Maybrit Illner am Sonntag: Tote oder den Tod der Wirtschaft riskieren?

Bei Maybrit Illner überlagern wirtschaftliche und soziale Problematiken zunehmend die medizinischen Probleme, welche die Pandemie mit sich bringt.

Screenprint: ZDF/maybrit illlner

„Kann der Punkt kommen, an dem die Bekämpfung der Krise mehr Elend schafft als die Krankheit selbst?“ Einige vernünftige Antworten kamen vom Unternehmer Karl Haeusgen. Das ist die zentrale Frage des Abends. Fangen wir mit den Leerstellen an, dann haben wir sie durch:

Gabor Steingart, ehemaliger Chefredakteur des Handelsblatts, kennt jedenfalls die richtige Antwort und bezeichnet die Corona-Krise – zumindest zum Teil – als „Angsterzählung“. Bislang 465 Tote sind Fake-News aus dieser ins eigene Wort verliebten Perspektive.

Olaf Scholz schimpft auf Donald Trump. Der ist ein billiges Ziel weil weit weg, ihn zu schelten gehört zum Pflichtrepertoire und lenkt von eigenem Versagen ab. Trumps Klassiker haben sie wohl alle nicht mitgekriegt: „we cannot let the cure be worse than the problem itself.” Das ist das Thema hier bei Illner.

Trotzdem fällt auch Scholz nichts dazu ein, wie es dazu kommen kann, dass  Deutschland viele teure Intensiv-Betten hat, aber keine Wegwerfartikel wie Atemmasken – und auch nicht in der Lage ist, das Problem zu lösen. Sarah Wagenknecht lobt die sonst so verachtete kapitalistische Schweiz, weil sie vollautomatische Maskenherstellmaschienen beschafft hat, ganz ohne Proletarier am Band.

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Danach wird’s interessanter. Die Sendung spiegelt die öffentliche Diskussion: wirtschaftliche und soziale Probleme folgen der Corona-Pandemie  und überlagern die bis dahin medizinischen Themen. Es wird viel über Staatshilfen gesprochen, über Kredite und Förderbanken. Schwer genug, denn viel Geld kommt nicht an und nicht, wo es dringend gebraucht wird, auch wenn Scholz Bemühen vorgibt. Und weil die Themen Wirtschaftskrise und Pandemie nicht reichen, kommt ein drittes Thema dazu, nämlich die Finanzierung der europäischen Nachbarn.

Olaf Scholz weicht der Frage aus, ob Corona-Bonds nun kommen oder nicht, will nichts dazu sagen, ob die Schulden der Eurozone nicht doch verallgesellschaftet werden. Es ist die klassische Position – Deutschland soll nicht für die Schulden anderer haften.

Doch genau das fordert der Unternehmer und Vizepräsident der Maschinenbauer, Karl Haeusgen und sagt klar: Euro-Bonds, also gemeinsame Schulden der Euro-Staaten müssen kommen. Zeitlich limitiert und zweckgebunden, sozusagen als Kriegsanleihen gegen Corona werden sie Corona-Bonds genannt. Sie stoßen in Nordeuropa auf heftigen Widerstand, doch müssen kommen; denn alles andere wird in Spanien, in Italien als unsolidarisch wahrgenommen und führt unweigerlich in die Staasschulden-Krise und zu einem radikalen Premierminister Salvini, der für seine Europafeindlichkeit bekannt sei (so heißt das, wenn man EU mit Europa verwechselt). Haeusgen meint’s pragmatisch: Sieht ein Problem, will es lösen und die damit ausgelösten Probleme dann bitte morgen. So klingt er in dieser Krise am überzeugendsten. In Wahrheit würde das nur Zeit kaufen, was EU und EZB allerdings schon immer tun.

Etwas kristallisiert sich in der Sendung heraus, im Gespräch zwischen Wagenknecht, Haeusgen und Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft:

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Die Krux der jetzigen Situation ist nicht nur die Pandemie oder der Zusammenbruch der Wirtschaft oder die Staatsschuldenkrise, in die der Europäische Süden hinein zu gleiten droht, es ist das Zusammenspiel aller drei Krisen. Man kann nicht eine Krise nach der anderen sauber lösen, sondern nur alle drei gleichzeitig. Leider verschlimmern die Rezepte, die gegen das Eine helfen, das Andere. Das macht die Krise so ungewöhnlich.

Das beste Mittel der Pandemiebekämpfung ist es, nicht mehr aus dem Haus zu gehen, ja das wissen wir jetzt alle. Doch dann bricht die Wirtschaft zusammen und Krankenhäuser können nicht mehr bezahlt werden – wer also trotzdem erkrankt, wird nicht mehr versorgt. Wirft man die Wirtschaft wieder zu schnell an, infizieren sich schnellstens Hunderttausende und die Krankenhäuser können die Menge an Kranken nicht mehr bewältigen. Hilft man Italien und Spanien nicht, sich zu finanzieren – und dies wird deutsche Steuerzahler Milliarden kosten – so brechen diese Länder unter der Last der Krise zusammen. Doch es baut sich ein Schuldenberg auf, der am Ende alle erdrückt.

Zwischen diesen disparaten Gedanken lobt sich immer mal wieder Olaf Scholz selbst, spricht von den vielen Milliarden, die er an Hilfen bereitstellt. Und für die Hilfen wird er im Gegenzug auch gelobt. Haeusgen lobt, wie schnell das Rettungspaket geschnürt wurde, wie eng man mit der Wirtschaft zusammengearbeitet habe. Was jedoch Wagenknecht und Felbermayr auch sagen, ist, dass das Rettungspaket eben auch an mancher Stelle unzulänglich ist. Es werden nur große Unternehmen unterstützt und kleine mit weniger als 15 Mitarbeitern, doch mittelgroße Betriebe – und dazu zählt auch schnell ein Restaurant oder eine Werkstatt – kriegen nichts.

Am Ende wird zur Bekämpfung der Krise nur ein pragmatischer Weg bleiben, der Opfer kostet – hier oder dort. Sprechen wir es aus: Tote Menschen oder der Tod der Wirtschaft, ohne die Menschen nicht leben können. So klar wird es nicht formuliert. Haeusgen schlägt vor, fürs erste müssen Geschäfte und Restaurants geschlossen bleiben – und doch wieder öffnen. So muss die Wirtschaft wieder anfahren und Friseure, Lokale und Geschäfte sollen öffnen – oder untergehen, nicht alle können überleben. Deshalb werden Mittelwege gesucht: Begrenzungen, wie viele Kunden einen Laden betreten dürfen, verringerte Tischzahlen in Restaurants, um den Mindestabstand zu garantieren und Friseure, die mit Mundschutz und Handschuhen Haare schneiden. Perfekte Lösungen wird es nicht geben – aber was im Leben ist schon perfekt?

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Kommentare ( 87 )

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87 Comments
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Fulbert
4 Jahre her

Ermuedend. Wieder einnal werden Zusammenhänge und angeblich zwangsläufige Konsequenzen konstruiert, wo es diese nicht gibt. Erinnert an den grandiosen Satz: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“

Besserwisser
4 Jahre her

Und die richtlinienkompetente BK wird wahrscheinlich Empfehlungen aussprechen.

pema
4 Jahre her

Die Fragestellung „Corona-Bonds“ lässt sich leicht lösen:
Deutschland stimmt zu, wenn
– Italien, Spanien und Frankreich die Rente mit 67 einführen und
– die französischen Atombomben einer europäischen Verfügung unterstellt werden.

Na, klappt doch!

H. Reich
4 Jahre her

Vom 21.- 24.01.20 fand in Davos das World Economic Forum mit ca. 3000 !!! “ Entscheidungsträgern “ aus Politik und Wirtschaft statt. Da war „Corona“ schon bekannt.Greta hatte ihren Auftritt, A. Merkel sprach von der „Großen Transformation“, Habeck empörte sich über die Rede Trumps…Was hinter verschlossenen Türen gesprochen wurde, ist nicht bekannt.Entscheidungsträger sollten auch Verantwortungsträger sein…Am 30.01.20 wurde in den USA eine Corona – task force gebildet, der Krisenstab in Deutschland 4 Wochen später. Jetzt wird an die Vernunft der Bürger und deren Eigeninitiative appelliert von Schönwetter- Politikern. Informationen, Vorgaben, Zahlen in teilweise widersprüchlicher Art, überschlagen sich. Zwischen Panik und… Mehr

Kassandra
4 Jahre her
Antworten an  H. Reich

„Am 30.01.20 wurde in den USA eine Corona – task force gebildet…“
https://www.coronavirus.gov/
https://www.whitehouse.gov/remarks/

„Olaf Scholz schimpft auf Donald Trump. Der ist ein billiges Ziel weil weit weg, ihn zu schelten gehört zum Pflichtrepertoire und lenkt von eigenem Versagen ab.“
„Zwischen diesen disparaten Gedanken lobt sich immer mal wieder Olaf Scholz selbst, spricht von den vielen Milliarden, die er an Hilfen bereitstellt.“

„…die er an Hilfen bereitstellt.“
Was für ein Held…

Der Winzer
4 Jahre her

Hervorragende Rezession – vielen Dank, Herr Tichy. Diese (und weitere mediale) Runden zeigen m.E. glasklar, dass dieses Land ein massives „Eliten-Problem“ hat. Um es auf die Runde von Frau Illner zu beziehen: Alle – wirklich alle – sind völlig überfordert. Unfähig die richtigen Fragen zu stellen (Illner, Steingart), unfähig die Situation des Landes einzuschätzen, schnelle & pragmatische Hilfsmaßnahmen in die Wege zu leiten & Antworten zu geben (Scholz), das Problem Pandemie in den größeren Zusammenhang Depression – Staatsschuldenkrise – Euro-Crash einzuordnen, oder eben auch nur ein Problem sieht – es lösen will – aber keine Sekunde darüber nachdenkt, welche Probleme… Mehr

Peer Munk
4 Jahre her

Berichtigung: Im Jahr 2017 starben durchschnittlich rund 2500 Menschen am Tag.

TransgenderRechtspopulist
4 Jahre her

Corona scheint nicht so darmatisch zu seinen, vielmehr emotionalisierte Panikmache.

Aber die Nebeneffekte sind spitze: Grenzschutz geht doch, Globalisierung kann in Frage gestellt werden, Klimakrise ….

DELO
4 Jahre her

Ihre „emotionale Panikmache“ sieht man an Italien, Spanien, dem Elsass und den USA.
Dummland hat wirkliches Potential an ** zu bieten.

Gerro Medicus
4 Jahre her

Danke für den Link! Sehr interessant!

hassoxyz
4 Jahre her

Daß ein deutscher Unternehmer die Einführung von Eurobonds fordert, also den definitiven Einstieg in die Schuldenunion, bei der Deutschland die Hauptlast trägt, um die maroden Südländer auf Dauer zu finanzieren, finde ich unfaßbar. Das würde den deutschen Staatshaushalt pro Jahr nochmal um 50 Mrd. € mehr belasten, gerade jetzt in einer sehr unsicheren wirtschaftlichen und politischen Lage mit riesigem Rezessionspotential. Aber das beweist, daß selbst die Wirtschaftsvertreter immer mehr an Realtätsverlust leiden bzw. jedes Maß für wirtschaftliche Vernunft abgelegt haben. Dann müssen sich die Industriebosse nicht wundern, wenn die Gewerkschaften immer höhere Löhne fordern. Wer Italien und Spanien finanzieren kann,… Mehr

Wolodja P.
4 Jahre her

Da tun Sie dem Mann aber bitter Unrecht! Als auf den Hamburger Straßen der rote Mob randalierte, saß Scholz nicht etwa in einer Schwafelschau, sondern gelassen, warm und trocken beim Bankett in der Elbphilharmonie. Er tat also genau das, was der Bürger von einem Landesvater erwartet: Nichts, rein gar nichts.