufsetzen, ggf. Hemd und Krawatte.

Vogelfrei
4 Jahre her
Antworten an  RMPetersen

Lassen Sies bleiben und verkaufen Sie…

Linda28
4 Jahre her
Antworten an  RMPetersen

Im DAX sind extrem wenig Firmen interessant. Bitte den den Home-Bias abschalten, dann klappts auch mit der Anlage

RMPetersen
4 Jahre her
Antworten an  Linda28

Da meine DAX im Mittel mehr als 30% zugelegt haben (- zwischen 12 und 55%, weil ich etliche später gekauft habe), ebenso franz., ital. und span., ist das nicht schlecht.

Da der Titel des Artikel lautet „Die rasanteste Aufholjagd der DAX-Geschichte, ist die Investition in anderen Währungen ein gesondertes Thema.

Vogelfrei
4 Jahre her

Vielen Dank für diesen hochinformativen Rundblick. Wir haben alle europäischen Werte verkauft. Ok, die Schweiz und das östliche Mitteleuropa haben Zukunft, die aber ansonsten in den USA und in Asien stattfinden wird. Allgemein scheinen die Aktienbewertungen abenteuerlich hoch, es ist eine Frage das Lebensalters ob man da mitmachen sollte. Ältere Semenster sollten jetzt auf Sicherheit setzen, das heißt auf Gold und auf die selbstgenutzte Immobilie.

Linda28
4 Jahre her
Antworten an  Vogelfrei

Ich kenne eine ganze Menge Aktien die abenteuerlich unterbewertet sind. Gibt auch?So beides.

Vogelfrei
4 Jahre her
Antworten an  Linda28

So ganz unter uns – lassen Sie mich teilhaben…