Was hat Julian Reichelt wirklich getan – die Sexaffäre als Machtkampf und Reinwaschung

Die Financial Times in der Affäre um den ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt: Demnach soll er Untergebene zum Sex genötigt haben. Die Vorwürfe in Richtung Springer-Chef Döpfner sind massiv und ein Kampf um die Deutungshoheit: Warum mußte Reichelt gehen.

IMAGO / Sven Simon

„I‘ ll be back“ hat Julian Reichelt zum Motto seiner Twitter-Biographie gemacht. Das Zitat aus dem Film Terminator klingt nach Selbsermutigung – aber auch nach Warnung: Der ehemalige Bild-Chefredakteur werde wieder wichtig im deutschen Journalismus und damit auch gefährlich für seine Gegner. Halt wie der von Arnold Schwarzenegger verkörperte Terminator.

Zu seiner Zeit als Bild-Chefredakteur soll er indes die Karrieren von Mitarbeiterinnen gefördert haben. Allerdings nur, wenn sie ihm dafür zuerst sexuell gefällig waren. So die Vorwürfe gegen Reichelt, die die Financial Times nun nochmal dargestellt hat. Auch dass eine Betroffene mit einer klinischen Depression aus einer solchen Affäre herausgegangen sein soll.

Neu an der Recherche der Financial Times ist, was zwischen Reichelts erster und zweiter, dann endgültigen, Entlassung passiert sein soll. Also zwischen März und Oktober 2021. Zum einen soll Reichelt vom Springer-Verlag die Namen der Betroffenen erhalten haben – und diese dann erneut unter Druck gesetzt haben. Zum anderen soll die Springer-Führung selbst eine aktive Rolle gespielt haben. Namentlich Verlagschef Mathias Döpfner.

Der hat nach der Darstellung der Financial Times eine Art Gegen-Ermittlung eingeleitet. Informanten aus den eigenen Reihen sollten beobachtet werden. Döpfner habe in internen Mails von einer linken Verschwörung gegen das Haus gesprochen, um dessen Regierungskritik und den Einsatz für liberal-konservative Positionen zu torpedieren. Ein Sprecher von Springer weist dies gegenüber der Nachrichtenagentur DPA zurück: „Der Artikel zeichnet ein irreführendes Bild der Compliance-Untersuchung, der daraus gezogenen Konsequenzen, des gesamten Unternehmens und seiner Führung.“

Laut Financial Times hat die Springer-Führung schon vor dem März 2021 von den Vorwürfen gewusst – und Reichelt gedeckt. Aus persönlicher Verbundenheit zum Chefredakteur. Aber auch aus Angst um den eigenen Posten. Die Financical Times hat nach eigenen Bekunden mit Mitarbeitern des Verlags gesprochen und ist so auch an interne Mails gekommen. In diesen hätten die Verantwortlichen davon geschrieben, dass diese Affäre auch ihren Job kosten könne.

Der Springer-Verlag steht dabei in einem internationalen Spannungsverhältnis: Nach deutschem Recht – Strafrecht wie Arbeitsrecht – hat Reichelt nichts Verbotenes getan. Es sei denn, es lässt sich beweisen, dass eine Beförderung einer Sexpartnerin inhaltlich nicht zu vertreten war. Aber vor zwei Jahren hat das amerikanische Investmentunternehmen KKR die Mehrheit des Springer-Verlags erstanden. Und in den USA gelten viel härtere „Compliance“-Regeln, die das Verhalten von Mitarbeitern, vor allem von Führungskräften, ordnen. Auch ist in den Staaten der Straftatbestand der sexuellen Nötigung deutlich weiter gefasst als in Deutschland. Nach amerikanischem Maßstab war Reichelt im Haus nicht mehr zu halten.

Auffällig war, dass die Bild im Sommer 2021 die Bundesregierung für ihre Corona-Politik deutlich härter kritisierte als vorher. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, ursprünglich eine Freundin des Hauses, war nun harscher Bild-Kritik ausgesetzt. Seit seiner Entlassung legt Reichelt privat nach, kritisiert die Corona-Politik auf Twitter mit Worten wie: „Der Erfolg von Karl Lauterbach ist auf Angst gebaut. Wenn die Menschen keine Angst mehr haben, hat er keinen Erfolg mehr. Für seinen Erfolg dürfen wir nicht zu lang als genesen gelten. Wir sollen uns vor Neuinfektion fürchten. Das ist Demagogie.“

Nun lässt das für Außenstehende zwei Erklärungen zu: Die eine ist, Döpfner hat recht und es handelt sich um eine Verschwörung, um die unangenehme Stimme Bild „mundtot“ zu machen. Die andere mögliche Erklärung ist komplizierter, psychologischer: Als Reichelt im Frühjahr klar wurde, dass er nicht zu halten ist, hat er sich bewusst exponiert geäußert. Damit steht er nach seinem Sturz nicht als der Mann da, der Frauen genötigt hat, sondern als Opfer einer politischen Verschwörung. Aus dem Sex-Monster wird ein tragischer Held der Publizistik. Auch vor sich selbst kann er dann so erscheinen. Und seine Wiederkehr als Rächer der unterdrückten Wahrheit wäre gesichert. Er hat viele Fans unter den Lesern, die ihn genau deshalb lieben und sein Erscheinen sehnlichst erwarten. Er wäre reingewaschen von allen Sünden.

Nach dem Stand der Dinge wird die Causa Reichelt nicht von einem Gericht entschieden werden. Welche der beiden Erklärungen man „glaubt“, wird somit eben zur politischen Glaubensfrage. Fakt ist: Die Bild hat sich in den jüngsten Tagen wieder in die Reihen derer gestellt, die ein sofortiges Ende der Corona-Maßnahmen fordern. Auch ohne Reichelt. Harte Kritik an der Bundesregierung geht auch ohne ihn, ist die Botschaft. Döpfner indes ist nach der Berichterstattung der Financial Times erneut angeschlagen. Stimmt es, und er hat tatsächlich eine Gegen-Ermittlung eingeleitet, die auch das Ausspionieren von Informanten vorsieht, dann wird es eng, denn es wird nicht als selbstverständlich, wie nach deutschem Verständnis, sondern in den USA als Unterlaufen der Untersuchung bewertet. Gerade US-Rechtsverständnis aber ist wegen des US-Hauptaktionärs KKR maßgeblich. Bezeichnend, dass es nach der New York Times jetzt die Financial Times ist, die Döpfner attackiert. Und hat Döpfner vor März 2021 von den Vorwürfen gegen Reichelt gewusst und diesen darüber informiert, dann muss auch er „I’ll be back“ zum neuen Lebensmotto machen. Deutschland würde damit seinen profiliertesten und wohl auch erfolgreichsten Medienmanager verlieren – wegen einer Männerfreundschaft, die zum Berufsrisiko wurde.

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Kommentare ( 30 )

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EinBuerger
2 Jahre her

Springer ist nicht unser Freund. Springer ist mir total egal.

MaximilianMueller
2 Jahre her

Ok fassen wir mal zusammen: Die LINKE NYT setzt Journalisten auf Reichelt an. Die Recherchen sind so teuer und unergiebig, dass man sie abziehen muss. Gefunden hat man, soweit ich mich erinnern kann, nur MÄNNER, die von Sexismus bei Springer reden. Man fordert Döpfner auf, Reichelt zu entlassen, was dieser nicht tut. Daraufhin versucht man es erneut, diesmal mit Hilfe deutscher Medien, um mehr Druck auszuüben. Man bedroht Döpfner direkt in seiner Position, weshalb dieser schließlich nachgibt. Wann genau die Frauen dazu kamen, weiß ich nicht. Aber ehrlich, „Sex-Monster“ wegen einvernehmlichem Sex? Wohl kaum. Was ich aber sicher weiß ist,… Mehr

Oekoverweigerer
2 Jahre her

Wenn dein Herr ein Amerikaner ist, dann bist du nur noch ein Diener. Alles was in Amerika derzeit abgeht, schwappt so nach und nach zu uns . Woke, culture cancel, political correctness und wie mache ich meine Gegner mundtot! Ich habe letzte Woche auf „Die Weltwoche“ ein Interview mit Roger Köppel und Julian Reichelt gesehen. Ich hoffe Julian Reichelt findet die Möglichkeit, seine Idee des Wiedereinstiegs zu verwirklichen.

November Man
2 Jahre her

Ich kann keine zweifelsfreien Beweise gegen Herrn Julian Reichelt finden die eine Kündigung auch nur ansatzweise rechtfertigen könnten.
Deshalb werte ich das juristisch bedenkliche Vorgehen gegen Herrn Reichelt als linke Verschwörung weil er sich getraut hat die Wahrheit auszusprechen.
Und ich bleibe dabei, wer sich den linksgrünen Lügenmedien und Konsorten nicht gnadenlos und bedingungslos unterwirft wir restlos vernichtet.
Ich hoffe Herr Reichelt kommt wieder und macht genauso weiter wie bisher.
Es gibt noch einige unbescholtene Menschen in diesem Land, die die Wahrheit noch gerne hören.

Weiss
2 Jahre her
Antworten an  November Man

Das Problem ist halt, dass Marxisten und Linksradikale Andersdenkende und Regierungskritiker nicht nur mundtot machen wollen, am Ende des Tages wollen sie auch deren Vernichtung sehen. Die wollen also „All In“ gehen… Präsident Trump hat das auch erkannt: Die Wahrheit soll schon im Ansatz erstickt werden. Die reale Gefahr ist, dass Andersdenkende und Regierungskritiker bald von der Obrigkeit zu Inlandsterroristen von der BRD-Stasi erklärt werden. In den USA sind solche Bestrebungen aktuell sehr gut zu beobachten: BREAKING – President Trump: „They Are So Desperate To Hide The Truth, They’ll Make It Criminal To Speak It!“ (thegatewaypundit.com) https://www.zerohedge.com/political/biden-dhs-declares-heightened-terrorism-threat-due-mis-dis-mal-information Bei Joe Rogan… Mehr

Montesquieu
2 Jahre her

„Als Reichelt im Frühjahr klar wurde, dass er nicht zu halten ist, hat er sich bewusst exponiert geäußert.“ Diese Erklärung erscheint mir nun aber arg konstruiert. Um die Politik Merkels zu kritisieren, erfordert es aus Sicht des Autors offensichtlich eine betrüblich eigennützige Motivation. Dass die Sache ausgerechnet von der NYT (und der globalistischen FT) aufgeblasen wurde, lässt mich eher Ockhams Rasiermesser folgen. Merkel ließ ihre transatlantischen Verbindungen spielen, um ihren einzigen medialen Kritiker mit Reichweite mundtot machen. Schafft man es auch noch Döpfner zu desavouieren, hat man den Springer-Verlag gänzlich auf Linie gebracht. Vielleicht waren es auch ein paar woke… Mehr

Jan
2 Jahre her

1.) Es ist sehr bedenklich, dass eines der größten deutschen Medienhäuser jetzt den Amerikanern gehört.

2.) Es ist sehr erstaunlich, dass die Provinzpossen aus deutschen Redaktionsstuben auf einmal für amerikanische Leser interessant sein sollen. In der Medien- und Unterhaltungsbranche von New York und Los Angeles findet stündlich mehr und deutlich interessanterer Schmutz statt, als in den Redaktionsstuben deutscher Zeitungen. Was interessieren sich die NYT und FT auf einmal für Döpfner und Reichelt?

caesar4441
2 Jahre her

Nachdem KKR dort die Mehrheit erworben hat ,hat KKR das Sagen.Wir haben angenommen ,daß der plötzliche Umschwung in der Berichterstattung damit zusammenhängt.Warum sich die NYT und FT überhaupt damit beschäftigen und wie die Zusammenhänge mit KKR sind wissen wir nicht .Es wäre ganz interessant wenn sich der Autor damit beschäftigen würde.Seine vorgetragenen Hypothesen erscheinen ziemlich unplausibel.

Kraichgau
2 Jahre her

Der Springer-Verlag arbeitet seit Jahrzehnten unter der „boulevardesken“ Schale aeusserst anti-deutsch und EU-positiv.
Insofern ist seine weitere Entwicklung mir vollkommen gleichgültig,zumal sich das „Springer’sche“ Aushängeblatt „Welt“ ohnehin schon wie die grüne Vereinspostille liest

MaximilianMueller
2 Jahre her

„Döpfner habe in internen Mails von einer linken Verschwörung gegen das Haus gesprochen, um dessen Regierungskritik und den Einsatz für liberal-konservative Positionen zu torpedieren“ Natürlich war das eine linke Intrige, also bitte. Da muss man schon sehr naiv sein, um das zu leugnen. Schon diese penetrante Nachhaken einer ausländischen Zeitung, die selbst Dreck am Stecken hat. Warum sollte sich die NYT um etwas so belangloses wie Reichelts Sexleben kümmern? Ich hatte irgendwo gelesen, die Kosten der Recherche waren sogar so hoch, dass man die abgestellten Journalisten zurückbeordern musste. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist, als ob ich 100.000… Mehr

RMPetersen
2 Jahre her

Demnach soll er …“
Tichys auf dem Niveau der Knallpresse?

Tesla
2 Jahre her

Deutschland würde damit seinen profiliertesten und wohl auch erfolgreichsten Medienmanager verlieren – wegen einer Männerfreundschaft, die zum Berufsrisiko wurde.“

Nein, nicht diese Männerfreundschaft wurde zum (plötzlichen) Berufsrisiko, sondern die plötzlich regierungskritische Berichterstattung. Es gibt viele Politiker, vor allem in pol. Ämtern, die Kritik nicht vertragen können, und die Fehler/Fehlverhalten auch nie bei sich selbst, sondern immer bei anderen suchen. Und es gibt in den großen Medienhäusern Entscheider, die selber ideologisch vernagelt und/oder korrupt genug sind, um sich und ihr Medienunternehmen an solche Politiker und Parteien zu verkaufen, die zur eigenen Ideologie passen.