Tichys Einblick
Manipulierte Bestseller

Die Angst der Buch-Offiziellen vor den Lesern und Autoren, die mit Erfolg drohen

Auch Verlage und Messen beugen sich: Freiwillig unterwerfen sie sich der geforderten politischen Korrektheit und fordern Bücher, „die wissen, wo sie stehen“. Die Käufer reagieren mittlerweile routiniert und werten Warnung vor kritischen Autoren als Kaufempfehlung.

IMAGO
Die geladenen Gäste halten auf Signal die Schilder hoch, die sie vorher zugeteilt bekommen haben – uniform, kollektiv, gehorsam. Man kennt ähnliche Bilder aus Nord-Korea, aber es ist diesmal nicht Pjöngjang, sondern (wieder) Leipzig. Und es ist nicht der Schriftstellerkongress der DDR, bei dem sogar gestritten worden sein soll, sondern Buchmesse. Und die braven Schildhochhalter sind Ministerpräsidenten und Kulturstaatsminister, Präsidenten, Eminenzen und Exzellenzen, die „Crème de la Crème“ des deutschen Kulturbetriebs und seiner Bücher.

Dafür wird Geschichte umgeschrieben: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt Dinge gleich, die sich konträrer zueinander nicht verhalten könnten: Die Montagsdemonstrationen der DDR, bei der die Teilnehmer Leib und Leben für den Protest gegen die Regierung riskierten mit den Aufmärschen der Ampel-Anhänger, die für die Regierung nichts, aber gar nichts riskierten, außer zu Tode umarmt zu werden. Wie die Gerontokratie der SED bei den verordneten Aufmärschen zum 1. Mai stelzt Steinmeier im schlimmsten Funktionärsdeutsch daher und fordert den „Schulterschluss aller Demokratinnen und Demokraten“.

Gegen wen wohl? Sollte er eine Oppositionspartei gemeint haben? Ist sie wieder da? „Wie ich einmal dachte, die DDR wäre tot“, beschreibt Alexander Wendt die Zeitmaschine, mit der die Ampel die Vergangenheit zurückholt. Später werden auf einer vom Steuerzahler finanzierten Bühne „Verleger gegen Rechts“ darüber diskutieren, wie man diskutiert, wenn man einer Meinung und zwar die der Regierung ist. Es soll nur noch Bücher geben, „die wissen, wo sie stehen“. Das ist entlarvend: Nicht mehr das Neue, das Überraschende, das Andere, Kontroverse ist gefragt – sondern die Wiederholung des schon Dagewesenen, Geprüften, Bekannten, das von den Autoritäten Freigegebene, das Erlaubte und nicht das Grenzwertige.

„So wird Feigheit zur Schreibvoraussetzung“, schreibt Pauline Voss nach einem ernüchternden Messebesuch (Pauline Voss im Interview der Streit-Bar hier). An die Stelle erzwungener Gleichschaltung ist eine Art freiwillige Gleichschaltung getreten; jetzt auch eines geistigen Gewerbes, das früher Stolz auf Individualität, Widerspenstigkeit und Originalität war. Heute haben ihre Offiziellen wieder Angst vor Lesern und erfolgreichen Autoren.

Schade, dass das Publikum nicht liest, was es soll

Nur die Leser lesen nicht so mit, wie es sich die Schildhochhalter wünschen, und das, obwohl sie sich so große Mühe geben: Auf der Buchmesse werden Flops gefeiert, die Tops bei den Lesern sind ganz andere, trotz hochamtlichen Abratens: „Es gibt immer noch Menschen, die blöd genug sind, seine Bücher zu kaufen“, schreibt etwa der STERN über das neueste Buch von Peter Hahne mit dem Titel „Ist das euer Ernst?“. Es muss also aus der Sicht von denen da oben ziemlich viele Blöde geben in Deutschland, was allerdings nicht korreliert mit der abstürzenden Auflage der Illustrierten, die heute als eine Art Programmheft für RTL betrieben wird.

Hahnes Erstauflage dagegen betrug 100.000 Exemplare und war innerhalb weniger Tage ausverkauft. Im TE-Shop wurde eine lange Liste von Bestellungen geführt, obwohl wir uns rechtzeitig mit einer großen Anzahl von Hahne-Büchern eingedeckt hatten. Egal ob TE, der stationäre Buchhandel oder Internet-Handel – Hahne war weg, die Wiederkehr der „Bückware“, wie die Produkte in der DDR genannt wurden, die nur gute Freunde erhielten oder gegen Aufpreis zu kriegen waren. Auch in der ZEIT fand er keine Gnade. Thomas E. Schmidt begann seinen Verriss mit einem Satz, der den Leser verdutzt die Augen reiben und erneut das Cover des Buches betrachten lässt: „Wieder springt Hahne uns direkt ins Gesicht“, schreibt er, „‚Ist das euer Ernst!?‘ bellt uns der Titel seines neuen Buches an, welches, kaum erschienen, schon auf der SPIEGEL-Bestsellerliste den ersten Platz behauptet.“

Buchhändler mussten sich danach um die letzten verfügbaren Kisten des Buches balgen, Bittbriefe schreiben; und nur die strenge Buchpreisbindung verhindert, dass man die Abgabepreise erhöht. Während die Buchexzellenzen wüten, werden Abweichler gut verkauft. Das Fachmagazin Buchreport schrieb mal: „Wenn Hahne ein neues Buch ankündigt, atmet der Buchhandel auf.“ Heute wird dem Handel von seinen Vorbetern Schnappatmung abverlangt, wenn Hahne kistenweise anrollt.

In der Branche gilt ein Buch ab 100.000 Auflage als Bestseller; bei Hahne wird schon die 2. Auflage von insgesamt 200.000 Exemplaren knapp. Faktisch betragen heute die Startauflagen zwischen 2.000 und 5.000 Exemplare. Der aktuelle Erfolg zieht Hahnes ältere Bücher mit und macht auch bei denen Nachdrucke notwendig, und so hat er von seinen Bänden längst mehr als 10 Millionen Exemplare verkauft. Von Matthias Matussek stammt das Bonmot: „Wenn Peter Hahne seinen Einkaufszettel verliert und der wird gefunden und veröffentlicht, so wird das garantiert ein Bestseller.“

Und das, obwohl bei der ARD Denis Scheck ebenso regelmäßig vor Hahne warnt, dem „dumpfen Stammtischmichel“, der Schecks Gehirn „gequält zusammenzucken lasse“, oder Jan Böhmermann („ZDF Magazin Royal“), der befand, dass Hahnes Bücher „Thilo Sarrazin das Fürchten lehren“ würden.

Thilo Sarrazin – oder das Unheil nimmt seinen Lauf

Damit benennt Böhmermann das „Urböse“, das er und seinesgleichen bekämpfen, den siebenköpfigen Drachen, dem die Ritter des Feuilletons reihenweise die Köpfe abschlagen mit dem Ergebnis, dass für jeden abgeschlagenen Kopf sieben neue Bücher entstehen: wie buchstäblich bei Thilo Sarrazin.

„Deutschland schafft sich ab“ ist der Titel eines 2010 erschienenen Buches von Thilo Sarrazin. Es trägt den Untertitel Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. Die Aufregung war groß. Die Bundeskanzlerin warnte, die Zeitungen geiferten, die Leser kauften, berichtet Wikipedia schaudernd. „Sein Buch gehört zu den meistverkauften Sachbüchern in gebundener Form (Hardcover) seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Bis Anfang 2012 wurden über 1,5 Millionen Exemplare verkauft. Das Buch stand 2010 und 2011 insgesamt 21 Wochen lang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.“ Für Thilo Sarrazin hatte das Buch persönliche Konsequenzen: Im Verlauf des Jahres 2010 kam es zur einvernehmlichen Amtsentbindung Sarrazins als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und im Jahr 2020 zum Parteiausschluss Sarrazins aus der SPD. Seither legte er pünktlich, wie eben ein Beamter sein sollte, alle zwei Jahre ein neues Werk vor; in diesem Sommer ist es wieder soweit. Der Buchhandel kann aufatmen, Sarrazin ante Portas bedeutet: bald wieder Leser im Laden.

Sarrazin blieb trotz des Millionenerfolgs ein bescheidener Mensch. Für jedes umfangreiche Buch, für das er mit unermüdlichem Fleiß Zahlen, Fakten und Belege addiert und zwischen Buchdeckel präsentiert, belohnt er sich selbst mit einer neuen, edlen Kamera und seine Frau mit einer Reise, die dann im Fotobuch abgebildet wird. Allmählich gehen die Novitäten aus – die der Kamerahersteller.

Mit der Verurteilung Sarrazins setzte eine Bewegung ein, die Deutschland seither beherrscht: Medien schreiben und senden gegen ihre Leser und Zuschauer. Die kaufen, was die Hoheiten des Buchgewerbes unisono verdammen. Jeder Heulton aus der Warn-Sirene ist eine Art Kaufbefehl. Die rhetorische Vernichtung, der Totalverriss ist die Garantie für einen Verkaufserfolg.

Vielleicht werden diese Bücher gar nicht gelesen – ihr Kauf ist ein Statement, eine Art Bonus zum Lesevergnügen. Es ist ein Statement gegen Bevormundung; und die Verdammung des Mainstreams gilt als Heiligsprechung für Leser. Viele Buchhändler weigern sich, Sarrazin oder Hahne zu führen – Onlineshops wie der von TE übernehmen die Funktion, jedes kritische Werk zu verbreiten. Die Entschlossenheit von Journalisten und manchen Buchhändlern im Kampf gegen das Böse ist bewundernswert, doch in letzter Konsequenz selbstzerstörerisch. Sicherlich gibt es bald ein Bundesförderungsprogramm „Demokratisches Buch“ aus dem Hause der Familienministerin Lisa Paus und ein „Das-gute-Buch-Gesetz“ aus dem Innenministerium, das unbefugtes Lesen als Demokratie-Delegitimierung einstuft.

Auch Verlage verachten ihre Leser

Der Zwang zur Konformität gilt auch für Verlage. Ursprünglich bei der Verlagsgruppe Penguin Random House (Bertelsmann Konzern) erschienen, wanderte Sarrazin über den FinanzBuchVerlag schließlich zu LangenMüller, und TE konnte den Weg als Vermittler begleiten. Finster entschlossen darbt die Branche lieber, statt ihre Kunden zu bedienen. Notfalls greift man zur Selbsthilfe. 2017 nahm der Spiegel das Buch „Finis Germania“ einfach aus der Bestsellerliste, und der Redakteur Johannes Salzwedel, der den Titel für die Empfehlungsliste „Sachbücher des Monats“ mehrfach vorgeschlagen hatte, musste die Jury verlassen, ehe die Liste gleich ganz eingestellt wurde. Später wurde sie von anderen Verlagen zwar neu aufgelegt aber inhaltlich so verwässert, um politische Friktionen mit den Literaturbeurteilungsstellen nur ja zu vermeiden.

Der miefige Geruch der Manipulation und das verzweifelte Verdrängen von Leserinteressen ziehen seither durch die Bestseller- und Empfehlungslisten. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er mal die Wahrheit spricht – diese Weisheit gilt seit jeher. Die Buchbranche kämpft seither um ihr Renommee als imaginärer Veranstaltungsort, auf dem Diskurs, Austausch und Debatte gepflegt werden. Nicht nur Leipzig, auch die Frankfurter Buchmesse versucht verzweifelt, lästige Verlage abzuschütteln, die die vereinheitlichte Meinung stören könnten. Mal pilgerten die Vorstände von Messe und Buchhandelsvertretern wie Bußprediger zu vermeintlich rechten Verlagen, auf dass diese ihrem Tun abschwören. Dann wieder wurden solche Verlage in einen abseitigen Gang verdrängt, vor dem vier schwerbewaffnete Polizisten patrouillierten, um jene Grenze zu markieren, die erwünscht von nachgefragt scheidet.

Es ist wie die Umkehrung jener Schilder, die einst an der Berliner Mauer warnten: „Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor“. Heute müsste beschildert werden: „Letzte Warnung! Sie verlassen den Raum des vorgeschriebenen Denkens und bewegen sich in das Reich der freien Rede.“

Und es trifft immer neue Autoren. So musste sich Kabarettistin Monika Gruber gegen eine Bloggerin gerichtlich zur Wehr setzen. Die Bloggerin wollte namentlich nicht in Grubers Buch genannt werden für ihre schräge Vorstellung, dass strickende Frauen rechtsradikal kontaminiert sein könnten.

Den Entscheid vor dem Oberlandesgericht kritisierte der fallierende STERN am Firmament von RTL mit einer bemerkenswert niederen Urteilsschelte: „Was Monika Gruber verbreitet, ist kein Spaß. Es ist tiefbrauner Dreck.“

Monika Gruber – ein Star in Ungnade der Leitmedien

Monika Gruber ist in Ungnade gefallen, seit sie eine Demonstration mitorganisierte, die sich gegen Robert Habecks Heizungspläne richtete. Seither sieht sie sich einem Shitstorm ausgesetzt, dem sie sich mit einem letzten Auftritt entziehen will – immerhin vor 16.000 begeisterten Zuschauern in der ausverkauften Münchner Olympiahalle. Der Süddeutschen Zeitung gelang eine Steigerung. Sie nahm nicht nur die Kabarettistin ins Visier, sondern auch deren Fans und schrieb abwertend über sie.

Grubers typischer Fan „benutzt süßliches, schweres Parfüm“, notiert die SZ, viele Leopardenprints seien zu sehen – sowas aber auch. Die Gesichter seien „von einer angenehmen, kompromissermatteten Langeweile gezeichnet“. Gruber hat zurückgeschlagen und ihre Fans dazu aufgefordert, das ererbte Abo der SZ zu kündigen, statt sich weiter beleidigen zu lassen.

Dem Verkauf von Grubers Büchern „Und erlöse uns von den Blöden“ und „Willkommen im falschen Film“ tat das keinen Abbruch, sondern verschaffte ihnen neuen Schub. Mittlerweile tragen „umstrittene“ Autoren diesen Titel als Ehrenmarke und genießen Auflagenerfolge nicht mehr nur im Stillen, sondern schlagen zurück.

Neu unter den Verdammten: Klaus Rüdiger Mai

Jüngstes Mitglied in der Reihe der Verdammten ist Klaus Rüdiger Mai. Er hat eine lesenswerte Biographie über Sahra Wagenknecht geschrieben, in der er detailliert ihren Weg persönlich und ideologisch nachvollzieht, der sie an die Spitze einer voraussichtlich durchaus erfolgreichen neuen Partei führt. Was macht sie eigentlich aus? Was hat sie geprägt? Wo kommt sie her, wo will sie hin? Für die SZ ist das ein degoutanter Versuch. Schließlich sei Mai Autor beim „umstrittenen Portal Tichys Einblick.

„Der Sachbuchautor Klaus-Rüdiger Mai beginnt seinen Versuch einer Annäherung schon in einem offensichtlichen Zustand von Rage, er ist sauer auf, nun ja, irgendwie alles. Auf den vermeintlich linken Zeitgeist zum Beispiel, oder auf die Ampelregierung. Besonders Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beschäftigt Mai in einem Maß, dass man annehmen muss, er sei im Besitz einer vom vermeintlichen Zwangstausch bedrohten Ölheizung,“ notiert die Süddeutsche Zeitung, deren Redakteure so widrigen Gefahren wie einem Heizungstausch enthoben zu sein scheinen.

Doch obwohl Mai so wütend sei, offenbare sich dennoch eine tiefe Verliebtheit in sein Sujet. Nun ja. Widersprüche sind dazu da, dass man sie aushält. Und dazu gehört auch, dass Mai der Süddeutschen Zeitung eigentlich einen Dankesbrief schuldig ist. Denn immerhin hat sie seinen Namen richtig geschrieben, sogar mehrmals. Darum geht es. Der Leser findet schon die Bücher, die er lieben kann. Wenn nur der Name richtig geschrieben ist, dann führt das zu den Büchern, die keine vorgegebene Haltung demonstrieren müssen.