Tichys Einblick
Lautlos

Migration: Die große Transformation Deutschlands

Merkels „Wir schaffen das“ schafft ein anderes Deutschland: Beim Umbau zu einer neuen Migrationsgesellschaft sollen nicht zugewanderte Deutsche sogar benachteiligt werden,
 um „rassistische Ungleichheit“ zu verhindern. Kann das gut gehen?

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Seit 2015 verweigern Merkel und ihre politischen Verbündeten jede Aussage, wohin ihre Einwanderungspolitik eigentlich führen soll. Die Illusionen von damals sind geplatzt: Deutschland kann hunderttausende junge Männer nicht integrieren – aber auch nicht loswerden und trotzdem werden neue Migranten zum Kommen ermuntert. Mit Energie und weitgehend ohne Widerspruch aus der Politik wird eine Transformation betrieben, deren Ziele im Dunklen bleiben und deren Kosten verschwiegen werden.
Die Teilung der Städte

Deutschland befindet sich im Prozess einer schnell ablaufenden ethnischen und kulturellen Transformation. Sie wird sichtbar in immer mehr Stadtvierteln, die von Einheimischen geräumt und von Zuwanderern aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum dominiert werden. Die Segregation Deutschlands geht schnell voran: In Städten wie Stuttgart sind die Hälfte der Einwohner Migranten; in Frankfurt ist die Lage ähnlich. Die Taunusvororte dagegen sind „weiß“. In München-Grünwald, in Bogenhausen oder in Berlin-Wilmersdorf sind die Einheimischen weitgehend unter sich, wenn man vom Hauspersonal absieht.

Berlin-Neukölln ist dagegen ein arabisierter Stadtteil, in den sich kaum ein Polizist hineinwagt. „Wir nehmen immer wieder zur Kenntnis, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen unseren Rechtsstaat, die Verfassungsorgane, aber auch Polizei, Ordnungsamt oder auch Rettungskräfte nicht nur ignorieren, sondern sogar angreifen und bekämpfen“, beklagt der dortige stellvertretende Bürgermeister Falko Liecke im Gespräch mit Tichys Einblick. Die Gesellschaft teilt sich entlang ethnischer Grenzen, weil die Integrationsfähigkeit längst überschritten ist. Die gepriesene Vielfalt trennt sich jeden Tag mehr in unterschiedliche Einfarbflecken auf.

Längst geht es nicht mehr um Merkels „Wir schaffen das“ in der syrischen Flüchtlingskrise, und es geht auch nicht um die hohen Kosten der Migrantenversorgung oder die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist. Seit 2015 wurde es zu einem Land ohne Grenzen und ohne Kontrolle der Zuwanderung und ihrer Folgen. Die Frage der Integration stellt sich längst nicht mehr: Es gibt sie nicht. Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, erhalten einfach einen anderen Aufenthaltstitel, notfalls unter dem Radar der Behörden. Abschiebungen gibt es praktisch nicht, weil sie zu mühsam sind für die Behörden gegen die Phalanx von Anwälten, Kirchen und bürokratischen Hindernissen. Die meisten Zuwanderer dürfen als Klienten des Sozialsystems bleiben.

Einwanderung ohne Ziel und Begründung

Deutschland ist das einzige Land der Welt, das in großer Zahl Zuwanderer aufnimmt – seit 2015 über zwei Millionen – ohne zu definieren, welche Form die unter dem Stichwort „Vielfalt“ beworbene Gesellschaft eigentlich annehmen soll. Weder für das Kommen noch das Bleiben existieren klare Regeln. Auf dem Landesparteitag der CDU in Mecklenburg-Vorpommern erklärte Merkel im Februar 2017: „Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt.“ Ihre Aussage beschreibt ein offenes Einwanderungsland ohne Grenzen, vergleichbar mit den USA des 19. Jahrhunderts: Wer über die Grenze kommt, egal ob mit Papieren oder ohne, integrationswillig oder nicht, ist halt da. Das passt zwar in die Prairie, aus der die Indianer vertrieben werden, aber nicht zum Grundgesetz. Es wurde nie politisch verhandelt, beschreibt aber den Eiertanz um die neue Realität des Landes ganz gut:
Wir schaffen das nicht, wir schaffen es, irgendwann müssen die meisten zurück, aber eigentlich sollen alle bleiben und dazugehören.

Im Jahr 2020 lebt etwa eine Viertelmillion Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland, also Migranten, die weder Anrecht auf Asyl haben, noch als Flüchtlinge gelten, und deren Anträge mitunter schon vor Jahren abgelehnt wurden. Dieses rechtliche Niemandsland ist heute doppelt so groß wie 2014. Die Kanzlerin, Innenminister Hort Seehofer und Landespolitiker versichern immer wieder, wer weder Asyl noch Anerkennung als Flüchtling bekomme, werde irgendwann auch abgeschoben. In Wirklichkeit sinkt die Zahl der Abschiebungen seit 2016. Waren es damals 25.375, die außer Landes gebracht wurden – ohnehin nicht viele – sank die Zahl 2019 auf 22.097.

Außerdem musste das Bundesinnenministerium einräumen: Von so genannten Dublin-Fällen, also Rückschiebungen von Deutschland nach Italien und Griechenland, kehrt etwa ein Drittel sofort wieder zurück in die Bundesrepublik. Dazu braucht es meist nur ein Ticket für den nächsten Flixbus. Der polizeiinterne Spott dafür: „eins, zwei, flix“. Zurückweisungen an der Grenze, die Seehofer im Sommer 2018 gegen Merkel durchsetzen wollte, erweisen sich als rechtlich so kompliziert, dass sie praktisch kaum stattfinden. Von Mitte 2018 bis Anfang 2019 schickten Bundespolizisten laut Innenministerium gerade 11 Migranten zurück in andere EU-Länder. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier meinte 2019, Merkel habe das eigentliche Asylrecht des Grundgesetzes in ein „Asylantragsrecht“ verwandelt und damit eine neue Realität geschaffen – ohne dafür einen einzigen Buchstaben der Verfassung zu ändern.

Beruhigungspillen für die Bevölkerung

Geradezu ewig gestrig klingt die Forderung der Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, Serap Güler (CDU): Die Integrationspolitik solle in Symbole zur „Identifikation mit dem Deutschsein“ und Erzählungen von der „Aufsteigerrepublik“ investieren. Analog zum „American Way of Life“ oder zu „Stars and Stripes“ lasse sich das Zugehörigkeitsgefühl von Einwanderern auch in Deutschland über nationale Symbole steigern.

Ein ordentlicher Appell vor der Deutschlandfahne in den Übergangsunterkünften und das gemeinsame Absingen des Deutschlandlieds? Nicht vorstellbar mit Merkel, die nationale Symbole schleift. Es klingt eher nach einer Beruhigungspille. Wirksam ist eher ein Gegenmodell, das Naika Foroutan, Professorin an der Berliner Humboldt-Universität und Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), die „postmigrantische Gesellschaft“ nennt: Für den Weg dahin fordert sie einen „normsetzenden Verweis auf eine gesellschaftspolitisch anzustrebende Entwicklung“, nämlich die „über das Migrantische hinausweisende Utopie der Gleichheit, die außerhalb der Herkunft“ liegt.

Das gilt schon uneingeschränkt für den Sozialstaat, eines der Kernstücke deutscher Identität und immerhin ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung umfassend. Diese Gleichheit im Sozialstaat ergibt sich aus der Gleichsetzung derjenigen, die „schon länger hier leben“ (Merkel), mit denen, die täglich neu dazu stoßen. Die durch Steuern und Beitragszahlung erworbenen Ansprüche an das Sozialsystem sollen nicht zählen: Der Sozialstaat ist unterschiedslos für alle da, die nun halt mal da sind oder täglich kommen. Für diese Gleichheit wird der, der schon da ist, zum Zahlmeister für immer neue Ankömmlinge.

Rechtliche Herabstufung der Einheimischen

Dafür soll ein neues „Gesellschaftsnarrativ“ durchgesetzt werden zur Schaffung „eines gemeinsamen Raums der Diversität jenseits von Abstammung“. Und weil „Einheimische“ und Teile der korrumpierten Gastarbeiterbevölkerung um ihr materielles Auskommen und kulturelle Identität bangen angesichts immer neuer „Diversität“ durch archaische, muslimische Gesellschaftsstrukturen, schlägt Foroutan ein „Reeducation-Programm“ vor, wie es die Alliierten nach 1945 den Deutschen angedeihen ließen. Es ist ein „Umsturzplan“ für die gesamte Gesellschaft, so Thomas A. Becker, ehemaliger Forschungsleiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts.

Man könnte es als akademische Spinnerei abtun. Aber der „Umsturz“ ist längst EU-Recht, etwa in Form der EU-Antirassismusrichtlinie, die in Deutschland erstmals im Berliner Polizeigesetz umgesetzt wurde: Wenn Kläger Tatsachen glaubhaft machen, die eine Diskriminierung „vermuten lassen“, muss „der Beklagte beweisen“, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt wurde. So müssen die Berliner Polizisten künftig nachweisen, dass sie nicht diskriminiert haben. „Racial Profiling“ ist demnächst verboten, etwa wenn Polizisten mit ihrem geübten Blick Dealer ausmachen. Strafe droht den Polizisten, nicht Tätern.

Polizisten werden künftig im Bahnhof also Gruppen von Rentnerinnen kontrollieren, die von ihrem Wanderausflug zurückkehren. Das ist unproblematisch, weil Weiße gar nicht diskriminiert werden können, da sie nicht „strukturell“ benachteiligt sind. Die Kontrolle von Dealern aus Nordafrika dagegen unterbleibt, weil das „strukturelle Diskriminierung“ oder „Racial Profiling“ sein könnte.

Dabei wird meist übersehen, dass das Berliner Polizeigesetz nur die konsequente Fortsetzung einer rechtspolitischen Entwicklung ist. Schon das Antidiskriminierungsgesetz des Bundes von 2006 (AGG) setzte nur die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU um. Es schränkt die Vertragsfreiheit ein, u.a. bei Arbeitsplatzvergabe und Wohnungsvermietung. Konsequenz: Eine Gruppe afrikanischer „Geflüchteter“ und eine junge kinderreiche Familie ohne Migrationshintergrund bewerben sich um dieselbe Wohnung. Diskriminierungsschutz genießen nur Erstgenannte.

Das AGG betrifft allerdings keine Behörden, sondern nur den Rechtsverkehr der Bürger untereinander. Es lag daher ein Umsetzungsdefizit vor. Diese Lücke schließt das Berliner Antidiskriminierungs-Landesgesetz (LADG): Erstmals wird die öffentliche Verwaltung an die Antidiskriminierungs-Kandare genommen. Neben Schadensersatz wurde auch die Beweiserleichterung eingeführt: Wenn Tatsachen ein diskriminierendes Motiv „überwiegend wahrscheinlich machen“, muss der Bedienstete beweisen, dass es nicht ausschlaggebend war. Fallstricke lauern für Polizisten, Lehrer, städtische Angestellte etc. – Betroffenenverbände sollen Schwung in solche Angelegenheiten bringen, auch das eine EU-Vorgabe.

Die Diskriminierung der Einheimischen

Zwar haften öffentlich Bedienstete nicht persönlich, sondern das Land. Die Folgen für ihr berufliches Fortkommen können aber gravierend sein. Alle öffentlichen Stellen müssen bei Leistungsbeurteilungen „Diversity-Kompetenz“ berücksichtigen, vor allem bei „Vorgesetzten und Dienstkräften mit Leitungsfunktion“. Anpassende Kriecherei muss also nun Karrieren fördern.

Die eigentliche Crux liegt jedoch darin, dass diese Gesetzesentwicklung, von der EU angestoßen, einer Diskriminierung der Bevölkerungsmehrheit Vorschub leistet: Ungleichbehandlungen sind nämlich gerechtfertigt, soweit „Nachteile strukturell benachteiligter Personen“ durch Maßnahmen „ausgeglichen werden sollen“ (Paragraf 5). Damit ermuntert das Gesetz die Landesregierung, Minderheiten finanziell zu fördern oder kompensatorische Quoten-Regelungen zu erlassen, etwa für den öffentlichen Rundfunk. Bevölkerungsgruppen, die die Kriterien für Minderheitenschutz nicht erfüllen, dürfen hingegen benachteiligt werden: Deutsche Familien, Heterosexuelle, Christen, alte weiße Männer. Es sind die Einheimischen, die allesamt als Verdächtige, wenn nicht gleich als Täter identifiziert werden.

Es ist ein leiser Umsturz; angetrieben von Gesetzen von oben nach unten. Eine politische Debatte oder Abstimmung darüber hat es nie gegeben, seit Merkel mit einem administrativen Handstreich im Sommer 2015 die Grenzen Deutschlands und seines Rechts- und Sozialsystems beseitigt hat. Und er scheint unumkehrbar, denn er ist von der sogenannten politischen Elite gewollt. Vor fünf Jahren rief die Grünen-Politikerin Katrin Göring- Eckardt: „Unser Land wird sich drastisch ändern. Und ich sage euch – ich freu mich drauf.“

Fünf Jahre später werden die Veränderungen unübersehbar. Viele Politiker sind entschlossen, sie hinzunehmen. Horst Seehofer, ehemals rhetorisch wortmächtiger Kritiker („Herrschaft des Unrechts“), meidet das Thema weitgehend. Seine konkrete Politik ist eine unbedingte Unterwerfung unter Merkels General-Linie. Zuletzt hat er einen Expertenrat gegen Muslimfeindlichkeit berufen, in dem Vertreter islamistischer Organisationen vertreten sind. Sein Nachfolger im Parteiamt Markus Söder schneidet es gar nicht erst an. Politiker der SPD, die auf die Folgen der ungelenkten Migrationspolitik hinweisen, drängte die Partei entweder aus ihren Reihen wie den früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin. Andere wie der langjährige Essener Kommunalpolitiker Karlheinz Endruschat gehen resigniert von selbst. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der die Probleme gelegentlich ungefiltert beschreibt, würden viele Grüne am liebsten aus der Partei hinauswerfen. Die AfD ist isoliert, die FDP schweigsam. Politisch gesehen verläuft Merkels Transformation lautlos.

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