Die Freiheit, Jude sein zu können. Ohne Wenn und Aber

Arye, ein junger Iraner, wächst im Berliner Wedding auf, einem muslimisch geprägten Stadtteil, in dem die Religionszugehörigkeit darüber entscheidet, ob man geachtet oder gehetzt wird. Und Arye ist Jude – Außenseiter, Feindbild. Stünde er nicht unter dem Schutz des Kopfs einer kriminellen Türkengang, müsste er um sein Leben fürchten. Von Nasrin Amirsedghi

Es ist kein Märchen, keine Fiktion, es ist die beklemmende Geschichte des Jungen mit dem Künstlernamen „ARON“, der Mitten in Deutschland in einem „Ghetto“ aufgewachsen ist, in dem „jeder Schritt raus aus der Wohnung ein Schritt in eine muslimische Welt war.“ Obwohl seine Eltern mit ihrer Auswanderung aus dem Iran in den 70er Jahren das Ziel gehabt hatten, ihm und seinen Geschwistern das Gefühl von Sicherheit zu geben und nicht in einem Ghetto aufzuwachsen, wie sie selbst im Norden des Iran in „Mahle“ (jüdisches Ghetto) in Babol aufwachsen mussten! Ironie des Schicksals?

Das ist die Geschichte von Arye Sharuz Shalicar, geboren 1977 in Göttingen als Sohn persischer Juden. Eine außergewöhnliche Biografie im Stil eines Entwicklungsromans, die gelesen werden sollte, um zu verstehen, wie es sich anfühlt, ein Jude zu sein. Nachempfinden, was es bedeutet, in der eigenen Haut fremd zu sein. Im Laufe der Zeit, vor allem nach dem Umzug von Spandau in den Wedding wird ihm bewusst: „Wenn du Jude bist, hasst dich die ganze Welt!“ Es ist der Kampf einer Ich-Findung. Ja, er ist Jude und er ist stolz darauf, aber das darf er nicht laut sagen!

Wenn das kein Antisemitismus ist, was ist das dann?

Rassismus per Definition
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Der Nahostkonflikt spielt sich auf den Berliner Straßen ab. Die Schauplätze sind Wedding, Neukölln und Kreuzberg, wo sich „Ausländerghettos“ mit Türken, Arabern, Indern, Kurden, Bosniern gebildet haben, in dem die einzige Sprache, die nicht gesprochen wird, Deutsch ist. In einem dieser Ghettos, im Wedding ist der junge Arye zur Schule gegangen, gedemütigt, ausgegrenzt, ausgestoßen, gehasst und geprügelt. Weil er ein Jude ist, den man vorher, bevor er die schöne Kette mit dem Davidstern am Hals trug, mit „habibi“ (mein Lieber) ansprach. Synchronisierte Konflikte vom Nahen und Mittleren Osten: zwischen Arabern und Juden. Die Juden werden gehasst und bekämpft. Mitten in der Hauptstadt Deutschlands, in Berlin: Ein Schauspiel deutscher Realität!

In all diesen Leidenszeiten geht es Arye um seine Identität, darum sich zu finden, um die Frage: Wer bin ich: Bin ich, was ich bin, oder was mir die anderen zuschreiben? Es geht um Freundschaften, die zur Feindschaft werden. Wer ist er? Ist er ein Perser, ein Deutscher oder „ein echter Drecksjude“, ein „Jahudi“, den man „vergasen sollte“, oder ein Mensch, der einfach in Frieden mit anderen leben wollte, das Leben genießen, Spaß haben und Freundschaft suchte. Die endlose Suche nach Glück, Frieden, Zugehörigkeit, Akzeptanz und sich selbst auszuhalten, nährt die Sehnsucht auf Beantwortung der Fragen: Wer bin ich? Wo ist mein Zuhause?

Durch den Zwang vermeintlich identitätsstiftender Gruppendynamik veranlasst den Jungen sogar bei allen kriminellen Machenschaften mitzumachen: „Wände beschmieren“, „leicht etwas klauen“, dabei sein, wo „die nächsten Gruppenschlägereien stattfinden“ und schließlich im Gefängnis landen. Also sich kriminalisieren lassen, um nicht ausgegrenzt zu werden.

Das ist doch nicht alles! Er wird sowohl bei Arabern als auch bei Juden in Berlin nicht als „Mitglied der Gemeinschaft“ anerkannt und voll aufgenommen. Er ist überall und doch nirgendwo! Er durfte zum Beispiel trotz des Besitzes eines jüdischen Gemeindemitgliedsausweises sein Auto nicht auf den Besucherparkplatz der jüdischen Bibliothek parken. Warum? „Weil er ja ein unbekanntes Gesicht ist.“

Major Arye Shalicar im Interview
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Nach dem Abitur, während des Wehrdienstes, wird ihm erst bewusst, dass er in Deutschland lebt. Denn bis dahin kannte er kaum Deutsche, die Stefan, Christian, Thomas, Andreas oder Markus heißen. Mit 23 beginnt er einen neuen Lebensabschnitt, wird den Wedding und die schmerzhafte Vergangenheit hinter sich lassen und seinen Frieden anderswo finden. Er geht „in ein jüdisches Land, in dem (er) frei ist, als ein Jude.“

Vielleicht kommt in absehbarer Zeit kein Frieden zwischen Arabern und Juden zustande, weder im Nahen Osten, noch in Deutschland oder wenigstens Berlin, aber Arye ist auf dem Weg seines Glücks. In Israel hat er Frieden mit sich gefunden und vielleicht wird er uns irgendwann einmal als Friedensbotschafter beglücken, „Elohim Gadol!“


Nasrin Amirsedghi (geboren 1957 im Iran) ist eine in Mainz lebende deutsche Publizistin, Philologin, Orientalistin, Literatur- und Filmwissenschaftlerin persischer Herkunft.


Arye Sharuz Shalicar, »Ein Nasser Hund ist besser als ein trockener Jude«. Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde. dtv, 284 Seiten, 10,90 €.

Aryes Geschichte wurde verfilmt – Mehr Info über diesen Link


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Kommentare ( 13 )

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andreask90
3 Jahre her

Ein schönes Beispiel, wie man heute mit Begriffen umgeht, man haut alles in einen Topf, so wie DIE Impfung, obwohl es mindestens 7 verschiedene gibt.
Zuerst einmal, Juden als Volk SIND Araber, einer von 12 Stämmen.
Zweitens, Israelis, also Menschen, die in Israel leben, sind nicht alles Juden.
Drittens gibt es einen jüdischen Glauben, Judentum kann also auch eine Religion sein. Und es ist diese veraltete, ausgrenzende Religion, die viele Menschen hassen.
Der Davidstern kann ein Symbol für Volk oder Religion sein.

Ralf Poehling
3 Jahre her

Guter Mann. Mit der richtigen Einstellung. Niemand sollte sich dafür rechtfertigen müssen Jude zu sein. Warum auch? Es gibt keinen Grund dafür. Im Propagandanebel stecken geblieben zu sein, darf keine Entschuldigung mehr sein. Man kann auch sein Gehirn benutzen und die Realität einfach mal mit der Propaganda vergleichen. Dann stellt man nämlich fest, dass Antisemitismus nichts anderes ist, als genau das. Propaganda. Die Unfähigen auf diesem Planeten suchen immer nach Schuldigen für ihr eigenes Versagen. Und weil die Juden aufgrund ihrer geringen Anzahl auf einer Welt von fast 8 Milliarden Menschen immer in der Minderheit und damit die „Anderen“ sind,… Mehr

Weiss
3 Jahre her

Ich bin sowieso nach dem Fall von Kabul zu dem Schluß gekommen, dass die Hamas blitzschnell die „Westbank“ übernehmen würde, falls sich Israel aus dem Gebiet zurückziehen sollte. Halte es auch für möglich, dass 50.000 Taliban oder IS-Kämpfer irgendwann die BRD übernehmen werden. Auf die USA als Schutzmacht würde ich mich nicht mehr verlassen. Der Islam muß nur die Mehrheitsreligion stellen. Hier bei mir bin ich umringt von Muslimen. Es ist ein Berliner Kiez, den ich selber als „Klein Beirut“ bezeichne. Das Heraushängen der Israelfahne vom Balkon wäre lebensgefährlich für mich. Deshalb wird der Davidsstern von mir nur verdeckt getragen…… Mehr

Solbakken
3 Jahre her

Im Herbst 2016 unternahm eine große Gruppe von evangelischen und katholischen Würdenträgern, angeführt von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx, eine Pilgerreise ins Heilige Land. Den Mitlesern auf TE ist sicher bekannt, daß die Herren Bedford-Strohm und Marx auf dem Tempelberg in Jerusalem ihr Brustkreuz abgelegt haben – angeblich auf Bitten von muslimischer UND jüdischer Seite, so Bedford-Strohm. Ich habe mir noch einmal die Teilnehmerliste der Pilgergruppe angesehen – da kann einem schlecht werden: Lauter Doctores, Professores, Geweihte, Studierte der Theologie, des Kirchenrechts, aber wenig Ahnung vom Islam. Offensichtlich hat es bei den Vorgesprächen der Ahnungslosen keine Absprachen gegeben,… Mehr

HBS
3 Jahre her

So richtig verstehe ich diesen Artikel NICHT !!!

Auch ein „Außenseiter“ hat sich den Umständen anzupassen und wenn sein Stadtteil (Berlin-Wedding) muslimisch geprägt ist, muss er damit leben oder wegziehen, – wie übrigens auch über 100.000 Deutsche dort weggezogen sind.

Andreas aus E.
3 Jahre her

Mit Mohammedanern wird es nie Frieden geben. Schon wegen derer Rigurosität, dagegen sind selbst ultraorthoxe Tamud-Juden und Hardcore-Evengelikale noch halbwegs „liberal“. Dazu kommt noch der Minderwertigkeitskomplex. Jeder Moslem, so er nicht konkret Mohammeds Dunstkreis stammt, aber halbwegs Geschichtskenntnis hat weiß, daß er einer dunnemals aufgezwungenen Fremdreligion anhängt. Das beißt sich natürlich mit hergebrachter Ehrpusseligkeit. Bei uns in Deutschland ist das nicht anders, aber wir bzw. unsere Ahnen drückten dem Christentum Stempel auf, in sämtlichen Hochfesten (abgesehen vom ohnehin – warum wohl – wenig volkstümlichen Pfingsten) bildet sich germanisch-keltisches Heidentum ab, ebenso wie durch Standorte altehrwürdiger Gotteshäuser, viele Esoteriker reden nicht… Mehr

Frank v Broeckel
3 Jahre her

Sehen Sie, Herr Tichy, in Frankreich überlegen sich heutzutage bereits 80 Prozent der französischen Juden wirklich ernsthaft nach Israel dauerhaft auszuwandern, weil der französische Staat in der Bekämpfung des radikalen Islamismus und Dschihadismus letztendlich gescheitert ist! Es gibt eine vom Pew Research Center veröffentlichte Aufstellung über den Bevölkerunganteil einer gewissen Bevölkerungsgruppe in den europäischen Staaten bis zum Jahre 2050! Sollte der Wert einer bestimmten Bevölkerungsgruppe über 8 Prozent der jeweiligen Gesamtbevölkerung liegen, wird das Leben für die jüdische Bevölkerung dort eher unsicher! Und nun WISSEN Sie auch, weshalb ich heutzutage NUR noch die Visegrad Staaten in dieser Angelegenheit wirklich massivst… Mehr

Andreas aus E.
3 Jahre her

Beklemmend. Ich kenne ähnliche Geschichte, allerdings nicht Iraner, sondern Deutscher, Rußlanddeutscher. Die toben sich auch hier im Kaff aus, die „Russen“ gegen Orientalen. Und der Bursche, Sohn eines Vereinskameraden, ist eben Jude. In seiner eigenen „Community“, den Rußlanddeutschen schon scheel angesehen, hatte der so richtig Probleme mit den Orientalen (überwiegend Türken, ist schon einige Jahre her). Immerhin halfen ihm nötigenfalls die „Russen“ und auch die „Nazis“ (jaja, derlei gab es auch hier, wenngleich eher unauffällig). Ich wohnte mal solcher Kampfhandlung bei. „Dies unsere Straße“ – „Nix, dies unsere“ – ich fragte mich, ob das eine Art Karl-May-Festspiele von Straßentheater war,… Mehr

Schwabenwilli
3 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Man schaue in das Vorzeigeland des Multikulti die USA.

Lotus
3 Jahre her

Deutschland – keine Heimat
Die Freiheit, Jude sein zu können.

Aktuell in den Nachrichten:
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/angriff-juedische-kippa-koeln-100.html

Geschlagen von „Mitgliedern einer Gruppe“. In den Medien keine Angabe zur Herkunft der Gruppenmitglieder zu finden. Würde jetzt mal eine Wette eingehen…
Derweil in mehreren dt. Städten Demos für die schnelle und unbürokratische Aufnahme von Afghanen.

Schwabenwilli
3 Jahre her

Zum zweiten Mal versündigt Deutschland sich an den Juden und lässt ihre Feinde in Millionen Stärke einreisen.