Tichys Einblick
Dilettant mit Dogma

Um der Sozialen Marktwirtschaft willen: Habeck sollte zurücktreten

Wenn es nur die offenkundigen fachlichen Defizite des Wirtschaftsministers wären! Mit seiner gefährlichen Mischung aus Dilettantismus und grünem Dogmatismus beschädigt Robert Habeck die Wirtschaftsordnung des Landes. Wenn er nicht geht, geht die Marktwirtschaft.

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, 07.09.2022

IMAGO / Political-Moments

Was kann man zu einem Bundeswirtschaftsminister nach einem solchen öffentlichen Auftritt noch sagen, außer: Der Mann sollte zurücktreten. Und wenn er es nicht selbst tut, sollte sein Chef, der Bundeskanzler ihn entlassen. Auf die Verabschiedung durch den obersten Chef, also das Wahlvolk, zu warten, könnte dem Land noch extremen Schaden zufügen.

Es ist ohnehin ein fassungslos machender Zustand, dass in der wohl dramatischsten ökonomischen Lage der bundesrepublikanischen Geschichte das wichtigste Politikfeld nicht längst zur Chefsache erklärt wurde. Scholz aber tritt hier kaum in Erscheinung. Er überlässt das energiepolitische Ruder der wichtigsten europäischen Volkswirtschaft einem Mann, der in den wenigen Monaten seit Beginn des Ukraine-Krieges und damit der akuten Energieversorgungskrise, zwar zunächst sein Bemühen um Eindämmung signalisierte (durch Bettel-Reisen nach Katar und anderswohin). Mittlerweile kann man wohl eher sagen: simulierte. Aber dann rasch deutlich machte, dass die Suche nach Energieversorgungsalternativen zum russischen Gas keine Priorität für ihn hat. Das weiß man nun spätestens seit der bizarren Atomkraft-Entscheidung. Priorität hat die grüne Anti-Atom-Phobie. Wichtiger als das wirtschaftliche Wohl Deutschlands ist ihm die Aufrechterhaltung des Dogmas der Grünen Partei. In dieser Hinsicht ist Habeck ganz ein Kind der Parteienherrschaft.

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Mit seinem hilflosen Auftritt bei Sandra Maischberger hat er sich aber nun auch noch selbst als ein Wirtschaftsminister entlarvt, der offenbar tatsächlich meint, ein Unternehmen könne einfach mal eine Zeitlang die Geschäftstätigkeit einstellen, um Energie zu sparen. Das müsse nicht bedeuten, dass derjenige Insolvenz anmelden müsse. Nimmt man den Minister beim Wort, dann war das sogar nichts anderes als ein Aufruf zur Insolvenzverschleppung. 

Man kann nur erschütternd sein von diesem Ausmaß an Dilettantismus auf allerhöchster Regierungsebene. Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit dank der gegenwärtigen Verteidigungsministerin und ihrer Vorgängerinnen schon an fachliche Unkenntnis von Ministern gewöhnt ist. Die jüngsten handwerklichen Fehler, aber auch strukturellen Widersinnigkeiten in seiner Gasumlage, beim Entlastungspaket und bei der Kernkraft-Entscheidung zeigen aber, dass Habeck nicht nur in Worten dilettiert, sondern auch in Taten.

Jeder hat mal einen schwachen Tag, und viele Politiker, auch die besten in der bundesrepublikanischen Geschichte haben sich schon vor Fernsehkameras blamiert. Aber Habeck scheint wirklich grundsätzlich gegenüber seinem Politikfeld zu fremdeln. Nein, ein Wirtschaftsminister muss nicht studierter Ökonom sein. Vielleicht ist es manchmal sogar gut, wenn ein Minister mit anderem Bildungshintergrund und Erfahrungen von Betriebsblindheit und den gerade unter klassischen Ökonomen verbreiteten Dogmen unverbildet ein solches Amt übernimmt. Aber auch ein solcher Minister muss wissen, was seine Aufgaben sind. 

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Ein Minister der diesen Aufgaben nicht gerecht wird und sie erkennbar zugunsten anderer Zwecke vernachlässigt, verletzt seine Amtspflichten. Auf der Website des Ministeriums gibt es zu diesen Aufgaben sogar einen Kurztext  – vielleicht sollte Habeck den in einer stillen Minute einmal lesen, zumal sein Porträt daneben steht: Da ist zum Beispiel von „Vorfahrt für mittelständische Unternehmen und Existenzgründer“ die Rede und von „dauerhaftem Wohlstand“. Darauf könnten all die Unternehmen, zum Beispiel Bäckereien, die nun existenziell bedroht sind, den Minister festnageln. Da ist auch vom Erhalt „der energieintensiven Grundstoffindustrie“ die Rede. Und da steht: „Die an den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft ausgerichtete Politik hat sich gerade in schwierigen Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung bewährt.“

Mit seiner Amtsführung und den jüngsten fundamentalen Entscheidungen befinden sich Habeck und seine wichtigsten Mitarbeiter – Staatssekretär Patrick Graichen nicht zuletzt – längst in einem offenkundigen Widerspruch zu der gewachsenen Wirtschaftsordnung dieses Landes. Robert Habecks dogmatisch dilettierende Politik der bewussten Hinnahme von Energieverknappung bei gleichzeitiger Einführung von Zwangsmaßnahmen ist nicht nur wachstumshemmend. 

Schon Ludwig Erhard war dagegen, stetiges Wirtschaftswachstum als solches zum Staatsziel zu erklären, wie es das Stabiltäts- und Wachstumsgesetz von 1967 tut. Aus gutem Grund ist auch in jüngeren Jahren immer wieder kritisiert worden, dass der Staat und vor allem seine sozialen Institutionen strukturell auf die Erwartung dauernden BIP-Wachstums ausgerichtet sind. Dass wirtschaftliches Wachstum keine unendliche Geschichte sein könne, war den Vordenkern der Sozialen Marktwirtschaft von Erhard und Eucken bis Welter und Röpke stets klar. Die Verpflichtung zum stetigen Wachstum stammt erst von den keynesianisch geprägten Wirtschaftspolitikern seit Karl Schiller (SPD). Eine nicht mehr am unbedingten Ziel des BIP-Wachstums ausgerichtete Wirtschaftspolitik könnte durchaus mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft in Einklang zu bringen sein. 

Aber bei Habeck geht es um Grundsätzlicheres. Seine Politik schränkt ein, was für marktwirtschaftliche Ordnungspolitik das oberste Ziel ist: Freiheit und Wettbewerb. Die enge Verbindung und gegenseitige Bedingung von wirtschaftlicher und politischer Freiheit ist der eigentliche Grund dafür, dass die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik nicht zur Disposition steht. 

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Denn die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft haben sich nicht nur „bewährt“, wie es auf der Website des Habeck-Ministeriums heißt. Sie sind konstitutiv für Staat und Gesellschaft. Wer sie außer Kraft setzt, trifft keine legitime politische Entscheidung, sondern zerstört die Ordnung dieses Staates und dieser Gesellschaft. Zwar nicht im Grundgesetz, aber in verschiedenen anderen bindenden Rechtsdokumenten ist die Soziale Marktwirtschaft als solche verankert. Im Einigungsvertrag von 1990 ist die „Soziale Marktwirtschaft als Grundlage für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung mit sozialem Ausgleich und sozialer Absicherung und Verantwortung gegenüber der Umwelt“ in Deutschland festgeschrieben mit dem Ziel „hierdurch die Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Bevölkerung stetig zu verbessern“, und im Vertrag von Lissabon der EU heißt es: „Die Union … wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin.“

Ein Minister, der statt sich für die Energieversorgung der deutschen Wirtschaft einzusetzen, lieber per Gesetz den Bürgern und Unternehmen Vorschriften zum Energiekonsum macht, sie also für unmündig hält, selbst mit ihren Mitteln zu haushalten, hat offenkundig keine hohe Meinung von wirtschaftlicher Freiheit und somit auch nicht von der Wirtschaftsordnung des Landes, das er mitregiert. Denn für diese ist das Menschenbild des mündigen Bürgers als frei entscheidender Anbieter und Konsument grundlegend. 

Habeck und seine politischen Freunde innerhalb und außerhalb des Ministeriums, das einst Ludwig Erhard führte, haben sich endgültig als dilettierende Dogmatiker offenbart, die mit einer fatalen Mischung von Unkenntnis und bewusstem Willen die Axt an die Wirtschaftsordnung des Landes legen, für das sie Verantwortung übernommen haben. Wenn sie noch lange in dieser Verantwortung bleiben, wird von dieser Ordnung nicht mehr viel übrig sein.