Tichys Einblick
Welche Werte verteidigen?

Stell Dir vor, Putin kommt und keiner geht hin

„Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ – war der Slogan der Friedensbewegung, Spontis und Grünen. Jetzt sehen sie sich mit den Folgen ihrer „großen Transformation“ konfrontiert. Warum sollte man als Fremder dieses von ihnen zutiefst gespaltene rot-grün lackierte Land verteidigen?

IMAGO

„Sometime they’ll give a war and nobody will come“, formuliert der US-Poet Carl Sandburg 1936. Nur drei Jahre später mussten viele in den Krieg ziehen, weltweit. Populär wurde die Zeile, als der Hamburger Designer Johannes Hartmann die pazifistische Parole 1981 bekannt machte – und vom Riesenecho völlig überrascht wurde. Friedensbewegung, Kriegsdienstverweigerer und Grüne hatten ihr Motto. Gegner konterten: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu Euch!“

Wo bleibt die Friedensbewegung, wenn man sie braucht?

Seltsam, dass wir dieses Motto nicht mehr sehen oder hören. Friedensbewegung und Ostermärsche sind verraucht – waren sie doch nur von der DDR erzeugte, befeuerte und finanzierte Schimären?

Dabei ist der Krieg ziemlich nah, seit Putins Panzerkolonnen in der Ukraine eingefallen sind. Putin hat die europäische Friedensordnung, den Verzicht auf Krieg als Mittel der Politik und die Unantastbarkeit der Grenzen als Voraussetzung über den Haufen geworfen – aber auch die innerdeutsche Debatte auf den Kopf gestellt.

Jahrzehntelang mussten sich Grünen-Anhänger „Frieden schaffen ohne Waffen“ anhören. Der Slogan ist sehr vielen Altgrünen ebenso fest eingewebt wie das Strickmuster im Norwegerpulli. Noch im Bundestagswahlkampf 2021 warben die Grünen für Abrüstung und Pazifismus. Alles vorbei. Annalena Baerbock und Anton Hofreiter sind diejenigen, die heute für das härteste Vorgehen gegen Putin stehen. Unvergessen Baerbocks Satz, dass man Russland die Beine wegschlagen müsse, auf dass es Jahrzehnte nicht mehr hochkäme. Das hält sie für feministische Außenpolitik, die allerdings vergisst: Russland von der Landkarte zu tilgen, klappt nicht. Auch nach einem gewonnenen oder verlorenen Krieg muss man wieder zusammenleben. Wer wüsste das besser als Deutschland?

Aber es geht um mehr als ein paar ostukrainische Provinzen. Während anfangs die SPD unter der ungewollt komischen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht zunächst nur 5.000 Helme liefern wollte, rutscht seither Deutschland immer tiefer in den Krieg. Erinnerungen werden wach an die Großväter, die im Morast am Djenpr ihr Leben verloren. Und von denen Gebeine nach der Zerstörung des Kachowka-Stauanlage am 6. Juni 2023 im trockenen Flussbett gespenstisch auftauchten wie bedrohliche Mahnungen. Erst Munition, dann Gepard-Panzer – „die mit dem Rohr nach oben“ – dann „Leopard-Panzer, das sind die mit dem Rohr nach vorn“ (Lambrecht), schau an, wir haben wieder Wunderwaffen und wieder klappt es trotzdem nicht.

Heute sind wir alle Kenner der Waffentechnik, Taurus geht uns flott über die Lippen. Vor drei Wochen wussten nur wenige Waffenkundige, dass es sich dabei nicht um ein ähnlich klingendes Mittelgebirge in Hessen handelt, in dem die Ministerin ihren Wahlkreis hat, sondern um eine höchst gefährliche, weit reichende Waffe bis ins russische Hinterland, die nächste Stufe der militärischen Eskalation.

Wieder Moskau angreifen

Spätestens jetzt wird es auch jenen unheimlich, die die Ukraine unterstützen. Ist ständig weitere Eskalation bis hin zur Entsendung von Truppen und einem neuen Marsch auf Moskau, wie ihn CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fahrlässig fordert, wirklich alternativlos? Haben wir alles versucht? Wirklich alles? Die deutsche Politik erweckt immer weniger diesen Eindruck. Das ZDF zeigt im Kinderkanal traurige Taurus-Raketen, die weinen, weil der fade Scholz sie nicht gen Moskau fliegen lassen will, und der dazu befragte Intendant findet diese Militarisierung für Kinderseelen „altersgerecht“. Und die lustigen „Omas gegen Rechts“ fordern: „Olaf rück die Taurus raus.“ Absurder wird es heute nicht mehr.

Aber dort werden unsere Werte verteidigt, sagen sie.

Nun ist klar, dass es sich besser, anständiger, wohlhabender und freier in einer US-Kolonie leben lässt, viel besser als unter der Knute Russlands. Der Ruf zu den Waffen trifft auf eine Gesellschaft, die zersplittert und gespalten ist wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte. Unter Merkel begann die gnadenlose Ausgrenzung derer, die ihrer Politik der forcierten Masseneinwanderung nicht folgen wollten. Jeder, der widerspricht, wird routiniert als Nazi diffamiert, als Rechter, als Leugner, als Schwurbler. Diffamierung und Ausgrenzung ist der neue Volkssport mit Segen von ganz oben – weil man so glaubt, den verheerenden Folgen der Wirklichkeit spottenden Politik entfliehen zu können.

Von der Wirklichkeit umzingelt

Musterbeispiel ist die Energiepolitik, ideologisch getriebene Verarmungspolitik, die die Gesetze von Physik und Wirtschaft durch einen Sprechakt („die Energiewende funktioniert“) beseitigen will: Sprechakt ist heute das, was man früher Zauberspruch genannt hätte. Wer auch nur skeptisch guckt oder gar auf die Straße geht wie gegen Lockdown und „Impfung” wurde seiner Grundrechte beraubt. Wie brutal die Polizei vorgehen kann, die migrantische Mädchenmörder nur leise anspricht, und Justiz nur selten bestraft, haben bislang brave Bürgerlein erlebt. „Respekt“ ist ein sinnentleertes Blähwort, seit es ein Bundeskanzler auf den Lippen führt, der die rechte – weil nicht-linke – Hälfte der Bevölkerung lieber los wäre.

Wer biologische Tatsachen in den Mund nimmt wie die elementare Wahrheit von der Existenz zweier Geschlechter, kann schon bestraft werden. Gesetze, die uns zur Leugnung von Tatsachen zwingen, erfassen immer weitere Bereiche. Gnadenlos wird eine woke Ideologie durchgedrückt, die das Geschlecht leugnet, die den Nationalstaat und mit ihm den Sozialstaat auflösen will und von einer globalen Einheitsgesellschaft träumt, die es nicht geben wird.

Aber man will sie durch Massenmigration gegen den erklärten Willen der Bevölkerung durchsetzen. Die braucht man ja nur noch vorübergehend, bis die große Transformation die Einheitsgesellschaft mit Friede, Freude, Eierkuchen geschaffen hat. Die ist nur noch einen klitzekleinen Schritt weit entfernt, nur einen kleinen Schlag gegen die Miesmacher im eigenen Land und einen kleinen Krieg braucht es noch. Aber Robert Habeck bringt uns und die Welt schon noch auf Kurs, wie er sagt.

Welches Land ist da zu verteidigen?

Längst wurden Einheimische zu Fremden im eigenen Land. Beauftragte der Bundesregierung oder von ihr finanzierte Sprecher fordern die Einheimischen auf, sich in die neue Welt der Migration zu integrieren und wollen uns dazu großzügigerweise Umerziehungskurse spendieren. Die Sprache wird gekärchert, „Räuber Hotzenplotz“ gecancelt, die Libretti der Mozart-Opern gereinigt, Kinderbücher umgeschrieben, Straßennamen entfernt, die gemeinsame Geschichte auf den Müll gekippt, um den synthetischen Menschen ohne Vergangenheit, aber mit grüner Zukunft zu erschaffen.

Die neue multikulturelle Gesellschaft dreht elementare Freiheits- und Emanzipationsrechte zurück, Kinder sollen vielerorts nicht mehr unbegleitet zur Schule und zurück nach Hause gehen, Frauen sich nicht mehr auf die Straßen trauen, wenn es dunkel ist. Ehrenmorde werden verklärt, Messerattentate verheimlicht, Zwangsheiraten üblich, Kinderehen erzwungen und Genitalverstümmlung Alltag. Die Befreiung der Frauen nach einem Jahrhunderte langen Kampf wird im täglich neu ausgehandelten Alltag vielfach zurückgedreht, beschreibt Susanne Schröter in ihrem glänzend formulierten neuen Werk über den rotgrünen Kulturkampf, der das Land grundlegend verändern soll.

Während Frauenemanzipation zurückgedrängt wird zu Gunsten eines Einheitsgeschlechts, gilt Männlichkeit als toxisch. Der alte weiße Mann darf jederzeit diskriminiert werden, während eine hochgezogene Augenbraue bei den Hätschelkindern der neuen woken Gesellschaft schon zu Hassausbrüchen und zur Bestrafung des alten weißen Mannes führt. Junge Männer haben es ohnehin schwer. Die Benachteiligung erfolgt ab der Kita. Wer weiß ist, deutsch, nicht homo- oder transsexuell und keinen Migrationshintergrund vorweisen kann, wird per Quote nicht nur erklärtermaßen im öffentlichen Dienst, sondern mittlerweile auch in der Großindustrie übergangen, ausgesondert.

Zunehmende staatliche Repression gegen wachsenden Widerstand

Das mag stellenweise zugespitzt sein. Noch leben die meisten persönlich nur teilweise von diesem Vorgang berührt. Aber der Widerstand wächst. Und es wächst auch die Repression gegen die Kritiker und Bockigen. Der Digital Services Act, das kommende Gesetzespaket zum ständigen Kampf gegen Rechts, während Linke weitgehend unbehelligt Terroranschläge verüben oder Straßenschlachten anzetteln, immer neue Polizeieinheiten, die das Internet nach abweichenden Meinungen durchkämmen, statt auf Streife zu gehen, weil sie sich das längst nicht mehr trauen. Das ist die Folge einer ideologischen Politik, die an der Wirklichkeit scheitert wie an menschlichen Grundbedürfnissen: Dass wir Männer oder Frauen sind und ein gemeinsames Leben führen wollen, frei, selbstbestimmt – ohne ständige politische Behelligung und Bevormundung, wie oft wir Fleisch essen, was wir denken oder wie wir sprechen sollen.

Die grundlegenden und Gemeinsamkeit stiftenden Elemente dieser Gesellschaft werden seit Jahren gezielt in Sprache, Werte und innerer Sicherheit geschleift und zerstört. Wirtschaftlich, sozial, ideell. Wer die Fahne schwarzrotgold aufzieht, gilt mittlerweile selbst vielen in der CDU als Rechter oder Nazi. Dass die Nationalsozialisten diese Farben hassten, ist ein Fakt, der in den historischen Kleinhirnen der Merkels und Merzens keinen Eingang fand. Die Fußball-Nationalmannschaft wurde umgebaut zum Club der Millionäre, die beim Absingen des Deutschlandlieds die Lippen zusammenpressen, niederknien zum Gedenken an einen amerikanischen Kleinganoven, die Regenbogenfahne grüßen und auf dem Rasen versagen.

Vom Bundestag weht die Regenbogenfahne, die längst nicht mehr für Emanzipation der gleichgeschlechtlich Liebenden oder gar für Frieden steht, sondern für den Kampf einer winzigen Minderheit gegen die Mehrheit, wobei längst auch die organisierten Gruppen jeder noch so kleinen Splitterminderheit ihre Symbole eingeschmuggelt haben, um das Gleichstellungsgesetz zu feiern. Kinder sollen mit 14 Jahren als Folge der transsexuellen Mode ihr Geschlecht wechseln, sich mit krebserregenden Hormonen behandeln oder mit dem Skalpell für immer verstümmeln lassen. Das sind die „Werte“, die uns die Ampel aufzwingt, von der CDU schamlos unterstützt. Dafür dürfen wir künftig straffrei kiffen und dealen. Wenn sich Nancy Faeser mit ihren Demokratie-Verhinderungsgesetzen durchsetzt, werden Sie einen Text wie diesen nicht mehr lesen können.

Trotzdem, ja, deshalb wird das Experiment scheitern, wie jeder Umbau einer Gesellschaft von oben in der Sowjetunion, im maoistischen China, in Kambodscha an der Wirklichkeit und den Menschen gescheitert ist.

Nun sollen die Kerls doch wieder Krieg führen

Nun also sollen die jungen, als toxisch geschmähten Männer diese „Werte“ mit ihrem Leben verteidigen. Dazu sollen sie natürlich mutig sein, kämpfen, kriegsbereit die Zähne zusammenbeißen. Aber sie kämpfen nicht für die Freiheit, denn die wird ihnen ja gerade vorenthalten und ausgetrieben, bis hin zur Durchleuchtung ihrer Internet-Accounts, durch Chatgruppen-Überwachung und Beschneiden ihrer Lebens- und Berufschancen. Und ja: Während also unsere Jungs wieder in den Krieg ziehen sollen, beobachten die Jungs aus Afghanistan, Bangladesh und Syrien und woher auch immer interessiert das Geschehen, hoffen viele darunter auch auf die nächste Rate Bürgergeld, und wenn’s brenzlig wird, machen sie eben Urlaub in den Ländern, in denen sie angeblich verfolgt werden. Die Wirklichkeit schreibt längst die besten Satiren.

Streit-Bar mit Roland Tichy und Diether Dehm
Wie schlimm wird es, wenn Putin kommt?
Nun ist das Leben für viele ja noch immer nicht so schlecht in Deutschland, auch wenn der Wohlstand jeden Tag zusehends weiter verfällt und die Repression jedes Andersdenkenden zur Staatsräson erhoben wird. Dort, wo das Leben noch normal ist, beginnen die Frauen um ihre Männer, die Mütter um ihre Söhne, die Kinder um ihre Väter zu bangen.

Ich habe großen Respekt vor den Ukrainern, die ihre Heimat und das bisschen Freiheit verteidigen, das sie in den Jahren seit der Befreiung von der Sowjetunion erlebt haben. Nein, ich beteilige mich nicht am Geschimpfe über die Korruption in der Ukraine, ich nenne Selenskyj nicht Schauspieler, und ich benenne die Letztverantwortung Putins. Ich liebe die Freiheit, die noch geblieben ist, und verteidige sie mit Worten und Zeichen. Ich lebe in einem gewissen Wohlstand, auch wenn er im Land jeden Tag weiter abnimmt und schwindet, weil die Klasse derer jeden Tag größer wird, die von dem von den Anderen erarbeiteten Wohlstand zehren und die Gruppe der Leistungsträger kleiner und stiller. Angela Merkel sagte einst, wenn man ihr in der Masseneinwanderung nicht folge, „dann ist das nicht mehr mein Land“. Das denken immer mehr Bürger.

Der frühere Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld, der in diesen Tagen mit einer eigenen Liste zur EU-Wahl antritt, hatte einen Text empfohlen, wonach man für die Ukraine sein könne, auch wenn man gegen die Grünen ist. Fritz Goergen will wissen: Wollen wir nicht erst die Werte bei uns durchsetzen oder wenigstens bewahren, die wir anderswo verteidigen? Ja, ich bin für die Ukraine. Aber nicht um den Preis, dass daraus die Grünen und ihre roten und schwarzen Anhängsel uns die letzte Kraft aus den Knochen saugen, ehe sie die auf den Schlachtfeldern verheizen.

Von Vielen höre ich, dass sie interessiert am Rand stehen und zuschauen, wie versucht wird, die brutale Entheimatungsstrategie gegen die Einheimischen fortzusetzen und gleichzeitig Unterstützung für einen neuen Krieg zu schaffen. Man stelle sich vor, wie es ist, wenn Putin kommt und wie dann Marie-Agnes Strack-Zimmermann die Fliegen, die einen Scheißhaufen umschwärmen, zum Kämpfen motivieren will, wie Frank-Walter Steinmeier diejenigen zum bewaffneten Kampf aufrufen möchte, die er vorher noch hinter „Rattenfängern“ mit Begleitmusik von „Feine Sahne Fischfilet“ die Städten hinaus komplementiert hat, und Olaf Scholz seine Verachtung nach unten nicht mehr verbergen kann, wie Alexander Wendt treffend beschreibt.

Die, die den Bürgern das eigene Land unter den Füßen wegziehen, schauen jetzt zusammen mit ihren NGO-Söldnern verdutzt aus der Wäsche, weil so gut wie niemand mehr für sie und für die von ihnen proklamierten „Werte“ an die Front marschieren möchte – um was zu verteidigen? „Queer for Palestine“? Ganserer und Kellermann am Weltfrauentag auf die Schilder heben? Auf die „Große Transformation“ antworten immer mehr Bürger mit einem noch älteren Slogan der Anti-Kriegsbewegung: „Ohne mich“.

Gegen die Mehrheit des Volkes (Achtung, geächtetes Wort) ist schlecht regieren, und Talleyrand sagte seinem König: „Sire, auf Bajonetten kann man schlecht sitzen!“ Und ein Land ohne Volk schlecht verteidigen.

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