Sahra Wagenknecht: „Die Menschen fühlen sich bevormundet und belehrt“

Linke, die Linke kritisieren, Linke, die die Ausgangssperre schön finden. Virologen, die zugeben, etwas nicht vorhersehen zu können, und ein ARD-Kabarettist, der die Regierung kritisiert. Immerhin war es kontrovers.

Screenshot ARD: Maischberger

Bei Maischberger ist die Welt an diesem Abend in jeder Hinsicht verdreht. Linke Autoren, von den ehemals so betont antiautoritären Publikationen Spiegel und taz, reden der Ausgangssperre das Wort, betonen, sie hätten die Maßnahmen gerne „härter“ gehabt, bemängeln „Halbherzigkeit“. Staatskritisch wird dann ausgerechnet ARD-Satiriker Mathias Richling, der in letzter Zeit durch Karl-Lauterbach-Imitationen für Aufsehen sorgte – da das Original aktuell etwas kürzer tritt, musste wohl ein Double eingeladen werden. Richling wagt es, die Sterblichkeitsrate von Corona überhaupt nur in den Raum zu stellen und mit der von Aids oder der Pest zu vergleichen – doch das wird er noch bereuen. Das reicht nämlich schon, um von Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen in die ganz fragwürdige Ecke gequetscht zu werden – 85.000 Corona-Tote habe es in Deutschland gegeben, wieviele wären davon denn in Ordnung gewesen, fragt er mit dem ganzen Moralhammer.

Heft 05-2021
Tichys Einblick 05-2021: Voll vor die Wand
Der Virologe Hendrik Streeck wird dazu geholt, er warnt davor, dass die Ausgangssperre kontraproduktiv sein könnte, und weist auf die Saisonalität von Corona-Viren hin. Doch nicht nur verhältnismäßig viel Vernunft sorgt für Überraschung, sondern vor allem die Aussage, die man von Star-Virologen eigentlich nie hört: Man weiß etwas nicht und kann es auch nicht vorhersehen (nämlich ob im Herbst eine vierte Welle kommt).

Die absolute Verdrehung des Abends bringt dann aber natürlich der Auftritt von Sahra Wagenknecht, die wohl mittlerweile den äußersten rechten Rand des Gästestamms bildet, der in der ARD noch eingeladen wird. Sie attackiert „Lifestyle-Linke“, die aus einer sozial privilegierten Position Wohlfühl-Themen besetzen und über die Interessen der einfachen Leute hinweg schauen. Sie sagt „Wir haben in vielen Ländern das Problem, dass linke Parteien sich immer mehr von denen isolieren, für die sie eigentlich da sein sollten“, nämlich „Menschen, denen es nicht so gut geht, und die keine akademische Bildung haben.“

Die Freiheit der Andersdenkenden

Als es um die Auswüchse der Identitätspolitik geht, wagt sie sich weit aus der Deckung: „Viele Leute ohne akademischen Hintergrund wissen oft gar nicht, wieso sie plötzlich als rassistisch oder frauenfeindlich geächtet werden, weil sie etwas gesagt haben, was sie früher normal fanden. Aber irgendwelche ‚woken‘ Akademiker haben das schon auf den Index gesetzt.“ Sie wisse gar nicht, ob es 50 oder 100 Geschlechter gebe, „es ist eine abgehobene Debatte!“

Wagenknecht sagt: „Die Menschen fühlen sich bevormundet und belehrt von Leuten, denen es sehr gut geht und die sich dann als Opfer stilisieren.“

Taz-Kolumnistin Anna Dushime hält dagegen: „Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die nicht betroffen sind, darüber entscheiden, wann reale Diskriminierung beginnt“. Das Totschlag-Argument schlechthin kann Wagenknecht umfahren, indem sie zunächst ihren eigenen Migrationshintergrund andeutet, ohne ihn zu nennen, um dann ein Plädoyer dagegen zu halten, dass es mittlerweile nicht mehr darum gehe, was gesagt wird, sondern wer etwas sagt.

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Sie weist auf den Effekt hin, dass überall in Europa die klassische Arbeiterschaft und andere linke Kernwählerschichten entweder gar nicht mehr wählen oder zu rechten Parteien wechseln. Gegenwind bekommt sie selbstverständlich von Spiegel-Autor Feldenkirchen, der auf den Erfolg der Grünen hinweist und, dass das linke Lager sich der 50-Prozentmarke nähere. Die Grünen, entgegnet Wagenknecht, würden allerdings im urbanen, akademischen Milieu gewählt werden.

Immerhin eins: An diesem Abend gab es tatsächlich in mehrfacher Hinsicht eine kontroverse Debatte in der ARD – zwar hauptsächlich linkeninterne, ein Bürgerlicher kommt schließlich nicht so recht zu Wort, aber immerhin. Man scheint es jetzt mit Rosa Luxemburg zu nehmen, nach der die Freiheit immerhin die Freiheit der Andersdenkenden innerhalb der kommunistischen Partei bedeutet. Mit wenig zufrieden geben, lautet die Devise.



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Kommentare ( 73 )

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Tizian
2 Jahre her

Können Frau Wagenknecht und Herr Maaßen, die beide leider in der falschen Partei sind, nicht aus den ihrigen austreten und zusammen eine neue Partei gründen. Meinetwegen auch links-liberal, Hauptsache kein Grün dabei. 😉

Bernd W.
2 Jahre her

Frau Wagenknecht wird zunehmend vernünftiger und rationaler, Respekt!
Warum nur ist sie noch immer bei ihrem weltfremden, linken Haufen?
Alte Liebe rostet scheints tatsächlich nicht…Was sagt eigentlich ihr Oskar dazu?

CIVIS
2 Jahre her

Zitat: „Die Menschen fühlen sich bevormundet und belehrt“

Also, …wenn ich mich so umschaue und umhöre, dann dürfen sich die Menschen zurecht durchaus bevormundet und belehrt fühlen !

Aber, …sie wollen das mehrheitlich anscheinend doch so, …fühlen sich wohl und behütet mit der Bevormundung und mit allen einhergehenden Ge- und Verboten. Oder ?

Ansonsten wären mir viele Verhaltensmuster meiner Zeitgenossen absolut nicht mehr erklärlich. Nach Widerstand sieht das alles nicht aus !

Kalmus
2 Jahre her

Egal ob Gorbatschow, Gysi oder Wagenknecht – es sind und bleiben Kommunisten und es werden nie Menschenfreunde sein. Aus taktischen Gründen halten sie es mit Engels, “ Einsicht in die Notwendigkeit“. Ganz pragmatisch. Kein Lob wert! Das strategische Ziel bleibt unverändert. Erfolgreiche SED-Taktik, wie man sieht.

EinBuerger
2 Jahre her

Ist sie der Bosbach der Linken?

Christian E.
2 Jahre her

„Man scheint es jetzt mit Rosa Luxemburg zu nehmen, nach der die Freiheit immerhin die Freiheit der Andersdenkenden INNERHALB DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI bedeutet“

Danke für die Richtigstellung eines der am häufigsten falsch zitierten Sätze der Geschichte.

Engelbogen
2 Jahre her

Sarah Wagenknecht hat natürlich recht. Dem Normalbürger nerven die 100 Geschlechter, denn der hat andere Sorgen als der gendergerechten Ersatzreligion der ehemaligen Arbeiterpartei gerecht zu werden.

Die linken Bobos die heute in grünen weitgehend migrationsbefreiten Bezirken leben und denen die Genossen einen bequemen Arbeitsplatz mir Homeofficemöglichkeit eingerichtet hat, verstehen in ihrer nazigleichen Abgehobenheit den Lebenskampf der Normalos nicht.

Es ist zwar eine Elite, aber keine die sich durch Leistung oder Intelligenz qualifizieren kann.

Es sind nächstenhassende und fremdenliebende Nervtöter, Aluhutphilosophen deren Zeit schon heute Aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zerstörungskraft begrenzt und deren einziges Plus der Mangel an Alternativen ist.

Peisistratos
2 Jahre her

Herrschaftszeiten, solche Kommentare sind doch an Arroganz nicht zu überbieten. Herr Streeck ist also in Ihren Augen disqualifiziert, weil er sich nicht zu etwas äußern will, was er nicht aus eigener Anschauung kennt oder qualifiziert beurteilen kann. Aber Hauptsache, am Stammtisch rumgeblökt.

Last edited 2 Jahre her by Peisistratos
reiner
2 Jahre her
Antworten an  Peisistratos

guckst du indien bei state data ,rechts https://www.mohfw.gov.in/
deckt sich garantiert nicht mit der offiziellen berichterstattung im übrigen ist streeck einer,der immer nur 10 cm hervorkommt,bei kritiken,sich aber nie ganz äußert.. obwohl er mir als mensch sympathisch ist..

luther
2 Jahre her

„Die Menschen fühlen sich bevormundet und belehrt“ Korrektur: Die Menschen werden bevormundet und belehrt

Kalmus
2 Jahre her
Antworten an  luther

Korrektur: Die Menschen wollen bevormundet und belehrt werden.

Marco Mahlmann
2 Jahre her

Es ist eine alte linke Propagandalüge, daß die Linke antiautoritär oder gegen straffe Herrschaft sei. Die Linke will herrschen und beherrschen.