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Corona-Politik: immer härter und immer hilfloser

Die Corona-Politik der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten ist von einer aufreizenden Hilflosigkeit, die sich hinter markigen Sprüchen versteckt. Nur das Verteufeln der Kritiker funktioniert perfekt. Kein Wunder, dass aus der Verunsicherung Wut erwächst.

picture alliance/dpa/AFP/POOL | Odd Andersen

Einer der schnellsten Wege zum Unglück ist: Wenn eine Maßnahme nicht wirkt – Anstrengungen verdoppeln. Wenn ein Medikament nicht wirkt – Dosis verdoppeln. Wenn man vom Weg abgekommen ist – Geschwindigkeit erhöhen. Mehr von demselben hilft nur nicht.

Alles schon mal dagewesen – Chance vertan

Erinnert Sie das an was? Genau. Der Lockdown im Frühjahr hat Milliardenschäden angerichtet – aber das Virus ist nicht verschwunden. Das war zwar vorauszusehen, aber macht nichts. Und deswegen wurde über den Sommer auch nichts anderes versucht: Weder wurden Konzepte für Altenheime entwickelt, noch Notfallbetten oder Kliniken aufgebaut, Personal geschult oder systematisch nach Linderungen für das Unvermeidliche gesucht. Im Gegenteil – es gibt weniger Intensivbetten statt mehr. Die Frage, ob mit Corona gestorben wird oder an Corona, bleibt weiter ungeklärt. Es wird auch nicht das Pflegepersonal besser bezahlt. Mehr Geld haben in der Woche vor dem November-Lockdown nur der gut gesicherte öffentliche Dienst im Homeoffice oder in abgeschotteten Behördenbunkern erhalten sowie die Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten. Für ihren aufopferungsvollen Kampf an der Virus-Front.

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Und jetzt also wirkt auch der zweite Lockdown nicht. Das heißt, die Wirtschaft würgt er schon ordentlich ab. Die Neuinfektionen nicht. Und daher ständig immer neue Forderungen nach einem harten Lockdown, so einem richtig brutalen. Alle nach Hause. Mehr fällt uns nicht ein? Dass Glühweinstände Virenschleudern sind – dafür gibt es keinen Beleg. Und wozu im Dezember eine nächtliche Ausgangssperre gut sein soll, das verstehe, wer will. Es sind Schikanen, die Tatkraft vortäuschen sollen, wo Ratlosigkeit herrscht.
Die Liebe zum harten Lockdown

Irgendwie haben sich Politik und die meisten Medien in die Forderung nach immer härteren Maßnahmen verliebt. Viel hilft viel! Das war immer so. Und wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen, dann tun wir es eben umso entschiedener. Und die Wissenschaft? Macht mit, wenn man beispielsweise Armin Laschet glaubt. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hatte im Frühjahr für frühe Lockerungen plädiert, sich mit der sogenannten „Heinsbergstudie“ dazu Rat geholt. Diese Politik hat zwar den Bürgern und der Wirtschaft geholfen und rechtzeitig zu Lockerungen geführt, leider aber nicht Laschet nach vorne gebracht. Seither gilt er vielen als Weichei und im Wettrennen um den Parteivorsitz und damit die Kanzlerkandidatur weit abgeschlagen. Denn Medien und auch viele Bürger wollen die Faust sehen. Sie wollen den, der den harten Hund gibt, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Bekanntlich hat Bayern erneut die höchsten Infektionszahlen wie schon im Frühjahr, und das idyllische Berchtesgadener Land, vor dessen Foto-Tapete er seine Pressekonferenzen abwechselnd mit Sommer- und Wintermotiven abhält, war der Hot-Spot im Herbst. Aber Fakten sind bekanntlich Nebensache. Wir stochern uns durch einen Nebel von Behauptungen.

Als normal denkender Bürger stellt man sich da Fragen. Könnte die Wissenschaft sie beantworten? Die Antwort gibt ausgerechnet der arme Herr Laschet:

„Nie war deutlicher, wie wertvoll der Rat der Wissenschaft ist, als in diesen Pandemiezeiten. Dank dem Präsidenten der Nationalen Akademie @Leopoldina, Prof. Dr.Gerald Haug, für den intensiven Austausch. Die Infektionszahlen sind zu hoch. Ein echter #Lockdown ist unbedingt nötig.“

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Leider sind in diese Aussage trotz Kurzform gleich zwei Fehler eingebaut: Die Wissenschaft gibt offensichtlich keine Antworten. Warum ist die Infektion im Sommer fast verschwunden – und warum im dünn besiedelten Berchtesgaden wieder aufgetaucht? Warum dann? Warum dort? Antworten: keine. Schlussfolgerung: Weil wir nichts wissen, brauchen wir einen „echten Lockdown“. Was ist ein echter? Sollte das Wort „total“ vermieden werden? Fällt uns nicht mehr ein als vor 400 Jahren, nämlich Quarantäne? Gibt es Vorbeugemaßnahmen außer Isolation und Masken? Nein? 400 Jahre Wissenschaft also ohne Fortschritt. Tatsächlich wissen wir kaum, wo konkret sich Menschen anstecken. Die Verfolgung der Infektionsketten ist faktisch zusammengebrochen. Wo das Virus wirklich lauert – wir wissen es nicht. So bleibt das Hoffen auf einen Impfstoff, an dem viele Fragen vorerst offen bleiben. Und ein Lockdown, der nie funktionieren kann. Denn Menschen müssen leben.
Mörderische Symbolpolitik

Was hier passiert, ist reine Symbolpolitik. Das allerdings nur kurzfristig. Denn schon mittelfristig wird aus der Symbolpolitik eine echte Vernichtungsstrategie. Wer jetzt davon spricht, dass der „echte“ Lockdown schon am 20. Dezember beginnen und bis März oder gerne auch Ostern (2. – 5. April) verlängert werden soll, der spricht vom Ende der Gesellschaft, wie wir sie kennen.

Denn wenn der Handel endgültig auf Amazon reduziert werden soll – dann sterben unsere Innenstädte, die Gastronomie und weite Teile der produzierenden Industrie. Wenn Züge und Verkehr gegen Null reduziert werden, wird auch die Industrie in die Knie gehen. Kindern fehlt dann fast ein komplettes Schuljahr; und es wird immer schwerer, sie wieder zum Lesen und Schreiben und Rechnen zurückzubringen; die Integration von Migranten ist sowieso in sich zusammengebrochen und auch die ihrer Kinder fällt einfach aus. Die Vorstellung, dass wir mal kurz Pause machen und dann wieder aufwachen wie aus einem langen Schlaf im Märchen, haben nur realitätsferne Phantasten wie Karl Lauterbach, für den der Handel nach Weihnachten ohnehin nicht mehr stattfindet. Ja, Januar und Februar sind schwere Monate. Aber gerade deswegen zählt da jeder Euro Umsatz. Nur im Lauterbach-Seuchen-Sozialismus spielt das keine Rolle. Da presst man halt den Bürger besser aus für steigende Gehälter im öffentlichen Dienst.

Es wird bloß nichts mehr zum Auspressen geben. Wer investiert hat in Hygiene-Maßnahmen und Lager, landet damit in der Gefährdungszone für Pleiten. Auch die gigantischen Hilfen vom Frühjahr sind nicht mehr wiederholbar. Zum 1. Januar steigt die Mehrwertsteuer wieder. Wie wurde sie bejubelt, als wirtschaftspolitisches Allheilmittel gepriesen. Wenn die Senkung diese segenbringende Wirkung gehabt haben soll, dann ist die Anhebung jetzt inmitten des zweiten härteren Lockdowns ein tödliches Gift. Sie wirkt zusammen mit der zum Januar neu eingeführten CO2-Besteuerung, die Verkehr, Heizen, Produktion verteuert – und obendrauf kommen noch steigende Krankenkassenbeiträge. Es ist ein Konjunktur-Killer-Programm, in das wir sehenden Auges hinein rasen – mit und ohne Virus, mit und ohne Wissenschaft. Die Politik hat sich in Merkels Wort „Alternativlosigkeit“ verliebt. Allerdings brauchen wir gerade das: Alternativen. Für jeden Einzelnen, die Gesellschaft und auch für unser wirtschaftliches Überleben. Diese Art von Politik wird zur Problemverstärkung.

Digital-Versagen

Denn deren Versagen reiht sich aneinander. Eine Pressekonferenz jagt die nächste, und dann ist wieder alles so schlimm wie vorher. Bestenfalls. Meist ist nur das Geld weg. Erinnern Sie sich an das große Geschrei über die Corona-App; 100 Millionen Euro soll das simple Stück gekostet haben? Das Ding ist Schrott. Das passiert, wenn man sich als „Digital-Beauftragte“ eine stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothea Bär leistet, die Digital für eine neue Sorte Uhr hält, auf der man die Zeit auf dunkelblauen Ziffern abliest und nicht mehr per Zeiger.

Gibt es ein Schutzkonzept für verletzliche Personengruppen? Wurde das RKI technisch und personell aufgerüstet? Am Sonntag rattert das Fax; vermutlich noch mit Therme-Papier. Gibt es ein flächendeckendes Konzept für Schnelltests und anschließende Betreuung? Fehlanzeige. Der Gesundheitsminister war im Sommer mit dem Kauf einer millionenteuren Villa beschäftigt und anschließend mit einem Dutzend von Presserechtsprozessen, um die Berichterstattung darüber zu verhindern. Man muss eben Prioritäten setzen. Noch im Sommer hat er es als Fehler bezeichnet, dass im Frühjahrslockdown Friseure und Läden geschlossen worden waren. Warum sie jetzt trotzdem geschlossen werden, welche Erkenntnisse diese erneuten Schließungen nahelegen? Keine Antwort. Genau das macht immer mehr Bürger wütend, bockig, manche zornig und trotzig.

Dass es anders geht, zeigt ausgerechnet der Grüne Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer: Senioren können dort Taxis zum Busfahrpreis nutzen, um der Ansteckungsgefahr in Bus und Bahn zu entgehen, Geschäfte sind zwischen 9.00 und 11.00 Uhr für sie reserviert. Das Personal in Altenheimen wird alle zwei Tage getestet – praktische Maßnahmen ohne Lametta und Gebrüll.

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Die Infektionszahlen in Tübingen sind niedrig, nirgends eine Überlastung des Gesundheitssystems sichtbar. Markus Söder, der Möchtegern-Grüne, setzt dagegen auf sein Kraftmeier-Image zur Virenbekämpfung; vergebens. Das Virus mag nicht auf Kraftausdrücke hören. Kein Wunder, dass die Bereitschaft abnimmt, den neuen Anordnungen Folge zu leisten, die erkennbar willkürlich sind: Warum werden Restaurants mit neuer Abluftanlage und teuren Trennscheiben geschlossen, aber in den U-Bahnen ist mehrfach tägliche Desinfektion den städtischen Verkehrs-Betrieben nicht zumutbar?
Der Kampf gegen das Böse

Das Versagen der Regierung hat aber eine Ausnahme: Das Verteufeln der Kritiker funktioniert perfekt. Die Regierung Merkel folgt ihrem zweifelhaften Erfolgsrezept: Jede Kritik an der Sache wird in einen Kampf gegen Rechts umgedeutet, jeder Kritiker ist ein Leugner, ein Hetzer oder Nazi. Es ist ein Muster, das diese Regierung perfektioniert hat. Wir erinnern uns an die Linie aus dem Januar, dass Deutschland dank der weisen Führung dieser Regierung selbstverständlich von diesem Virus verschont bleiben werde und nur Rechtsradikale Verunsicherung und Desinformation streuen würden.

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Wir erinnern uns, dass der Bundesverfassungsschutz beauftragt ist, Corona-Kritiker zu durchleuchten und zu beobachten. Zwar sind keine umstürzlerischen Pläne bekannt, und dass der Inlandsgeheimdienst gegen Regierungskritiker eingesetzt wird, ist ziemlich einzigartig in der westlichen, meist demokratischen Welt. Merkel wiederholt das, was sie in ihrer Jugend verinnerlicht hat: Den Klassenkampf gegen feindselige Elemente. Und ein solches ist, wer es wagt, diese Regierung für ihre erkennbaren Fehler zu kritisieren. Und weil es ein Kampf gegen das Böse schlechthin ist, reihen sich Medien ein, verbeamtete Wissenschaftler sowieso. Noch einmal werden 1,1 Milliarden Euro ausgeschüttet für Vorfeldorganisationen der Bundesregierung, die Andersdenkende einschüchtern, verleumden und notfalls anzeigen sollen. Im Kampf gegen das vermeintlich Böse sind alle Mittel recht.

Nur leider interessiert das alles das Virus nicht. Bekanntlich hat es keinen Willen. Es ist einfach – ein Virus. Und es interessiert sich deshalb auch nicht für Parteibücher. Es ist kein Virus, das irgendwas mit irgendeiner Partei zu tun hat, und Kritiker der seltsamen Virus-Politik finden sich mit Abstufungen in allen Parteien.

Bei den Grünen ist es die Gründergeneration der notorischen Kritiker, Datenschützer, Impfgegner, Bachblüten-Gläubigen und Namens-Tänzer, die nach AKW-Protesten, dem Kampf gegen Mobilfunkmasten jetzt umstandslos gegen AHA-Regeln zu Felde ziehen sowie gegen G5-Installtationen der neuen Mobilfunkgeneration. Diese Gruppe wird vermutlich die Grünen verlassen. Die neue Generation der Grünen, die Generation Hummer, zeigt jetzt ihren Hang zum autoritären Vorgehen gegen jeden, der ihren Vorgaben nicht folgen will.

Bei der CSU sind es die Söderlinge, die begeistert applaudieren, weil sie sonst einen karrierehinderlichen Eintrag ins Klassenbuch fürchten müssen. Die AfD steckt nicht hinter den Protesten, wie gerne behauptet wird, um mit Ideologie Recht haben zu wollen. Auch diese Partei ist gespalten: In Corona-Leugner einerseits, die sich als parlamentarischer Arm der Widerstandsbewegung fühlen. Und anderseits sind da die Corona-Angsthaber, die getreu ihrer Sympathie für Law and Order möglichst harte und einschneidende Regeln fordern. Dazwischen gibt es keine Brücke, wie auch in der Bevölkerung zwischen diesen Lagern nicht mehr. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert „autoritäre“ Maßnahmen. Autoritär kommt von Autorität. Die hat er nicht bewiesen bislang, nur gemurkst.

Das Virus orientiert sich einfach nicht an der Landkarte politischer Parteien in Deutschland. Und deshalb ist die Bundesregierung so hilflos: Sie kann eben nicht pragmatisch entscheiden. Sie ist in ihren eigenen Fehlern verhaftet. Im Kampf zwischen Gut und Böse, gegen Reichsbürger, Nazis, Faschisten (drunter geht es ja kaum noch), Uneinsichtige und notorische Quengler kann es kein Nachgeben geben.  „Eines ist schon jetzt gewiss: Im April oder Mai, wenn die Frühlingssonne das Wahlkampfland wärmt, werden die GroKo-Redner behaupten, sie hätten das Virus endlich besiegt. Und den Sonnenschein geschaffen“, lese ich auf Twitter von „Bitterlemmer“. Bloß nicht an den Herbst 2021 denken. Denn das Virus läßt sich von Parteienlogik nicht beeindrucken.

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