Hendrik Wüst: „individuelle Freiheit nicht über die Freiheit der Allgemeinheit stellen“

Der CDU-Ministerpräsident von NRW offenbart bei Anne Will den Zweck der Impfpflicht: Ressentiments befriedigen. Hier zeigt sich nicht nur ein zynischer Blick auf die eigenen Bürger, sondern auch ein illiberales Verständnis von Freiheit.

Screenprint: ARD/Anne Will

Hendrik Wüst hat in der Talkshow von Anne Will seine Vorliebe für die „Freiheit der Allgemeinheit“ vor der „individuellen Freiheit“ deutlich gemacht – und damit seinen Ruf nach einer allgemeinen Impfpflicht begründet. Der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der im Mai Landtagswahlen zu bestehen hat, sagte: „Es geht darum, auch mal den Geimpften und denen, die alles machen, zu zeigen, wir lassen das nicht weiter zu, dass Menschen ihre individuelle Freiheit über die Freiheit der gesamten Gesellschaft stellen. Jetzt kümmern wir uns um die Nichtgeimpften und führen eine Impfpflicht ein.“

Die Impflicht sieht Wüst also als eine Art Genugtuung für die Geimpften gegenüber den Ungeimpften. Dass andere zu dem gezwungen werden, was man selbst freiwillig getan hat, das soll offenbar als eine Art Belohnung durch die Regierenden empfunden werden. Nochmal Wüst im Original: „Sinn und Zweck ist, dass wir den Menschen signalisieren können, die alles getan haben in den letzten zwei Jahren, die sich haben impfen lassen, die vorsichtig waren, die sich testen lassen, die die Maske tragen: Jetzt sind die anderen dran, die sich bisher geweigert haben.“ Er spricht sogar noch von einem „schlechten Gewissen gegenüber denjenigen, die alles getan haben“.

Die Impfpflicht hat also für Wüst keinen gesundheitlichen Zweck, sondern dient der Befriedigung eines – von Wüst unterstellten – Gelüstes von Bürgern, die den Wünschen der Regierenden gefolgt sind, dass nun auch die weniger folgsamen Mitbürger sich fügen müssen. Wüst bedient hier also ganz offen das pure Ressentiment. Rund vier Monate vor den Landtagswahlen erfahren die Bürger von Nordrhein-Westfalen nun also, welches Bild ihr Ministerpräsident von ihnen hat, beziehungsweise generell von Menschen hat. Er unterstellt ihnen Lust an der Maßregelung anderer Menschen.

Das sonst meist fürsorglich-wohlfahrtsstaatlich verwendete Politiker-Verb „kümmern“ wird bei Wüst zur Drohung der Durchsetzung eines staatlich-kollektiven Zweckes gegen Individuen. An anderer Stelle verwendet Wüst sogar nochmal diese Formulierung mit zynischem Zusatz: „Jetzt müssen wir uns bitte mal liebevoll um die Nichtgeimpften kümmern.“

Indem Wüst seine mündliche Formulierung von Vorrang der „Freiheit der Allgemeinheit“ nachträglich auch noch twitterte, bekräftigte er diese Begrifflichkeit. Er sagte eben nicht, dass die Freiheit des Einzelnen da endet, wo sie die Freiheit anderer Individuen beeinträchtigt, sondern er stellte ihr die kollektivistische „Freiheit der Allgemeinheit“ gegenüber, die wichtiger sei. Bei der Suche nach solchen Vorstellungen von der Freiheit einer Allgemeinheit (ob nun „Volk“ oder „Klasse“ oder „Gesellschaft“ genannt) landet man relativ schnell bei undemokratischen, wenn nicht sogar totalitären Denkern und Politikern.

Anzeige

Unterstützung
oder