Ein Drittel der 45 Millionen lohnabhängigen Beschäftigten leidet täglich unter den geistigen Störungen ihrer Chefs. Vor allem Psychopathen verbreiten mit ihren Allmachtphantasien Angst und Schrecken. Warum und wie kommen diese Menschen in solche Positionen? Was treibt sie zur Macht?
Das ist das neue Deutschland: über weite Strecken eine beschützte Werkstatt. Chefs sind böse, und wie. Ich selbst schäme mich. Ich war lange Chef. Bin ich schon deshalb Psychopath? Mein Selbsttest mit Hilfe dieses Buches sagt nein; meine Kollegen befrage ich lieber nicht. Immerhin: Selbsterkenntnis hilft. Und Chefs sind anstrengend. Fordernd. Was für ein Wort. Von „fördern und fordern“ (Gerhard Schröder) ist nur noch fördern erlaubt. Aber klar: aus der Sicht vieler Betroffener ist „mein Chef einfach irre“. Das deutsche Unternehmen soll ein Ponyhof sein, wo es gemütlich zugeht, gutes Zureden statt Peitsche, Betriebsrat statt Kunde, in der Mähne knuddeln statt ranklotzen. So erhofft man sich das Arbeitsumfeld. Motivation ist alles, doch sie soll von außen kommen. Aber irgendwie klappt es nicht. Liegt es am Chef – oder den Mitarbeitern?
Nur jeder Zweite in Deutschland geht gern zur Arbeit, das ergibt eine repräsentative Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Im internationalen Vergleich sind die Angestellten in Deutschland damit Schlusslicht. Und der Hauptgrund für das Unbehagen, das viele jeden Morgen auf dem Weg zum Arbeitsplatz empfinden, ist der eigene Vorgesetzte.
So hatte vor der Pandemie fast die Hälfte der lohnabhängigen Beschäftigten in Deutschland (44 Prozent) Angst vor ihrem Vorgesetzten und wagten noch nicht einmal, sachliche Probleme anzusprechen. Während der Corona-Pandemie sank diese Zahl, jedoch nur auf 38 Prozent. Im Home Office wächst die Distanz zum Chef, my home office is my castle. Aber was macht das mit der Produktivität? Fördern und fordern muss neu austariert werden. Die geschützte Zone des Küchenarbeitsplatzes ist schon wieder Vergangenheit.
Angesichts von Fachkräftemangel und Personalnotstand im Gesundheitswesen, den Unternehmen kritischer Infrastruktur und in Dienstleistungssektoren einschließlich des öffentlichen Dienstes, ist das ein überaus alarmierender Zustand.
Es wird eine Typologie von Chefs angeführt und Berufe mit dem höchsten Anteil von Psychopathen. „Finde Dich selbst“ ist immer ein guter Ratgeber. Aber auch Unternehmen finden die zu ihnen passenden Psychopathen, eines von vielen Beispielen: Der „Phobische“ ist angstgesteuert und konfliktscheu. Er hat Angst vor Fehlern, will keinesfalls anecken, sichert sich ab so gut er nur kann. Da hat der Geförderte es gut mit ihm, wenn er nur ja keine Unruhe in den Laden bringt. „Phobische Menschen tun keiner Fliege etwas zuleide. Vielleicht werden sie gerade deshalb befördert. Phobische Führungskräfte trifft man häufig im Öffentlichen Dienst“. Da haben wir sie – diese lähmende Ruhe, die über den Beamtenschreibtischen herrscht.
Andere Zeiten, andere Bereiche brauchen wohl andere Psychopathen. Bunt ist der Zoo Gottes. Was wäre Apple ohne einen Irren wie Steve Jobs, oder Tesla ohne Elon Musk? Das ist die entscheidende Frage: Müssen Vorgesetzte „normal“ sein und wieviel von welcher Sorte Verrücktheit brauchen sie geradezu, wenn das Geld nicht automatisch vom Staat kommt, sondern unter Wettbewerbsbedingungen erkämpft werden muss?
Die Psychologen Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader verfügen über jahrzehntelange praktische Erfahrung in der Bewerbungs- und Karriereberatung. Sie haben die „Macken der Macher“ – vom kleinen Schikaneur aus dem Mittelstand bis zum kriminellen CEO eines Weltunternehmens – in eine Chef-Typologie überführt, die dem Leser hilft, den eigenen Chef zu analysieren, um dann bereits erfolgreich erprobte Handlungsstrategien anwenden zu können.
Aber auch wer Chef ist, findet sich wieder – hoffentlich nicht bei der ganz extremen Sorte. Aber die Zeit des Ponyhofs ist derzeit eher vorbei. Geht es jetzt darum, den richtigen Psychopathen zu finden, um die Unternehmen zu retten? Ist die Zeit der „soft Skills“ vorbei, ist statt dem gepredigten zuhören wieder zupacken verlangt als Überlebenstugend? Über Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond wird berichtet: „Der Astronaut war kein CEO. Dennoch könnte er als Paradebeispiel eines Psychopathen gelten, wer er stets eiskalt und fokussiert war. Als er den Mond betrat, soll laut Kontrollzentrum in Houston bei ihm kein erhöhter Herzschlag feststellbar gewesen sein“.
Gegenfrage: Wäre ein vor Erregung hechelnder Armstrong besser bedient gewesen? Wohl kaum. Wir verlassen hier den Raum der beschützten Werkstatt, tarifvertraglich abgesichert, vom Betriebsrat überwacht. Wir betreten den Raum der Wirklichkeit, die derzeit durch gigantische Herausforderungen geprägt ist. Der Wahnsinn wird eher zunehmen, seit die Ausnahmesituation zur Regel wird.
Jürgen Hesse/Hans Christian Schrader, Mein Chef ist irre, Ihrer auch? Warum Psychopathen Führungskräfte werden und wie Sie das überleben. Econ, Klappenbroschur, 368 Seiten, 17,99 €.
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Die Psychopathen in Berlin, die den Planeten retten wollen, werden das Problem durch ihre Wirtschaftspolitik beheben! Die Anzahl von „Chefs “ in der Industrie wird durch die Deindustrialisierung schon jetzt immer kleiner !
„Warum und wie kommen diese Menschen in solche Positionen? Was treibt sie zur Macht?“ Weil sie eben so sind, wie sie sind.
Es gilt immer noch ein alter Spruch:“zweitklassige Chefs haben immer drittklassige Mitarbeiter“. In diesem Spruch liegt die Begründung für die zitierten Fragen. Kein Vorgesetzter wird sich einen Besseren aussuchen und die Personalabteilungen, in großen Firmen meist besetzt von jungen Uniabsolventen, wissen das bzw. sind auch nicht besser..
Ein Chef, der A…kriecher um sich braucht, ist keiner mehr (und im Stillen weiß er es sogar).
Hesse und Schrader…. Hat das Dreamteam also wieder mal ein neues Buch herausgebracht, und immer im selben Tenor, Vorgesetzte und ihre Psychosen. Dieser Marketingansatz scheint zu verfangen. Mit der Thematisierung der vermeintlichen Psychosen der Chefs werden die Mitarbeiter als psychosefreie Opfer stilisiert. Wohl dem, für den dies Balsam für seine geschundene Seele ist.
Nur jeder Zweite in Deutschland geht gern zur Arbeit… Ich finde das schon eine recht hohe Quote. Immerhin: Ich hänge der Philosophie nach, daß, wenn man schon für Andere tätig werden muß, damit man Geld fürs Leben bekommt, dies wenigstens irgendwo zwischen Spaß und Erfüllung angesiedelt sein sollte. Erfüllung kann sich durch anspruchsvolle Aufgaben ergeben, der Spaß kommt durch die Skurrilität des Chefs und dem Umgehen seiner Sanktionen und Anordnungen 😉
Die Autoren sind mir, selbst Personaler a. D., aus frueheren Büchern hinlänglich bekannt. Mit Titel und (vermutlich) Inhalt wollen sie, was legitim ist, den Verkauf anheizen. Tatsache ist, dass es unter den Führungskräften unterhalb des Vorstandes zwar viele Unfaehige, aber wenige Psychopathen gibt. Nach der Definition der Autoren waere vermutlich fast jeder ein Psychopath, was natuerlich Unsinn ist. Etwas anders sieht es tatsaechlich im obersten Management aus, wobei man au h hier zwischen verbreiteter Unfähigkeit und Pathologie unterscheiden sollte. Meine eigenen Erfahrungen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens bestehen darin, dass die Fuehrungslaufbahn zu haeufig von Fuehrungsunwilligen und unfaegigen aus Karrieregruenden… Mehr
Bei der Polizei klont sich der Höhere Dienst bis zur Besinnungslosigkeit äh wie der Chef so der Klon.
Dann die Weiberquote zur Zierung der Diensträume.
Also das, was z.B. im Ahr-Desaster deutlich wurde.
„Eiskalt und fokussiert“ in einer Extremsituation wie der Mondlandung zu sein, bedeutet noch lange nicht, dass man ein Psychopath ist. Selbstkontrolle, Kaltblütigkeit, strategisches Denken, Machtbewußtsein, Stressresistenz sind keine Merkmale von Psychopathen. Empathielosigkeit, geringer Selbstwert, Narzissmus, Sadismus, Manipulation usw. sind notwendige Zutaten, damit auch ein Psychopath draus werden kann. Ein manipulativer und empathieloser Chef muss aber auch nicht automatisch gleich ein Psychopath sein. Jemand, der empathisch und bemüht rüberkommt und vielleicht gerade kein Chef ist, kann aber wohl einer sein. Das zeigt sich meistens erst in Belastungs- und Notsituationen.
Lieber Herr Tichy,
5 – 10% aller Führungskräfte könnten Psychopathen sein, so wissenschaftliche Untersuchungen.. das scheint realistischzu sein. In der Politik dürfte der Anteil wesentlich darüber liegen nähmen wir nur das Kabinett Scholz als Beispiel, oder?
However, was unterscheidet einen fördernden, „normalen“ Chef von einem psychopathischen Chef? Ganz einfach!
Der psychopathische Vorgesetzte ergötzt sich an der persönlichen Erniedrigung seiner Untergebenen, eine Erniedrigung, die auch bis zur psychischen und physischen Vernichtung des führen darf.
Macht spürt man logischerweise am stärksten, wenn man über „Leben und Tod“ eines Menschen befinden kann!
Herr Tichy, wenn Sie die Fähigkeit zur echten Selbsterkenntnis haben, sind Sie sicher kein Psychopath! Ich kenne solche Leute, habe zur Zeit das scheue Reh als Chef, ist auch nicht immer leicht.