Anne Will: Friedensgespräche abgebrochen – Ist Aleppo verloren?

Wer denkt sich diese Talk-Themen aus? Am Ende weiß man, was man vorher wusste: Krieg ist eine widerliche Angelegenheit – und wer Schuld hat, bestimmt der Sieger. Aber Hobby-Amazone Anne Will wird ihre Gründe für solche Schwafelrunden haben. Oder?

Screenprint: ARD, Anne Will

Leider liegen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, wie unsere Polit-Talks auf Linie gebracht werden, obwohl das weit interessanter wäre als die Sendungen selbst. Kommt da ein Bundespropaganda-Beauftragter vorbei (BpB) und legt den Fahrplan fest? Vielleicht läuft das in etwa so:

BpB: „Sonntag machen Sie mal was über Aleppo. Syrische Kriegsopfer, Sie verstehen. Lenkt auch ab vom syrischen Terroristen in Chemnitz. Filmausschnitte gibt’s genug. Wir schicken den Röttgen vorbei, der hat zwar nicht die hellste Berühmtheit, aber emotional, das kann er ganz gut. Außerdem ist er außenpolitischer Irgendwas der Union und Steinmeier will nichts Kontroverses machen, weil er ja Bundespräsident werden will.“

Team Will: „Gut, für die Russen laden wir Botschafter Wladimir Grinin ein, der ist nicht so aggressiv.“

BpB: „Einverstanden. Aber für die Amis brauchen wir einen Falken, nicht so ein Obama-Weichei. Und auch nicht den Lametta-General, der letztens bei der Illner saß, der versteht gar nicht, worum es in so einer Sendung geht. Nein, der John Kornblum ist perfekt, ein scharfer Hund, und Hillary-Unterstützer ist er auch noch. Dann laden Sie noch den alten General a.D. Harald Kujat ein, da wird der Russe schön dumm aussehen.“

Team Will: „Wir brauchen aber noch was Menschliches, eine Frau. Warten Sie, Katharina Ebel, Nothilfe-Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer in Syrien. Sieht gut aus, hat ein großes Herz.“

BpB: „Gut, so machen Sie’s. Nicht vergessen: Assad, Fassbomben, Schlächter. Und eigentlich ist an allem der Iwan schuld, weil der den Assad stützt. Gutes Gelingen, die Kanzlerin zählt auf Sie!“

Wir wissen natürlich nicht, ob es so oder ähnlich abgelaufen ist, aber die Kanzlerin konnte sich zu Recht auf ihre Anne verlassen. Und auch Norbert Röttgen zeigte, warum er „Muttis Bester“ genannt wird: In der Sache weitgehend ahnungslos, aber mit Pathos und anschwellender Lautstärke. Seine Lösung des Konflikts: „Russland muss aufhören, Bomben zu schmeißen und zu schießen, schon ist der Krieg vorbei“.

John Kornblum machte erwartungsgemäß das ganz große Russland-Fass auf. Der alte Diplomat mit vielen Jahrzehnten Desinformationserfahrung im Amt sieht einen globalen Angriff Putins auf den Westen, während US-Außenminister Kerry hauptberuflich „ein ehrbarer friedensorientierter Mensch ist“, das weiß Kornblum genau.

Das wäre eine Reise gewesen mit diesen zwei Plattitüden-Dampfern in voller Fahrt. Da wäre Wladimir Grinin mit seinen Details, Daten und Fakten schon in der Kornblum‘schen Bugwelle hoffnungslos untergegangen. Aber leider, leider, war General a.D. Kujat nicht ordentlich gebrieft worden, oder entschied eigenmächtig, seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Mit der Dauer der Pension wächst die kritische Distanz.

Schon seine ersten Bemerkungen („Was Kornblum sagt, ist nicht die ganze Wahrheit“) verhinderte ein leises Wegdämmern vor dem TV-Gerät. Hören wir dem deutschen General also zu: Nicht Russland allein, sondern beide Seiten sind für den Abbruch der Friedensgespräche verantwortlich. Die USA haben abgebrochen, weil Syrien wieder bombardierte. Syrien bombardierte wieder, weil die Amerikaner „versehentlich“ 92 syrische Soldaten ausradierten. Zudem sei vereinbart gewesen, dass die USA und Russland gemeinsam gegen die Al Nusra Terrorgruppe vorgehen, was die Amerikaner nicht taten.

„Sich in der Sache zu verzetteln bringt nichts“, meinte der schlaue Diplomat Kornblum. Um dann eine tiefe Wahrheit hinzuzufügen: „Das, was Kujat sagt, überrascht mich, weil er weiß auch nichts.“ Wie alle am Tisch. Bingo!

Gehen wir davon aus, dass fast alles, was wir über den Syrien-Krieg sehen, hören oder lesen, Propaganda vom Feinsten ist. Gesichert vielleicht nur dieses: In Syrien tobt ein Stellvertreter-Krieg. Auf der einen Seite Russland und der Iran, auf der anderen die USA und Saudi-Arabien. Für die eine Seite kämpfen die Hisbollah und diverse Terrorgruppen von Al Nusra, über den IS, bis hin zu syrischen Freischärlern. Alles im Syrien Baschar al-Assads. Irgendwo wuseln auch noch die Europäer mit herum, allen voran die Franzosen und – Angie, Uschi und Co. sei Dank – ein paar Flugzeuge der Bundeswehr, wenn sie denn fliegen.

Den Preis für die Großmacht-Gelüste zahlen die Syrer. Hierzu hatte Katharina Ebel einiges zu erzählen. Auch sie sieht einen „Propagandakrieg auf beiden Seiten“. Wobei es völlig „wurscht ist, von wem oder was ich getroffen werde.“ Auch sei Syrien nicht Syrien. In Damaskus sei ein relativ normales Leben möglich. Während des kurzen Waffenstillstands versuchten beide Seiten so viel Boden gut zu machen, wie möglich.

Natürlich wäre eine Beendigung des Krieges sehr schnell möglich, wenn Russen und Amerikaner ernsthaft daran interessiert wären und ihre jeweiligen Verbündeten im Zaume hielten – so auch der Vorschlag des Russen zu Beginn der Sendung.

Was allerdings im Falle der Amerikaner und Saudis schwieriger sein dürfte. Mit Terroristen verhandeln? „Da benutzen 900 bis 4.000 Terroristen 300.000 Menschen als Schutzschild. Wie will man mit denen verhandeln? Was will man denen anbieten?“

Leider ging es in der Sendung darum überhaupt nicht. Norbert Röttgen hatte seinen Betroffenheitsturbo angeschmissen und war zu Differenzierungen nicht fähig. Stattdessen steigerte er sich in sein Russland-Bashing hinein, dass hier Heikos Hate-Speech-Paragraphen gut und gerne Anwendung finden dürften. Obwohl wir einen klugen Satz von ihm nicht unterschlagen wollen: „Bush hat überall interveniert – ohne Konzept. Obama interveniert nicht – auch ohne Konzept.“ Und dann machte er wieder alles kaputt in seinem blinden Glauben an Europa: Nicht die Franzosen sollten Vorschläge machen, nicht Deutschland. „Wo ist Europa?“ fragte er allen Ernstes.

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