Wer nicht die „woke“ Agenda unterstützt, wird eingeschüchtert

Wenn es Freiheit bei der Wahrheitssuche geben soll, dann muss es auch eine freiheitliche Streitkultur in der Wissenschaft und in der Gesellschaft insgesamt geben. Diese kann es nur dort gedeihen, wo Fanatismus, Diffamierung Andersdenkender und Unduldsamkeit eingedämmt werden. Von Till Kinzel

Seit einigen Jahren lassen sich in der westlichen Welt, die eigentlich die Heimat des institutionalisierten Prinzips der akademischen Freiheit ist, vermehrt bedenkliche Entwicklungen beobachten. Wer im Bereich der Wissenschaft Auffassungen vertritt, die sich mit modischen Thesen und politisch korrekten Meinungen nicht vertragen, muss mit oft sehr intoleranten Reaktionen rechnen. Es wird nicht mehr in der Sache diskutiert, sondern zu Diffamierungen gegriffen.

Auch prominente Wissenschaftler mussten dies erleben, ob sie Herfried Münkler, Jörg Baberowski oder Bernd Lucke heissen. Das Spektrum der Angriffe reicht von Vorlesungsstörungen bis zu Denunziationen beim Arbeitgeber. Als eine Biologie-Doktorandin an der Humboldt-Universität im Rahmen eines Tages der offenen Tür einen schlichten Vortrag über biologische Zweigeschlechtlichkeit halten wollte, wurde dies erst von der Universität selbst unterbunden! Dann wurde der Vortrag, aber im Modus des betreuten Denkens, nachgeholt – der Schaden war jedoch bereits angerichtet. Denn es ist gerade die innere Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit durch die Universitäten selbst, die mehr als bedenklich stimmen muss. Denn damit wird der Zweck staatlich alimentierter Hochschulen in Frage gestellt. Diese sollten gerade unabhängig von Zeitgeist-Moden und ideologischen Zielvorgaben sein und ihren Angehörigen entschlossen Rückendeckung geben.

Harald Schultze-Eisentraut und Alexander Ulfig haben nun in einem Sammelband gewichtige Stimmen versammelt, die sich mit den aktuellen Gefährdungen der Wissenschafts- und Lehrfreiheit an den Universitäten auseinandersetzen. Die Herausgeber, die bereits mit Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie? in die Debatte eingegriffen haben, kritisieren nicht nur die Verstärkung von Abhängigkeiten durch die Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs.

Wider die Gründungsidee Wilhelm von Humboldts
Ist die Wissenschaftsfreiheit nun bedroht – ja oder nein?
Hier geht es zunehmend um die Bedienung der „richtigen Schlagworte und Themen“. Auch die Einschüchterung des Nachwuchses, soweit dieser nicht von selbst die „woke“ Agenda unterstützt, ist ein wichtiger Faktor, kontroverse Themen im Zweifelsfall lieber zu vermeiden. Schon wer sich nicht der von Kollegen und Verwaltungen regelwidrig praktizierten Gendersprache bedient, signalisiert ja seine Distanz zum Zeitgeist.

Der Band bringt unterschiedliche Perspektiven zusammen, darunter auch strikt säkular-aufklärerische, die sich aber einig darin sind, die Freiheit der Wissenschaft auch und gerade da zu verteidigen, wo kontroverse Auffassungen aufeinanderstoßen.

Das gilt für die Gendersprache (Heinz-Dieter Pohl), die Corona-Pandemie (Michael Esfeld), die Klimapolitik (Fritz Vahrenholt), die Einwanderung (David Engels), den Islam (Hartmut Krauss), den sogenannten Eurozentrismus (Ronald Asch) oder die politikwissenschaftliche Beschäftigung mit Grenzen (Martin Wagener).

Die Mischung aus Interviews, Essays und Erfahrungsberichten kann kein umfassendes systematisches Bild der Lage zeichnen, lässt aber klar genug erkennen, dass die Einschränkung der akademischen Freiheit durch eine ideologiegetriebene Cancel Culture keineswegs ein Mythos ist.

Wenn es Freiheit bei der Wahrheitssuche geben soll, dann muss es auch eine freiheitliche Streitkultur in der Wissenschaft, aber eben auch in der Gesellschaft insgesamt geben. Diese kann es nur dort gedeihen, wo Fanatismus, Diffamierung Andersdenkender und Unduldsamkeit so weit wie möglich eingedämmt werden. Zudem wäre eine (Wieder-)Besinnung auf die Idee der Universität angezeigt, in die auch die längst nicht überholten Gedanken z.B. von John Henry Newman oder Josef Pieper eingehen sollten.

Dieser Beitrag von Till Kinzel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe von Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politk, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Harald Schulze-Eisentraut/Alexander Ulfig, Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wie die Cancel Culture den Fortschritt bedroht und was wir alle für eine freie Debattenkultur tun können. FBV, Hardcover, 256 Seiten, 25,00 €.


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Kommentare ( 7 )

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Autour
1 Jahr her

Freiheit in der Wissenschaft gab es wohl nur wirklich im Kaiserreich!
Danach wurde die Wissenschaft politisch missbraucht und zu einem Sprachrohr degradiert schleichend aber stetig. Richtig Fahrt aufgenommen hat dies mit der Unterwanderung der 68er. Sprich in den 80er Jahren.
Beispiele hierfür gibt es mehr als genug (Zerstörung der deutschen Batterieforschung in den 90ern). Nur es ist wie immer, man wehret nicht den Anfängen man lässt sie gewehren und hofft wie so immer, dass es schon nicht so schlimm wird.
Nein sie lassen nicht ein sie machen bis zum bitteren Ende weiter!

joerg hensel
1 Jahr her

Der stille Staatsstreich durch die #DDR vor 30 Jahren (Folge der Beseitigung der Rechtsgrundlage für den Beitritt via Art. 4 Ziff. 2 EinigVtr.) beinhaltet selbstverständlich auch die Denununzierung und Diffamierung Andersdenkender als probates Mittel die Meinungs- und Redefreiheit, abzuschaffen.

Franz
1 Jahr her

Mein Eindruck ist dass viele Menschen Freiheit so verstehen wie wir es bis Ende der 90er Jahre gelebt haben. Da war die Gesellschaft aber noch relativ homogen. Freiheit spielte sich in einem Gesellschaftlichen Rahmen ab der von der deutlichen Mehrheit als normal empfunden wurde.

Heute sind die Rahmen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen inkompatibel. Was die Einen als Freiheit einfordern ist für die Anderen unerträglich. Inakzeptabel. Wie soll das funktionieren?

Ich glaube Demokratie und Freiheit kann nur in einer Gesellschaft funktionieren die sich auf einen Rahmen einigen kann, den alle akzeptieren können.

Haeretiker
1 Jahr her
Antworten an  Franz

Demokratie funktioniert nur nationalstaatlich. Multinationale Siedlungsgebiete können keine Demokratie hervorbringen. Wer Vielvölkerstaaten schaffen will, greift unweigerlich zu diktatorischen Mitteln. Das sahen wir bei Stalin oder bei Tito.

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Wenn nicht so viele Duckmäuser den Spuk mitmachen würden, wäre der ganze Unsinn in 48 Stunden vorbei.

Kartoffelstaerke
1 Jahr her

Die Frage der Freiheit muss man möglicherweise wohl im viel größeren Kontext betrachten.

Ich bin mir nicht sicher, ob alles im folgenden Video Gesagte wirklich so zutrifft. Vor fünf Jahren hätte ich noch die Augen verdreht und es einfach für eine Verschwörungstheorie gehalten. Und der Autor verkauft damit halt auch sein Buch mit den Quellenangaben.

Aber nachdem praktisch jeden Tag „Verschwörungsthorien“ plötzlich zur Realität werden, ist es wohl an der Zeit, auch dieses Erklärungsmodell zumindest mal kritisch zu beleuchten.

https://auf1.tv/stefan-magnet-auf1/toedliche-agenda-der-plan-ist-durchschaut

Last edited 1 Jahr her by Kartoffelstaerke
Georg J
1 Jahr her

Müssen wir „Freiheit“ wirklich definieren? Ich weiß, was echte Freiheit und was Meinungsfreiheit bedeuten. Ich brauche keine neuen Definitionen davon, denn die können ja nur einem einzigen Zweck dienen: uns die „alte“ (eigentliche) Freiheit zu rauben.